Mit Dichtung gegen Demenz? Über eine neue Therapieform
Pauline Füg ist Diplom-Psychologin, Autorin und Poetry Slammerin. Gemeinsam mit Dr. Henrikje Stanze, Autorin und Diplom-Berufspädagogin mit Fachrichtung Pflegewissenschaft, entwickelt sie eine Therapieform zur Gedächtnisrehabilitation von Demenzkranken: DemenzPoesie®. Durch den lebendigen Vortrag von Gedichten, die die Demenzkranken in ihrer Kindheit gelernt haben, werden die Teilnehmer_innen interaktiv und kreativ an Sprache und Rhythmus beteiligt. Hierbei werden die Ressourcen des Langzeitgedächtnisses sowie die Phonologische Schleife genutzt.
Im aktuellen aviso-Magazin (2018/2) des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst zum Thema Kunst und Medizin stellen die Initiatorinnen ihr Therapiekonzept am Beispiel einer Session vor.
*
15 Augenpaare hängen gebannt an den Lippen von Pauline Füg und Henrikje Stanze. Um sie herum ein Stuhlkreis, immer wieder sitzen auch Menschen im Rollstuhl dazwischen. Neben Menschen mit Demenz sind auch Angehörige und Fachpersonal dabei. In der Mitte des Stuhlkreises stehen Füg und Stanze, drehen sich immer wieder, bewegen sich von einer Seite des Kreises zur anderen, alle sollen mit einbezogen werden, auch die, die nicht mehr sprechen können. Manchmal nehmen sogar Wachkomapatienten an einer solchen Gruppentherapiesitzung teil, die sich DemenzPoesie®/KunstPoesie nennt.
Ziel dieser Form der nicht-medikamentösen Gruppentherapie ist es, die Lebensqualität der Teilnehmer_innen zu steigern sowie die vorhandenen kognitiven Ressourcen zu aktivieren – und das alles mit Poesie! Eine Gruppentherapiesitzung, eine sogenannte Session, wird von einem oder zwei geschulten Leiter_innen durchgeführt, die aktiv Gedichte performen – in einem lebendigen Vortrag, der alle Sinne anspricht.
»Kennen Sie Gedichte?« fragt Füg zu Beginn der Session. Gemeinsam mit der Gruppe sammelt sie Verse. »Knusper knusper knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen!« spricht sie gemeinsam mit den älteren Herrschaften, die um sie im Kreis versammelt sind. Gerade haben Füg und Stanze Frühlingsgedichte – passend zur Jahreszeit – vorgetragen. Gedichte mit tages- und jahreszeitlichem Bezug sorgen im Sinne der Gedächtnisrehabilitation für eine Förderung der Orientierung.
Alle Teilnehmer_innen halten inzwischen eine schöne Gerbera in der Hand, lachen und ihre Blicke kleben fasziniert an den Lippen der Entwicklerinnen der DemenzPoesie. Die visuellen und akustischen Reize wirken aktivierend und regen gemeinsam mit olfaktorischen Reizen und Berührungen im Sinne der basalen Stimulation (ein pflegetherapeutisches Konzept und nach Fröhlich und Bienstein) zur paraverbalen und nonverbalen Kommunikation an. Zudem wirkt der vielen Gedichten zugrunde liegende 4/4 Takt beruhigend, weil er dem Sinusrhythmus des Herzens entspricht.
»Nun habe ich ein besonderes Gedicht mitgebracht! Vielleicht mussten das einige von Ihnen in der Schule lernen!« erklärt Stanze und beginnt zu rezitieren: »Festgemauert in der Erden ...« Die beiden jungen Frauen machen dazu große Gesten, reden laut und deutlich. »... steht die Form aus Lehm gebrannt!« ruft ein 80-jähriger in die Runde, noch bevor Stanze und Füg weiter reden können. »Jawohl!« Alle applaudieren, schauen sich an. Dass der ältere Mann, nennen wir ihn Herrn Meier, die Zeilen von Schillers »Die Glocke« so sicher aufsagen kann, hätte vor 30 Minuten niemand gedacht. Erlernte Gedichte aus der Kindheit und Jugend aktivieren Erinnerungen.
Als der Raum in der Pflegeinrichtung sich langsam füllte, merkte man den Blicken der Teilnehmer_innen an, dass sie nicht so recht wussten, was auf sie zukommt. Einige nickten erstmal auf ihren Sitzen weg, andere fragten verwirrt, wo sie denn jetzt seien. Herr Maier hatte gar keine richtige Lust, überhaupt mitzumachen. Doch als er freundlich von den Session-Leiterinnen mit Handschlag begrüßt und in die ersten Gespräche verwickelt wird, wird er ruhiger, lässt sich drauf ein, lächelt ein bisschen unsicher, sagt aber nichts. »Normalerweise redet Herr Maier kein Wort, nur sehr selten.« sagt eine Pflegerin.
