Erinnerungen des Münchner Dialektdichters Joseph Mitterer an Kil’s Colosseum
Der 87-jährige Münchner Dialektdichter Joseph Mitterer hat die folgenden Erinnerungen an Kil’s Colosseum auf ausdrücklichen Wunsch Karl Valentins verfasst, wie eine Nachschrift auf dem Typoskript im Deutschen Theatermuseum bezeugt. Es ist, als hätte Valentin schon geahnt, dass die Tage dieser prominenten Münchner Institution gezählt waren. In einem Typoskript von 1940 aus dem Nachlass Valentins – „Karl Valentin und Liesl Karlstadt in Augsburg“ – stellt er betrübt fest: „Die 2 größten Varietés ausser dem Deutschen Theater stehen seit mehreren Jahren verstaubt und verschollen da, nämlich das schöne Kolosseum und die Blumensäle [...] Als das Varieté Kolosseum vor drei Jahren für immer geschlossen wurde, flüchteten wir uns in das noch übrig gebliebene Kabarett Benz in Schwabing.“
Rechtschreibung und Zeichensetzung des Typoskripts wurden mit Ausnahme von Mitterers besonderem Gebrauch des Gedankenstrichs den heutigen Regelungen angepasst. Der Lageplan, den er beifügte, zeigt die im Text erwähnten Örtlichkeiten. Quelle: Deutsches Theatermuseum München (Signatur 4° 577)
Das Münchner Colosseum!
Das Ende der 70er und anfangs der 80er Jahre von Baumeister Peter Kil[1] erbaute Etablissement führte anfangs lediglich den Namen „Kil’s Colosseum“ – später aber die Bezeichnung Aktien-Gesellschaft Colosseum.
An der Stelle desselben und zwar, wo sich das Eckhaus mit der heutigen Bierhalle und Haupteingang zum großen Saale befindet, stand das uralte Gasthaus zu den „Drei Linden“.
Links-seitwärts lag der nicht große, spärlich beschattete Wirtsgarten. An diesen rückseits anschließend dehnte sich ein großer freier Raum – der Übungsplatz der „Münchner Turner“, welche im Laufe der Zeit den Namen „Turnverein von 1860 München“ annahmen.
Angrenzend an diesen Turnplatz kam der ebenfalls freie Raum, auf welchem sich das ehemalige Isarvorstadt Theater zu den „Drei Linden“ von Max Schweiger befand.
Es war dies der Raum, den heute der Colosseums-Biergarten einnimmt und auf welchem in der Folge auch die Colosseums-Brauerei errichtet wurde.
Er erstreckte sich damals auch über den Grund der heutigen Hanns-Sachs- und Ickstattstraße.
Diese beiden Straßen sowie die benachbarten Klenze-, Westermühl-, und Auen-Straße existierten noch nicht. Die heutige Jahn-Straße war nur ein schmaler, unregelmäßiger Fahrweg.
Zwischen Baumstraße – Holzstraße und am Glockenbach war alles noch Freiland bis zum „Pechwinkel“[2].
Das Theater selbst war ein ziemlich großer, aber höchst einfacher, gänzlich schmuckloser Holzbau, und der Eingang war an der heutigen Auto-Park-Stelle.
Der Innenraum war sehr übersichtlich und besaß Sperrsitze – 4 Logen 1. und 2. Platz – und sogar eine kleine „Gallerie noble“. Die Preise waren für Gallerie noble 1 Gulden, in den Logen 48 und 36 Kreuzer – Sperrsitze 24 Kreuzer - 1. Platz (Holzsitze) 12 Kreuzer, 2. Platz 6 Kreuzer - Kinderbillette die Hälfte.
Der Spielplan bewegte sich – da die Dramen Schillers u. Goethes in den mittleren und unteren Volksschichten noch nicht so populär waren – meist im Rahmen des Ritterschauspieles und der Geister- und Räubergeschichten.
Um aber auch dem Humor Rechnung zu tragen, kamen Raimund und Nestroy reichlich zur Geltung.
Direktor Max Schweiger selbst war zwar ein ziemlich schlechter Schauspieler aber ein sehr guter Rechner, er kannte und verstand sein Publikum und wusste, dass es in seinem Kunsttempel entweder „herzbrechend rührend“ oder „urfidel“ hergehen müsse.
