Über das Blaue vom Himmel und seine sprachlich-physikalische Herkunft
Das Blaue vom Himmel, das den Lesern des Literaturportals Bayern versprochen wird, erklärt der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Nørretranders in seinem instruktiven „Essay über den Himmel“, im Original Den blå Himmel, von seiner physikalischen Seite:
Trifft das Sonnenlicht auf die Erdatmosphäre, wird ein Teil des Lichts gestreut. Durch Rayleighs Formel wissen wir, dass blaues Licht sechzehnmal mehr gestreut wird als rotes. Was nicht so zu verstehen ist, dass ein blauer Lichtstrahl auch tatsächlich sechzehnmal stärker gestreut wird als ein roter; vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein blauer Lichtstrahl gestreut wird, sechzehn mal größer als bei einem roten. Dieser Unterschied, dieser Faktor 16, bedeutet praktisch, dass blaues Licht gestreut wird, rotes dagegen nicht.
Das rote Licht, das nicht gestreut wird, behält seine Richtung bei. Wir können sehen, woher es kommt: von der Sonne. Das blaue Licht dagegen wird gestreut, und wir wissen nicht mehr, woher es kommt. Wir können nicht sehen, dass es von der Sonne kommt. Es kommt von allem, was über uns ist; von dem, was wir Himmel nennen. Und der ist also blau.
Aber auch sprachlich weist das Blaue vom Himmel über die Jahrhunderte hinweg vielfältige Streuungseffekte auf.
So tut uns der Jesuit Bartholomäus Christel in seinem Zodiacus Laetofatalis. Lustiges Sterb-Jahr von 1690 kund: „... gleich wie man von einem faulen / und hinlässigen Studenten spricht / er studiert das Blaue vom Himmel; also auch vom faul oder wenig arbeitenden Handwerker: daß er das Blaue vom Himmel arbeite ...“
Es fehlt diesen Studenten und Handwerkern wohl an greifbaren Ergebnissen. Schon 1676 erklärt M. J. M. Schwimmers Kurtzweiliger und Physicalischer Zeitvertreiber: „Was ist demnach das Blaue vom Himmel? Es ist / sicherlich! Ein lauteres Nichts und dahin zielet das gemeine und bekante Sprüchwort: Er hat das Blaue vom Himmel bekommen; Ingleichen: Er hat das Blaue vom Himmel studieret; Das ist: Er hat nichts bekommen; er hat nichts studiret; Weil das Blaue vom Himmel in Warheit recht Nichts ist.“
Anders stellt sich die Redewendung 1691 bei Wenzelaus Nerlich S.J. dar in seinem Lobpreis auf den Christlichen Creutz-Ritter S. Joannes Capistranus, einen äußerst zweifelhaften Heiligen, der 1453 in Breslau 41 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ (die Erzdiözese München-Freising hat ihm das nicht angekreidet – 1960 wird in Bogenhausen eine Kirche nach ihm benannt):
Wol ein hochgelehrter Mann / der von den understen nichts wissen wollte / sondern allzeit nach dem Allerhöchsten trachtete: Sollte einer sagen / er habe das Blaue vom Himmel studirt / so groß war die Gemeinschafft. Vivant omnes studiosi, generosi, animosi! Solche Studenten / so tapffere/ wackere Studenten / die das Blaue vom Himmel studiren / sollen leben: Qui docti fuerint, die Gelehrten werden scheinen wie die Stern am Firmament in alle Ewigkeit.
Die hohe Geistlichkeit war selbstverständlich prädestiniert, sich mit dem Blauen vom Himmel auseinanderzusetzen. So sinniert der aus München stammende Salzburger Hofprediger Geminianus Monacensis 1709:
Man sagt zwar / das Blaue vom Himmel seye gut für die Schmerzen deß Podagra [Gichtanfall am Großzehengrundgelenk] / ja / ich bekräftige solches / wie soll mans dann brauchen? Was ist dieses Blaue für eine Matery? Es ist nichts anders / als ein verweiterter Schein vom Lufft / und Liecht des Himmels vermischet.