Pauline Füg und Henrikje Stanze mit Senioren im Museum DASMAXIMUM, im Imi Knoebel-Saal vor „Fishing Blue I“, © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos F. Kimmel
Die folgenden 60 Minuten vergehen wie im Flug. Füg und Stanze rezitieren unterschiedliche Gedichtklassiker, immer wieder werden auch mit den Teilnehmer_innen zusammen Gedichtzeilen gesprochen. Diese Technik nennt sich »Call&Response«: Die Leiterinnen der Session sprechen Gedichtzeilen vor und wiederholen sie anschließend gemeinsam mit der Gruppe. Die Teilnehmer_innen werden immer wieder zum Mitsprechen in Sprechchören angeregt, die aus den Gedichtvorträgen durch rhythmische Wiederholungen entstehen. Dabei bedienen sich die Leiterinnen der Arbeitsgedächtnisfunktion der Phonologischen Schleife nach Baddely. Einfach gesagt: wenn man eine Telefonnummer genannt bekommt, z.B. »Nulleinsiebensechszweieins ...« hat man diese Zahlen akkustisch im Kopf, aber nicht als Ziffern vor sich. Dinge, die gerade eben gesagt wurden, kann man nun einfach wiederholen, ohne sie vorher gekannt oder auswendig gelernt zu haben.
Zum Abschluss fragt Stanze: »Haben Sie Lust, gemeinsam mit uns ein Gedicht zu schreiben?« Sie blickt in die funkelnden Augen der Rentner_innen. Einige nicken begeistert. Füg stimmt ein: »Was ist denn Ihr Lieblingsgericht, Herr Maier?« »Was ich gern esse? Da muss ich viele Jahrzehnte zurückdenken und in den Jahren hatte ich viele Lieblingsessen.« Während Füg die Session-Teilnehmer_innen in Gespräche über leckere Speisen verwickelt, schreibt Stanze mit. Wer nicht sprechen kann oder will, wird mit einbezogen, manchmal gibt es ein zustimmendes Brummen oder ein Kopfschütteln, es wird viel gelacht. Als das Gedicht fertig ist und Stanze vorträgt, was sie aus den Impulsen der Senioren Lyrisches »gebastelt« hat, sind alle begeistert.
So oder so ähnlich läuft eine DemenzPoesie-Session ab und so oder so ähnlich, in jedem Fall voll neuer Eindrücke und mit viel Zufriedenheit, hinterlässt eine solche Session die Teilnehmer_innen. Besonders die Improvisationsgedichte, die den eigenen Ausdruck und die individuelle Sichtweise auf die Welt in den Fokus stellen, sind ein Kernstück der Sitzungen. Sie werden immer wieder neu individuell mit den Teilnehmer_innen und Angehörigen in der Gruppe erarbeitet.
»Kommen Sie bald wieder?« fragt Herr Maier, als die Session vorbei ist. Er winkt den beiden jungen Frauen mit der Gerbera in der Hand glücklich zu. Seine Tochter erzählt später: »Danach ist er sogar noch freiwillig bei der Zeitungsrunde, die im Heim angeboten wird, geblieben. Das macht er sonst nie. So offen wie heute Nachmittag hab ich meinen Vater lange nicht mehr gesehen.«
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Liebe geht durch den Magen
Schokolade kann man nicht kochen.
Was mein Lieblingsessen ist?
Mit 92 muss man bis 1920 zurückdenken.
Ich habe seit 1920 viele Lieblingsessen gehabt.
Gemüse mag ich nicht.
Ich habe oft gesagt »Das mag ich nicht«,
aber ich bin trotzdem groß geworden.
Ich möchte »Himmel und Erde« kochen und
»Lippischen Pickert«.
Ich brauche Kartoffeln, Hefe, Wasser, Mehl,
Rosinen und Eier.
Aber wenn es nach Speck und Zwiebeln duftet,
dann sitze ich mit Oma in der Küche.
Am schönen weißen länglichen Küchentisch aus Holz.
Ich koche, was die Herren des Hauses wollen.
Was ist dein Lieblingsessen?
Ich esse Ländliches und Feines.
Zweierlei.
Ich bin der Kommandeur beim Kochen.