Stücke wie „Otto von Wittelsbach oder der Kaisermord zu Bamberg“ – „Die Räuber auf Maria Kulm“ oder „Adelheid oder die Beterin an der Mariensäule“ „Der Müller und sein Kind“ oder „Der böse Zauberer: Sulsurelechromagnetius-phauphoratus“ oder „Die gute Fee Walpurgiblocksbergyseptembrionalis – oder andererseits „Staberls Reiseabenteuer“ „Zu ebner Erd und i. I. Stock“, „Ein Jux will er sich machen“ „Eine Nacht in der Papiermühle oder Pappschädels Fickeriments-Streiche“ – brachten ihm immer ein volles Haus.
Auch die kluge und sehr resolute Kassiererin Frau Dor wusste in bester Weise die Interessen des Hauses zu wahren. Unter dem Vorwand, dass fast „ausverkauft“ sei, trachtete sie immer, zuerst die teueren Plätze loszubringen.
Mitunter kam es auch vor, dass junge Burschen sich am Schalter „klein“ machten und Kinderbilletten verlangten.
Solche Spekulationen aber endeten meistens damit, dass Frau Dor zum Fenster herauslangte, den Burschen hinten beim Kragen packte und ihn in die Höhe zog mit den Worten: „Dir wer i glei a Kinderbillettl gebn – du Allerweltslackel – du ausg’wachsner – gar koans kriagst – an Dreck kriagst, dass d‘ es woaßt. –
Nicht so grausam war hingegen der alte „Moser“, der Theaterdiener, welcher manchmal einen – wenn es anging - mit seinem „Sechserbillett“ in die „Zwölferreihen“ durchließ, wenn gleichzeitig eine Zigarre in seine linke Hand rutschte! –
Um mit diesem Theater zu Ende zu kommen, sei noch erwähnt, dass auf diesen schlichten Brettern ganz hervorragende – bei alten Münchnern heute noch unvergessene Künstler und Künstlerinnen wirkten und ihre wohlverdienten Lorbeeren ernteten.
So z.B. der treffliche Komiker Dor – die Schauspieler Kors – Christ – Bocka – Buchwald u.s.w. wie auch die damals noch jungen, aber zukunftssicheren Schauspielerinnen Schönchen - Mitius - Brand u.s.w. Dieses alte, den Münchnern so liebgewordene Theater „Zu den drei Linden“ nahm mit der Erbauung und Eröffnung des „Münchner Aktientheaters“ nunmehr „Theaters am Gärtnerplatz“ sein Ende.
Das gleiche Schicksal ereilte auch zur gleichen Zeit das Vorstadttheater in der Au.
Die Besitzer Max Schweiger und Johann Schweiger wurden entsprechend mit Geld entschädigt und die beiden Holzbauten abgebrochen. Der Platz bei den „Drei Linden“ war also leer und verkäuflich! Der in seinem Raume ohnehin sehr beschränkte Turnverein ergriff diese sehr günstige Gelegenheit, erwarb das ganze große Terrain und erbaute da seine erste eigene Turnhalle.
Es war dies allerdings auch nur ein Holzbau, der aber von sehr hübschem Ansehen war und in allem vollkommen seinem Zwecke entsprach; namentlich für die damalige Zeit, in welcher der Verein kaum mehr als ein paar hundert aktive Mitglieder zählte.
Der Verein aber blühte bald empor – Halle und Nebenräume wurden wieder zu klein.
Da kam die Zeit der Erbauung und Erweiterung des Colosseums, man bedurfte hiezu des im Besitze des Turnvereins befindlichen Areals.
Gleichzeitig trat auch die Notwendigkeit heran, die nächstliegenden Straßenzüge durchzuführen, wozu ebenfalls der Turnverein einige Teile abzutreten hatte.
Zu dieser Zeit ergab sich dann die Gelegenheit, dass der Verein in Besitz seines heutigen Turnplatzes an der Wittelsbacher- und Auenstrasse gelangen konnte, woselbst auch die neue großartig angelegte Turnhalle erstand – wogegen die erste alte abgebrochen und der Raum – wie schon früher gesagt zu Bräuhaus und Wirtsgarten verwendet wurde.
Limbeck, Anton / Prummer, August / Štěpánek, Jan Nepomuk: Eine Nacht in der Papier-Mühle, oder Tabschädel's komische Abenteuer und Confusions-Streiche, Lokal-Posse mit Gesang in drei Akten ; zum ersten Male aufgeführt in München am 14. August 1852, und wurde dasselbe bis jetzt 30 mal gegeben, Libretto. Als Manuscript gedruckt, München, 1852 (BSB-Sign.: Slg.Her 1196)
Nachdem inzwischen auch das alte Gasthaus und Garten beseitigt war, erstand zuerst die lange Häuserfront an der heutigen Colosseumsstraße, in deren Mitte eine neue Wirtschaft unter dem alten Namen „Zu den drei Linden“ eröffnet wurde.
