Norbert Göttler über das Bairische in der Gesellschaft – eine Sprache mit sieben Siegeln?
Die 134. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Dialekt. Im folgenden Beitrag diskutiert Norbert Göttler die Frage, wie es um die gesellschaftliche Akzeptanz des Bairischen steht.
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Totgesagte leben länger. Was in den 1970er und 1980er Jahren schier undenkbar war, ist eingetreten. Der Heimatbegriff erlebt eine Renaissance. Rock- und Folkgruppen integrieren Elemente der bayerischen Volksmusik, junge Dichter rezitieren auf Poetry Slams Mundartgedichte, Filmemacher wie Edgar Reitz und Marcus H. Rosenmüller erfinden den neuen Heimatfilm. Wenngleich viel verloren gegangen ist, wird das Sprechen einer Mundart heute nicht mehr „verpönt", das heißt, nicht mehr diffamiert oder bestraft. Mundart ist wieder sprachlicher Ausdruck eines heimatlichen Lebensgefühls. Das heißt beileibe nicht, dass es in dieser Heimat immer besonders gemütlich zuging. Eine romantisch-nostalgische Note, die heute viele Menschen mit dem Begriff Heimat verbinden, ist eher neuzeitliches Gefühl.
Die harten Lebensbedingungen, unter denen die meisten unserer Vorfahren lebten, ließen solche Emotionen kaum zu. Heimat, das war zuerst ein nüchterner Begriff der existenziellen Grundversorgung. Das historische „Heimatrecht" beschrieb die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Gemeinde und damit den Anspruch auf ungestörten Aufenthalt und auf Armenpflege im Falle der Not. Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1877 wird Heimat als „Landstrich, wo man bleibendes Aufenthaltsrecht hat" definiert. In Bayern, so fügten die beiden Hessen Jacob und Wilhelm Grimm lexikalisch hinzu, „wird auch das elterliche Haus und dessen Besitzthum Heimat genannt". Das „Hoamatl", wie es heute noch im bäuerlichen Bereich liebevoll charakterisiert wird.
Kriege, Vertreibungen und Hungersnöte haben Menschen zu allen Zeiten bewogen, ihre angestammten Siedlungsplätze zu verlassen. Im 20. Jahrhundert haben Industrialisierung und Globalisierung diesen Prozess des Unterwegssein in dramatischer Weise verstärkt. Die meisten von uns leben nicht mehr dort, wo sie geboren sind. Sie haben sich neue Heimaten geschaffen. Lernt man erst in der Fremde das Eigene kennen und schätzen? Ist das „stärkste Heimatgefühl das Heimweh des Fortgegangenen", wie es der Schriftsteller Bernhard Schlink in seinem Essay Heimat als Utopie formulierte?
Einer der stärksten Faktoren des Heimatgefühls ist die Sprache, die Mundart. Sie ist Ausdruck von bunter Lebensqualität und Vielfalt. Sie haftet am längsten, auch wenn man seinem Geburtsort den Rücken gekehrt hat. Bei aller Trauer um Verluste – seien wir deshalb froh darüber, dass in der Schule wieder Lieder im Dialekt gesungen werden. Dass es wieder Filme und Theateraufführungen in Mundart gibt, dass Schauspieler ihre diesbezüglichen Kenntnisse als besondere Qualifikation in ihrer Vita angeben.
Heute haben wir die letzte Chance, uns mit Menschen, die diese Sprache noch lebendig gesprochen haben, auszutauschen und damit ein Stück Kulturgeschichte zu dokumentieren. Mundart soll Freude und nicht Zwietracht säen, deshalb sollte man ein paar Grundregeln beachten:
1. Bitte um Toleranz und Gelassenheit in Sachen Mundart
Mit wenig kann man heftigere Diskussionen auslösen wie mit Dialektfragen. Jeder meint, sein Bairisch ist das richtige. Aber Oberbayern ist groß. Es reicht von Mittenwald bis Eichstätt, von Landsberg bis Burghausen und Berchtesgaden. Damit gibt es hunderte von feinen Sprachgrenzen, manchmal zwischen einem Ort und dem nächsten. Was in einer Gegend noch gesprochen wird, ist in der anderen schon ausgestorben. Wie kann man da sagen, der eine spricht das richtige, der andere das falsche Bairisch?
