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Nora Gomringers Lobrede auf Anne Maar und ihr Theater Schloss Maßbach

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Foto: Fränkisches Theater

Anne Maar leitet seit 2003 die unterfränkische Landesbühne Theater Schloss Maßbach und ist als Dreh- und Kinderbuchautorin hervorgetreten. Letzteres liegt in der Familie: Ihr Vater Paul Maar hat das berühmte Sams erfunden. Anne Maar hat u.a. den Kulturpreis des Bezirks Unterfranken erhalten, eine Auszeichnung für Persönlichkeiten, „die durch Geburt, Leben oder Werk mit Unterfranken verbunden sind, in Anerkennung ihres bedeutsamen kulturellen Schaffens". Der Preis wurde bei einer Feierstunde im Theater Schloss Maßbach übergeben. Die Schriftstellerin Nora Gomringer hielt die Laudatio.

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 Wo Thalia und Melpomene sich treffen

Es ist mir eine große Freude, zu Ihnen sprechen zu dürfen, sehr geehrte Damen und Herren, und dabei eine aus Ihrer Mitte besonders hervorzustellen durch großes Lob, denn diese eine hat dies Lob für Ihre Arbeit und Leistung zweifelsohne verdient. In den letzten Tagen war ich in Ravensburg und habe die Mutter eines Schauspielers getroffen, der vor ein paar Jahren im Theater Schloss Maßbach ein Engagement hatte. Steffen Nowak erzählte mit Begeisterung von seiner Zeit als Teil des Ensembles, hatte ausschließlich Bewunderung und Dank für Anne Maar und die Kolleginnen und Kollegen des Theaters aus jener Zeit und versprach im schwelgerischen Erinnern, sich bald einmal wieder blicken zu lassen an diesem vermissten Ort, dem Theater Schloss Maßbach, wenn seine Arbeit für den BR, er inszeniert und führt Regie bei einer TV-Produktion, ihm eine Lücke im Kalender erlaubt. Bis dahin soll ich Grüße ausrichten, was ich nun hiermit gerne getan habe.

Wenn man – wie ich – über Wochen versucht, jemanden telefonisch zu erreichen und man immer wieder hört, die verlangte Person sei abwesend, außer Haus auf einer Lesung, hätte gerade im Haus zu tun und schwirre herum, dann gehöre ich zu den wissend Schmunzelnden, die nicht genervt reagieren. Ich freue mich insgeheim, weiß ich doch oder glaube ich vielmehr ahnen zu können, was es mit der Arbeit einer Theaterleiterin auf sich hat. Anne Maar hat 2003 die Leitung des Theaters Schloss Maßbach übernommen. Diese Institution präsentiert an, für und auf drei eigenen Bühnen: dem Intimen Theater, der Freilichtbühne und dem Theater im Pferdestall, dazu an bis zu 25 verschiedenen Gastspielorten während einer Saison. Diese Orte liegen in Franken, aber auch über fränkische Grenzen hinaus. In einem Interview für die Mainpost sprach Anne Maar von der „Versorgung“ der Region Unterfranken mit Kultur, in ihrem Fall mit Theater.

Tief ins Herz der Jugend

Theater ist eine vielgesichtige Sache. Kulturarbeit dort bedarf demzufolge vieler Gesichter, aber noch viel mehr vieler Hände – das wird von außen oft unterschätzt, und so kommt Anne Maar unverzüglich auf ihre Mitarbeiter, auf die Schauspielerinnen und Schauspieler des Ensembles, streift ihre eigene Arbeit nur kurz und kann mir ohne Stocken von den Leistungen all derer um sie herum berichten.