Mit der später erfolgten Errichtung der großen Restauration an der Ecke der Jahn-Straße nahm auch diese letzte Gaststätte „Zu den drei Linden“ ihr Ende.[3]
Den gleichen Weg in die Vergangenheit nahm auch die Colosseums-Brauerei. Sie erlag dem Drucke der übermächtig gewordenen Münchner Großbrauereien.
Weit draußen – an der Peripherie der Stadt – zwischen Giesing und Ramersdorf[4] befindet sich noch eine Wirtschaft, welche man heute noch Colosseums-Keller nennt, obwohl man dort Paulaner-Bier verabreicht. Der große schöne und schattige Garten ladet gar freundlich ein zur Ruhe und stiller Erinnerung an vergangene, glücklichere Zeiten.
Auch am „Colosseum“ selbst gingen die Jahre nicht vorüber, ohne manchen Rückschlag, manche Existenzsorge erleiden zu müssen. Doch erhielt es sich aufrecht bis zum heutigen Tage trotz der großen Zahl neuerstandener derartiger Unternehmungen.
Und es wird fortbestehen, denn die Anziehungskraft des heute noch schönsten Festsaales in seiner klassischen Form wird nicht erlahmen und dies umso weniger, wenn – wie derzeitig – eine tüchtige, umsichtige Geschäftsführung obwaltet, welcher es stets gelingt, die besten und zugkräftigsten Künstlerschaften aller erdenklichen Art zu finden und zu erhalten.
Der große Saal des Colosseums, auf welchen München ein gutes Recht hat stolz zu sein – erregt namentlich jetzt nach seiner Erneuerung bei jedem Besucher Staunen und Bewunderung.
Dieser Saal hat aber auch seine Geschichte und zwar eine weit reichere als irgendein anderer in unserer Stadt.
Seine Vergangenheit ist so reich an festlichen Veranstaltungen aller Art, dass es ganz unmöglich ist, auch nur die Zahl der ganz hervorragendsten anzuführen.
Es soll nur einiges erwähnt sein, um zu bezeugen, dass schon in der allerersten Zeit seines Bestehens ganz großartige – heute kaum mehr denkbare Veranstaltungen vor sich gingen.
Alle großen Vereine und Körperschaften von Ruf und Namen wie Turnvereine – Sänger- und Schützenverein – Künstler – Studentenschaft – Alpenvereine – Innungen – bürgerliche Vereinigungen – Presse –Wohltätigkeitsfeste u.s.w., sie alle hatten sich den herrlichen Colosseums-Saal und seine vielen Nebenräume zum Schauplatze erwählt.
Und welch frohes – noch sittliches – Leben und Treiben herrschte hier zu Zeiten des Carnevals, zumal wenn oben auf der Galerie der unvergessliche Kapellmeister Michael Jäger sein Szepter über die sechzig auserlesenen Musiker schwang.
Das war Musik, von der man noch sagen konnte, sie sei „die Tochter des Himmels“ und nicht ohrenzerreißender Spektakel mit gröhlenden Saxophons – Blechpfeifen – Holzschachteln und Konservenbüchsen, wie man ihn heute fast überall genießen muss.
Die dekorativen Ausstattungen bei solchen Festen war durchweg von hohem künstlerischen Geschmacke durchdrungen – alles echt, gediegen – und von innerlichem Werte – es war nicht billiger papierener Plunder, nur auf Augenblickswirkung berechnet.
Jene Zeit ist für immer vorüber, und es werden nur noch wenige am Leben sein, die solches miterlebt und mitgenossen haben.
Des Öfteren war es also die Künstlerschaft – Reichsfechtschule – Narhalla-Studenten und Presse etc., welche ganz Hervorragendes zu Stande brachten. In besonders prächtiger und großartiger Weise aber bemühten sich auch die Turnvereine München v. 1860 sowie der Männer-Turnverein v. 1879.
Unvergesslich sind für die noch Lebenden und damals Mitwirkenden die glanzvollen Carnevals-Feste des Turnvereines München v. 1860: „Das Römische Fest“ – „Im Reich der Mitte“ und „Die Verlobung des Kalifen von Bagdad mit der Tochter des Königs Gambrinus“ – sowie des ebenso prächtigen Festes des Männer-Turnvereines München v. 1879, „König Laurins Rosengarten“.