„geschneit" im Dialekt, © Historisches Lexikon Bayern
2. Toleranz auch in Sachen „Geschriebener Dialekt"
Missverständnisse treten vor allem auf, wenn Dialekt geschrieben wird. Was man früher kaum getan hat, auch unsere Großeltern nicht. Sie haben ihre Briefe mühsam in Hochdeutsch verfasst. Nur Schriftsteller haben versucht, die Mundart für gedruckte, literarische Formen zu nutzen. Johann Peter Hebel mit seinen 1800 verfassten Alemannischen Gedichten etwa, im Oberbayerischen dann Franz von Kobell und Max Dingler. Es gibt kaum Regeln der Dialektschreibung. Thoma schreibt Dialekt anders als Graf, Queri anders als Ruederer. Und wenn’s Regeln gibt, dann in Lautschrift, und die ist – Entschuldigung – saukompliziert. Um’s auf Neudeutsch zu sagen: „Dialekt ist eben Spreche, nicht Schreibe."
3. Verachtet mir die Hochsprache nicht!
Moderne Staaten brauchen Hochsprachen! Jeder Schweizer bestätigt das Problem von drei, vier Landessprachen. Selbst ein hochgebildeter Rätoromane, der Französisch, Italienisch, Deutsch und Englisch spricht, versteht die Züricher Nachrichten nicht, die in Schwyzerdütsch gesprochen werden. Eine gesunde Heimat- und Dialektpflege muss aber integrativ sein und darf nicht ausgrenzen. Die Abkehr vom Dialekt, die wir alle erlebt haben, war auch eine gesunde Gegenreaktion gegen alle Formen eines dämlichen Sepplbayerntums, das auf Tourismusbühnen, in schlechten Romanen und noch schlechteren Bayern-Pornos zelebriert wurde. Kein Wunder, dass viele da Reißaus genommen haben.
Aus: Norbert Göttler (Hg.): Heimat und Vernunft, Publikation der Fachberatung Heimatpflege, Bezirk Oberbayern, 2017.
Zur Geschichte des Heimatbegriffs vgl. Schöne Heimat 98(2009), S. 3-10.
Berhard Schlink: Heimat als Utopie, Frankfurt 2000, S. 32.
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Die 134. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Dialekt. Im folgenden Beitrag diskutiert Norbert Göttler die Frage, wie es um die gesellschaftliche Akzeptanz des Bairischen steht.
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Totgesagte leben länger. Was in den 1970er und 1980er Jahren schier undenkbar war, ist eingetreten. Der Heimatbegriff erlebt eine Renaissance. Rock- und Folkgruppen integrieren Elemente der bayerischen Volksmusik, junge Dichter rezitieren auf Poetry Slams Mundartgedichte, Filmemacher wie Edgar Reitz und Marcus H. Rosenmüller erfinden den neuen Heimatfilm. Wenngleich viel verloren gegangen ist, wird das Sprechen einer Mundart heute nicht mehr „verpönt", das heißt, nicht mehr diffamiert oder bestraft. Mundart ist wieder sprachlicher Ausdruck eines heimatlichen Lebensgefühls. Das heißt beileibe nicht, dass es in dieser Heimat immer besonders gemütlich zuging. Eine romantisch-nostalgische Note, die heute viele Menschen mit dem Begriff Heimat verbinden, ist eher neuzeitliches Gefühl.
Die harten Lebensbedingungen, unter denen die meisten unserer Vorfahren lebten, ließen solche Emotionen kaum zu. Heimat, das war zuerst ein nüchterner Begriff der existenziellen Grundversorgung. Das historische „Heimatrecht" beschrieb die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Gemeinde und damit den Anspruch auf ungestörten Aufenthalt und auf Armenpflege im Falle der Not. Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1877 wird Heimat als „Landstrich, wo man bleibendes Aufenthaltsrecht hat" definiert. In Bayern, so fügten die beiden Hessen Jacob und Wilhelm Grimm lexikalisch hinzu, „wird auch das elterliche Haus und dessen Besitzthum Heimat genannt". Das „Hoamatl", wie es heute noch im bäuerlichen Bereich liebevoll charakterisiert wird.
