Mit der Kamera im Asylcontainer. Ein Film und seine Geschichte. Von Denijen Pauljević
Geboren in Belgrad, flüchtete Denijen Pauljević während der NATO-Bombardements in Jugoslawien nach Deutschland und verbrachte vier Jahre in einem Asylheim. Er studierte interkulturelle Kommunikation, nahm an der Drehbuchwerkstatt der Hochschule für Fernsehen und Film in München teil und arbeitete an verschiedenen Literatur-, Drehbuch- und Theaterprojekten. Seit 2013 ist er für die Koordination der Münchner Balkantage mitverantwortlich und arbeitet im Eventmanagement und der Konzeptentwicklung bei Hilfe von Mensch zu Mensch e.V. Außerdem engagiert er sich beim Münchner Aktionsbündnis Meet your neighbours. 2014 erhielt Denijen Pauljević die Autorenförderung Raniser Debüt, 2015 das Literaturstipendium der Stadt München.
*
Film
Du interessierst dich für Filme?, fragte der junge Student. Ich nickte.
Dann überleg dir in den nächsten zwei Wochen etwas und wir drehen einen Kurzfilm über das Leben im Asylcontainer. Ich kümmere mich um das Finanzielle.
Er fasste mich ermutigend am Unterarm. Und besorgte mir einen Praktikumsplatz bei Focus TV. Die Menschen dort waren sehr freundlich. Ein junger Fernsehjournalist nahm sich viel Zeit, um mir etwas über das Fernsehen und das Filmemachen zu erklären. Auch die kleinsten Details wie etwa die Kabelführung einer Fernsehkamera. Dann bat er mich, für seinen Beitrag die Interviews mit den Minenopfern zu übersetzen. Auf dem Monitor vor mir sah ich weinende Kinder. Man konnte sie nicht hören, sie bewegten lautlos die Lippen. Die Hand des Journalisten tauchte über meiner Schulter auf und drehte die Lautstärke hoch. Jetzt konnte ich seine Stimme aus den Boxen hören, er sprach zum Dolmetscher, der im Bild erschien: Sag ihnen, sie sollen sich nicht so anstellen. Sie müssen ihre Prothesen schon zeigen, das ist wichtig für die Kamera.
Nach dem Praktikum machte ich mir Gedanken über den Ablauf meines Films und schrieb ein paar Sätze auf. Und obwohl ich den Vorschlag des Studenten für eine Laune des Moments hielt und die Geschichte vielmehr deswegen niederschrieb, weil es mich interessierte, ob ich fähig war, unter Zeitdruck zügig zu arbeiten, war ich trotzdem nicht übermäßig überrascht, als er mir nach zwei Wochen mitteilte, dass es so weit sei. Denn sein Blick hatte entschlossen gewirkt. Das Geld für das Equipment und für die Filmnachbearbeitung hatte er von verschiedenen Organisationen und Gruppen ergattert, wie er sagte. Von BMW München, von der Katholischen Jugendstelle, von irgendeinem evangelischen Verein − seinen Vortrag über das Projekt jedes Mal mit den Worten abschließend: Endlich sollte ein Asylbewerber selbst zu Wort kommen, nicht nur die Beobachter, die sich bemühten, etwas Wahres über die Asylproblematik zu sagen. Diesem Satz folgte stets die Zusage der Geldgeber.
Mein Flüchtlingsstatus soll nicht in den Vordergrund treten, dachte ich. Mein Status ist demütigend. Und die politischen Aussagen, die Aufklärung, das ist zu abstrakt, das ist ein wirres Spiel mit Begriffen.
Ich ging mit der Kamera auf der Schulter durch den Container. Wir betraten die Küche, das Bad, filmten leere Zigarettenschachteln, kaputte Möbel und Mülltonnen, vertrocknete Pflanzen, Essensreste auf dem Boden und die nackten Hintern von mir und einem Mitbewohner bei dem Versuch, uns auf die gleiche Toilettenschüssel zu setzen − diese Szene sollte die Enge im Heim darstellen. Manche Bewohner protestierten und wollten nicht gefilmt werden. Andere fanden uns lächerlich, mit den ganzen Geräten und Kabeln. Irgendjemand stahl den Stromgenerator. Aber die meisten Bewohner ignorierten uns.
Du hast dich zu sehr in deine Regisseur-Rolle reingesteigert, bemerkte der Student am letzten Drehtag, für dich scheint der ganze Aufwand selbstverständlich zu sein.
Immer öfter überkam mich das Gefühl, dass ihm das Projekt nicht gefiel. Das Ganze war ihm zu trashig, zu experimentell. Zwei Mal kam er mit einer Bekannten von ihm vorbei, die ein Praktikum bei einer Zeitung machte und Fragen über das Leben der Flüchtlinge stellte. Wenn sie mit mir sprach, neigte sie den Kopf zur Seite, was offenbar ihre verständnisvolle Art unterstreichen sollte, und hielt ihre große Spiegelreflexkamera lässig mit einer Hand. Der Student lachte angespannt und erzählte von seinen zukünftigen Projekten.