Es waren dies Veranstaltungen, welche allen anderen die Waage hielten.
Die hiebei in Verwendung gekommenen Dekorationen – Aufbauten und kostbaren Kostümierungen und die Anzahl der Mitwirkenden wurden später nie und nirgend mehr erreicht.
Persönliche Opferwilligkeit – Arbeitsfreudigkeit – Ehrgeiz und unverdorbener künstlerischer Sinn waren Ursache und Wirkung solcher Unternehmungen.
Zeit und Menschheit haben sich geändert – im alles überwuchernden Materialismus sind vorerwähnte Begriffe leider spurlos untergegangen, – und insbesondere im Vereinsleben! –
Aber nicht ausnahmslos herrschte in diesem Saale Lebenslust und Freude, einmal hielten auch Tod und Trauer einen schauerlichen Einzug! – Es war am Abend des 18ten Februar 1881.
Die Künstlerschaft Münchens hatte ein großes Maskenfest veranstaltet, wobei eine Anzahl junger Künstler eine Eskimo-Gruppe bildete. Sie waren seelenvergnügt in einem eigenen Zelte versammelt, und ihr ganzes Kostüm war aus Hanfwerg gefertigt – also höchst feuergefährlich. Durch Unvorsichtigkeit eines der Beteiligten geriet derselbe einem Licht – oder brennenden Zündhölzchen zu nahe – sein Kostüm fing Feuer, und er war im nächsten Augenblicke eine Flammensäule, welche sofort auch seine Freunde ergriff.
Ein Teil derselben erlag an Ort und Stelle dem Flammentode. Der Rest erlag den schrecklichen Brandwunden im Krankenhaus links der Isar. Einer der Verunglückten, welcher sich nur für den Abend angeschlossen hatte – ein hiesiger Friseurmeister und Familienvater verlor auf diese Weise ebenfalls sein Leben – auch ihm wurde sein Eskimo-Kostüm zum Verhängnis. Nur einer hatte das Glück, dem Tode zu entrinnen, indem er die Geistesgegenwart besaß, in seiner brennenden Hülle zur Schänke zu laufen, wo er sofort mit reichlich Wasser übergossen werden konnte. Dieser Eine wurde wieder hergestellt und dem Leben wieder gegeben – aber der Eindruck des grausigen Erlebten, das Schicksal seiner verbrannten Freunde, blieb so tief, dass er auf alles, was Lebensfreude bedeutet – vollständig Verzicht leistete. Er ging ins Kloster – zu den Kapuzinern.
Die Aufregung in der ganzen Stadt war furchtbar, und die Trauer um diese jungen, hoffnungsvollen Kunstjünger allgemein.
Der Tag dieser entsetzlichen Katastrophe war wohl der traurigste in der Geschichte des Münchner Colosseums.
Möge es auch der einzige und letzte dieser Art gewesen sein. Möge es hingegen ungestört – dauernd und ewig bestehen bleiben in Glanz und Ehren – zur Freude und zum Stolze unserer
Vaterstadt München[5].
Jos. Mitterer
14.IX.1932
Lageplan des Colosseums
[1] Mitterer verwechselt Franz Kil (Baumeister und Tafernwirt) mit seinem Sohn Peter (Brauer).
[2] Wo einst die Ansiedlung der Pechsieder stand.
[3] Ein Artikel in der Münchner Zeitung vom 5./6. Januar 1923 gibt Aufschluss über die Zusammenhänge:
„Der Baumeister Franz Kil war Besitzer der Wirtschaft zu den „Drei Linden“, in deren großen Garten das Schmidtsche Marionettentheater und ein großer gedeckter Tanzsaal, umgeben von schattenspendenden Linden stand. Während der Sommerzeit wurden dort wöchentlich einmal Tanzveranstaltungen abgehalten, die sehr zahlreich besucht wurden. Der Bier- und Speisenverbrauch war sehr groß. Trat aber Regenwetter ein, war der Schaden für den Wirt durch zechprellende, flüchtende Gäste sehr erheblich. Daher entschloß sich Franz Kil, einen regensicheren Tanzsaal zu bauen und beauftragte den Architekten und technischen Lehrer August Rauchner mit der Herstellung der Pläne; die Maurerarbeiten übernahm er selbst mit seinem Bruder Johann Kil als Bauführer.“
[4] Balanstraße 75.
[5] Das Colosseum überdauerte zwar den 2. Weltkrieg, wurde aber schließlich 1961 abgerissen.
