Mundart: Pia-Elisabeth Leuschner über Margret Hölle
Die 134. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Dialekt. In diesem Artikel schreibt Dr. Pia-Elisabeth Leuschner, Mitarbeiterin des Lyrik Kabinetts München, über die oberpfälzische Mundartdichterin Margret Hölle und die gesellschaftliche Relevanz ihrer Texte.
*
„Mitm Dialekt hast imma a zwoats Universum in Reserve" (Gerhard Polt). Diese positive Sichtweise des Dialekts – als einer speziellen Form von Mehrsprachigkeit – ist historisch jung und geht als Errungenschaft mit seiner mählichen Ausrottung einher. Margret Hölle, 1927 geboren in Neumarkt in der Oberpfalz, wuchs noch in die ältere Sicht der Mundart hinein – als tendenziell kulturfernes Idiom einer ländlichen Unterschicht –, wobei speziell das Oberpfälzische durch seine Sättigung mit Doppelvokalen noch innerhalb Bayerns der Lächerlichkeit preisgegeben ist (alljährlich inszeniert und ironisiert die Altneihauser Feierwehrkapell’n in Veitshöchheim das zu großem Publikumserfolg).
Nicht zuletzt von diesem Soziolekt wollte Margret Hölle sich emanzipieren, als sie nach 1945 nach München zog, eine Karriere als Schauspielerin und Sprecherin begann, die sie dann für eine Rolle als Ehefrau des Künstlers Erich Hölle und Mutter aufgab. Erst aus dieser Ferne begann sie die Wiedereroberung ihres Herkunftsidioms als Medium der Kunst. Damit macht sie etwas deutlich, was allen großen Stimmen der Mundartlyrik gemeinsam ist: dass nämlich jener Dialekt, der zur Dichtung wird, kaum je ungebrochen die Herkunftssprache ist, sondern deren Reflexion und Transformation auf einer höheren Ebene.
Die Mundart wird so für Hölle ein Sprachuniversum, in dem sie nicht nur Landschaft und ländliche Gesellschaft der „Stoapfalz" verarbeitet, sondern zudem die großen Fragen von Ethik, Religion (Theodizee) oder ökologischer Zerstörung. Die Gegebenheiten des Dialekts enthüllen sich dabei unerwartet als Mikrokosmos von Fragen, die heute im Kontext von Migration brisant sind – etwa das Gefühl doppelter Zugehörigkeit. Margret Hölle betreibt nicht zuletzt ein Stück Traditionsbildung der oberpfälzischen Mundartlyrik, wenn sie das Gedicht dieser Erfahrung Eugen Oker widmet:
Vu durd und vu dou
(für Eugen Oker)
I bi vu durd
wou ma
ansa Junga furdgöiht
I bi vu durd
wou ma sei Wurzlhirz
midnimmd
wou mas aapflanzt
unda da Sunn
vu durd und vu dou
Margret Hölle bei der 2. Viechtacher Literaturrevue 2005 © Herbert Pöhnl / Lichtung Verlag
Wurzelherz, so überschreibt Hölle auch den Band, in dem dieser Text erscheint, ihre dritte Sammlung in Oberpfälzer Mundart. Im Titel verwendet sie jedoch das hochdeutsche Wort – ein Zeichen, dass sie ihre Herzpfahlwurzel schon unter anderer Sonne angepflanzt hat? Oder möglicherweise wollte sie für das Buch im deutschen Publikationspanorama jene Ausgrenzung vermeiden, die sie in ihrem heimatlichen Sozialwesen unmittelbar erlebt zu haben scheint:
Wern wundads?
Oana wou koa Aawad houd
der gäiht mit laare Händ
durch seine Dooch
soucht wäi a gschlonga Hund sei Broud
der wou koa Aawad houd
schlouft an sein Fuß an Stoa
dern zöihgt da mit ins Bett
dou wachst da in da Noocht
da Stoa wäi a Gebiach
wern wundads äiz wenn aaf amoi
döi laare Händ dern Stoa wegschöbt
und d Finga zammagrailt
zu oana groußn Faust
Die Diphthonge des Oberpfälzischen werden hier so (im Wortsinn) geballt und massiv eingesetzt wie selbst bei Hölle sonst selten. Und allein lautlich identifiziert der erste Vers den „oana" unentrinnbar mit seinem Fluch und Stigma: „koa Aawad". Es ist noch dessen leichteste Form, dass er zunächst nur mehr den Wert eines Hundes hat – denn die Lautlichkeit wächst weiter zum „Stoa" und dann zum zermalmenden Gebirge auf seinem Herzen. Und hatte das „Wundern" im Titel schon so stark auch „Wunde" assoziieren lassen, folgt mit der Wiederholung der Titelfrage auch der Umschwung zum noch Schlimmeren: Denn sehr fatal passt in leere Hände nur zu gut ein Stein. Und unter dem nächtlichen Alpdruck wollen sie mehr als bloße Befreiung: Eine davon krallt sich zur Faust, die – so lädt uns der Text weiterzuimaginieren ein – dann ihrerseits gleich einem Stein oder als Stein geschleudert werden kann, in Fensterscheiben oder auf andere Menschen.