Von Kasse, Theke und Hauswirtschaft zu Veranstaltungstechnik, Schreinerei und Bühnentechnik, von Verwaltung über Dramaturgie, Theaterpädagogik, Regieassistenz, Bühnen, Kostümbild und Schneiderei bis zu Regie, Schauspiel und Theaterleitung weist die Webpage des Theaters derzeit 62 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Sollten Sie auch heute hier sein, so gilt auch Ihnen diese Feierstunde, denn – wie Anne Maar es immer wieder betont – Theater gibt es nicht allein. Es ist in allem ein team effort, eine Gemeinschaftsleistung. Auf Schloss Maßbach vielleicht sogar noch mehr, da man auch zusammen wohnt und lebt, was die Arbeit an einer Produktion anstrengend, aber verständlicherweise auch gelingender machen kann: Wer den anderen als ganzen Menschen kennen lernt, spielt anders mit ihm auf einer gemeinsamen Bühne.

Die Welt des Theaters übt vielerlei Magie und Anziehungskraft aus, auch an Schulen, wenn kleinere Produktionen mal ausrücken. Im Dreisparten Theater in Hof hatte ich als Schülerin ein Abonnement, und noch heute messe ich alle Faust-1-Inszenierungen an Gerhard Jelens Faust aus der Spielzeit 1994/95. Den habe ich mit 14 Jahren gesehen, die Aufführung hat mich tief beeindruckt, mit 14 trifft es einen entweder tief ins Herz, das einem ja – gefühlt – viel zu sichtbar am Revers hängt – oder es lässt einen kalt, weil man cool ist oder einen anderes mehr zu bewegen vermag. Will nur sagen, wer in der Kultur meint, die Jugend aussparen zu können, der handelt falsch an ihr und vergibt fast alles, denn die Zukunft der Kultur sind die Pubertierenden, die es zu erreichen und für Inhalte zu entzünden gilt.

Solcherlei Rede kennen alle, die in der Kultur und auf ihren weiten Feldern arbeiten. Museen, Orchester, Bibliotheken und eben Theater – unsere Hochburgen und Leuchttürme der Kulturarbeit und vor allem deren Leiter und Repräsentanten werden politisch immer wieder darauf hingewiesen, dass ihre Nützlichkeit in direkter Beziehung mit ihrer Sichtbarkeit, mit Wirtschaftlichkeit und Wirkungsradius stünden. Es ist oft ironisch, dass die Kraft – nämlich die Politik – die diesen Orten viel Zusätzliches abverlangt und auch den ohnehin herrschenden Druck zusätzlich erhöht, auch die Kraft ist, die die Kultur zu Gunsten beispielsweise des Sports einknicken lässt, Gelder minimiert oder gar streicht. Wer sich die Kunst und die Kulturarbeit zum persönlichen Lebensziel macht, lernt schnell, dass es ohne Vermittlungsleistung nicht funktioniert, und so wird er, wird sie ein Leben lang zur Botschafterin, Fürsprecherin einer Sache, die ihm und ihr so vertraut und natürlich erscheint, dass diese Zweiteilung manchmal auch ein bisschen verrückt macht. Die Sache ist gut, kann das nicht ohne das ständige Reden von der Sache erkannt werden? Immer seltener. Und darum ist es ein Segen, eine Theatermacherin auszuzeichnen, die sich um alle und alles rund um die Bühne bemüht.

Verliebt ins Theater und die Erotik von Zahlen

Wer an Theater denkt, denkt als erstes an Bühne und Schauspieler, das Sichtbare. Der denkt an Gesehenes, kann vom Grad der Bequemheit des Theatersessels Auskunft geben. Das ist undankbar, aber ganz natürlich. Wer sich mit Theater befasst, der denkt an Text und Inszenierung, vielerlei Innerliches, an Geschichte und Geschichten, die es zu erzählen gilt. Wer im Theater arbeitet, ist oft sehr gerngesehener Gast bei Familienfeiern, denn aus so einem vermeintlich arg „menschelnden“ Betrieb hört man doch gerne das Neueste.

