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27.06.2019, 11:07 Uhr
Laura Worsch
Text & Debatte
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© Udo Diekmann

Die junge Autorin Laura Worsch über das politische Engagement ihrer Generation

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Fridays for Future-Demonstration in Berlin, 2019

Laura Worsch wagte ihre ersten literarischen Aufbrüche noch als Schülerin – in einer Schreibwerkstatt des Literaturhauses München. Später wurde sie unter anderem zum Treffen junger Autor*innen bei den Berliner Festspielen eingeladen. Heute ist sie 24 Jahre alt und hat schon etliche eigene Texte veröffentlicht. Derzeit absolviert sie in Berlin ein Osteuropastudium. Im folgenden offenen Brief antwortet sie auf die „Späte Rede an junge Menschen“ des Schriftstellers Gert Heidenreich. Der Austausch zwischen den beiden ist soeben auch in der Zeitschrift Literatur in Bayern erschienen.

 

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Lieber Gert Heidenreich,

insgesamt scheinst Du kein so gutes Bild von meiner Generation zu haben. Deinem Appell nach ist sie ein ziemlich apolitischer Haufen, der in seiner Freizeit ein bisschen protestieren geht und Online-Kampagnen startet, wenn es gerade angesagt ist.

Schon interessant, was wir anscheinend so alles sind und was nicht. In der Zeitschrift Futurzwei (6/2018), schreibt der Soziologe Harald Welzer zum Thema Jugend, wir seien zwar politisch, hielten aber nicht mehr viel von den klassischen Einteilungen in Links und Rechts. Wir seien pragmatisch, tolerant gegenüber Geflüchteten und der Meinung, wie könnten alles erreichen im Leben. Diese Zuschreibungen halte ich für genauso romantisierend wie ich Deine zu pessimistisch finde.

Wir sind doch keine kollektive Personifizierung eines European Dream! Ich bin überzeugt von der demokratischen, friedlichen, integrativen Idee der Europäischen Union – auch wenn die EU diese Idee seit 2014 (und schon früher) mit dem Tod von Abertausenden von Geflüchteten verraten hat. Es macht mich krank, diese Politik nicht unmittelbar stoppen zu können, die sogar zivilgesellschaftliche Hilfe unterdrückt.

Aber der Schalthebel der Macht ist noch gar nicht richtig bei meiner Generation angekommen. Erst langsam beginnt die Machtübergabe in Parlamenten an junge Menschen in ihren Mittzwanzigern. Und die noch Jüngeren demonstrieren in der Fridays for Future-Bewegung dafür, dass der Klimawandel endlich richtig angegangen wird.

Sämtliche Entscheidungen, deren Folgen jetzt Probleme bereiten, wurden von Deiner Generation getroffen. Und jetzt sollen wir in die Verantwortung genommen werden, um die Suppe auszulöffeln. Habt Ihr denn die eskalative Entwicklung des Kapitalismus weltweit verhindert, dessen Konsequenzen Klimawandel, Armut und millionenfache Migration sind? Wie kann es sein, dass der mahnende Zeigefinger jetzt auf uns liegt?

 

Vielfältigkeit als Gesprächsgrundlage

Vergangenes Jahr nahm ich an der Landesgedenkstättentagung der Heinrich-Böll-Stiftung teil. Thema: Generationenwechsel in der Denkmalpflege, vor allem von KZ-Gedenkstätten. Auch dort war ich erstaunt von der Vorsicht, die uns jungen Teilnehmenden entgegenschwappte. Einer der älteren sprach seine Zweifel offen an: Könnt ihr diese Arbeit mit der gleichen Hingabe machen wie wir, die wir uns gegen das Schweigen unserer Eltern durchgesetzt haben? Das Misstrauen uns gegenüber war so offenkundig, dass wir gleich eine defensive Haltung einnahmen.

Hier läuft doch etwas falsch! Ja, es gibt Unterschiede zwischen Generationen, große sogar. Wir sind nicht nur die Kinder unserer Eltern, sondern auch Kinder der Zeit, in der wir aufwachsen, uns politisieren (oder eben nicht) und in der wir lernen, für Überzeugungen einzustehen. Themen wie Gedenkstättenarbeit werden wir daher sicherlich anders anpacken. Aber die grundlegende historische Verantwortung habt Ihr uns doch vermittelt. Andere Themen wie der Klimawandel sind heute noch dringender als vor 40 Jahren und verlangen neue Strategien.