Fünfzehn Mundartzeilen über Dorfsoziologie – und zugleich eine Quintessenz dessen, was längst aus größeren gesellschaftlichen Kontexten bekannt ist: dass sprengkräftige Unzufriedenheit oder Gewaltbereitschaft insbesondere aus Kreisen von Arbeitslosigkeit und fehlender sozialer Anerkennung hervorwachsen. Und wen wundert’s, wenn heutige Leser hier auch die fatale Verbindung von Residenzpflicht und Arbeitsverbot denken, die Migranten bis zu ihrer Anerkennung in Deutschland so lange untätig hält, wie in Abbas Khiders Die Ohrfeige plastisch beschrieben?
Und noch in einer weiteren Hinsicht spiegelt die Mundart bei Hölle neuralgische Aspekte der Migrationserfahrung: „I wirfs in d Luft / wöi a Zichaina sei Zöilt // und bi iwaroil dahoam / mit dern bärbeißadn / vahunzdn / vakafdn / doddawoichn Woart: Hoamat".
Der aus Iran stammende, deutsch schreibende Dichter SAID hat Ähnliches jüngst so ausgedrückt: „du weißt, was ein flüchtling ist? / ein mann, der alles verloren hat bis auf seinen akzent." Es ist oft ein langer steiniger Weg, um es als Positivum zu erkennen, dass man die eigene Heimat als Nomadenzelt ihrer Sprache mitnimmt in die Fremde. Nur die Glücklichsten lernen, diese labile Herberge als ein „Universum in Reserve" poetisch-expressiv zu nützen.
Doch wenn mit einer solchen Haltung das von rechten Ideologien vergötzte, von gesellschaftskritischen Feuilletons verfemte, in Museen zur Leitkultur monumentalisierte und in populistischen Parolen breitenwirksam verkaufte, dotterweiche (schmiegsam-schleimige und sonnengelbe) Wort „Heimat" neu gedacht wird, langen wir vielleicht endlich bei einem Heimatbegriff an, mit dem wir für eine multikulturelle und globale Gesellschaft viel anfangen können: „Dau bist dahoam / wou ma redt / wäi ma denkt – // dahoam bist dau niad / wau ma redt / nauchm Mail."
Margret Hölle: Wurzelherz. Gedichte in Oberpfälzer Mundart. Mit einem Nachwort von Joseph Berlinger und Zeichnungen von Erich Hölle, Regensburg 1996.
SAID, Yamen Hussein: Salam Yamen / Lieber SAID, München 2018.
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Die 134. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Dialekt. In diesem Artikel schreibt Dr. Pia-Elisabeth Leuschner, Mitarbeiterin des Lyrik Kabinetts München, über die oberpfälzische Mundartdichterin Margret Hölle und die gesellschaftliche Relevanz ihrer Texte.
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„Mitm Dialekt hast imma a zwoats Universum in Reserve" (Gerhard Polt). Diese positive Sichtweise des Dialekts – als einer speziellen Form von Mehrsprachigkeit – ist historisch jung und geht als Errungenschaft mit seiner mählichen Ausrottung einher. Margret Hölle, 1927 geboren in Neumarkt in der Oberpfalz, wuchs noch in die ältere Sicht der Mundart hinein – als tendenziell kulturfernes Idiom einer ländlichen Unterschicht –, wobei speziell das Oberpfälzische durch seine Sättigung mit Doppelvokalen noch innerhalb Bayerns der Lächerlichkeit preisgegeben ist (alljährlich inszeniert und ironisiert die Altneihauser Feierwehrkapell’n in Veitshöchheim das zu großem Publikumserfolg).
Nicht zuletzt von diesem Soziolekt wollte Margret Hölle sich emanzipieren, als sie nach 1945 nach München zog, eine Karriere als Schauspielerin und Sprecherin begann, die sie dann für eine Rolle als Ehefrau des Künstlers Erich Hölle und Mutter aufgab. Erst aus dieser Ferne begann sie die Wiedereroberung ihres Herkunftsidioms als Medium der Kunst. Damit macht sie etwas deutlich, was allen großen Stimmen der Mundartlyrik gemeinsam ist: dass nämlich jener Dialekt, der zur Dichtung wird, kaum je ungebrochen die Herkunftssprache ist, sondern deren Reflexion und Transformation auf einer höheren Ebene.