Ich habe Theaterbetriebe als sehr harte Orte kennengelernt. Orte, an denen Egos sich reiben, ganz ähnlich wie an Lehrstühlen von Universitäten, Orte, an denen – weil von außen oft unterschätzt – sehr viel Politik getrieben wird, von Diplomatie bis Asyl und Intervention in tatsächliche äußere Verhältnisse. Theater sind wichtig, sie machen sichtbar und hörbar, und sie mischen sich ein, denn sie sind Konglomerate denkender Menschen, die das Fühlen zur Arbeitsmaxime gemacht haben. Oder ist es umgekehrt? Fühlende Menschen, die sich das freie Denken nicht nehmen lassen? Deutsche Theaterkultur ist weltweit bekannt und geschätzt durch das Werk einzelner und die Werke vieler. Dieses Theater – und ich durfte die Atmosphäre hier vor der Ankunft der Gäste ja erleben – ist ein gastlicher Planet auf liebevoller Umlaufbahn.

Anne Maar war als Teenager oft rund um das Theater, dessen Leitung sie nun inne hat, zu Gast. Hin und wieder verliebt in einen Schauspieler, wurden die Sommer rund um das Schloss, das den Betrieb ihrer Großmutter ab den 60er Jahren barg, zu Abenteuerspielplatz und Beobachtungsraum. Von den Sommern unserer Kindheit seufzen wir ja fast alle; hätten wir sie – wie Anne Maar – auch noch rund um einen Mikrokosmos erlebt, beobachtend, träumend, staunend, aber auch früh vertraut mit den Pflichten, die ein Betrieb gegenüber Mitarbeitern und natürlich Publikum mit sich bringt, wir hätten uns vielleicht auch verliebt in die Theaterarbeit. Sicher aber wären wir niemals leichtfertig mit dem Begriff „Kultur“ umgegangen, hätten sie als ersetzbar oder gar abzuschaffen identifiziert. Es gilt den Schauspielerinnen und Schauspielern der alte Spruch: Der Applaus sei Lohn und Brot der Arbeit. Es gilt den Theatermacherinnen und -machern: wie viele Händepaare diesen Applaus bieten, wie viele Plätze besetzt sind zur Vorstellung, wie hoch der Ticketpreis angesetzt ist etc.

Wer in ein Theater hineinsieht, der sieht etwas, was gemeinhin, aber fälschlicherweise als sehr nüchtern eingestuft wird, nämlich Zahlen. Zahlen aber haben ihre eigene Erotik.

Seit Theater feste Betriebe sind, ja in ihnen angestammten Häusern untergebracht sind, sind sie auf ebenso feste Zuschauerzahlen, auf Zuwendungen, Gelder der Städte, Kommunen, des Landes angewiesen. Anne Maars Theater Schloss Maßbach trägt das Prädikat Unterfränkische Landesbühne stolz im Namen. Dieser Umstand ist jahrzehntelangem Austausch geschuldet, denn die Kultur kostet nicht nur Geld, nein, sie bringt neben Geld auch wieder Prestige, guten Ruf, Anziehungskraft, Verbundenheit mit Land, Leuten und Literatur zurück in die Kassen. Diese Inhalte wirken wie Schuldscheine, die sich über die Jahre einlösen und dann in der Tat immer wieder für ein wohliges Brummen der Kulturmaschinerie sorgen. Sie läuft. Sie läuft so lange, wie wir neben den Inhalten auch die Formen vermitteln; Schülerinnen und Schülern den Zugang zu Theatern, Museen, zu Lesungen, Konzerten ermöglichen und sie dort kulturelle Praxis üben können. Es darf nicht unterschätzt werden, welche Schätze wir in unseren Breiten diesbezüglich hüten.

