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18.11.2016, 10:30 Uhr
Harald Beck
Text & Debatte

Über Thomas Manns Lesung aus seiner Novelle „Gladius Dei“

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(c) Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich

Am einem winterlich kalten Abend im November 1901 – die Zeitungen berichten ausführlich über den Prozess des legendären Räubers Mathias Kneißl ­– macht sich ein fünfundzwanzigjähriger, aufstrebender Autor des S. Fischer-Verlags auf den Weg von seinem bescheidenen Zimmer in der Schwabinger Feilitzschstraße 5 zu Heinrich Eckels Wein-Restauration in der Theresienstraße 23 [1], um vor dem Akademisch-dramatischen Verein aus eigenen Werken vorzutragen. „Alle Welt geht hin“, prophezeit er seinem Freund Otto Grauthoff, und tatsächlich war das „Sälchen“ am 18. November bis auf den letzten Platz gefüllt, als Thomas Mann zu lesen beginnt.

Bereits einen Monat vor der Veröffentlichung der Buddenbrooks hatte er dort im Januar seine skurrile Geschichte Der Weg zum Friedhof vorgetragen. Diesmal brachte er das Schulkapitel aus den Buddenbrooks und eine unveröffentlichte Erzählung mit: Gladius Dei.

Noch im August des Jahres hatte Mann, vermutlich aus Mitterbad bei Meran, eine frühe Fassung an den Insel-Verlag gesandt, die er am 11. September reklamierte.

Der erste Hinweis auf die Konzeption von Gladius Dei aber findet sich schon in einem Notizbuch von 1898/99: „Der christliche Jüngling im Kunstladen (Psychol. Vorstudie zu Savonarola)“

Wie Savonarola trägt der junge Held der Erzählung den Namen Hieronymus und eine mönchische Kapuze, wie er ist er Bilderstürmer im Kampf gegen moralische Verkommenheit, wie er lebt er in Florenz, allerdings seiner nördlichen Variante, dem aufblühenden Isar-Florenz.

Girolamo Savonarola (1452-1498)

Seinem Freund Richard von Schaukal vertraut Mann im Juli 1902 an, dass er in seiner „moderne[n] Studie zu einem Savonarola-Einakter“ bewusst „München als eine Art quattro-cento-Florenz stilisirt“ hat:

München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten, schönen Junitags.

Die Beschreibung des genius loci schließt, wie sie beginnt:

Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt. Eine allseitige respektvolle Anteilnahme an ihrem Gedeihen, eine allseitige, fleißige und hingebungsvolle Übung und Propaganda in ihrem Dienste, ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schönheit obwaltet ... München leuchtete.

***

Der Leseabend im Akademisch-dramatischen Verein scheint – mit einer Einschränkung – durchaus erfreulich gewesen zu sein. So berichtet Mann am 27. November dem befreundeten Carl Ehrenberg, dass er „ein Schreiben von einem Münchener Architekten, der meiner Vorlesung beigewohnt hatte und sich besonders für Gladius Dei begeisterte“, erhalten habe. Er fährt fort: „So was thut immer wohl, und ich sehe daraus, daß Andere besser aufgepaßt haben, als dieses Schaf von den ‚Neuesten Nachrichten‘.“ Am Mittwoch, den 20. November 1901 erschien die ominöse Besprechung des Vortragsabends durch Hanns von Gumppenberg, einem Schriftstellerkollegen und Mitglied der Elf Scharfrichter, die hier ungekürzt wiedergegeben sei:

