Von Frank Wedekind bis Thomas Mann – ein literarischer Spaziergang durch München (2)
Dr. Franz Klug ist der Leiter von Münchens ältester Buchhandlung, der Buchhandlung Lentner im Rathaus, die schon seit 1698 besteht. Jetzt hat der Bücherliebhaber und Münchenkenner selbst ein Buch verfasst: In München abseits der Pfade (Braumüller Verlag, 2016) bietet er eine etwas andere Reise durch die Weltstadt mit Herz, unter anderem auch einen literarischen Spaziergang durch die Maxvorstadt bis ins Lehel – reich an historischen Informationen zu Kunst- und Kulturgeschichte der Viertel und mit Insidertipps zu sehenswerten Orten und kulinarischen Empfehlungen.
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München literarisch
(Teil 2)
Die Brienner Straße führt, wähle ich den Weg nach rechts, über den Karolinenplatz mit dem Obelisken zum Königsplatz und damit in das Antike-Zentrum Münchens mit der Glyptothek und der Antikensammlung, außerdem zum Zentrum des Blauen Reiters, dem Lenbachhaus. In der Brienner Straße liegt zwischen Karolinenplatz und Königsplatz aber auch das neu errichtete NS-Dokumentationszentrum, womit München versucht, sich mit der unrühmlichen Rolle, die dieser Platz mit seinen angrenzenden Gebäuden während der Nazizeit gespielt hat, auseinanderzusetzen. Ich könnte am Ende der Türkenstraße auch nach links gehen, hier führt die Brienner Straße zum Odeonsplatz mit Residenz und Hofgarten. Ja, dazu entschließe ich mich, nach links also. Mein Weg führt mich zuerst am Komplex der Bayerischen Landesbank entlang; hier stand von 1848 bis zu seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg – der Abbruch erfolgte allerdings erst in den Sechzigerjahren – das Wittelsbacher Palais, in dem 1919 die Münchner Räterepublik beschlossen wurde. Ab 1933 war das Backsteingebäude Hauptquartier der Gestapo; eine Gedenktafel erinnert an die bewegte Geschichte des verschwundenen Gebäudes. An der Ecke Brienner Straße/Oskar-von-Miller-Ring stehe ich schon am Beginn der Altstadt: Massiv erhebt sich der Luitpoldblock, im Hintergrund ragen die Türme der Frauenkirche hoch auf, und es leuchtet das Grün des hier vom Platz der Opfer des Nationalsozialismus begrenzten Maximiliansparks, an dessen anderem Ende der imposante Wittelsbacherbrunnen steht, den wir ja schon kennengelernt haben.
Blaues Pferd von Franz Marc (1910) // Das NS-Dokumentationszentrum neben dem ehemaligen „Führerbau“ auf der Brienner Straße © Jens Weber
Ich gehe am Luitpoldblock mit seinem berühmten Café Luitpold vorbei, in dem einst Stefan George, Frank Wedekind, Klaus Mann und andere Größen der Münchner Kultur verkehrten. Schade, dass sich die Besitzer des Luitpoldblocks bisher nicht dazu entschließen konnten, den ehemaligen imposanten Kaffeehaussaal zu rekonstruieren! Durch die sehr begrenzte Raumhöhe des jetzigen Café Luitpold gehen doch Flair und Schönheit des einstigen Gründerzeit-Prachtbauwerks ein Stück weit verloren. Die Restaurantfläche im überdachten Innenhof kann diesen Mangel nur bedingt ausgleichen, obwohl hier wenigstens mehr Licht und Luft geboten werden. Weitergehend passiere ich links den Wittelsbacherplatz, wo in einem ehemaligen Palais heute die Siemens-Generaldirektion untergebracht ist. Ein Blickfang mitten auf diesem Platz ist das Denkmal für Maximilian I. (1573–1651), Herzog von Bayern und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches. Und dann endet die Brienner Straße am Odeonsplatz.
Blick auf den Königsplatz mit der Glypthothek, im Hintergrund werden das NS-Dokuzentrum, der Obesilk am Karolinenplatz und die Türme der Frauenkirche sichtbar © Jens Weber
Nach Norden führt die Ludwigstraße mit der Bayerischen Staatsbibliothek, der gut sichtbaren Ludwigskirche, vielen ehemaligen Palaisgebäuden, in denen heute teilweise Ministerien residieren, mit der Ludwig-Maximilians-Universität und dem Siegesdenkmal, das die Maxvorstadt von Schwabing abgrenzt. An schönen Tagen sind hinter dem Siegestor die Spitzen der Highlight-Towers – die weit außerhalb des Zentrums stehen – mit ihren über hundert Metern Höhe erkennbar. Die Ludwigstraße wurde genau wie die Brienner Straße bewusst als Prachtstraße angelegt. Während aber die markanten Bauten der Ludwigstraße dank der geraden Straßenführung gut sichtbar sind, verhindert in der Brienner Straße eine Biegung den Blick auf den Karolinenplatz mit Obelisken und den anschließenden Königsplatz. Am Odeonsplatz residiert das Bayerische Innenministerium, vor dem ein imposantes Reiterdenkmal des Namensgebers der Ludwigstraße, König Ludwig I. (1786–1868), steht. An der Ostseite des Odeonsplatzes entlang erstreckt sich das von Leo von Klenze 1825–1826 errichtete Bazargebäude, auf dem heute in goldenen Lettern Firmen- und Markennamen prangen. Hier ist das Café Tambosi beheimatet. Dieses Café ist benannt nach Luigi Tambosi, der die Kaffeehaustradition, die hier am Hofgarten schon seit 1774 besteht, im Bazargebäude fortführte und ein feines Hofcafé führte, das bis 1868 im Besitz der Familie Tambosi blieb. Sogar der Wiener Dramatiker Ferdinand Raimund rühmte den „Café famosi beim Tambosi“. Das Tambosi zeichnet sich dadurch aus, dass vor dem Café neben den Hofarkaden sommers wie winters Stühle stehen, und zwar in Reihen hintereinander, alle in dieselbe Richtung, auf denen Sonnensüchtige dem Kaffee, der Sonne und dem Licht huldigen und nebenbei Passanten und sich gegenseitig beobachten können. Wer das Tambosi jedoch besuchen möchte, muss sich beeilen, Ende 2016 verlassen die jetzigen Betreiber das Café und das Lokal wird umgebaut – wie es danach aussieht, steht in den Sternen.