Mitlesende Mediziner und Physiker mögen staunen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
1759 erklärt erneut ein Anonymus in der Onomatologia curiosa artificosa et magica, oder ganz natürliches Zauber-Lexikon, welches das nöthigste, nützlichste und angenehmste in allen realen Wissenschaften überhaupt und besonders in der Naturlehre, Mathematik, der Haushaltungs- und natürlichen Zauberkunst und aller andern, vornämlich auch curieuser Künste deutlich und vollständig nach alphabetischer Ordnung beschreibt, zum Nutzen und Vergnügen der Gelehrten, der Künstler, der Professionisten, der Handwerker und des Landmanns, aus den besten ältesten und neuesten Quellen zusammengetragen von einer in diesen Wissenschaften sich sehr viele Jahre übenden Gesellschaft: „Da also diese blaue Farbe in der That nicht reell ist, sondern nur eine Erscheinung, so ist auch der Sinn – des Sprichworts hieraus zu erklären: Da man sagt: das blaue vom Himmel studieren, das ist, gar nichts lernen.“
1794 findet sich bei Georg Carl Claudius erstmals der gängige Ausdruck für haltlose Versprechungen: „Er gestand uns am letzten Abend seine Liebe zu unserm Mädchen, und schwur das Blaue vom Himmel herunter, daß er Marien treu bleiben wolle.“
Im 19. Jahrhundert nimmt die Vielfalt der Streuungen gewaltig zu: Das Blaue vom Himmel kriegen, gewinnen oder holen, das Blaue vom Himmel herunter lügen, heruntertoben (bei einer Jagd), das Blaue vom Himmel rauben (wie die Titanen), es vom Himmel fluchen, verheißen, versprechen, schaben, herunterspeculieren, herabargumentieren, herunterschreien, heruntergeigen, heruntersingen oder herunterleugnen. Unter den bayerischen Schriftstellern hatte Paul Heyse ein besonderes Faible für den Ausdruck. So heißt es z.B. in der Talentvollen Mutter: „So lieb und gut die Mama ist, und so gern sie mir das Blaue vom Himmel herunterholte,– in diesem Punkt ist ihr nicht beizukommen.“ Und Ernst Ortlepp liest in Haydns Gedanken: „Man kann das Blaue vom Himmel heruntermalen, dichten, eomponiren und singen, dachte Haydn am nächsten Morgen; die Barbaren der heutigen Welt nehmen keine Notiz davon.“
Nach 1900 wird noch das Blaue vom Himmel heruntergeschwatzt oder heruntergeredet, dann scheint sich die Freude an Neubildungen allmählich erschöpft zu haben.
Wenn man die Beispiele Revue passieren lässt, reicht die Bedeutungsspanne des Blauen vom Himmel vom „rechten Nichts“ bis zu hyperbolischem Tun, das Unmögliches leisten will, oder es bezeichnet schlichtweg das Beste.
So ist das Blaue, welches das Portal vom bayerischen Literaturhimmel holt, eben ganz einfach das Gelbe vom Ei.
Über das Blaue vom Himmel und seine sprachlich-physikalische Herkunft>
Das Blaue vom Himmel, das den Lesern des Literaturportals Bayern versprochen wird, erklärt der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Nørretranders in seinem instruktiven „Essay über den Himmel“, im Original Den blå Himmel, von seiner physikalischen Seite:
Trifft das Sonnenlicht auf die Erdatmosphäre, wird ein Teil des Lichts gestreut. Durch Rayleighs Formel wissen wir, dass blaues Licht sechzehnmal mehr gestreut wird als rotes. Was nicht so zu verstehen ist, dass ein blauer Lichtstrahl auch tatsächlich sechzehnmal stärker gestreut wird als ein roter; vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein blauer Lichtstrahl gestreut wird, sechzehn mal größer als bei einem roten. Dieser Unterschied, dieser Faktor 16, bedeutet praktisch, dass blaues Licht gestreut wird, rotes dagegen nicht.
Das rote Licht, das nicht gestreut wird, behält seine Richtung bei. Wir können sehen, woher es kommt: von der Sonne. Das blaue Licht dagegen wird gestreut, und wir wissen nicht mehr, woher es kommt. Wir können nicht sehen, dass es von der Sonne kommt. Es kommt von allem, was über uns ist; von dem, was wir Himmel nennen. Und der ist also blau.
Aber auch sprachlich weist das Blaue vom Himmel über die Jahrhunderte hinweg vielfältige Streuungseffekte auf.