Natürlich sind die Jungen heute keine homogene Masse. Wir sind so vielfältig, wie Ihr es seid, und das ist auch gut so. Aber sollte nicht gerade unsere Vielfältigkeit Gesprächsgrundlage sein? Stattdessen dieses ständige Gefühl, sich für Versäumnisse rechtfertigen zu müssen, die noch gar nicht passiert sind. Gleichzeitig steigt der Frust über die Ausgrenzung junger Menschen von politischer Teilhabe – wenn beispielsweise Christian Lindner empfiehlt, die Schüler*innen sollten die politische Arbeit besser den „Profis“ überlassen.

Dabei können gerade Kampagnen und Demonstrationen Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Herkünfte vereinen. Dass diese Formen des Engagements realpolitisch oft keine Wirkung zeigen, liegt an handlungsstarren Mechanismen auf staatlicher Ebene und nicht an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit derjenigen, die friedlich auf die Straße gehen. Eine Generation sollte nicht daran gemessen werden, wie viele Revolutionen sie erwirkt.

 

Im Zweifel einfach weiterscrollen

Was wir beide gemein haben, ist unsere Sorge. Die Sorge um den Klimawandel, um die Demokratie in vielen europäischen Staaten, um steigende Xenophobie und Antisemitismus. Der Sprachgebrauch meiner eigenen Generation lässt mich oft sprachlos zurück. Ich habe Angst, dass grundlegende Werte unserer Demokratie so selbstverständlich geworden sind, dass wir es nicht für nötig erachten, sie aktiv immer wieder einzufordern. Aber ich muss nicht Teil der 68er-Bewegung gewesen sein, um mir an den Kopf zu fassen und zu fragen: Wie kann das sein?

Ich denke nicht, dass die Probleme unserer Zeit mehr geworden sind. Sie sind komplexer geworden. Die zweischneidige Rolle der sozialen Netzwerke bringt uns diese Probleme einerseits näher, und andererseits war es nie einfacher, durch Weiterscrollen oder Wegwischen genau das zu tun: sie auszublenden. Auf der positiven Seite stehen unzählige Möglichkeiten, sich einzubringen und sich zu vernetzen. Gleichzeitig sind in diesem Netz so viele kleine Knoten, dass es für den Einzelnen unübersichtlich wird und es vielleicht noch schwieriger geworden ist, wirkliche Veränderung hervorzurufen. Und doch erwartet Ihr von uns, noch empathischer, noch mitfühlender, noch engagierter zu sein.

Gibt es sie noch, die Jugend, die Ihr Euch wünscht? Eine Jugend, die schon eine Strategie für die weltweiten Probleme hat, die sämtliche historischen Verantwortlichkeiten versteht und weiterträgt? Ich glaube kaum, dass so eine Jugend jemals existiert hat. Es kann hier aber nicht um Erwartung und Rechtfertigung gehen, sondern darum, wie wir ein Grundvertrauen und einen Wissenstransfer zwischen den Generationen herstellen. Unser kleiner Austausch hier – ist ein Schritt.

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Eine Antwort auf die Antwort

 

Liebe Laura Worsch,

hab Dank für Deine Reaktion auf meine kleine Rede, die nun auch schon drei Jahre zurückliegt; seither hat sich ja manches getan, gerade auch, was das Engagement der Jugend angeht. Ich sehe an Deinem Text, dass uns in der Sicht auf unsere Gegenwart und ihre Aussichten kaum etwas unterscheidet. Nur: Meine Bitte um Euer Engagement war eben gerade kein Zeigefinger-Gehabe, denn sonst hätte ich nicht hineingeschrieben, dass meine Generation für die Gegenwart verantwortlich ist (auch wenn ich selbst mich gut fünfzig Jahre lang um eine ganz andere Gestalt der Gegenwart schreibend und redend bemüht habe) und hätte Euch nicht um Nachsicht gebeten.

Schon gar nicht möchte ich mich mit Herrn Lindner, dessen Hochmut mit seiner Eitelkeit um den Vorrang streitet, in eine Bank gesetzt sehen; das wirst Du verstehen.

Es ist schwer, wenn man zusehen muss, wie das politisch friedliche und kulturell offene Europa daran zugrunde geht, dass zu wenige es für wichtig genug hielten, sich dafür einzusetzen (Brexit), und dass von Ungarn bis Italien genau die Faschisten an der Macht sind, an deren endgültige Vergangenheit ich nie ganz geglaubt, doch gegen deren Wiederaufkommen ich nach Kräften gearbeitet habe.

Ich lasse ja darin nicht nach, aber worauf sollte ich, nun 75 Jahre alt, meine Zukunfts-Hoffnung setzen, wenn nicht auf Euch, auf Dich? Dein schöner Brief bestärkt mich darin.

Gert Heidenreich