Vor allem im Winter.
Denn Liebe geht durch den Magen,
auch wenn die Milch anbrennt und der Wasserkessel pfeift.
Gruppengedicht zum Thema »Was ist dein Lieblingsessen?«, entstanden in einer Session im Historischen Museum Bielefeld
***
Pauline Füg und Dr. Henrikje Stanze haben DemenzPoesie®/KunstPoesie in enger Zusammenarbeit mit dem Erfinder Gary Glazner entwickelt, der 2004 das Alzheimer’s Poetry Project in den USA ins Leben rief. Eine Sitzung dauert etwa 45 Minuten; üblicherweise können 10–15, in Ausnahmefällen bis zu 50 Demenzkranke und/oder Menschen mit anderen kognitiven und/oder psychischen Einschränkungen teilnehmen. Im Zentrum steht der direkte Einbezug jedes_r Teilnehmers_in. Die in der Gruppentherapie gewährleistete Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben wirkt der sozialen Isolation sowohl der Erkrankten als auch der Angehörigen entgegen.
Deutschlandweit stößt das Projekt DemenzPoesie auf großes Interesse. Mit den Jahren konnten die Zielgruppen ausgeweitet werden, sodass spezielle Sitzungen für die Lebenshilfe, AWO, Psychiatrie und Jugendzentren, natürlich auch Schulen, ganz allgemein für Kinder und/oder für Kinder und dementiell Erkrankte angeboten werden können. In jahrelanger enger Zusammenarbeit mit dem Museum DASMAXIMUM wurden Sitzungen von Gedichtvorträgen vor Gemälden und Kunstwerken weltberühmter Popkünstler erweitert. So wurde aus DemenzPoesie auch KunstPoesie. Mit ihrem Projekt zur Steigerung der Lebensqualität und zur Gedächtnisrehabilitation für Menschen mit Demenz und anderen kognitiven und psychischen Einschränkungen sind Pauline Füg und Henrikje Stanze im Rahmen des bayernweiten Festivals kunst&gesund beteiligt. Die beiden Entwicklerinnen Pauline Füg und Dr. Henrikje Stanze können deutschlandweit für Vorträge, Gruppentherapiesitzungen – die sogenannnten Sessions – und Fortbildungen gebucht werden.
Mit Dichtung gegen Demenz? Über eine neue Therapieform>
Pauline Füg ist Diplom-Psychologin, Autorin und Poetry Slammerin. Gemeinsam mit Dr. Henrikje Stanze, Autorin und Diplom-Berufspädagogin mit Fachrichtung Pflegewissenschaft, entwickelt sie eine Therapieform zur Gedächtnisrehabilitation von Demenzkranken: DemenzPoesie®. Durch den lebendigen Vortrag von Gedichten, die die Demenzkranken in ihrer Kindheit gelernt haben, werden die Teilnehmer_innen interaktiv und kreativ an Sprache und Rhythmus beteiligt. Hierbei werden die Ressourcen des Langzeitgedächtnisses sowie die Phonologische Schleife genutzt.
Im aktuellen aviso-Magazin (2018/2) des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst zum Thema Kunst und Medizin stellen die Initiatorinnen ihr Therapiekonzept am Beispiel einer Session vor.
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15 Augenpaare hängen gebannt an den Lippen von Pauline Füg und Henrikje Stanze. Um sie herum ein Stuhlkreis, immer wieder sitzen auch Menschen im Rollstuhl dazwischen. Neben Menschen mit Demenz sind auch Angehörige und Fachpersonal dabei. In der Mitte des Stuhlkreises stehen Füg und Stanze, drehen sich immer wieder, bewegen sich von einer Seite des Kreises zur anderen, alle sollen mit einbezogen werden, auch die, die nicht mehr sprechen können. Manchmal nehmen sogar Wachkomapatienten an einer solchen Gruppentherapiesitzung teil, die sich DemenzPoesie®/KunstPoesie nennt.
Ziel dieser Form der nicht-medikamentösen Gruppentherapie ist es, die Lebensqualität der Teilnehmer_innen zu steigern sowie die vorhandenen kognitiven Ressourcen zu aktivieren – und das alles mit Poesie! Eine Gruppentherapiesitzung, eine sogenannte Session, wird von einem oder zwei geschulten Leiter_innen durchgeführt, die aktiv Gedichte performen – in einem lebendigen Vortrag, der alle Sinne anspricht.