Erinnerungen des Münchner Dialektdichters Joseph Mitterer an Kil’s Colosseum>
Der 87-jährige Münchner Dialektdichter Joseph Mitterer hat die folgenden Erinnerungen an Kil’s Colosseum auf ausdrücklichen Wunsch Karl Valentins verfasst, wie eine Nachschrift auf dem Typoskript im Deutschen Theatermuseum bezeugt. Es ist, als hätte Valentin schon geahnt, dass die Tage dieser prominenten Münchner Institution gezählt waren. In einem Typoskript von 1940 aus dem Nachlass Valentins – „Karl Valentin und Liesl Karlstadt in Augsburg“ – stellt er betrübt fest: „Die 2 größten Varietés ausser dem Deutschen Theater stehen seit mehreren Jahren verstaubt und verschollen da, nämlich das schöne Kolosseum und die Blumensäle [...] Als das Varieté Kolosseum vor drei Jahren für immer geschlossen wurde, flüchteten wir uns in das noch übrig gebliebene Kabarett Benz in Schwabing.“
Rechtschreibung und Zeichensetzung des Typoskripts wurden mit Ausnahme von Mitterers besonderem Gebrauch des Gedankenstrichs den heutigen Regelungen angepasst. Der Lageplan, den er beifügte, zeigt die im Text erwähnten Örtlichkeiten. Quelle: Deutsches Theatermuseum München (Signatur 4° 577)
Das Münchner Colosseum!
Das Ende der 70er und anfangs der 80er Jahre von Baumeister Peter Kil[1] erbaute Etablissement führte anfangs lediglich den Namen „Kil’s Colosseum“ – später aber die Bezeichnung Aktien-Gesellschaft Colosseum.
An der Stelle desselben und zwar, wo sich das Eckhaus mit der heutigen Bierhalle und Haupteingang zum großen Saale befindet, stand das uralte Gasthaus zu den „Drei Linden“.
Links-seitwärts lag der nicht große, spärlich beschattete Wirtsgarten. An diesen rückseits anschließend dehnte sich ein großer freier Raum – der Übungsplatz der „Münchner Turner“, welche im Laufe der Zeit den Namen „Turnverein von 1860 München“ annahmen.
Angrenzend an diesen Turnplatz kam der ebenfalls freie Raum, auf welchem sich das ehemalige Isarvorstadt Theater zu den „Drei Linden“ von Max Schweiger befand.
Es war dies der Raum, den heute der Colosseums-Biergarten einnimmt und auf welchem in der Folge auch die Colosseums-Brauerei errichtet wurde.
Er erstreckte sich damals auch über den Grund der heutigen Hanns-Sachs- und Ickstattstraße.
Diese beiden Straßen sowie die benachbarten Klenze-, Westermühl-, und Auen-Straße existierten noch nicht. Die heutige Jahn-Straße war nur ein schmaler, unregelmäßiger Fahrweg.
Zwischen Baumstraße – Holzstraße und am Glockenbach war alles noch Freiland bis zum „Pechwinkel“[2].
Das Theater selbst war ein ziemlich großer, aber höchst einfacher, gänzlich schmuckloser Holzbau, und der Eingang war an der heutigen Auto-Park-Stelle.
Der Innenraum war sehr übersichtlich und besaß Sperrsitze – 4 Logen 1. und 2. Platz – und sogar eine kleine „Gallerie noble“. Die Preise waren für Gallerie noble 1 Gulden, in den Logen 48 und 36 Kreuzer – Sperrsitze 24 Kreuzer - 1. Platz (Holzsitze) 12 Kreuzer, 2. Platz 6 Kreuzer - Kinderbillette die Hälfte.
Der Spielplan bewegte sich – da die Dramen Schillers u. Goethes in den mittleren und unteren Volksschichten noch nicht so populär waren – meist im Rahmen des Ritterschauspieles und der Geister- und Räubergeschichten.
Um aber auch dem Humor Rechnung zu tragen, kamen Raimund und Nestroy reichlich zur Geltung.
Direktor Max Schweiger selbst war zwar ein ziemlich schlechter Schauspieler aber ein sehr guter Rechner, er kannte und verstand sein Publikum und wusste, dass es in seinem Kunsttempel entweder „herzbrechend rührend“ oder „urfidel“ hergehen müsse.