Die Mundart wird so für Hölle ein Sprachuniversum, in dem sie nicht nur Landschaft und ländliche Gesellschaft der „Stoapfalz" verarbeitet, sondern zudem die großen Fragen von Ethik, Religion (Theodizee) oder ökologischer Zerstörung. Die Gegebenheiten des Dialekts enthüllen sich dabei unerwartet als Mikrokosmos von Fragen, die heute im Kontext von Migration brisant sind – etwa das Gefühl doppelter Zugehörigkeit. Margret Hölle betreibt nicht zuletzt ein Stück Traditionsbildung der oberpfälzischen Mundartlyrik, wenn sie das Gedicht dieser Erfahrung Eugen Oker widmet:
Vu durd und vu dou
(für Eugen Oker)
I bi vu durd
wou ma
ansa Junga furdgöiht
I bi vu durd
wou ma sei Wurzlhirz
midnimmd
wou mas aapflanzt
unda da Sunn
vu durd und vu dou
Margret Hölle bei der 2. Viechtacher Literaturrevue 2005 © Herbert Pöhnl / Lichtung Verlag
Wurzelherz, so überschreibt Hölle auch den Band, in dem dieser Text erscheint, ihre dritte Sammlung in Oberpfälzer Mundart. Im Titel verwendet sie jedoch das hochdeutsche Wort – ein Zeichen, dass sie ihre Herzpfahlwurzel schon unter anderer Sonne angepflanzt hat? Oder möglicherweise wollte sie für das Buch im deutschen Publikationspanorama jene Ausgrenzung vermeiden, die sie in ihrem heimatlichen Sozialwesen unmittelbar erlebt zu haben scheint:
Wern wundads?
Oana wou koa Aawad houd
der gäiht mit laare Händ
durch seine Dooch
soucht wäi a gschlonga Hund sei Broud
der wou koa Aawad houd
schlouft an sein Fuß an Stoa
dern zöihgt da mit ins Bett
dou wachst da in da Noocht
da Stoa wäi a Gebiach
wern wundads äiz wenn aaf amoi
döi laare Händ dern Stoa wegschöbt
und d Finga zammagrailt
zu oana groußn Faust
Die Diphthonge des Oberpfälzischen werden hier so (im Wortsinn) geballt und massiv eingesetzt wie selbst bei Hölle sonst selten. Und allein lautlich identifiziert der erste Vers den „oana" unentrinnbar mit seinem Fluch und Stigma: „koa Aawad". Es ist noch dessen leichteste Form, dass er zunächst nur mehr den Wert eines Hundes hat – denn die Lautlichkeit wächst weiter zum „Stoa" und dann zum zermalmenden Gebirge auf seinem Herzen. Und hatte das „Wundern" im Titel schon so stark auch „Wunde" assoziieren lassen, folgt mit der Wiederholung der Titelfrage auch der Umschwung zum noch Schlimmeren: Denn sehr fatal passt in leere Hände nur zu gut ein Stein. Und unter dem nächtlichen Alpdruck wollen sie mehr als bloße Befreiung: Eine davon krallt sich zur Faust, die – so lädt uns der Text weiterzuimaginieren ein – dann ihrerseits gleich einem Stein oder als Stein geschleudert werden kann, in Fensterscheiben oder auf andere Menschen.
Fünfzehn Mundartzeilen über Dorfsoziologie – und zugleich eine Quintessenz dessen, was längst aus größeren gesellschaftlichen Kontexten bekannt ist: dass sprengkräftige Unzufriedenheit oder Gewaltbereitschaft insbesondere aus Kreisen von Arbeitslosigkeit und fehlender sozialer Anerkennung hervorwachsen. Und wen wundert’s, wenn heutige Leser hier auch die fatale Verbindung von Residenzpflicht und Arbeitsverbot denken, die Migranten bis zu ihrer Anerkennung in Deutschland so lange untätig hält, wie in Abbas Khiders Die Ohrfeige plastisch beschrieben?
Und noch in einer weiteren Hinsicht spiegelt die Mundart bei Hölle neuralgische Aspekte der Migrationserfahrung: „I wirfs in d Luft / wöi a Zichaina sei Zöilt // und bi iwaroil dahoam / mit dern bärbeißadn / vahunzdn / vakafdn / doddawoichn Woart: Hoamat".
Der aus Iran stammende, deutsch schreibende Dichter SAID hat Ähnliches jüngst so ausgedrückt: „du weißt, was ein flüchtling ist? / ein mann, der alles verloren hat bis auf seinen akzent." Es ist oft ein langer steiniger Weg, um es als Positivum zu erkennen, dass man die eigene Heimat als Nomadenzelt ihrer Sprache mitnimmt in die Fremde. Nur die Glücklichsten lernen, diese labile Herberge als ein „Universum in Reserve" poetisch-expressiv zu nützen.
Doch wenn mit einer solchen Haltung das von rechten Ideologien vergötzte, von gesellschaftskritischen Feuilletons verfemte, in Museen zur Leitkultur monumentalisierte und in populistischen Parolen breitenwirksam verkaufte, dotterweiche (schmiegsam-schleimige und sonnengelbe) Wort „Heimat" neu gedacht wird, langen wir vielleicht endlich bei einem Heimatbegriff an, mit dem wir für eine multikulturelle und globale Gesellschaft viel anfangen können: „Dau bist dahoam / wou ma redt / wäi ma denkt – // dahoam bist dau niad / wau ma redt / nauchm Mail."
Margret Hölle: Wurzelherz. Gedichte in Oberpfälzer Mundart. Mit einem Nachwort von Joseph Berlinger und Zeichnungen von Erich Hölle, Regensburg 1996.
SAID, Yamen Hussein: Salam Yamen / Lieber SAID, München 2018.