Die Hofgartenarkaden jedoch sind dank T. S. Eliot überzeitlich unsterblich und in den internationalen Parnass eingegangen: Sie werden in Eliots berühmtem Gedichtband Waste Land gleich auf der ersten Seite erwähnt: „Summer surprised us, coming over the Starnbergersee / With a shower of rain; we stopped in the colonnade, / And went on in sunlight, into the Hofgarten, / And drank coffee, and talked for an hour.“ Zwischen Residenz und Theatinerkirche liegt der Bereich des Odeonsplatzes, der den Fußgängern vorbehalten ist. Am Südende des Platzes steht die Feldherrnhalle samt Löwen und Feldherren-Denkmälern. Die Titulierung Feldherrnhalle ist etwas irreführend, da hier keine Halle, sondern als Erinnerungsort ein hoher, offener Raum für Denkmäler geschaffen wurde. Lion Feuchtwanger lässt in seinem Roman Erfolg Herrn Hessreiter, einen der Protagonisten, über die Feldherrnhalle sinnieren: „Herr Hessreiter war jetzt auf den Odeonsplatz gelangt. Vor ihm hob sich die Feldherrnhalle, eine Nachbildung der Florentiner Loggia dei Lanzi, errichtet den beiden größten bayerischen Feldherren, Tilly und Wrede, von denen der eine kein Bayer und der andere kein Feldherr war. Herrn Hessreiter, sooft er die Feldherrnhalle sah, gab es einen kleinen Stich. Er erinnerte sich, welche Freude er als ganz junger Mensch gehabt hatte an dem schönen Bauwerk, das der Architekt Gärtner mit sicherem Takt als Abschluß der Ludwigstraße hingesetzt hatte. Aber schon als Knabe hatte er erleben müssen, daß man auf die Treppenwangen zwei schreitende Löwen setzte, die strenge, vertikale Wirkung des Bauwerks zerstörend. Später dann hatten die Hammel die Rückwand der Halle mit einer blöden, akademischen Aktgruppe verhunzt, dem sogenannten Armeedenkmal.“
Die Theatinerkirche mit Beleuchtung bei Nacht // Blick aus dem Hofgarten
Ich betrete nun durch das Tor neben der Residenz den Hofgarten. Dieser wird umrahmt von Arkaden, vom Bazarhaus, Das Tambosi vom Theatermuseum, von der Staatskanzlei und der Residenz, an der ich nun entlanggehe. Die Residenz, die vom Odeonsplatz und vom Hofgarten bis zum Max-Joseph-Platz reicht, ist vor allem für Geschichtssüchtige immer einen Besuch wert. An dieser Stelle wurde schon im vierzehnten Jahrhundert eine „Veste“ errichtet, Renaissance, Barock, Rokoko und Klassizismus hinterließen durch die Jahrhunderte ebenfalls ihre Spuren wie natürlich die Kriege, die München heimsuchten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Residenz schwer getroffen, das Dach war fast vollständig zerstört; Renovierung und Restaurierung dauern bis heute an.
Das Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper auf dem Max-Joseph-Platz © Felix Löchner // Direkt daneben befindet sich das Residenztheater. © Gerhardt Kellermann
Am Ende der Residenz biege ich gleich rechts in die schmale Alfred-Goppel-Straße ein, wo sich – beim Hintereingang zur Residenz – ein kleiner Platz mit dem Kronprinz-Rupprecht-Brunnen öffnet, zu dem man ein paar Stufen hinaufsteigen muss. Rechts an diesem Platz befindet sich die Bayerische Akademie der Wissenschaften, links das Spanische Kulturinstitut, Instituto Cervantes. Zwischen dem Instituto Cervantes und dem dahinterliegenden Cuvilliéstheater gehe ich hindurch und betrete durch ein Tor in der Mauer auf der Feldherrnhalle rechten Seite den kleinsten öffentlich zugänglichen Garten der Münchner Altstadt, den Kabinettsgarten. Dieser kleine Ziergarten mit Brunnen und Blumen lädt mit seinen Bänken zum Rasten mitten im Zentrum ein. Gleich neben dem Gärtchen erhebt sich unübersehbar die Allerheiligen-Hofkirche – die die Hofkirche der Wittelsbacher war, allerdings schon lange nicht mehr als Kirche genutzt wird. Sie ist völlig ausgeräumt und dient heute als Ort für musikalische Veranstaltungen, denen der große, leere, klare Raum beste Voraussetzungen für gelungene Klangerlebnisse bietet. Nachdem ich eine Weile im Kabinettsgarten müßig war, geschaut, gelauscht und nachgedacht habe, gehe ich zurück zur Alfred-Goppel-Straße, überquere sie und gelange zum Marstallplatz. Hier steht der namensgebende Marstall, die ehemalige Hofreitschule, die heute für Theaterveranstaltungen des Residenztheaters genutzt wird. In einer Ecke des Platzes liegt das Restaurant Brenner Grill, das mit seinen hohen Räumen und den Säulen besonders reizvoll ist.
