Ludwig Ganghofers historische Romane: „Die Watzmannkinder“ (Die Martinsklause)
Die Sage vom einst grausamen König Waze oder Wazemann, der mit seiner Frau und seinen Kindern Furcht und Schrecken im Berchtesgadener Land verbreitete, wurde schon mehrfach in Nacherzählungen bearbeitet, unter anderem von Ludwig Bechstein. Ludwig Ganghofer nutzte Motive der Watzmannsage für seinen eigenen Roman Die Martinsklause und verband sie mit der historisch belegten ersten Besiedelung Berchtesgadens durch Augustiner-Chorherren zu Beginn des 12. Jahrhunderts.
Im Rahmen seiner vier Aufenthalte im Berchtesgadener Land in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts fasste Ganghofer den Entschluss, die deutsche Geschichte aus der Sicht und im Interesse der jeweils unterdrückten Minderheiten – mikrokosmisch-geographisch und stellvertretend für die allgemeinen Verhältnisse – in sieben Werken (geplant waren neun) romanhaft zu erfassen. Dabei sollten durchgängig die Schicksale der Menschen im Spannungsfeld mit den sich entwickelnden feudalen Strukturen der jeweils vereinigten klerikalen und weltlichen Macht dargestellt werden: vom Anfang des Feudalstaats vom 12. bis 15. Jahrhundert (Romane 1-4) bis zum Ende des Feudalstaats vom 16. bis 18. Jahrhundert (Romane 5-7).
Nachfolgend in loser Serie werden die sieben Romane Ludwig Ganghofers im Literaturportal Bayern inhaltlich vorgestellt.
Historischer Romantitel: Die Martinsklause
Historienfolge: 12. Jahrhundert, 1102-1105
Herausgabefolge (Lfd. Nr.): 1894 (2)
Die in der Historienfolge am Beginn des 7-teiligen Romanzyklus stehende Romanhandlung aus dem 12. Jahrhundert beschreibt die Gründung und den Aufbau des Klosters und die Konstituierung des Lehenswesens in Berchtesgaden. Mit der Ankunft einer kleinen Gruppe von Augustiner-Chorherren, die um 1105 ausgesandt werden, soll das Gelöbnis einer Gräfin erfüllt werden. Die geistliche Gruppe besteht aus vier Priestern, von denen Ludwig Ganghofer bei einem Pater alle Elemente der Religion vereinigen lässt, die zu missbilligen sind. Ein anderer wurde Priester, nachdem er zuvor ein Bauernmädchen mit einem Kind sitzen gelassen hat. Eberwein, die positive geistliche Gestalt und als Probst ausersehen, kniet bei seiner Ankunft nieder und als er die mächtige Landschaft sieht, ruft er betend aus: „Herr, wen du lieb hast, den lässest du fallen in dieses Land!“
Die neue Kirche wird sogleich über einer alten heidnischen Opferstätte errichtet, zumal bei den einheimischen Bauern immer noch Reste der alten, heidnischen Glaubensinhalte, die erst nach und nach zurückgedrängt werden, vorhanden geblieben sind. Im weiteren Verlauf kommt es zur großen Auseinandersetzung zwischen Probst Eberwein und dem einheimischen Ritter Waze mit seinen sieben Söhnen, die die Bauern bisher unterdrücken. Die weiterhin ängstlichen Bauern verhalten sich zunächst abwartend. Lediglich der Fischer Sigenot tritt als Unterstützer des Probstes und der neuen Herren und damit einer vermeintlich neuen „Ordnung“ auf. Die Hoffnung auf ein besseres Leben der Bauern entsteht. Den offenen Kampf zwischen Waze und seiner Herrschaft mit den Chorherren hätte Ritter Waze wohl eindeutig gewonnen, wenn nicht ein großes, schicksalhaftes Erdbeben eingetreten wäre. Waze und seine Söhne kommen dabei durch ausgelöste Steinlawinen ums Leben.
Theodor Otto Michael Guggenberger (1866-1929): Blick über den Königssee auf St. Bartholomä und das Watzmann-Massiv
Ganghofer lässt seine Kirchenkritik bereits in diesem, der Historienfolge nach erstem Roman mehrfach hervortreten. So wie sich für Probst Eberwein die Religion über Liebe, Duldsamkeit und Vergebung positiv definiert, so steht Pater Waldram für die fehlgeleitete Seite der Religionsvermittlung, indem dieser nach seiner vorausgegangenen Anstiftung Untaten der Bauern verantworten muss. Ebenso erfolgt die frühe Thematisierung des Priesterzölibats am Beispiel eines Priesters, der bereits Vater eines Kindes ist.
