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08.09.2016, 11:13 Uhr
SAID
Text & Debatte

SAIDs Rede zur Verleihung des Rückert-Preises

Seit 1979 lebt der Autor SAID im Exil in München – als deutschsprachiger Dichter aus dem Iran. Von 1995 bis 1996 war er Beauftragter des „Writers in Prison Committee“ des deutschen P.E.N., von 2000 bis 2002 Präsident des Deutschen P.E.N-Zentrums. Für sein Engagement für verfolgte Schriftsteller und für sein literarisches Schaffen wurde SAID bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit der Hermann-Kesten-Medaillle, mit dem Förderpreis Literatur der Stadt München, dem Preis „Literatur im Exil“ der Stadt Heidelberg, dem Stipendium der Villa Aurora, Los Angeles, dem Adelbert von Chamisso-Preis, der Goethe-Medaille und dem Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbands. Im Rückert-Jahr 2016 erhielt SAID nun auch den Friedrich-Rückert-Preis der Stadt Schweinfurt. Wir veröffentlichen SAIDs Rede zur Preisverleihung.

*

„ich bin der welt abhanden gekommen“, schrieb friedrich rückert einmal.

er, der nach wien gegangen ist, um bei hammer-purgstall persisch zu lernen.

zu fuß?

zu fuß, denn er kam nicht als eroberer, sondern als pilger.

zu einer neuen sprache geht man immer zu fuß. man zeigt seine demut und seine bereitschaft

für eine neue welt.

lassen sie es mich mit rückerts zunge sagen:

„mit jeder sprache mehr / die du erlernst, befreist / du einen bis daher / in dir gefangenen

geist“.

und mit jeder sprache versuchte er die enge der stadt, der provinz, der nation und seiner zeit

zu überwinden –

durch das verstehende gefühl.

friedrich rückert war da ein ewiger pilgrim. er ist zu 44 sprachen gewandert. und so hat er

mehrere welten berührt, ohne sein vaterland, franken, zu verlassen. ohne die gewonnenen

gebiete als kolonie zu verstehen samt der einschlägigen verachtung oder als absatzmarkt für

waffen –

zum wohl der europäischen industrie.

hat so jemand nicht viele welten in sich und für sich?

aus welcher ist er denn gefallen?

aus der welt des koran, den er so hinreißend übersezet hat, ohne diesem glauben zu

verfallen?

könnte rückert sich dem koran hingeben ohne die überzeugung, daß eine religion alleine

niemals als vehikel für die wahrheit tauglich ist?

hat er nicht diese alte weisheit auch in seinem koran gefunden?

„doch kain verhärtete sein herz und tötete seinen bruder,

und so gehörte er nun zu den verlorenen.“  so der koran v/31

aus der welt von hafes, den er dank des geheimrats goethe kennen und lieben gelernt hatte?

eine liebe, die rückert zu einer sehr eigenen übersetzung veranlaßt hat. eine liebe, die den

fränkischen weltmann nie verließ?

und ich bin überzeugt, daß friedrich rückert auch nach al-andalus gepilgert ist, wie stets zu

fuß.

zur zeit des arabischen kalifats, zur eigentlichen geburtstunde europas. in der arabisch,

hebräisch und spanisch nebeneinander blühten und sich gegenseitig befruchteteten. gewiß hat

er auch jene bibel berührt, die ich einmal in der staatsbibliothek in münchen unter der

vitrine gesehen habe, dreisprachig: latein, arabisch und hebräisch.

vielleicht hat friedrich rückert diese bibel berührt mit seinem herzen. ahnte er doch, daß es

kaum ein jahrhundert später so ein exemplar nicht mehr geben wird.

und friedrich rückert ist sich treu geblieben.

er betrachte die welt, die er mental bereiste. er berührt sie, mit deren sprache. und gerade

deswegen war er fähig, diese welten nach franken zu bringen –

der camino real hieß die deutsche sprache.

zu seiner freude.

und heute müssen wir dankbar feststellen: auch zu unserer freude.

„ich bin gestorben dem weltgetümmel“, sagt er.

als ahnte er, daß die poltische entwicklung der welt ihn, den vielzüngigen, fallen läßt.

daß viel später flüchtlinge hierher kommen, nach

seinem deutschland. flüchtlinge, die eine der vielen sprachen gebrauchten, die rückert gelernt

hatte.

ob die flüchtenden ihn kennen und ihm dankbar bleiben?

hat er nicht – auch mit seinen gedichten das terrain bereitet für die kommenden?

„sieh, einwanderer kommen unaufhörlich an und landen in meinen gedichten.“

diese zeile von walt whitman, dem amerikanischsten lyriker, könnte auch von seinem

zeitgenossen rückert stammen.

kann so jemand aus der welt fallen?

und was ist das für eine welt, die diesen pilger fallen läßt.

die scheinbar vernünftige schlußfolgerung gebietet anzunehmen, daß der dichter weltfremd

war.

doch der wanderer beobachtete seine zeit genau und ragierte darauf.

zum beispiel mit seinen geharnischten sonetten, die er unter einem pseudonym gegen die

napoleonische besatzung schrieb.

freimund nannte er sich – was für ein nomen – gegen die sieger –

vielleicht wollte er nicht als flüchtling enden.

napoleon, jenes zweischneidige schwert der französischen revolution, die das bürgerliche

gesetzbuch mit sich brachte und den kolonialismus.

eine der vielen antworten auf den kolonialismus ist nun auch der politische islam, der sich

gerne als befreiungskampf versteht.

kann eine religion aber diese aufgabe übernehmen, ohne die spiriteulle kraft zu verlieren –

die die menschen benötigen?

kann man im namen des islam den gott lieben und seine geschöpfe massakrieren –

mit christlichen waffen?

kehren wir zurück zur poesie –

hat friedrich rückert ein vakuum hinterlassen?

ich bin altmodisch und behaupte:

im zeitalter des globalen austauschs zwischen den sprachen und kulturen –

salopp ausgedruck: im zeitalter der völkerwanderung –

ist rückert aktueller denn je. sein versuch, durch gegenseitiges verstehen vertrauen

zu gewinnen und somit zu einem versöhnten  miteinander zu gelangen, ist heute nötiger

als selbst in seiner zeit.

keine vergleiche, keine bewertung:

nur verstehen, um die schönheit zu finden, die die menschen verbindet.

dieser maxime ist freimund reimar treu geblieben.

„gottes ist der orient! gottes ist der okzident!“, schrieb johan wolfgang goethe, wie oft seiner zeit voraus.

diesem satz fügt der ostwestliche flüchtling seinen profanen hinzu:

das niemandsland dazwischen ist unseres –

wir können es nur mit liebe befruchten.

und nun, sehr geehrter herr oberbürgermeister sebastian remelé, meine damen und herren des

stadtrats, lieber herr rudolf kreutner, lieber freund josef haslinger, muß ich mich bedanken für

den friedrich-rückert-preis der stadt schweinfurt 2016.

mein dank wird im sinne des fränkischen poeten sein.

verstehen als eine brücke, die zur schönheit führt.

ich bitte sie, diesen dank anzunehmen