Feldherrnhalle auf dem Odeonsplatz // Festsaalbau der Residenz
Die Alfons-Goppel-Straße endet nun, und zwar an der Maximilianstraße, die als Prachtstraße von König Maximilian II. gewünscht wurde, was der Architekt Friedrich Bürklein Residenz umsetzte. Sie beginnt in der Altstadt am Max-Joseph-Platz und endet an der Isar bei der Maximiliansbrücke mit dem Maxmilianeum als Abschluss. Um die Schönheit der Maximilianstraße gebührend spüren zu können, begibt man sich am besten an ihren Anfang, zum Max-Joseph-Platz, und stellt sich in die Mitte der Perusastraße, die zum Glück Fußgängerzone ist. Hier hat man nicht nur einen guten Blick auf den Max-Joseph-Platz mit dem Denkmal für König Max I. Joseph (1756–1825) in der Mitte, dem Residenztheater und dem Nationaltheater, hier kann man darüber hinaus die Maximilianstraße in ihrer ganzen Schönheit würdigen: die einheitlich gestalteten Fassaden, das harmonische Gesamtbild, das Maxmonument und als krönenden Abschluss das Maximilianeum hoch über der Isar. Für mich ist die Maximilianstraße in ihrer Gesamtgestaltung die schönste Straße der Welt. Die Ansammlung von teuren Modeboutiquen und Schmuckgeschäften, die es hier natürlich auch gibt, mag in jeder Weltstadt ähnlich sein, aber der architektonische Gesamteindruck dieser historischen Prachtstraße ist beglückend; weder die Champs Elysées noch die Wiener Ringstraße, die ja leider zu mehrspurigen Autostraßen mit Gehsteigbegleitung verkommen sind, können da mithalten. Als kleinen Minus-Kabinettsgartenpunkt muss man anmerken, dass die Gehwege zu schmal geraten sind für die vielen Menschen, die sich hier tummeln.
Am Ende der Maximilianstraße thront das Maximilianeum, der Sitz des Bayerischen Landtags. © Rolf Poss
Ich gehe nun die Maximilianstraße entlang Richtung Maximilianeum. Dort, wo rechts die Straße Am Kosttor abzweigt, kann man einen Blick auf das Platzl mit dem Hofbräuhaus riskieren – falls zwischen den Menschenmassen etwas zu entdecken ist. Das Hotel Vier Jahreszeiten, das 1858 eröffnet wurde, in dem schon Kaiserin Sisi, Elizabeth Taylor und Michael Jackson nächtigten, liegt natürlich auch in dieser Prunkstraße. Auf der rechten Seite folgen die Münchner Kammerspiele, das schönste Jugendstil-Schauspielhaus Deutschlands, 1900/01 erbaut. Nach Überquerung der Herzog-Rudolf-Straße kann ich, bevor ich auf den Altstadtring stoße, noch etwas zur Literatur während dieses literarischen Spaziergangs beitragen: Rechts auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat die Stadt München eine Gedenktafel angebracht, hoch über dem Eingang des Armani-Ladens, sodass sie leicht übersehen wird. Der Dramatiker Henrik Ibsen lebte und arbeitete von 1885 bis 1891 hier, im Hemmeterhaus, Maximilianstraße 32. Der Norweger schrieb in München Die Stützen der Gesellschaft, Nora oder ein Puppenheim, Rosmersholm, Die Frau vom Meer und Hedda Gabler, viele seiner Stücke erlebten zudem in München ihre deutsche Erstaufführung.
Münchner Kammerspiele auf der Maximilianstraße © Thomas Steierer // Dramatiker Henrik Ibsen
Ich bin nun mittlerweile am Karl-Scharnagl-Ring angelangt, einem Abschnitt des Altstadtrings, der hier die Altstadt teilt und den Beginn des Stadtviertels Lehel markiert. Das Lehel, das zwischen der Altstadt und der Isar liegt, war früher als Isarüberschwemmungsgebiet von Bächen und Kanälen durchzogen; an der Ludwigsbrücke gab es einen großen Floßhafen. Das Holz wurde teilweise durch einen Kanal, den Triftkanal, zur Residenz geleitet, woran die Triftstraße bis heute erinnert. Von den ehemaligen Herbergshäusern, kleinen Gewerbetreibenden und Flößern ist heute nichts mehr übrig geblieben, da um 1900 wohlhabendere Bürger mit ihren großen Bürgerhäusern das Lehel eroberten. Eingeklemmt zwischen den beiden Museums- und Prachtstraßen Prinzregentenstraße und Maximilianstraße ist das Lehel heute eines der teuersten Stadtviertel von München.
Das Bayerische Nationalmuseum liegt auf der Prinzregentenstraße im Münchner Lehel.
Jenseits des Altstadtrings weitet sich die Maximilianstraße und man kann unter Bäumen am Gebäude der Regierung von Oberbayern entlangschlendern; gegenüber liegt das Museum Fünf Kontinente. Hier ist angenehmes Flanieren zu zweit möglich, auch für Entgegenkommende ist genug Platz auf dem breiten Trottoir, keiner muss ausweichen, entspannt geht man seiner Wege. Mitten in der Straße erhebt sich auf einer Verkehrsinsel das riesige Maxmonument, das für Maximilian II. nach seinem überraschenden Tod 1864 errichtet wurde.