Kriege, Vertreibungen und Hungersnöte haben Menschen zu allen Zeiten bewogen, ihre angestammten Siedlungsplätze zu verlassen. Im 20. Jahrhundert haben Industrialisierung und Globalisierung diesen Prozess des Unterwegssein in dramatischer Weise verstärkt. Die meisten von uns leben nicht mehr dort, wo sie geboren sind. Sie haben sich neue Heimaten geschaffen. Lernt man erst in der Fremde das Eigene kennen und schätzen? Ist das „stärkste Heimatgefühl das Heimweh des Fortgegangenen", wie es der Schriftsteller Bernhard Schlink in seinem Essay Heimat als Utopie formulierte?
Einer der stärksten Faktoren des Heimatgefühls ist die Sprache, die Mundart. Sie ist Ausdruck von bunter Lebensqualität und Vielfalt. Sie haftet am längsten, auch wenn man seinem Geburtsort den Rücken gekehrt hat. Bei aller Trauer um Verluste – seien wir deshalb froh darüber, dass in der Schule wieder Lieder im Dialekt gesungen werden. Dass es wieder Filme und Theateraufführungen in Mundart gibt, dass Schauspieler ihre diesbezüglichen Kenntnisse als besondere Qualifikation in ihrer Vita angeben.
Heute haben wir die letzte Chance, uns mit Menschen, die diese Sprache noch lebendig gesprochen haben, auszutauschen und damit ein Stück Kulturgeschichte zu dokumentieren. Mundart soll Freude und nicht Zwietracht säen, deshalb sollte man ein paar Grundregeln beachten:
1. Bitte um Toleranz und Gelassenheit in Sachen Mundart
Mit wenig kann man heftigere Diskussionen auslösen wie mit Dialektfragen. Jeder meint, sein Bairisch ist das richtige. Aber Oberbayern ist groß. Es reicht von Mittenwald bis Eichstätt, von Landsberg bis Burghausen und Berchtesgaden. Damit gibt es hunderte von feinen Sprachgrenzen, manchmal zwischen einem Ort und dem nächsten. Was in einer Gegend noch gesprochen wird, ist in der anderen schon ausgestorben. Wie kann man da sagen, der eine spricht das richtige, der andere das falsche Bairisch?
„geschneit" im Dialekt, © Historisches Lexikon Bayern
2. Toleranz auch in Sachen „Geschriebener Dialekt"
Missverständnisse treten vor allem auf, wenn Dialekt geschrieben wird. Was man früher kaum getan hat, auch unsere Großeltern nicht. Sie haben ihre Briefe mühsam in Hochdeutsch verfasst. Nur Schriftsteller haben versucht, die Mundart für gedruckte, literarische Formen zu nutzen. Johann Peter Hebel mit seinen 1800 verfassten Alemannischen Gedichten etwa, im Oberbayerischen dann Franz von Kobell und Max Dingler. Es gibt kaum Regeln der Dialektschreibung. Thoma schreibt Dialekt anders als Graf, Queri anders als Ruederer. Und wenn’s Regeln gibt, dann in Lautschrift, und die ist – Entschuldigung – saukompliziert. Um’s auf Neudeutsch zu sagen: „Dialekt ist eben Spreche, nicht Schreibe."
3. Verachtet mir die Hochsprache nicht!
Moderne Staaten brauchen Hochsprachen! Jeder Schweizer bestätigt das Problem von drei, vier Landessprachen. Selbst ein hochgebildeter Rätoromane, der Französisch, Italienisch, Deutsch und Englisch spricht, versteht die Züricher Nachrichten nicht, die in Schwyzerdütsch gesprochen werden. Eine gesunde Heimat- und Dialektpflege muss aber integrativ sein und darf nicht ausgrenzen. Die Abkehr vom Dialekt, die wir alle erlebt haben, war auch eine gesunde Gegenreaktion gegen alle Formen eines dämlichen Sepplbayerntums, das auf Tourismusbühnen, in schlechten Romanen und noch schlechteren Bayern-Pornos zelebriert wurde. Kein Wunder, dass viele da Reißaus genommen haben.
Aus: Norbert Göttler (Hg.): Heimat und Vernunft, Publikation der Fachberatung Heimatpflege, Bezirk Oberbayern, 2017.
Zur Geschichte des Heimatbegriffs vgl. Schöne Heimat 98(2009), S. 3-10.
Berhard Schlink: Heimat als Utopie, Frankfurt 2000, S. 32.