Stücke wie „Otto von Wittelsbach oder der Kaisermord zu Bamberg“ – „Die Räuber auf Maria Kulm“ oder „Adelheid oder die Beterin an der Mariensäule“ „Der Müller und sein Kind“ oder „Der böse Zauberer: Sulsurelechromagnetius-phauphoratus“ oder „Die gute Fee Walpurgiblocksbergyseptembrionalis – oder andererseits „Staberls Reiseabenteuer“ „Zu ebner Erd und i. I. Stock“, „Ein Jux will er sich machen“ „Eine Nacht in der Papiermühle oder Pappschädels Fickeriments-Streiche“ – brachten ihm immer ein volles Haus.
Auch die kluge und sehr resolute Kassiererin Frau Dor wusste in bester Weise die Interessen des Hauses zu wahren. Unter dem Vorwand, dass fast „ausverkauft“ sei, trachtete sie immer, zuerst die teueren Plätze loszubringen.
Mitunter kam es auch vor, dass junge Burschen sich am Schalter „klein“ machten und Kinderbilletten verlangten.
Solche Spekulationen aber endeten meistens damit, dass Frau Dor zum Fenster herauslangte, den Burschen hinten beim Kragen packte und ihn in die Höhe zog mit den Worten: „Dir wer i glei a Kinderbillettl gebn – du Allerweltslackel – du ausg’wachsner – gar koans kriagst – an Dreck kriagst, dass d‘ es woaßt. –
Nicht so grausam war hingegen der alte „Moser“, der Theaterdiener, welcher manchmal einen – wenn es anging - mit seinem „Sechserbillett“ in die „Zwölferreihen“ durchließ, wenn gleichzeitig eine Zigarre in seine linke Hand rutschte! –
Um mit diesem Theater zu Ende zu kommen, sei noch erwähnt, dass auf diesen schlichten Brettern ganz hervorragende – bei alten Münchnern heute noch unvergessene Künstler und Künstlerinnen wirkten und ihre wohlverdienten Lorbeeren ernteten.
So z.B. der treffliche Komiker Dor – die Schauspieler Kors – Christ – Bocka – Buchwald u.s.w. wie auch die damals noch jungen, aber zukunftssicheren Schauspielerinnen Schönchen - Mitius - Brand u.s.w. Dieses alte, den Münchnern so liebgewordene Theater „Zu den drei Linden“ nahm mit der Erbauung und Eröffnung des „Münchner Aktientheaters“ nunmehr „Theaters am Gärtnerplatz“ sein Ende.
Das gleiche Schicksal ereilte auch zur gleichen Zeit das Vorstadttheater in der Au.
Die Besitzer Max Schweiger und Johann Schweiger wurden entsprechend mit Geld entschädigt und die beiden Holzbauten abgebrochen. Der Platz bei den „Drei Linden“ war also leer und verkäuflich! Der in seinem Raume ohnehin sehr beschränkte Turnverein ergriff diese sehr günstige Gelegenheit, erwarb das ganze große Terrain und erbaute da seine erste eigene Turnhalle.
Es war dies allerdings auch nur ein Holzbau, der aber von sehr hübschem Ansehen war und in allem vollkommen seinem Zwecke entsprach; namentlich für die damalige Zeit, in welcher der Verein kaum mehr als ein paar hundert aktive Mitglieder zählte.
Der Verein aber blühte bald empor – Halle und Nebenräume wurden wieder zu klein.
Da kam die Zeit der Erbauung und Erweiterung des Colosseums, man bedurfte hiezu des im Besitze des Turnvereins befindlichen Areals.
Gleichzeitig trat auch die Notwendigkeit heran, die nächstliegenden Straßenzüge durchzuführen, wozu ebenfalls der Turnverein einige Teile abzutreten hatte.
Zu dieser Zeit ergab sich dann die Gelegenheit, dass der Verein in Besitz seines heutigen Turnplatzes an der Wittelsbacher- und Auenstrasse gelangen konnte, woselbst auch die neue großartig angelegte Turnhalle erstand – wogegen die erste alte abgebrochen und der Raum – wie schon früher gesagt zu Bräuhaus und Wirtsgarten verwendet wurde.
Limbeck, Anton / Prummer, August / Štěpánek, Jan Nepomuk: Eine Nacht in der Papier-Mühle, oder Tabschädel's komische Abenteuer und Confusions-Streiche, Lokal-Posse mit Gesang in drei Akten ; zum ersten Male aufgeführt in München am 14. August 1852, und wurde dasselbe bis jetzt 30 mal gegeben, Libretto. Als Manuscript gedruckt, München, 1852 (BSB-Sign.: Slg.Her 1196)
Nachdem inzwischen auch das alte Gasthaus und Garten beseitigt war, erstand zuerst die lange Häuserfront an der heutigen Colosseumsstraße, in deren Mitte eine neue Wirtschaft unter dem alten Namen „Zu den drei Linden“ eröffnet wurde.