Das Museum Fünf Kontinente auf der Maximilianstraße beherbergt Sammlungen zu Völkerkunde und Kunstwerke außereuropäischer Kulturen. © MFK
Ich betrachte den König aber inzwischen nur aus der Distanz und widme mich noch anderen Denkmälern – vor der Regierung von Oberbayern wird an wichtige militärische Staatsmänner erinnert: Hier stehen die Bronzestatuen von Graf von Deroy, einem General aus der Zeit der napoleonischen Kriege, und von Benjamin Thompson, Graf von Rumford, der General, Physiker und Reformer war und beispielsweise die Rumford-Suppe erfand. Gegenüber, vor dem Museum Fünf Kontinente, werden eher die geistigen Größen geehrt. Hier stehen die Bronzestatuen von Joseph von Fraunhofer, einem großen Naturwissenschaftler, nach dem die Fraunhofergesellschaft benannt ist, und die Statue des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der unter anderem in München lehrte.
Graf von Deroy, Graf von Rumford, Joseph von Fraunhofer, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Im Regierungsgebäude von Oberbayern gibt es einen Durchgang; hier beginnt die St.-Anna-Straße, die ich noch erkunden möchte. Vorbei an kleineren Stadthäusern und am Hotel Opera mit seiner eigenwilligen, sehr sehenswerten Fassade, an einigen Lokalen und kleinen Geschäften schlendere ich gemächlich und stoße auf die große neuromanische katholische Pfarrkirche St. Anna im Lehel, die 1887–1892 von Gabriel von Seidl erbaut wurde. Gegenüber der Kirche – etwas unscheinbar, da ohne Kirchturm – befindet sich im Kloster St. Anna die von Johann Michael Fischer 1737 vollendete Klosterkirche St. Anna im Lehel. Diese Kirche mit ihrem ovalen Raum und der großartigen Ausstattung durch die Asam-Brüder ist in meinen Augen in ihrer Gesamtkomposition aus Form, Größe, Licht und fein ausgestatteten Nebenaltären der schönste Kirchenraum Münchens. Wer noch größere Pracht liebt, der muss natürlich die Asamkirche in der Sendlinger Straße besuchen, deren Innenraum die Brüder Asam noch prunkvoller verziert haben.
Plan der Pfarrkirche St. Anna im Lehel, erbaut von Gabriel von Seidl
Aus der kleinen, wunderschönen Klosterkirche kommend, gehe ich vorbei an der platzdominierenden neuromanischen Kirche Richtung St.-Anna-Platz 2. Hier verbrachte Lion Feuchtwanger seine Kindheit, woran auch eine Gedenktafel erinnert. Der St.-Anna-Platz endet an der Triftstraße, in die ich rechts einbiege und die wiederum am Thierschplatz endet. Hier gibt es die U-Bahn-Station Lehel, auch mit der Straßenbahn könnte man sich nun weiterbewegen, sollte sich der Spaziergang schon bemerkbar machen. Ich jedenfalls folge der Thierschstraße bis zum Maxmonument. An der Mündung der Thierschstraße sozusagen gibt es rechter Hand das GOP Varieté-Theater, das ein Ableger des traditionsreichen Mutterhauses in Hannover ist. Der große Neorenaissancebau links beherbergt das Wilhelmsgymnasium. Über dem Eingang in der Thierschstraße prangt noch ein „K.“ vor der Schulbezeichnung, was daran erinnert, dass die heute staatliche Schule einst ein königliches Gymnasium war. Das Gymnasium ist aber viel älter als das Königreich Bayern, es ist über 450 Jahre alt und damit das älteste noch erhaltene Gymnasium in München. 1559 wurde es als Jesuitengymnasium gegründet, 1849 nach Herzog Wilhelm V. benannt. Im Lehel, an diesem Standort, befindet sich das Gymnasium allerdings erst seit etwas über hundert Jahren; das Schulgebäude wurde von Karl Leimbach geplant und von 1875 bis 1877 erbaut. Hier machte nicht nur Lion Feuchtwanger sein Abitur; zahlreiche bekannte Münchner Persönlichkeiten von Carl Spitzweg, Ludwig Thoma und Ödön von Horvath über Klaus und Golo Mann bis zu Konstantin Wecker gingen hier als Schüler ein und aus, Letzterer hat uns ja schon von seinen Erlebnissen im Wilhelmsgymnasium berichtet.
Maxmonument: König Maximilian II. von Bayern blickt auf München
Am Maxmonument steige ich auf die Stufen, schaue noch einmal in Richtung Max-Joseph-Platz, dann zum Maximilianeum und genieße die Schönheit dieses Ensembles. Das Maxmonument, 1875 aus Bronze errichtet, beeindruckt mit seiner Höhe von über zehn Metern. Auf dem Sockel steht majestätisch Maximilian II., König von Bayern, und blickt nach Westen zur Altstadt. Auf Stufen unter ihm sitzen vier Bronzefiguren, die Friedensliebe, Stärke, Gerechtigkeit und Weisheit, des Königs Tugenden, symbolisieren sollen. Im Süden ist von hier aus auch die große Kuppel der evangelischen Kirche St. Lukas deutlich sichtbar. Die Lukas-Kirche ist die größte evangelische Kirche Münchens und veranstaltet auch spannende Musikabende. Hier am Maxmonument und einer Haltestelle der Trambahn 19, mit der man entweder durch die Altstadt oder nach Haidhausen und zum Ostbahnhof fahren kann, endet mein literarischer Spaziergang.