Mit der Wirkung eines Gebets vermitteln die Chorherren häufig die Erscheinung eines Wunders mit folgender Grund-Botschaft: Gott ist allgegenwärtig, allmächtig und – wie es den Bauern scheint –greift hin und wieder auch in das irdische Geschehen und dessen weiterer Entwicklung ein.
Das Happy-End, wenn ein solches im Roman überhaupt erkannt werden kann, ist allenfalls eingeschränkt definierbar:
Obzwar Probst Eberwein die positive Heldengestalt des Romans ist, bleibt dieser nicht frei von örtlicher Kritik. So hat er voreilig über die entdeckten Salzvorkommen in Berchtesgaden dem Salzburger Erzbischof berichtet und damit selbst den Grundstein für dessen Drohung hinsichtlich der jetzt gefährdeten Unabhängigkeit Berchtesgadens gelegt. Der Erzbischof von Salzburg wird dadurch bereits im ersten Roman als das „negativ“ besetzte Macht-Symbol der Institution Kirche dargestellt.
Berchtesgaden mit Watzmann um 1900
Ludwig Ganghofer eröffnet eine mikrokosmische Beschreibung der Entstehungsgeschichte eines ersten feudalen „Staatswesens“, in der die geistlichen Vertreter im weiteren Verlauf die gesamte weltliche Organisation im Raum Berchtesgaden zu übernehmen beginnen. Der Roman schließt sowohl mit positiven als auch mit negativen Erscheinungsformen im ständigen Spannungsbogen zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
Widmung
Die voranstehenden Ausführungen werden Alfred Hermann Fried, geb. 11. November 1864 in Wien, gest. 4. Mai 1921 in Wien, gewidmet. Fried war verheiratet mit Bertha Engel, der Schwester von Ludwig Ganghofers Ehefrau Katinka, geb. Engel. Alfred Hermann Fried war der große Vorkämpfer für den Frieden der Menschheit und auch langjähriger Mitarbeiter von Berta von Suttner. Am 10. Dezember 1911 erhielt er den Friedensnobelpreis. Vor dem Hintergrund der damaligen wie auch gegenwärtigen, friedensbedrohenden Weltgeschehnisse ist Fried mit seiner immerwährenden Friedensbotschaft bis heute aktuell.
Externe Links:
Literatur von Ludwig Ganghofer im BVB
Literatur über Ludwig Ganghofer im BVB
Ludwig Ganghofers historische Romane: „Die Watzmannkinder“ (Die Martinsklause)>
Die Sage vom einst grausamen König Waze oder Wazemann, der mit seiner Frau und seinen Kindern Furcht und Schrecken im Berchtesgadener Land verbreitete, wurde schon mehrfach in Nacherzählungen bearbeitet, unter anderem von Ludwig Bechstein. Ludwig Ganghofer nutzte Motive der Watzmannsage für seinen eigenen Roman Die Martinsklause und verband sie mit der historisch belegten ersten Besiedelung Berchtesgadens durch Augustiner-Chorherren zu Beginn des 12. Jahrhunderts.
Im Rahmen seiner vier Aufenthalte im Berchtesgadener Land in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts fasste Ganghofer den Entschluss, die deutsche Geschichte aus der Sicht und im Interesse der jeweils unterdrückten Minderheiten – mikrokosmisch-geographisch und stellvertretend für die allgemeinen Verhältnisse – in sieben Werken (geplant waren neun) romanhaft zu erfassen. Dabei sollten durchgängig die Schicksale der Menschen im Spannungsfeld mit den sich entwickelnden feudalen Strukturen der jeweils vereinigten klerikalen und weltlichen Macht dargestellt werden: vom Anfang des Feudalstaats vom 12. bis 15. Jahrhundert (Romane 1-4) bis zum Ende des Feudalstaats vom 16. bis 18. Jahrhundert (Romane 5-7).
Nachfolgend in loser Serie werden die sieben Romane Ludwig Ganghofers im Literaturportal Bayern inhaltlich vorgestellt.
