Die Autorin Mercedes Lauenstein über den Narzissmus des Schreibens
Mercedes Lauenstein lebt als freie Journalistin und Schriftstellerin in München. Für ihr literarisches Debüt, den Episodenroman Nachts (Aufbau Verlag), hat sie 2016 den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur erhalten. Journalistisch schreibt sie oft über Themen der modernen Lebenswelt, sie schildert Alltagsbeobachtungen, diskutieret Zeitgeist. In dem folgenden Beitrag setzt sie sich mit dem Schreiben selbst auseinander.
*
Literatur, diese narzisstisch verklemmte Blabla-Scheiße
Schreiben ist Wichtigtuerei, Arroganz, Aufmerksamkeitsgeilheit und erbärmlichste Bedürftigkeit. Warum ich trotzdem schreibe
Jetzt ist es noch zu früh zum Schreiben, es ist 19.19 Uhr, und ich schreibe am liebsten nachts. Und zu heiß ist es auch, und damit ich das ertrage, halte ich meine Klamotten in regelmäßigen Abständen unters kalte Wasser und ziehe sie tropfend wieder an. Aber „zu früh" gilt heute nicht als Argument, denn morgen muss ich ausnahmsweise mal um halb sieben aufstehen, und da ist meine Nachtaktivität fehl am Platz, denn ich brauche etwa neun Stunden Schlaf, damit ich überhaupt zu etwas tauge. Aber ich traue mich natürlich nicht, einfach so knallhart anzufangen mit dem Schreiben, denn ich habe Angst vorm Schreiben – klar, eh, immer – ich will ja, dass mein Text gut wird, dass man ihn leicht und gern liest und nicht sofort wieder vergisst.
Vor meiner Tür steht mein kleines Moped, ein italienisches von 1976, und es hat 45.598 Kilometer drauf. Ich selbst bin damit vielleicht 500 gefahren, maximal. Ich hätte gern, dass mein kleines Moped mit mir spricht, mir erzählt, wer die anderen 44-tausendirgendwas gefahren ist und was dabei alles so passiert ist. Aber es spricht ja nicht, und wahrscheinlich hat es Recht damit, weil es etwas kapiert hat, das ich nie dauerhaft kapieren werde: dass wir ja nur das Jetzt haben und dass das reichen muss und man deshalb nicht immer so viel nostalgisches Blabla betreiben soll.
Jetzt, apropos jetzt: Ich glaube, jetzt wird es das Beste sein, wenn ich meine Wäsche in den Waschsalon bringe, denn wenn ich das getan habe, steht die Sonne genau richtig tief, so dass der Englische Garten sich leert und endlich Platz macht für mich, die auf ihrem Moped in Badeanzug und Bademantel angefahren kommt, in ihren löchrigen Espandrilles zum abendstill dahinfließenden Eisbach latscht, schnell reinglitscht und sich kopfunter ein paar Meter treiben lässt. Ja, es wird das Beste sein, wenn ich das jetzt tue und dann wiederkomme und dann erst schreibe.
Jetzt ist es 22.34 Uhr, nach dem Bad im Bach bin ich noch ein Weilchen barfuß gegangen und dann bin ich tropfnass aufs Moped und durch die immer noch mindestens 38 Grad warme Abendluft nach Hause gefahren. Allerdings mit etwa viertausend Umwegen, aber der Abend war so schön, mit so viel Italia-Gefühl in der Luft und tollen Autos mit glänzenden Lichtern unter rosa-milchig-grünem-blasstürkisem Abendhimmel.
Und der nasse Badeanzug unter meinem Bademantel war überhaupt nicht kalt im Fahrtwind, sondern nur perfekt erfrischend. So perfekt, so genau-jetzt-perfekt, dass ich einfach immer noch eine Runde fahren musste. Und das Moped hat mich bestärkt, in seiner Nichtsprache, und für einen kurzen Moment hatte ich einfach mal keine weiteren Fragen mehr.
Dann war es dunkel und ich bin nach Hause, und dann musste ich natürlich erst mal duschen und Wäsche aufhängen und sehr lange im Internet nach 125er-Choppern suchen. Beim Mopedfahren ist mir nämlich mal wieder aufgefallen, dass ich mein kleines Moped zwar sehr liebe und niemals verkaufen würde, aber dass es manchmal ruhig ein bisschen schneller sein dürfte als 42 km/h. Also muss ich vielleicht bald mal einen 125er-Schein machen und auf einen 125-er Chopper sparen, als Zweitmaschine sozusagen.
Der Moment danach
Jetzt habe ich eine lange Liste schöner Chopper abgespeichert und immer noch keinen Text produziert. Obwohl, halt – immerhin schon fast 3000 Zeichen. Aber die kann ich ja nicht so stehen lassen. Oder doch? Oh Mann, das nenn ich mal faules Schreiben, einfach so draufloslabern und das dann als Text verkaufen. Andererseits, hab ich jemals einen Text anders geschrieben?