Von Frank Wedekind bis Thomas Mann – ein literarischer Spaziergang durch München (2)>
Dr. Franz Klug ist der Leiter von Münchens ältester Buchhandlung, der Buchhandlung Lentner im Rathaus, die schon seit 1698 besteht. Jetzt hat der Bücherliebhaber und Münchenkenner selbst ein Buch verfasst: In München abseits der Pfade (Braumüller Verlag, 2016) bietet er eine etwas andere Reise durch die Weltstadt mit Herz, unter anderem auch einen literarischen Spaziergang durch die Maxvorstadt bis ins Lehel – reich an historischen Informationen zu Kunst- und Kulturgeschichte der Viertel und mit Insidertipps zu sehenswerten Orten und kulinarischen Empfehlungen.
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München literarisch
(Teil 2)
Die Brienner Straße führt, wähle ich den Weg nach rechts, über den Karolinenplatz mit dem Obelisken zum Königsplatz und damit in das Antike-Zentrum Münchens mit der Glyptothek und der Antikensammlung, außerdem zum Zentrum des Blauen Reiters, dem Lenbachhaus. In der Brienner Straße liegt zwischen Karolinenplatz und Königsplatz aber auch das neu errichtete NS-Dokumentationszentrum, womit München versucht, sich mit der unrühmlichen Rolle, die dieser Platz mit seinen angrenzenden Gebäuden während der Nazizeit gespielt hat, auseinanderzusetzen. Ich könnte am Ende der Türkenstraße auch nach links gehen, hier führt die Brienner Straße zum Odeonsplatz mit Residenz und Hofgarten. Ja, dazu entschließe ich mich, nach links also. Mein Weg führt mich zuerst am Komplex der Bayerischen Landesbank entlang; hier stand von 1848 bis zu seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg – der Abbruch erfolgte allerdings erst in den Sechzigerjahren – das Wittelsbacher Palais, in dem 1919 die Münchner Räterepublik beschlossen wurde. Ab 1933 war das Backsteingebäude Hauptquartier der Gestapo; eine Gedenktafel erinnert an die bewegte Geschichte des verschwundenen Gebäudes. An der Ecke Brienner Straße/Oskar-von-Miller-Ring stehe ich schon am Beginn der Altstadt: Massiv erhebt sich der Luitpoldblock, im Hintergrund ragen die Türme der Frauenkirche hoch auf, und es leuchtet das Grün des hier vom Platz der Opfer des Nationalsozialismus begrenzten Maximiliansparks, an dessen anderem Ende der imposante Wittelsbacherbrunnen steht, den wir ja schon kennengelernt haben.
Blaues Pferd von Franz Marc (1910) // Das NS-Dokumentationszentrum neben dem ehemaligen „Führerbau“ auf der Brienner Straße © Jens Weber
Ich gehe am Luitpoldblock mit seinem berühmten Café Luitpold vorbei, in dem einst Stefan George, Frank Wedekind, Klaus Mann und andere Größen der Münchner Kultur verkehrten. Schade, dass sich die Besitzer des Luitpoldblocks bisher nicht dazu entschließen konnten, den ehemaligen imposanten Kaffeehaussaal zu rekonstruieren! Durch die sehr begrenzte Raumhöhe des jetzigen Café Luitpold gehen doch Flair und Schönheit des einstigen Gründerzeit-Prachtbauwerks ein Stück weit verloren. Die Restaurantfläche im überdachten Innenhof kann diesen Mangel nur bedingt ausgleichen, obwohl hier wenigstens mehr Licht und Luft geboten werden. Weitergehend passiere ich links den Wittelsbacherplatz, wo in einem ehemaligen Palais heute die Siemens-Generaldirektion untergebracht ist. Ein Blickfang mitten auf diesem Platz ist das Denkmal für Maximilian I. (1573–1651), Herzog von Bayern und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches. Und dann endet die Brienner Straße am Odeonsplatz.
Blick auf den Königsplatz mit der Glypthothek, im Hintergrund werden das NS-Dokuzentrum, der Obesilk am Karolinenplatz und die Türme der Frauenkirche sichtbar © Jens Weber
Nach Norden führt die Ludwigstraße mit der Bayerischen Staatsbibliothek, der gut sichtbaren Ludwigskirche, vielen ehemaligen Palaisgebäuden, in denen heute teilweise Ministerien residieren, mit der Ludwig-Maximilians-Universität und dem Siegesdenkmal, das die Maxvorstadt von Schwabing abgrenzt. An schönen Tagen sind hinter dem Siegestor die Spitzen der Highlight-Towers – die weit außerhalb des Zentrums stehen – mit ihren über hundert Metern Höhe erkennbar. Die Ludwigstraße wurde genau wie die Brienner Straße bewusst als Prachtstraße angelegt. Während aber die markanten Bauten der Ludwigstraße dank der geraden Straßenführung gut sichtbar sind, verhindert in der Brienner Straße eine Biegung den Blick auf den Karolinenplatz mit Obelisken und den anschließenden Königsplatz. Am Odeonsplatz residiert das Bayerische Innenministerium, vor dem ein imposantes Reiterdenkmal des Namensgebers der Ludwigstraße, König Ludwig I. (1786–1868), steht. An der Ostseite des Odeonsplatzes entlang erstreckt sich das von Leo von Klenze 1825–1826 errichtete Bazargebäude, auf dem heute in goldenen Lettern Firmen- und Markennamen prangen. Hier ist das Café Tambosi beheimatet. Dieses Café ist benannt nach Luigi Tambosi, der die Kaffeehaustradition, die hier am Hofgarten schon seit 1774 besteht, im Bazargebäude fortführte und ein feines Hofcafé führte, das bis 1868 im Besitz der Familie Tambosi blieb. Sogar der Wiener Dramatiker Ferdinand Raimund rühmte den „Café famosi beim Tambosi“. Das Tambosi zeichnet sich dadurch aus, dass vor dem Café neben den Hofarkaden sommers wie winters Stühle stehen, und zwar in Reihen hintereinander, alle in dieselbe Richtung, auf denen Sonnensüchtige dem Kaffee, der Sonne und dem Licht huldigen und nebenbei Passanten und sich gegenseitig beobachten können. Wer das Tambosi jedoch besuchen möchte, muss sich beeilen, Ende 2016 verlassen die jetzigen Betreiber das Café und das Lokal wird umgebaut – wie es danach aussieht, steht in den Sternen.