Schaum und Rauch

Solche Schätze sind auch Menschen, und zwar Menschen, die sich mit ihren besonderen Fähigkeiten der Tätigkeiten annehmen, die als Scharnierstellen im Gefüge des Großen Ganzen identifiziert werden können. So spendet die Autorin Anne Maar, die die jüngsten und jungen Leserinnen und Leser mit wunderbaren, einfühlsamen und schnörkellosen Erzählungen und Theaterstücken unterhält und mitnimmt, ihre Sensibilitäten für die Arbeit an einem großen Gesamtwerk, genannt Theater.

Ich habe mir in Vorbereitung auf mein Lob wieder einmal vor Augen geführt, wie wenig ich von den Kinder- und Jugendbuchautorinnen und -autoren weiß, die gerade arbeiten. Ich habe selbst Märchen und Gedichte im Kopf, kann mich an den kleinen Vampir, das Vamperl und das Gretchen Sackmeier am besten erinnern, weil meine Mutter sie mir alle vorgelesen hat. Dazu lag sie allabendlich mit Schaum bedeckt und mit einer Zigarettenspitze in der Hand in der Badewanne, ich saß davor und lauschte. Schaum und Rauch und ein kühles Haus mit feuchtem Stein sind meine Kindheitsgeruchserinnerungen. Mit einem schreibenden und zeichnenden Vater sind wir uns – Anne Maar und ich – ähnlich. In Haushalten aufgewachsen, in denen Literatur als etwas Normales verhandelt wurde, fiel uns beiden wahrscheinlich lange nicht wirklich auf, wie seltsam die Berufe unserer Väter für Außenstehende waren. In dieser Exotik liegt auch die Stärke für die eigene Biographie.

In ihren Büchern erzählt Anne Maar Biographisches nur zwischen den Zeilen. Es lugt hervor im klugen und geraden Schildern, im Unaufgeregten, im Verständnis für die Leerläufe und Sinnfragen der sehr jungen Menschen. Ich habe das Geheimzimmer und die Geschichten um Nele, die sich langweilt, oder Nele, die sich um ihre kleine Schwester kümmert, gelesen und mich sofort mit den jungen Heldinnen identifizieren können. Schließlich sind wir, wenn wir ehrlich sind, in unseren Lebensaltern nur Überlagerungen unseres jüngeren Selbst. Wir gehen zurück auf die Kinder, die wir in den viel beseufzten Sommern waren. Sommer, die wir unseren Kindern heute wieder wünschen.

Theatereindrücke auf Freilichtbühnen helfen dabei! Denken Sie daran, wenn es in den nächsten Wochen um die Befüllung von Nikolausstiefeln und Gabentellern geht. Ein Theaterabonnement kann eine lebensprägende Sache sein und vielerlei Klugheit nach sich ziehen.

Im Theater Schloss Maßbach kümmert man sich aber nicht nur um die Jungen, es geht um alle Theaterbesucherinnen und –besucher. Mit ausgeklügeltem Programm wird der Theatergänger gelockt, amüsiert, angeregt und belehrt. Ich verwende bewusst ein Vokabular, das einen zusammenzucken lässt. Was? Ich soll in ein Theater gehen, nach meiner Arbeit, und mich auch noch belehren lassen? Und was ist das? Amüsiert-werden? Theater zählt doch nur, wenn es ernst ist und man etwas lernt!

Diese vehementen Gegensätze versteht das Theater Schloss Maßbach stilvoll und mit Eleganz und Relevanz zu verbinden. Allein in dieser Spielzeit geht es von Kafka über Schiller zu Ronja Räubertochter und vielen anderen Produktionen, die längst in Arbeit sind. Die Kraft zur und den Erhalt der großen Wandlungsfähigkeit des Gregor Samsa, oft vermaledeit, öfter gepriesen und immer notwendig für ein Theater – unvermeidbare, aber hoffentlich zu konsolidierende Kabale, aber vor allem viel Liebe und Anerkennung durch Publikum und Geldgeber und große gefühlte und tatsächliche Freiheiten eines Räubermädchens wünsche ich Ihnen, liebe Anne Maar, Autorin und Theaterleiterin, ad multos annos!