Ich schreibe, wenn man das mal hart beurteilen will, ja sowieso nur Labertexte über Alltagskram, Texte, die also im Grunde kein Mensch braucht, obwohl sie mir selbst so essenziell erscheinen. Und jetzt werde ich plötzlich wieder schrecklich traurig und deprimiert und fange an, mich zu hassen, denn das ist mein wundes Thema, dieses ewige „Warum schreib ich überhaupt und was schreib ich da eigentlich und wer braucht's und warum nehme ich meinen Arsch nicht in die Hand und mache mal was, was irgendwie ehrlicher und cooler und lustiger und lässiger und handfester ist"-Thema. Es schreiben viel zu viele Menschen ihre ganzen pathetischen Ich-Gedanken irgendwohin.
Schreiben ist Wichtigtuerei, Arroganz, Aufmerksamkeitsgeilheit, totaler Narzissmus und erbärmlichste Bedürftigkeit – alles, was unsympathisch ist und anstrengend. Soviel, wie geschrieben wird, kann und soll man nicht lesen. Und man soll sowieso nicht den ganzen Tag so dümmlich und denaturiert vor irgendwelchen Bildschirmscheiben sitzen, reinglotzen und rumklicken. Wie absurd das ist! Es macht einen stumpf im Hirn, und Rückenschmerzen macht es auch.
Aber mein Schreibdilemma ist eine peinliche Heulerei, die mich nicht weiterbringt. Denn es ist ja nicht so, dass ich umsatteln würde zu einem handfesteren Beruf. Oder doch? Ich wäre gerne Handwerker oder Arzt oder Bauer oder irgendwas, das wirklich gebraucht wird und das jeden Muskel bewegt und einen abends so ganzheitlich erschöpft ins Bett sacken lässt. Ich will nichts mehr zu tun haben mit dieser narzisstisch verklemmten Blabla-Scheiße der Branche, in der ich mich bewege und zu der ich auf gar keinen Fall gehören möchte. Ich will nicht schreiben. Und will es doch. Beziehungsweise: will geschrieben haben. Ich will einfach immer schon geschrieben haben und dann etwas anderes machen. Denn das ist ja der beste Moment: etwas getan haben und sich darauf ausruhen können. Dann ist kurz Frieden.
Die Autorin Mercedes Lauenstein über den Narzissmus des Schreibens>
Mercedes Lauenstein lebt als freie Journalistin und Schriftstellerin in München. Für ihr literarisches Debüt, den Episodenroman Nachts (Aufbau Verlag), hat sie 2016 den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur erhalten. Journalistisch schreibt sie oft über Themen der modernen Lebenswelt, sie schildert Alltagsbeobachtungen, diskutieret Zeitgeist. In dem folgenden Beitrag setzt sie sich mit dem Schreiben selbst auseinander.
*
Literatur, diese narzisstisch verklemmte Blabla-Scheiße
Schreiben ist Wichtigtuerei, Arroganz, Aufmerksamkeitsgeilheit und erbärmlichste Bedürftigkeit. Warum ich trotzdem schreibe
Jetzt ist es noch zu früh zum Schreiben, es ist 19.19 Uhr, und ich schreibe am liebsten nachts. Und zu heiß ist es auch, und damit ich das ertrage, halte ich meine Klamotten in regelmäßigen Abständen unters kalte Wasser und ziehe sie tropfend wieder an. Aber „zu früh" gilt heute nicht als Argument, denn morgen muss ich ausnahmsweise mal um halb sieben aufstehen, und da ist meine Nachtaktivität fehl am Platz, denn ich brauche etwa neun Stunden Schlaf, damit ich überhaupt zu etwas tauge. Aber ich traue mich natürlich nicht, einfach so knallhart anzufangen mit dem Schreiben, denn ich habe Angst vorm Schreiben – klar, eh, immer – ich will ja, dass mein Text gut wird, dass man ihn leicht und gern liest und nicht sofort wieder vergisst.
Vor meiner Tür steht mein kleines Moped, ein italienisches von 1976, und es hat 45.598 Kilometer drauf. Ich selbst bin damit vielleicht 500 gefahren, maximal. Ich hätte gern, dass mein kleines Moped mit mir spricht, mir erzählt, wer die anderen 44-tausendirgendwas gefahren ist und was dabei alles so passiert ist. Aber es spricht ja nicht, und wahrscheinlich hat es Recht damit, weil es etwas kapiert hat, das ich nie dauerhaft kapieren werde: dass wir ja nur das Jetzt haben und dass das reichen muss und man deshalb nicht immer so viel nostalgisches Blabla betreiben soll.