H. v. G. Im Akademisch-dramatischen Verein las am Montag Thomas Mann, der schon aus früheren literarischen Vortragsabenden und dem „Simplicissimus“ bekannte junge Erzähler, eigene Prosadichtungen humoristischen Charakters vor. In der Novelle „Gladius Dei“ schilderte er, wie ein fana­tischer Mönch in den Frieden einer Münchner Kunsthandlung einbricht, um die Entfernung eines allzu weltlichen Madonnenbildes zu verlangen, bis er endlich von dem Hausknecht des erbitterten Geschäftsinhabers unsanft vor die Thüre befördert wird. Die kleine Geschichte behandelt den ver­brauchten und an sich wenig ergiebigen Vorwurf unter Aufbietung aller Einzelheiten des Lokalmilieus mit unverhältnismäßig wichtig thuender Breite, ohne ihm neue Seiten abgewinnen zu können; ihr Humor ist oft recht gezwungen und gefällt sich in einer Wie­derholung steckbriefartiger Personalcharakteristiken, die mehr ermüdend als erheiternd wirkt. Beträchtlich höher stand die zweite Gabe des Abends, ein Kapitel Schulgeschichten aus Manns kürzlich erschienenem Familienroman „Die Buddenbrooks“, das an den jungen Leiden eines schwächlichen und feinnervigen Gymnasiasten theilnehmen läßt und dabei eine Anzahl Lehrer- und Schülergestalten in greifbarer Plastik vorführt. Hier ist der Humor ungleich lebensvoller und gelegentlich durch treffende psychologische Beobachtungen gewürzt. Der Verein und seine zahlreichen Gäste, für die sich der kleine Saal des Restaurants Eckel in der Theresienstraße fast als zu eng erwies, lauschten in heiterster Stimmung und spendeten dem Vortragenden reichen Beifall.

Gladius Dei wird 1902 (am 12. und 19. Juli) in Hermann Bahrs Wiener Zeitschrift Die Zeit abgedruckt. In Manns zweitem Novellenband Tristan von 1903 trägt die Erzählung zusätzlich die Widmung: „To M.S. in remembrance of our days in Florence“. Er hatte die Schwestern Mary und Edith Smith mit seinem Bruder Heinrich im Frühjahr 1901 in Florenz kennengelernt und vorübergehend sogar in Erwägung gezogen, Mary zu heiraten. Paul Ehrenberg lässt er wissen, dass sie aussehe, „als ob sie von Botticelli wäre, nur viel lustiger“. Ein durchaus hintergründiger Kommentar, der die Auseinandersetzung mit Savonarola verrät; hatte sich doch Botticelli unter seinem Einfluss von heidnischem, weiblichem Frohsinn in seinen Bildern losgesagt.

***

München leuchtete also am 18. November 1901 zum ersten Mal vor einem literarischen Publikum, und kein Bählamm von Kritiker hätte ahnen können, dass es an diesem Abend ausgerechnet einem „Zuagroasten“ aus dem hohen Norden gelungen war, Bayerns Hauptstadt zu ihrem erfolgreich-einprägsamen Motto zu verhelfen. Die Wendung muss ziemlich schnell Verbreitung gefunden haben, denn schon sieben Jahre später kann (vermutlich) Ludwig Thoma in der Zeitschrift März anlässlich der Ausstellung „München 1908“ in einem Kontext bierseliger Metaphorik darauf anspielen:

„München leuchtet.“ München ist glücklich. München ist ein einziger, riesiger Maßkrug, der, obwohl vom himmlischen Zapfkellner schlecht eingeschenkt, dennoch überschäumt von Wonne und Seligkeit.

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Seerose, Feilitzschstraße 32: Lesung von Walter Meckauer im Dezember 1952. Seerosen-Gründer Peter Paul Althaus (Klavier) und Gustl Weigert (Gesang)

[1] Beide Adressen sind über Thomas Mann hinaus von literarischer Bedeutung: Umgewidmet zur Nummer 32 beherbergt das Haus in der Feilitzschstraße später das Gasthaus Seerose und den Seerosenkreis, und im dritten Stock des Hauses in der Theresienstraße 23 (damals noch Nr. 12) wurde 1871 Christian Morgenstern geboren. Das Gebäude wurde 1945 zerstört. Außer einer allzu vagen Skizze von Morgensterns Vater ist bislang kein Bild des Hauses gefunden worden.

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