»Kennen Sie Gedichte?« fragt Füg zu Beginn der Session. Gemeinsam mit der Gruppe sammelt sie Verse. »Knusper knusper knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen!« spricht sie gemeinsam mit den älteren Herrschaften, die um sie im Kreis versammelt sind. Gerade haben Füg und Stanze Frühlingsgedichte – passend zur Jahreszeit – vorgetragen. Gedichte mit tages- und jahreszeitlichem Bezug sorgen im Sinne der Gedächtnisrehabilitation für eine Förderung der Orientierung.
Alle Teilnehmer_innen halten inzwischen eine schöne Gerbera in der Hand, lachen und ihre Blicke kleben fasziniert an den Lippen der Entwicklerinnen der DemenzPoesie. Die visuellen und akustischen Reize wirken aktivierend und regen gemeinsam mit olfaktorischen Reizen und Berührungen im Sinne der basalen Stimulation (ein pflegetherapeutisches Konzept und nach Fröhlich und Bienstein) zur paraverbalen und nonverbalen Kommunikation an. Zudem wirkt der vielen Gedichten zugrunde liegende 4/4 Takt beruhigend, weil er dem Sinusrhythmus des Herzens entspricht.
»Nun habe ich ein besonderes Gedicht mitgebracht! Vielleicht mussten das einige von Ihnen in der Schule lernen!« erklärt Stanze und beginnt zu rezitieren: »Festgemauert in der Erden ...« Die beiden jungen Frauen machen dazu große Gesten, reden laut und deutlich. »... steht die Form aus Lehm gebrannt!« ruft ein 80-jähriger in die Runde, noch bevor Stanze und Füg weiter reden können. »Jawohl!« Alle applaudieren, schauen sich an. Dass der ältere Mann, nennen wir ihn Herrn Meier, die Zeilen von Schillers »Die Glocke« so sicher aufsagen kann, hätte vor 30 Minuten niemand gedacht. Erlernte Gedichte aus der Kindheit und Jugend aktivieren Erinnerungen.
Als der Raum in der Pflegeinrichtung sich langsam füllte, merkte man den Blicken der Teilnehmer_innen an, dass sie nicht so recht wussten, was auf sie zukommt. Einige nickten erstmal auf ihren Sitzen weg, andere fragten verwirrt, wo sie denn jetzt seien. Herr Maier hatte gar keine richtige Lust, überhaupt mitzumachen. Doch als er freundlich von den Session-Leiterinnen mit Handschlag begrüßt und in die ersten Gespräche verwickelt wird, wird er ruhiger, lässt sich drauf ein, lächelt ein bisschen unsicher, sagt aber nichts. »Normalerweise redet Herr Maier kein Wort, nur sehr selten.« sagt eine Pflegerin.
Pauline Füg und Henrikje Stanze mit Senioren im Museum DASMAXIMUM, im Imi Knoebel-Saal vor „Fishing Blue I“, © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos F. Kimmel
Die folgenden 60 Minuten vergehen wie im Flug. Füg und Stanze rezitieren unterschiedliche Gedichtklassiker, immer wieder werden auch mit den Teilnehmer_innen zusammen Gedichtzeilen gesprochen. Diese Technik nennt sich »Call&Response«: Die Leiterinnen der Session sprechen Gedichtzeilen vor und wiederholen sie anschließend gemeinsam mit der Gruppe. Die Teilnehmer_innen werden immer wieder zum Mitsprechen in Sprechchören angeregt, die aus den Gedichtvorträgen durch rhythmische Wiederholungen entstehen. Dabei bedienen sich die Leiterinnen der Arbeitsgedächtnisfunktion der Phonologischen Schleife nach Baddely. Einfach gesagt: wenn man eine Telefonnummer genannt bekommt, z.B. »Nulleinsiebensechszweieins ...« hat man diese Zahlen akkustisch im Kopf, aber nicht als Ziffern vor sich. Dinge, die gerade eben gesagt wurden, kann man nun einfach wiederholen, ohne sie vorher gekannt oder auswendig gelernt zu haben.
Zum Abschluss fragt Stanze: »Haben Sie Lust, gemeinsam mit uns ein Gedicht zu schreiben?« Sie blickt in die funkelnden Augen der Rentner_innen. Einige nicken begeistert. Füg stimmt ein: »Was ist denn Ihr Lieblingsgericht, Herr Maier?« »Was ich gern esse? Da muss ich viele Jahrzehnte zurückdenken und in den Jahren hatte ich viele Lieblingsessen.« Während Füg die Session-Teilnehmer_innen in Gespräche über leckere Speisen verwickelt, schreibt Stanze mit. Wer nicht sprechen kann oder will, wird mit einbezogen, manchmal gibt es ein zustimmendes Brummen oder ein Kopfschütteln, es wird viel gelacht. Als das Gedicht fertig ist und Stanze vorträgt, was sie aus den Impulsen der Senioren Lyrisches »gebastelt« hat, sind alle begeistert.