Jetzt, apropos jetzt: Ich glaube, jetzt wird es das Beste sein, wenn ich meine Wäsche in den Waschsalon bringe, denn wenn ich das getan habe, steht die Sonne genau richtig tief, so dass der Englische Garten sich leert und endlich Platz macht für mich, die auf ihrem Moped in Badeanzug und Bademantel angefahren kommt, in ihren löchrigen Espandrilles zum abendstill dahinfließenden Eisbach latscht, schnell reinglitscht und sich kopfunter ein paar Meter treiben lässt. Ja, es wird das Beste sein, wenn ich das jetzt tue und dann wiederkomme und dann erst schreibe.
Jetzt ist es 22.34 Uhr, nach dem Bad im Bach bin ich noch ein Weilchen barfuß gegangen und dann bin ich tropfnass aufs Moped und durch die immer noch mindestens 38 Grad warme Abendluft nach Hause gefahren. Allerdings mit etwa viertausend Umwegen, aber der Abend war so schön, mit so viel Italia-Gefühl in der Luft und tollen Autos mit glänzenden Lichtern unter rosa-milchig-grünem-blasstürkisem Abendhimmel.
Und der nasse Badeanzug unter meinem Bademantel war überhaupt nicht kalt im Fahrtwind, sondern nur perfekt erfrischend. So perfekt, so genau-jetzt-perfekt, dass ich einfach immer noch eine Runde fahren musste. Und das Moped hat mich bestärkt, in seiner Nichtsprache, und für einen kurzen Moment hatte ich einfach mal keine weiteren Fragen mehr.
Dann war es dunkel und ich bin nach Hause, und dann musste ich natürlich erst mal duschen und Wäsche aufhängen und sehr lange im Internet nach 125er-Choppern suchen. Beim Mopedfahren ist mir nämlich mal wieder aufgefallen, dass ich mein kleines Moped zwar sehr liebe und niemals verkaufen würde, aber dass es manchmal ruhig ein bisschen schneller sein dürfte als 42 km/h. Also muss ich vielleicht bald mal einen 125er-Schein machen und auf einen 125-er Chopper sparen, als Zweitmaschine sozusagen.
Der Moment danach
Jetzt habe ich eine lange Liste schöner Chopper abgespeichert und immer noch keinen Text produziert. Obwohl, halt – immerhin schon fast 3000 Zeichen. Aber die kann ich ja nicht so stehen lassen. Oder doch? Oh Mann, das nenn ich mal faules Schreiben, einfach so draufloslabern und das dann als Text verkaufen. Andererseits, hab ich jemals einen Text anders geschrieben?
Ich schreibe, wenn man das mal hart beurteilen will, ja sowieso nur Labertexte über Alltagskram, Texte, die also im Grunde kein Mensch braucht, obwohl sie mir selbst so essenziell erscheinen. Und jetzt werde ich plötzlich wieder schrecklich traurig und deprimiert und fange an, mich zu hassen, denn das ist mein wundes Thema, dieses ewige „Warum schreib ich überhaupt und was schreib ich da eigentlich und wer braucht's und warum nehme ich meinen Arsch nicht in die Hand und mache mal was, was irgendwie ehrlicher und cooler und lustiger und lässiger und handfester ist"-Thema. Es schreiben viel zu viele Menschen ihre ganzen pathetischen Ich-Gedanken irgendwohin.
Schreiben ist Wichtigtuerei, Arroganz, Aufmerksamkeitsgeilheit, totaler Narzissmus und erbärmlichste Bedürftigkeit – alles, was unsympathisch ist und anstrengend. Soviel, wie geschrieben wird, kann und soll man nicht lesen. Und man soll sowieso nicht den ganzen Tag so dümmlich und denaturiert vor irgendwelchen Bildschirmscheiben sitzen, reinglotzen und rumklicken. Wie absurd das ist! Es macht einen stumpf im Hirn, und Rückenschmerzen macht es auch.
Aber mein Schreibdilemma ist eine peinliche Heulerei, die mich nicht weiterbringt. Denn es ist ja nicht so, dass ich umsatteln würde zu einem handfesteren Beruf. Oder doch? Ich wäre gerne Handwerker oder Arzt oder Bauer oder irgendwas, das wirklich gebraucht wird und das jeden Muskel bewegt und einen abends so ganzheitlich erschöpft ins Bett sacken lässt. Ich will nichts mehr zu tun haben mit dieser narzisstisch verklemmten Blabla-Scheiße der Branche, in der ich mich bewege und zu der ich auf gar keinen Fall gehören möchte. Ich will nicht schreiben. Und will es doch. Beziehungsweise: will geschrieben haben. Ich will einfach immer schon geschrieben haben und dann etwas anderes machen. Denn das ist ja der beste Moment: etwas getan haben und sich darauf ausruhen können. Dann ist kurz Frieden.