Er schickte den Film, der schließlich Beschränkung hieß, an verschiedene Festivals. Wir wurden zur „JuFinale“ nach Bayreuth eingeladen. Kurz vor der Aufführung unseres Films gingen wir am Roter-Main-Ufer spazieren. Ich dachte an die bevorstehende Preisverleihung und summte die 20th Century Fox-Fanfare. Wir zwängten uns durch die Äste der Trauerweiden, an denen Eisperlen hingen. Als ich einen Streifenwagen am anderen Ufer erblickte, verstummte ich. Der Student hielt seine rote Bankkarte in der Hand. Es gelang mir nicht, den Namen der Bank auf dem Kärtchen zu erhaschen, das Ding kam zwischen seinen Fingern nie zur Ruhe. Seit einer Stunde schon war er auf der Suche nach einem Bankautomaten und wurde immer nervöser.
Falls wir den Preis des werten bayerischen Ministerpräsidenten bekommen, lehnen wir ab. Wir nehmen nichts an, was mit Stoiber zu tun hat! Wegen dem ist die Asylpolitik so scheiße, sagte der Student und sah mich streng an.
Er macht mir Vorwürfe, weil ich mich nicht gründlich mit der deutschen Flüchtlingspolitik auseinandersetze, dachte ich. Ich hatte ja erst vor Kurzem erfahren, wer Stoiber überhaupt war. Irgendein Politiker, ein schlanker Herr mit Brille, Krawatte und grauem Haar. Genauso wie die Fotomodells, die man in Magazinen oder im Fernsehen sah, konnte ich auch die Politiker kaum auseinanderhalten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Mann tatsächlich irgendeinen Einfluss auf mein Leben ausübte. Gesetzbücher entschieden doch über meinen politischen Status, nicht Menschen. Die Buchstaben zählten, nicht die Stimmen. Die Buchstaben führten in den Büchern ihr eigenes Leben. Und Stoiber war dort draußen, im Mediendschungel. Ich brauchte irgendetwas, das ich vorzeigen, womit ich angeben konnte. Ich wollte etwas nach Hause mitnehmen, wenn sie mich abschoben, und sei es auch nur ein Foto von Stoiber mit seiner Unterschrift.
Mit der Kamera im Asylcontainer. Ein Film und seine Geschichte. Von Denijen Pauljević>
Geboren in Belgrad, flüchtete Denijen Pauljević während der NATO-Bombardements in Jugoslawien nach Deutschland und verbrachte vier Jahre in einem Asylheim. Er studierte interkulturelle Kommunikation, nahm an der Drehbuchwerkstatt der Hochschule für Fernsehen und Film in München teil und arbeitete an verschiedenen Literatur-, Drehbuch- und Theaterprojekten. Seit 2013 ist er für die Koordination der Münchner Balkantage mitverantwortlich und arbeitet im Eventmanagement und der Konzeptentwicklung bei Hilfe von Mensch zu Mensch e.V. Außerdem engagiert er sich beim Münchner Aktionsbündnis Meet your neighbours. 2014 erhielt Denijen Pauljević die Autorenförderung Raniser Debüt, 2015 das Literaturstipendium der Stadt München.
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Film
Du interessierst dich für Filme?, fragte der junge Student. Ich nickte.
Dann überleg dir in den nächsten zwei Wochen etwas und wir drehen einen Kurzfilm über das Leben im Asylcontainer. Ich kümmere mich um das Finanzielle.
Er fasste mich ermutigend am Unterarm. Und besorgte mir einen Praktikumsplatz bei Focus TV. Die Menschen dort waren sehr freundlich. Ein junger Fernsehjournalist nahm sich viel Zeit, um mir etwas über das Fernsehen und das Filmemachen zu erklären. Auch die kleinsten Details wie etwa die Kabelführung einer Fernsehkamera. Dann bat er mich, für seinen Beitrag die Interviews mit den Minenopfern zu übersetzen. Auf dem Monitor vor mir sah ich weinende Kinder. Man konnte sie nicht hören, sie bewegten lautlos die Lippen. Die Hand des Journalisten tauchte über meiner Schulter auf und drehte die Lautstärke hoch. Jetzt konnte ich seine Stimme aus den Boxen hören, er sprach zum Dolmetscher, der im Bild erschien: Sag ihnen, sie sollen sich nicht so anstellen. Sie müssen ihre Prothesen schon zeigen, das ist wichtig für die Kamera.