Historischer Romantitel: Die Martinsklause
Historienfolge: 12. Jahrhundert, 1102-1105
Herausgabefolge (Lfd. Nr.): 1894 (2)
Die in der Historienfolge am Beginn des 7-teiligen Romanzyklus stehende Romanhandlung aus dem 12. Jahrhundert beschreibt die Gründung und den Aufbau des Klosters und die Konstituierung des Lehenswesens in Berchtesgaden. Mit der Ankunft einer kleinen Gruppe von Augustiner-Chorherren, die um 1105 ausgesandt werden, soll das Gelöbnis einer Gräfin erfüllt werden. Die geistliche Gruppe besteht aus vier Priestern, von denen Ludwig Ganghofer bei einem Pater alle Elemente der Religion vereinigen lässt, die zu missbilligen sind. Ein anderer wurde Priester, nachdem er zuvor ein Bauernmädchen mit einem Kind sitzen gelassen hat. Eberwein, die positive geistliche Gestalt und als Probst ausersehen, kniet bei seiner Ankunft nieder und als er die mächtige Landschaft sieht, ruft er betend aus: „Herr, wen du lieb hast, den lässest du fallen in dieses Land!“
Die neue Kirche wird sogleich über einer alten heidnischen Opferstätte errichtet, zumal bei den einheimischen Bauern immer noch Reste der alten, heidnischen Glaubensinhalte, die erst nach und nach zurückgedrängt werden, vorhanden geblieben sind. Im weiteren Verlauf kommt es zur großen Auseinandersetzung zwischen Probst Eberwein und dem einheimischen Ritter Waze mit seinen sieben Söhnen, die die Bauern bisher unterdrücken. Die weiterhin ängstlichen Bauern verhalten sich zunächst abwartend. Lediglich der Fischer Sigenot tritt als Unterstützer des Probstes und der neuen Herren und damit einer vermeintlich neuen „Ordnung“ auf. Die Hoffnung auf ein besseres Leben der Bauern entsteht. Den offenen Kampf zwischen Waze und seiner Herrschaft mit den Chorherren hätte Ritter Waze wohl eindeutig gewonnen, wenn nicht ein großes, schicksalhaftes Erdbeben eingetreten wäre. Waze und seine Söhne kommen dabei durch ausgelöste Steinlawinen ums Leben.
Theodor Otto Michael Guggenberger (1866-1929): Blick über den Königssee auf St. Bartholomä und das Watzmann-Massiv
Ganghofer lässt seine Kirchenkritik bereits in diesem, der Historienfolge nach erstem Roman mehrfach hervortreten. So wie sich für Probst Eberwein die Religion über Liebe, Duldsamkeit und Vergebung positiv definiert, so steht Pater Waldram für die fehlgeleitete Seite der Religionsvermittlung, indem dieser nach seiner vorausgegangenen Anstiftung Untaten der Bauern verantworten muss. Ebenso erfolgt die frühe Thematisierung des Priesterzölibats am Beispiel eines Priesters, der bereits Vater eines Kindes ist.
Mit der Wirkung eines Gebets vermitteln die Chorherren häufig die Erscheinung eines Wunders mit folgender Grund-Botschaft: Gott ist allgegenwärtig, allmächtig und – wie es den Bauern scheint –greift hin und wieder auch in das irdische Geschehen und dessen weiterer Entwicklung ein.
Das Happy-End, wenn ein solches im Roman überhaupt erkannt werden kann, ist allenfalls eingeschränkt definierbar:
Obzwar Probst Eberwein die positive Heldengestalt des Romans ist, bleibt dieser nicht frei von örtlicher Kritik. So hat er voreilig über die entdeckten Salzvorkommen in Berchtesgaden dem Salzburger Erzbischof berichtet und damit selbst den Grundstein für dessen Drohung hinsichtlich der jetzt gefährdeten Unabhängigkeit Berchtesgadens gelegt. Der Erzbischof von Salzburg wird dadurch bereits im ersten Roman als das „negativ“ besetzte Macht-Symbol der Institution Kirche dargestellt.
Berchtesgaden mit Watzmann um 1900
Ludwig Ganghofer eröffnet eine mikrokosmische Beschreibung der Entstehungsgeschichte eines ersten feudalen „Staatswesens“, in der die geistlichen Vertreter im weiteren Verlauf die gesamte weltliche Organisation im Raum Berchtesgaden zu übernehmen beginnen. Der Roman schließt sowohl mit positiven als auch mit negativen Erscheinungsformen im ständigen Spannungsbogen zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
Widmung
Die voranstehenden Ausführungen werden Alfred Hermann Fried, geb. 11. November 1864 in Wien, gest. 4. Mai 1921 in Wien, gewidmet. Fried war verheiratet mit Bertha Engel, der Schwester von Ludwig Ganghofers Ehefrau Katinka, geb. Engel. Alfred Hermann Fried war der große Vorkämpfer für den Frieden der Menschheit und auch langjähriger Mitarbeiter von Berta von Suttner. Am 10. Dezember 1911 erhielt er den Friedensnobelpreis. Vor dem Hintergrund der damaligen wie auch gegenwärtigen, friedensbedrohenden Weltgeschehnisse ist Fried mit seiner immerwährenden Friedensbotschaft bis heute aktuell.