So tut uns der Jesuit Bartholomäus Christel in seinem Zodiacus Laetofatalis. Lustiges Sterb-Jahr von 1690 kund: „... gleich wie man von einem faulen / und hinlässigen Studenten spricht / er studiert das Blaue vom Himmel; also auch vom faul oder wenig arbeitenden Handwerker: daß er das Blaue vom Himmel arbeite ...“
Es fehlt diesen Studenten und Handwerkern wohl an greifbaren Ergebnissen. Schon 1676 erklärt M. J. M. Schwimmers Kurtzweiliger und Physicalischer Zeitvertreiber: „Was ist demnach das Blaue vom Himmel? Es ist / sicherlich! Ein lauteres Nichts und dahin zielet das gemeine und bekante Sprüchwort: Er hat das Blaue vom Himmel bekommen; Ingleichen: Er hat das Blaue vom Himmel studieret; Das ist: Er hat nichts bekommen; er hat nichts studiret; Weil das Blaue vom Himmel in Warheit recht Nichts ist.“
Anders stellt sich die Redewendung 1691 bei Wenzelaus Nerlich S.J. dar in seinem Lobpreis auf den Christlichen Creutz-Ritter S. Joannes Capistranus, einen äußerst zweifelhaften Heiligen, der 1453 in Breslau 41 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ (die Erzdiözese München-Freising hat ihm das nicht angekreidet – 1960 wird in Bogenhausen eine Kirche nach ihm benannt):
Wol ein hochgelehrter Mann / der von den understen nichts wissen wollte / sondern allzeit nach dem Allerhöchsten trachtete: Sollte einer sagen / er habe das Blaue vom Himmel studirt / so groß war die Gemeinschafft. Vivant omnes studiosi, generosi, animosi! Solche Studenten / so tapffere/ wackere Studenten / die das Blaue vom Himmel studiren / sollen leben: Qui docti fuerint, die Gelehrten werden scheinen wie die Stern am Firmament in alle Ewigkeit.
Die hohe Geistlichkeit war selbstverständlich prädestiniert, sich mit dem Blauen vom Himmel auseinanderzusetzen. So sinniert der aus München stammende Salzburger Hofprediger Geminianus Monacensis 1709:
Man sagt zwar / das Blaue vom Himmel seye gut für die Schmerzen deß Podagra [Gichtanfall am Großzehengrundgelenk] / ja / ich bekräftige solches / wie soll mans dann brauchen? Was ist dieses Blaue für eine Matery? Es ist nichts anders / als ein verweiterter Schein vom Lufft / und Liecht des Himmels vermischet.
Mitlesende Mediziner und Physiker mögen staunen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
1759 erklärt erneut ein Anonymus in der Onomatologia curiosa artificosa et magica, oder ganz natürliches Zauber-Lexikon, welches das nöthigste, nützlichste und angenehmste in allen realen Wissenschaften überhaupt und besonders in der Naturlehre, Mathematik, der Haushaltungs- und natürlichen Zauberkunst und aller andern, vornämlich auch curieuser Künste deutlich und vollständig nach alphabetischer Ordnung beschreibt, zum Nutzen und Vergnügen der Gelehrten, der Künstler, der Professionisten, der Handwerker und des Landmanns, aus den besten ältesten und neuesten Quellen zusammengetragen von einer in diesen Wissenschaften sich sehr viele Jahre übenden Gesellschaft: „Da also diese blaue Farbe in der That nicht reell ist, sondern nur eine Erscheinung, so ist auch der Sinn – des Sprichworts hieraus zu erklären: Da man sagt: das blaue vom Himmel studieren, das ist, gar nichts lernen.“
1794 findet sich bei Georg Carl Claudius erstmals der gängige Ausdruck für haltlose Versprechungen: „Er gestand uns am letzten Abend seine Liebe zu unserm Mädchen, und schwur das Blaue vom Himmel herunter, daß er Marien treu bleiben wolle.“
Im 19. Jahrhundert nimmt die Vielfalt der Streuungen gewaltig zu: Das Blaue vom Himmel kriegen, gewinnen oder holen, das Blaue vom Himmel herunter lügen, heruntertoben (bei einer Jagd), das Blaue vom Himmel rauben (wie die Titanen), es vom Himmel fluchen, verheißen, versprechen, schaben, herunterspeculieren, herabargumentieren, herunterschreien, heruntergeigen, heruntersingen oder herunterleugnen. Unter den bayerischen Schriftstellern hatte Paul Heyse ein besonderes Faible für den Ausdruck. So heißt es z.B. in der Talentvollen Mutter: „So lieb und gut die Mama ist, und so gern sie mir das Blaue vom Himmel herunterholte,– in diesem Punkt ist ihr nicht beizukommen.“ Und Ernst Ortlepp liest in Haydns Gedanken: „Man kann das Blaue vom Himmel heruntermalen, dichten, eomponiren und singen, dachte Haydn am nächsten Morgen; die Barbaren der heutigen Welt nehmen keine Notiz davon.“
Nach 1900 wird noch das Blaue vom Himmel heruntergeschwatzt oder heruntergeredet, dann scheint sich die Freude an Neubildungen allmählich erschöpft zu haben.
Wenn man die Beispiele Revue passieren lässt, reicht die Bedeutungsspanne des Blauen vom Himmel vom „rechten Nichts“ bis zu hyperbolischem Tun, das Unmögliches leisten will, oder es bezeichnet schlichtweg das Beste.
So ist das Blaue, welches das Portal vom bayerischen Literaturhimmel holt, eben ganz einfach das Gelbe vom Ei.