Nach dem Praktikum machte ich mir Gedanken über den Ablauf meines Films und schrieb ein paar Sätze auf. Und obwohl ich den Vorschlag des Studenten für eine Laune des Moments hielt und die Geschichte vielmehr deswegen niederschrieb, weil es mich interessierte, ob ich fähig war, unter Zeitdruck zügig zu arbeiten, war ich trotzdem nicht übermäßig überrascht, als er mir nach zwei Wochen mitteilte, dass es so weit sei. Denn sein Blick hatte entschlossen gewirkt. Das Geld für das Equipment und für die Filmnachbearbeitung hatte er von verschiedenen Organisationen und Gruppen ergattert, wie er sagte. Von BMW München, von der Katholischen Jugendstelle, von irgendeinem evangelischen Verein − seinen Vortrag über das Projekt jedes Mal mit den Worten abschließend: Endlich sollte ein Asylbewerber selbst zu Wort kommen, nicht nur die Beobachter, die sich bemühten, etwas Wahres über die Asylproblematik zu sagen. Diesem Satz folgte stets die Zusage der Geldgeber.
Mein Flüchtlingsstatus soll nicht in den Vordergrund treten, dachte ich. Mein Status ist demütigend. Und die politischen Aussagen, die Aufklärung, das ist zu abstrakt, das ist ein wirres Spiel mit Begriffen.
Ich ging mit der Kamera auf der Schulter durch den Container. Wir betraten die Küche, das Bad, filmten leere Zigarettenschachteln, kaputte Möbel und Mülltonnen, vertrocknete Pflanzen, Essensreste auf dem Boden und die nackten Hintern von mir und einem Mitbewohner bei dem Versuch, uns auf die gleiche Toilettenschüssel zu setzen − diese Szene sollte die Enge im Heim darstellen. Manche Bewohner protestierten und wollten nicht gefilmt werden. Andere fanden uns lächerlich, mit den ganzen Geräten und Kabeln. Irgendjemand stahl den Stromgenerator. Aber die meisten Bewohner ignorierten uns.
Du hast dich zu sehr in deine Regisseur-Rolle reingesteigert, bemerkte der Student am letzten Drehtag, für dich scheint der ganze Aufwand selbstverständlich zu sein.
Immer öfter überkam mich das Gefühl, dass ihm das Projekt nicht gefiel. Das Ganze war ihm zu trashig, zu experimentell. Zwei Mal kam er mit einer Bekannten von ihm vorbei, die ein Praktikum bei einer Zeitung machte und Fragen über das Leben der Flüchtlinge stellte. Wenn sie mit mir sprach, neigte sie den Kopf zur Seite, was offenbar ihre verständnisvolle Art unterstreichen sollte, und hielt ihre große Spiegelreflexkamera lässig mit einer Hand. Der Student lachte angespannt und erzählte von seinen zukünftigen Projekten.
Er schickte den Film, der schließlich Beschränkung hieß, an verschiedene Festivals. Wir wurden zur „JuFinale“ nach Bayreuth eingeladen. Kurz vor der Aufführung unseres Films gingen wir am Roter-Main-Ufer spazieren. Ich dachte an die bevorstehende Preisverleihung und summte die 20th Century Fox-Fanfare. Wir zwängten uns durch die Äste der Trauerweiden, an denen Eisperlen hingen. Als ich einen Streifenwagen am anderen Ufer erblickte, verstummte ich. Der Student hielt seine rote Bankkarte in der Hand. Es gelang mir nicht, den Namen der Bank auf dem Kärtchen zu erhaschen, das Ding kam zwischen seinen Fingern nie zur Ruhe. Seit einer Stunde schon war er auf der Suche nach einem Bankautomaten und wurde immer nervöser.
Falls wir den Preis des werten bayerischen Ministerpräsidenten bekommen, lehnen wir ab. Wir nehmen nichts an, was mit Stoiber zu tun hat! Wegen dem ist die Asylpolitik so scheiße, sagte der Student und sah mich streng an.
Er macht mir Vorwürfe, weil ich mich nicht gründlich mit der deutschen Flüchtlingspolitik auseinandersetze, dachte ich. Ich hatte ja erst vor Kurzem erfahren, wer Stoiber überhaupt war. Irgendein Politiker, ein schlanker Herr mit Brille, Krawatte und grauem Haar. Genauso wie die Fotomodells, die man in Magazinen oder im Fernsehen sah, konnte ich auch die Politiker kaum auseinanderhalten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Mann tatsächlich irgendeinen Einfluss auf mein Leben ausübte. Gesetzbücher entschieden doch über meinen politischen Status, nicht Menschen. Die Buchstaben zählten, nicht die Stimmen. Die Buchstaben führten in den Büchern ihr eigenes Leben. Und Stoiber war dort draußen, im Mediendschungel. Ich brauchte irgendetwas, das ich vorzeigen, womit ich angeben konnte. Ich wollte etwas nach Hause mitnehmen, wenn sie mich abschoben, und sei es auch nur ein Foto von Stoiber mit seiner Unterschrift.