Die Hofgartenarkaden jedoch sind dank T. S. Eliot überzeitlich unsterblich und in den internationalen Parnass eingegangen: Sie werden in Eliots berühmtem Gedichtband Waste Land gleich auf der ersten Seite erwähnt: „Summer surprised us, coming over the Starnbergersee / With a shower of rain; we stopped in the colonnade, / And went on in sunlight, into the Hofgarten, / And drank coffee, and talked for an hour.“ Zwischen Residenz und Theatinerkirche liegt der Bereich des Odeonsplatzes, der den Fußgängern vorbehalten ist. Am Südende des Platzes steht die Feldherrnhalle samt Löwen und Feldherren-Denkmälern. Die Titulierung Feldherrnhalle ist etwas irreführend, da hier keine Halle, sondern als Erinnerungsort ein hoher, offener Raum für Denkmäler geschaffen wurde. Lion Feuchtwanger lässt in seinem Roman Erfolg Herrn Hessreiter, einen der Protagonisten, über die Feldherrnhalle sinnieren: „Herr Hessreiter war jetzt auf den Odeonsplatz gelangt. Vor ihm hob sich die Feldherrnhalle, eine Nachbildung der Florentiner Loggia dei Lanzi, errichtet den beiden größten bayerischen Feldherren, Tilly und Wrede, von denen der eine kein Bayer und der andere kein Feldherr war. Herrn Hessreiter, sooft er die Feldherrnhalle sah, gab es einen kleinen Stich. Er erinnerte sich, welche Freude er als ganz junger Mensch gehabt hatte an dem schönen Bauwerk, das der Architekt Gärtner mit sicherem Takt als Abschluß der Ludwigstraße hingesetzt hatte. Aber schon als Knabe hatte er erleben müssen, daß man auf die Treppenwangen zwei schreitende Löwen setzte, die strenge, vertikale Wirkung des Bauwerks zerstörend. Später dann hatten die Hammel die Rückwand der Halle mit einer blöden, akademischen Aktgruppe verhunzt, dem sogenannten Armeedenkmal.“
Die Theatinerkirche mit Beleuchtung bei Nacht // Blick aus dem Hofgarten
Ich betrete nun durch das Tor neben der Residenz den Hofgarten. Dieser wird umrahmt von Arkaden, vom Bazarhaus, Das Tambosi vom Theatermuseum, von der Staatskanzlei und der Residenz, an der ich nun entlanggehe. Die Residenz, die vom Odeonsplatz und vom Hofgarten bis zum Max-Joseph-Platz reicht, ist vor allem für Geschichtssüchtige immer einen Besuch wert. An dieser Stelle wurde schon im vierzehnten Jahrhundert eine „Veste“ errichtet, Renaissance, Barock, Rokoko und Klassizismus hinterließen durch die Jahrhunderte ebenfalls ihre Spuren wie natürlich die Kriege, die München heimsuchten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Residenz schwer getroffen, das Dach war fast vollständig zerstört; Renovierung und Restaurierung dauern bis heute an.
Das Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper auf dem Max-Joseph-Platz © Felix Löchner // Direkt daneben befindet sich das Residenztheater. © Gerhardt Kellermann
Am Ende der Residenz biege ich gleich rechts in die schmale Alfred-Goppel-Straße ein, wo sich – beim Hintereingang zur Residenz – ein kleiner Platz mit dem Kronprinz-Rupprecht-Brunnen öffnet, zu dem man ein paar Stufen hinaufsteigen muss. Rechts an diesem Platz befindet sich die Bayerische Akademie der Wissenschaften, links das Spanische Kulturinstitut, Instituto Cervantes. Zwischen dem Instituto Cervantes und dem dahinterliegenden Cuvilliéstheater gehe ich hindurch und betrete durch ein Tor in der Mauer auf der Feldherrnhalle rechten Seite den kleinsten öffentlich zugänglichen Garten der Münchner Altstadt, den Kabinettsgarten. Dieser kleine Ziergarten mit Brunnen und Blumen lädt mit seinen Bänken zum Rasten mitten im Zentrum ein. Gleich neben dem Gärtchen erhebt sich unübersehbar die Allerheiligen-Hofkirche – die die Hofkirche der Wittelsbacher war, allerdings schon lange nicht mehr als Kirche genutzt wird. Sie ist völlig ausgeräumt und dient heute als Ort für musikalische Veranstaltungen, denen der große, leere, klare Raum beste Voraussetzungen für gelungene Klangerlebnisse bietet. Nachdem ich eine Weile im Kabinettsgarten müßig war, geschaut, gelauscht und nachgedacht habe, gehe ich zurück zur Alfred-Goppel-Straße, überquere sie und gelange zum Marstallplatz. Hier steht der namensgebende Marstall, die ehemalige Hofreitschule, die heute für Theaterveranstaltungen des Residenztheaters genutzt wird. In einer Ecke des Platzes liegt das Restaurant Brenner Grill, das mit seinen hohen Räumen und den Säulen besonders reizvoll ist.