Mit der später erfolgten Errichtung der großen Restauration an der Ecke der Jahn-Straße nahm auch diese letzte Gaststätte „Zu den drei Linden“ ihr Ende.[3]
Den gleichen Weg in die Vergangenheit nahm auch die Colosseums-Brauerei. Sie erlag dem Drucke der übermächtig gewordenen Münchner Großbrauereien.
Weit draußen – an der Peripherie der Stadt – zwischen Giesing und Ramersdorf[4] befindet sich noch eine Wirtschaft, welche man heute noch Colosseums-Keller nennt, obwohl man dort Paulaner-Bier verabreicht. Der große schöne und schattige Garten ladet gar freundlich ein zur Ruhe und stiller Erinnerung an vergangene, glücklichere Zeiten.
Auch am „Colosseum“ selbst gingen die Jahre nicht vorüber, ohne manchen Rückschlag, manche Existenzsorge erleiden zu müssen. Doch erhielt es sich aufrecht bis zum heutigen Tage trotz der großen Zahl neuerstandener derartiger Unternehmungen.
Und es wird fortbestehen, denn die Anziehungskraft des heute noch schönsten Festsaales in seiner klassischen Form wird nicht erlahmen und dies umso weniger, wenn – wie derzeitig – eine tüchtige, umsichtige Geschäftsführung obwaltet, welcher es stets gelingt, die besten und zugkräftigsten Künstlerschaften aller erdenklichen Art zu finden und zu erhalten.
Der große Saal des Colosseums, auf welchen München ein gutes Recht hat stolz zu sein – erregt namentlich jetzt nach seiner Erneuerung bei jedem Besucher Staunen und Bewunderung.
Dieser Saal hat aber auch seine Geschichte und zwar eine weit reichere als irgendein anderer in unserer Stadt.
Seine Vergangenheit ist so reich an festlichen Veranstaltungen aller Art, dass es ganz unmöglich ist, auch nur die Zahl der ganz hervorragendsten anzuführen.
Es soll nur einiges erwähnt sein, um zu bezeugen, dass schon in der allerersten Zeit seines Bestehens ganz großartige – heute kaum mehr denkbare Veranstaltungen vor sich gingen.
Alle großen Vereine und Körperschaften von Ruf und Namen wie Turnvereine – Sänger- und Schützenverein – Künstler – Studentenschaft – Alpenvereine – Innungen – bürgerliche Vereinigungen – Presse –Wohltätigkeitsfeste u.s.w., sie alle hatten sich den herrlichen Colosseums-Saal und seine vielen Nebenräume zum Schauplatze erwählt.
Und welch frohes – noch sittliches – Leben und Treiben herrschte hier zu Zeiten des Carnevals, zumal wenn oben auf der Galerie der unvergessliche Kapellmeister Michael Jäger sein Szepter über die sechzig auserlesenen Musiker schwang.
Das war Musik, von der man noch sagen konnte, sie sei „die Tochter des Himmels“ und nicht ohrenzerreißender Spektakel mit gröhlenden Saxophons – Blechpfeifen – Holzschachteln und Konservenbüchsen, wie man ihn heute fast überall genießen muss.
Die dekorativen Ausstattungen bei solchen Festen war durchweg von hohem künstlerischen Geschmacke durchdrungen – alles echt, gediegen – und von innerlichem Werte – es war nicht billiger papierener Plunder, nur auf Augenblickswirkung berechnet.
Jene Zeit ist für immer vorüber, und es werden nur noch wenige am Leben sein, die solches miterlebt und mitgenossen haben.
Des Öfteren war es also die Künstlerschaft – Reichsfechtschule – Narhalla-Studenten und Presse etc., welche ganz Hervorragendes zu Stande brachten. In besonders prächtiger und großartiger Weise aber bemühten sich auch die Turnvereine München v. 1860 sowie der Männer-Turnverein v. 1879.
Unvergesslich sind für die noch Lebenden und damals Mitwirkenden die glanzvollen Carnevals-Feste des Turnvereines München v. 1860: „Das Römische Fest“ – „Im Reich der Mitte“ und „Die Verlobung des Kalifen von Bagdad mit der Tochter des Königs Gambrinus“ – sowie des ebenso prächtigen Festes des Männer-Turnvereines München v. 1879, „König Laurins Rosengarten“.