So oder so ähnlich läuft eine DemenzPoesie-Session ab und so oder so ähnlich, in jedem Fall voll neuer Eindrücke und mit viel Zufriedenheit, hinterlässt eine solche Session die Teilnehmer_innen. Besonders die Improvisationsgedichte, die den eigenen Ausdruck und die individuelle Sichtweise auf die Welt in den Fokus stellen, sind ein Kernstück der Sitzungen. Sie werden immer wieder neu individuell mit den Teilnehmer_innen und Angehörigen in der Gruppe erarbeitet.
»Kommen Sie bald wieder?« fragt Herr Maier, als die Session vorbei ist. Er winkt den beiden jungen Frauen mit der Gerbera in der Hand glücklich zu. Seine Tochter erzählt später: »Danach ist er sogar noch freiwillig bei der Zeitungsrunde, die im Heim angeboten wird, geblieben. Das macht er sonst nie. So offen wie heute Nachmittag hab ich meinen Vater lange nicht mehr gesehen.«
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Liebe geht durch den Magen
Schokolade kann man nicht kochen.
Was mein Lieblingsessen ist?
Mit 92 muss man bis 1920 zurückdenken.
Ich habe seit 1920 viele Lieblingsessen gehabt.
Gemüse mag ich nicht.
Ich habe oft gesagt »Das mag ich nicht«,
aber ich bin trotzdem groß geworden.
Ich möchte »Himmel und Erde« kochen und
»Lippischen Pickert«.
Ich brauche Kartoffeln, Hefe, Wasser, Mehl,
Rosinen und Eier.
Aber wenn es nach Speck und Zwiebeln duftet,
dann sitze ich mit Oma in der Küche.
Am schönen weißen länglichen Küchentisch aus Holz.
Ich koche, was die Herren des Hauses wollen.
Was ist dein Lieblingsessen?
Ich esse Ländliches und Feines.
Zweierlei.
Ich bin der Kommandeur beim Kochen.
Vor allem im Winter.
Denn Liebe geht durch den Magen,
auch wenn die Milch anbrennt und der Wasserkessel pfeift.
Gruppengedicht zum Thema »Was ist dein Lieblingsessen?«, entstanden in einer Session im Historischen Museum Bielefeld
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Pauline Füg und Dr. Henrikje Stanze haben DemenzPoesie®/KunstPoesie in enger Zusammenarbeit mit dem Erfinder Gary Glazner entwickelt, der 2004 das Alzheimer’s Poetry Project in den USA ins Leben rief. Eine Sitzung dauert etwa 45 Minuten; üblicherweise können 10–15, in Ausnahmefällen bis zu 50 Demenzkranke und/oder Menschen mit anderen kognitiven und/oder psychischen Einschränkungen teilnehmen. Im Zentrum steht der direkte Einbezug jedes_r Teilnehmers_in. Die in der Gruppentherapie gewährleistete Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben wirkt der sozialen Isolation sowohl der Erkrankten als auch der Angehörigen entgegen.
Deutschlandweit stößt das Projekt DemenzPoesie auf großes Interesse. Mit den Jahren konnten die Zielgruppen ausgeweitet werden, sodass spezielle Sitzungen für die Lebenshilfe, AWO, Psychiatrie und Jugendzentren, natürlich auch Schulen, ganz allgemein für Kinder und/oder für Kinder und dementiell Erkrankte angeboten werden können. In jahrelanger enger Zusammenarbeit mit dem Museum DASMAXIMUM wurden Sitzungen von Gedichtvorträgen vor Gemälden und Kunstwerken weltberühmter Popkünstler erweitert. So wurde aus DemenzPoesie auch KunstPoesie. Mit ihrem Projekt zur Steigerung der Lebensqualität und zur Gedächtnisrehabilitation für Menschen mit Demenz und anderen kognitiven und psychischen Einschränkungen sind Pauline Füg und Henrikje Stanze im Rahmen des bayernweiten Festivals kunst&gesund beteiligt. Die beiden Entwicklerinnen Pauline Füg und Dr. Henrikje Stanze können deutschlandweit für Vorträge, Gruppentherapiesitzungen – die sogenannnten Sessions – und Fortbildungen gebucht werden.