Feldherrnhalle auf dem Odeonsplatz // Festsaalbau der Residenz
Die Alfons-Goppel-Straße endet nun, und zwar an der Maximilianstraße, die als Prachtstraße von König Maximilian II. gewünscht wurde, was der Architekt Friedrich Bürklein Residenz umsetzte. Sie beginnt in der Altstadt am Max-Joseph-Platz und endet an der Isar bei der Maximiliansbrücke mit dem Maxmilianeum als Abschluss. Um die Schönheit der Maximilianstraße gebührend spüren zu können, begibt man sich am besten an ihren Anfang, zum Max-Joseph-Platz, und stellt sich in die Mitte der Perusastraße, die zum Glück Fußgängerzone ist. Hier hat man nicht nur einen guten Blick auf den Max-Joseph-Platz mit dem Denkmal für König Max I. Joseph (1756–1825) in der Mitte, dem Residenztheater und dem Nationaltheater, hier kann man darüber hinaus die Maximilianstraße in ihrer ganzen Schönheit würdigen: die einheitlich gestalteten Fassaden, das harmonische Gesamtbild, das Maxmonument und als krönenden Abschluss das Maximilianeum hoch über der Isar. Für mich ist die Maximilianstraße in ihrer Gesamtgestaltung die schönste Straße der Welt. Die Ansammlung von teuren Modeboutiquen und Schmuckgeschäften, die es hier natürlich auch gibt, mag in jeder Weltstadt ähnlich sein, aber der architektonische Gesamteindruck dieser historischen Prachtstraße ist beglückend; weder die Champs Elysées noch die Wiener Ringstraße, die ja leider zu mehrspurigen Autostraßen mit Gehsteigbegleitung verkommen sind, können da mithalten. Als kleinen Minus-Kabinettsgartenpunkt muss man anmerken, dass die Gehwege zu schmal geraten sind für die vielen Menschen, die sich hier tummeln.
Am Ende der Maximilianstraße thront das Maximilianeum, der Sitz des Bayerischen Landtags. © Rolf Poss
Ich gehe nun die Maximilianstraße entlang Richtung Maximilianeum. Dort, wo rechts die Straße Am Kosttor abzweigt, kann man einen Blick auf das Platzl mit dem Hofbräuhaus riskieren – falls zwischen den Menschenmassen etwas zu entdecken ist. Das Hotel Vier Jahreszeiten, das 1858 eröffnet wurde, in dem schon Kaiserin Sisi, Elizabeth Taylor und Michael Jackson nächtigten, liegt natürlich auch in dieser Prunkstraße. Auf der rechten Seite folgen die Münchner Kammerspiele, das schönste Jugendstil-Schauspielhaus Deutschlands, 1900/01 erbaut. Nach Überquerung der Herzog-Rudolf-Straße kann ich, bevor ich auf den Altstadtring stoße, noch etwas zur Literatur während dieses literarischen Spaziergangs beitragen: Rechts auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat die Stadt München eine Gedenktafel angebracht, hoch über dem Eingang des Armani-Ladens, sodass sie leicht übersehen wird. Der Dramatiker Henrik Ibsen lebte und arbeitete von 1885 bis 1891 hier, im Hemmeterhaus, Maximilianstraße 32. Der Norweger schrieb in München Die Stützen der Gesellschaft, Nora oder ein Puppenheim, Rosmersholm, Die Frau vom Meer und Hedda Gabler, viele seiner Stücke erlebten zudem in München ihre deutsche Erstaufführung.
Münchner Kammerspiele auf der Maximilianstraße © Thomas Steierer // Dramatiker Henrik Ibsen
Ich bin nun mittlerweile am Karl-Scharnagl-Ring angelangt, einem Abschnitt des Altstadtrings, der hier die Altstadt teilt und den Beginn des Stadtviertels Lehel markiert. Das Lehel, das zwischen der Altstadt und der Isar liegt, war früher als Isarüberschwemmungsgebiet von Bächen und Kanälen durchzogen; an der Ludwigsbrücke gab es einen großen Floßhafen. Das Holz wurde teilweise durch einen Kanal, den Triftkanal, zur Residenz geleitet, woran die Triftstraße bis heute erinnert. Von den ehemaligen Herbergshäusern, kleinen Gewerbetreibenden und Flößern ist heute nichts mehr übrig geblieben, da um 1900 wohlhabendere Bürger mit ihren großen Bürgerhäusern das Lehel eroberten. Eingeklemmt zwischen den beiden Museums- und Prachtstraßen Prinzregentenstraße und Maximilianstraße ist das Lehel heute eines der teuersten Stadtviertel von München.
Das Bayerische Nationalmuseum liegt auf der Prinzregentenstraße im Münchner Lehel.
Jenseits des Altstadtrings weitet sich die Maximilianstraße und man kann unter Bäumen am Gebäude der Regierung von Oberbayern entlangschlendern; gegenüber liegt das Museum Fünf Kontinente. Hier ist angenehmes Flanieren zu zweit möglich, auch für Entgegenkommende ist genug Platz auf dem breiten Trottoir, keiner muss ausweichen, entspannt geht man seiner Wege. Mitten in der Straße erhebt sich auf einer Verkehrsinsel das riesige Maxmonument, das für Maximilian II. nach seinem überraschenden Tod 1864 errichtet wurde.