Es waren dies Veranstaltungen, welche allen anderen die Waage hielten.
Die hiebei in Verwendung gekommenen Dekorationen – Aufbauten und kostbaren Kostümierungen und die Anzahl der Mitwirkenden wurden später nie und nirgend mehr erreicht.
Persönliche Opferwilligkeit – Arbeitsfreudigkeit – Ehrgeiz und unverdorbener künstlerischer Sinn waren Ursache und Wirkung solcher Unternehmungen.
Zeit und Menschheit haben sich geändert – im alles überwuchernden Materialismus sind vorerwähnte Begriffe leider spurlos untergegangen, – und insbesondere im Vereinsleben! –
Aber nicht ausnahmslos herrschte in diesem Saale Lebenslust und Freude, einmal hielten auch Tod und Trauer einen schauerlichen Einzug! – Es war am Abend des 18ten Februar 1881.
Die Künstlerschaft Münchens hatte ein großes Maskenfest veranstaltet, wobei eine Anzahl junger Künstler eine Eskimo-Gruppe bildete. Sie waren seelenvergnügt in einem eigenen Zelte versammelt, und ihr ganzes Kostüm war aus Hanfwerg gefertigt – also höchst feuergefährlich. Durch Unvorsichtigkeit eines der Beteiligten geriet derselbe einem Licht – oder brennenden Zündhölzchen zu nahe – sein Kostüm fing Feuer, und er war im nächsten Augenblicke eine Flammensäule, welche sofort auch seine Freunde ergriff.
Ein Teil derselben erlag an Ort und Stelle dem Flammentode. Der Rest erlag den schrecklichen Brandwunden im Krankenhaus links der Isar. Einer der Verunglückten, welcher sich nur für den Abend angeschlossen hatte – ein hiesiger Friseurmeister und Familienvater verlor auf diese Weise ebenfalls sein Leben – auch ihm wurde sein Eskimo-Kostüm zum Verhängnis. Nur einer hatte das Glück, dem Tode zu entrinnen, indem er die Geistesgegenwart besaß, in seiner brennenden Hülle zur Schänke zu laufen, wo er sofort mit reichlich Wasser übergossen werden konnte. Dieser Eine wurde wieder hergestellt und dem Leben wieder gegeben – aber der Eindruck des grausigen Erlebten, das Schicksal seiner verbrannten Freunde, blieb so tief, dass er auf alles, was Lebensfreude bedeutet – vollständig Verzicht leistete. Er ging ins Kloster – zu den Kapuzinern.
Die Aufregung in der ganzen Stadt war furchtbar, und die Trauer um diese jungen, hoffnungsvollen Kunstjünger allgemein.
Der Tag dieser entsetzlichen Katastrophe war wohl der traurigste in der Geschichte des Münchner Colosseums.
Möge es auch der einzige und letzte dieser Art gewesen sein. Möge es hingegen ungestört – dauernd und ewig bestehen bleiben in Glanz und Ehren – zur Freude und zum Stolze unserer
Vaterstadt München[5].
Jos. Mitterer
14.IX.1932
Lageplan des Colosseums
[1] Mitterer verwechselt Franz Kil (Baumeister und Tafernwirt) mit seinem Sohn Peter (Brauer).
[2] Wo einst die Ansiedlung der Pechsieder stand.
[3] Ein Artikel in der Münchner Zeitung vom 5./6. Januar 1923 gibt Aufschluss über die Zusammenhänge:
„Der Baumeister Franz Kil war Besitzer der Wirtschaft zu den „Drei Linden“, in deren großen Garten das Schmidtsche Marionettentheater und ein großer gedeckter Tanzsaal, umgeben von schattenspendenden Linden stand. Während der Sommerzeit wurden dort wöchentlich einmal Tanzveranstaltungen abgehalten, die sehr zahlreich besucht wurden. Der Bier- und Speisenverbrauch war sehr groß. Trat aber Regenwetter ein, war der Schaden für den Wirt durch zechprellende, flüchtende Gäste sehr erheblich. Daher entschloß sich Franz Kil, einen regensicheren Tanzsaal zu bauen und beauftragte den Architekten und technischen Lehrer August Rauchner mit der Herstellung der Pläne; die Maurerarbeiten übernahm er selbst mit seinem Bruder Johann Kil als Bauführer.“
[4] Balanstraße 75.
[5] Das Colosseum überdauerte zwar den 2. Weltkrieg, wurde aber schließlich 1961 abgerissen.