Das Museum Fünf Kontinente auf der Maximilianstraße beherbergt Sammlungen zu Völkerkunde und Kunstwerke außereuropäischer Kulturen. © MFK
Ich betrachte den König aber inzwischen nur aus der Distanz und widme mich noch anderen Denkmälern – vor der Regierung von Oberbayern wird an wichtige militärische Staatsmänner erinnert: Hier stehen die Bronzestatuen von Graf von Deroy, einem General aus der Zeit der napoleonischen Kriege, und von Benjamin Thompson, Graf von Rumford, der General, Physiker und Reformer war und beispielsweise die Rumford-Suppe erfand. Gegenüber, vor dem Museum Fünf Kontinente, werden eher die geistigen Größen geehrt. Hier stehen die Bronzestatuen von Joseph von Fraunhofer, einem großen Naturwissenschaftler, nach dem die Fraunhofergesellschaft benannt ist, und die Statue des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der unter anderem in München lehrte.
Graf von Deroy, Graf von Rumford, Joseph von Fraunhofer, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
Im Regierungsgebäude von Oberbayern gibt es einen Durchgang; hier beginnt die St.-Anna-Straße, die ich noch erkunden möchte. Vorbei an kleineren Stadthäusern und am Hotel Opera mit seiner eigenwilligen, sehr sehenswerten Fassade, an einigen Lokalen und kleinen Geschäften schlendere ich gemächlich und stoße auf die große neuromanische katholische Pfarrkirche St. Anna im Lehel, die 1887–1892 von Gabriel von Seidl erbaut wurde. Gegenüber der Kirche – etwas unscheinbar, da ohne Kirchturm – befindet sich im Kloster St. Anna die von Johann Michael Fischer 1737 vollendete Klosterkirche St. Anna im Lehel. Diese Kirche mit ihrem ovalen Raum und der großartigen Ausstattung durch die Asam-Brüder ist in meinen Augen in ihrer Gesamtkomposition aus Form, Größe, Licht und fein ausgestatteten Nebenaltären der schönste Kirchenraum Münchens. Wer noch größere Pracht liebt, der muss natürlich die Asamkirche in der Sendlinger Straße besuchen, deren Innenraum die Brüder Asam noch prunkvoller verziert haben.
Plan der Pfarrkirche St. Anna im Lehel, erbaut von Gabriel von Seidl
Aus der kleinen, wunderschönen Klosterkirche kommend, gehe ich vorbei an der platzdominierenden neuromanischen Kirche Richtung St.-Anna-Platz 2. Hier verbrachte Lion Feuchtwanger seine Kindheit, woran auch eine Gedenktafel erinnert. Der St.-Anna-Platz endet an der Triftstraße, in die ich rechts einbiege und die wiederum am Thierschplatz endet. Hier gibt es die U-Bahn-Station Lehel, auch mit der Straßenbahn könnte man sich nun weiterbewegen, sollte sich der Spaziergang schon bemerkbar machen. Ich jedenfalls folge der Thierschstraße bis zum Maxmonument. An der Mündung der Thierschstraße sozusagen gibt es rechter Hand das GOP Varieté-Theater, das ein Ableger des traditionsreichen Mutterhauses in Hannover ist. Der große Neorenaissancebau links beherbergt das Wilhelmsgymnasium. Über dem Eingang in der Thierschstraße prangt noch ein „K.“ vor der Schulbezeichnung, was daran erinnert, dass die heute staatliche Schule einst ein königliches Gymnasium war. Das Gymnasium ist aber viel älter als das Königreich Bayern, es ist über 450 Jahre alt und damit das älteste noch erhaltene Gymnasium in München. 1559 wurde es als Jesuitengymnasium gegründet, 1849 nach Herzog Wilhelm V. benannt. Im Lehel, an diesem Standort, befindet sich das Gymnasium allerdings erst seit etwas über hundert Jahren; das Schulgebäude wurde von Karl Leimbach geplant und von 1875 bis 1877 erbaut. Hier machte nicht nur Lion Feuchtwanger sein Abitur; zahlreiche bekannte Münchner Persönlichkeiten von Carl Spitzweg, Ludwig Thoma und Ödön von Horvath über Klaus und Golo Mann bis zu Konstantin Wecker gingen hier als Schüler ein und aus, Letzterer hat uns ja schon von seinen Erlebnissen im Wilhelmsgymnasium berichtet.
Maxmonument: König Maximilian II. von Bayern blickt auf München
Am Maxmonument steige ich auf die Stufen, schaue noch einmal in Richtung Max-Joseph-Platz, dann zum Maximilianeum und genieße die Schönheit dieses Ensembles. Das Maxmonument, 1875 aus Bronze errichtet, beeindruckt mit seiner Höhe von über zehn Metern. Auf dem Sockel steht majestätisch Maximilian II., König von Bayern, und blickt nach Westen zur Altstadt. Auf Stufen unter ihm sitzen vier Bronzefiguren, die Friedensliebe, Stärke, Gerechtigkeit und Weisheit, des Königs Tugenden, symbolisieren sollen. Im Süden ist von hier aus auch die große Kuppel der evangelischen Kirche St. Lukas deutlich sichtbar. Die Lukas-Kirche ist die größte evangelische Kirche Münchens und veranstaltet auch spannende Musikabende. Hier am Maxmonument und einer Haltestelle der Trambahn 19, mit der man entweder durch die Altstadt oder nach Haidhausen und zum Ostbahnhof fahren kann, endet mein literarischer Spaziergang.