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29.04.2015, 14:54 Uhr
Laura Velte
Spektakula

Weidener Literaturtage 2015: Lesung von Michael Köhlmeier aus seinem Roman „Zwei Herren am Strand“

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© Laura Velte / Literaturportal Bayern

Ein Höhepunkt der diesjährigen Weidener Literaturtage war die Lesung des österreichischen Autors Michael Köhlmeier. Im luftigen Foyer der Sparkasse Oberpfalz Nord hörten über hundert Gäste Passagen aus seinem neuen Roman Zwei Herren am Strand (Hanser Verlag 2014). Als einen „komischen Roman über die Depression“ bezeichnet Köhlmeier sein Buch, das von den ungleichen Freunden Charlie Chaplin und Winston Churchill erzählt, die sich gegenseitig durch die Tiefen ihrer Depressionen halfen. Vorgestellt wurde der Autor von Maria Rupprecht vom Organisationsteam der Weidener Literaturtage.

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„Ich habe den Anspruch, die Figuren zu mir selbst zu machen – das kann auch peinlich werden. Aber vor mir selbst ist mir ja erstmal nichts peinlich“, so Köhlmeier. Mit Verweis auf Martin Walser stellte er fest: Schriftstellersein beginnt dort, wo es peinlich wird. Beim Ergründen seiner Figuren macht er also auch vor ihren intimsten oder unangenehmsten Facetten nicht Halt.

Die intensive Recherche, die Köhlmeier für sein Projekt betrieben hat, merkt man ihm auch an. Zahlreiche Anekdoten weiß er über Churchill und Chaplin zu erzählen, auch viel Interessantes, das man heute kaum im Kopf hat, wenn man an die beiden berühmten Persönlichkeiten denkt, wie z.B. dass Churchill stets Landschaften malte, wenn er depressiv war, in seiner Zeit als Parlamentarier der wohl bestverdienende Kolumnist seiner Zeit war oder 1953 den Literaturnobelpreis erhielt. Bei aller Wichtigkeit der Recherche für die Geschichte weiß Michael Köhlmeier aber auch um ihre Gefahren: „Es gibt einen Punkt, an dem man zu viel weiß.“ Und wenn aus all dem Gelesenen und Recherchierten im Buch später kein Kapitel, keine Passage, nicht einmal ein Satz entsteht, dann sei die Arbeit umsonst gewesen.

Parallelisierungen und Korrespondenzen zwischen den beiden Figuren finden sich schon in der Kindheit: mit sechs Jahren soll Chaplin das erste Mal an Selbstmord gedacht haben, als er von zu Hause weglief, eine Mauer an der Themse erklomm und mit dem Gedanken spielte, sich herunterzustürzen. Churchill wiederum flüchtete als Junge aus dem Schlafsaal seines Eliteinternats, stürzte in einen Maschinenkeller, glaubte tot zu sein und forderte den Tod gleich nochmals heraus.

Gleichzeitig  gelingt es Köhlmeier, schon hier die klaffenden Unterschiede zwischen den Männern einfließen zu lassen: Der eine stammte aus ärmlichen Verhältnissen, Schauspieler- und Künstlerfamilie, der Vater trank sich zu Tode; der andere entstammte dem britischen Adel, die Eltern hatten kaum Interesse an ihrem Sohn – das geliebte Kindermädchen und das verhasste Eliteinternat prägten stattdessen seine Jugend.

Dabei taucht der Zuhörer tief ein in die beiden grundverschiedenen Welten der ungewöhnlichen Freunde, die später nicht nur der Kampf gegen ihren „inneren Feind“, sondern auch gegen Adolf Hitler vereinen würde: Chaplin als Spötter, Churchill als sein härtester politischer Gegner.

© Laura Velte / Literaturportal Bayern

Auf die Frage, welchem der beiden Männer er sich persönlich näher fühle, antwortete Köhlmeier: „Hier muss ich unterscheiden, wie ich vor dem Buch geantwortet hätte und wie ich nach dem Buch antworte.“ Vor dem Buch sei es Chaplin gewesen, auch weil man ihn unwillentlich allzu häufig mit seiner Figur verwechsle. Tatsächlich sei Chaplin aber insbesondere im Filmgeschäft ein „harter Hund“ gewesen, jemand, der sich selbst wie ein Diktator verhielt und den „großen Diktator“ vermutlich gerade deshalb so gut verkörpern konnte. „Über die Arbeit an Zwei Herren am Strand habe ich mehr Distanz zu Charlie Chaplin gewonnen“, so Köhlmeier.

Bei Winston Churchill sei es genau umgekehrt gewesen: ihm sei er durch die Entdeckung der „weichen“ Seite des sonst so harten Politikers näher gekommen, über Churchills Loyalität und seine Liebe gegenüber Familie und Freunden. Dabei sei es aber gerade auch die Widersprüchlichkeit der beiden Männer, die sie für ihn gleichermaßen interessant gemacht habe.

Der erste gemeinsame Spaziergang, den Michael Köhlmeier vorlas, zeigt gerade die Verbundenheit der grundverschiedenen Charaktere: Der mächtige, verehrte wie gefürchtete Staatsmann und der Tramp, der vermutlich beliebteste Mensch seiner Zeit, werden schon damals von Samuel Johnsons „schwarzem Hund“, der Depression, gejagt. Ihr Weg ist deshalb von einer eigenen Dramaturgie gekennzeichnet. Hinweg und Rückweg dienen ihnen jeweils zur Offenlegung ihrer intimsten „Drangsal“ vor einem völlig Fremden – was für beide scheinbar die einzige Möglichkeit der Mitteilung ihrer Leiden darstellt und sie zu „Doppelgängern im Geiste“ macht. Deren Geschichte erzählt Zwei Herren am Strand in der kunstvollen Verflechtung von historischen Fakten und Fiktion. Schauspiel, Sich-Verstellen, Ein-anderer-Sein, Alter Ego – auch das inszeniert Köhlmeier also als ein bestimmendes Thema seines Romans.

 

Die Weidener Literaturtage

Ein Highlight für alle Literaturliebhaber waren die Weidener Literaturtage auch im April 2015. Vom 18. April bis zum 25. April verwandelte sich Weiden in die Literaturhauptstadt der Oberpfalz. Mit 50 Veranstaltungen wie Lesungen, musikalisch-literarischen Abenden und Veranstaltungen für Kinder – ergänzt von über 30 Lesungen von Kinder- und Jugendbuchautorinnen und -autoren an den Weidener Schulen begeisterte – das „Festival des Buches“ mehr als 5.500 Besucher. Zu Gast waren unter anderem Margrit Sartorius und Siemen Rühaak, Henning Veske, Daniel Holbe, Oliver Scherz, Josef „Bäff“ Piendl, Gert Heidenreich, Jaroslav Rudiš und Michael Köhlmeier. Das große Finale bildete der Poetry Slam mit Felix Römer und Christian Ritter und knapp 600 begeisterten Besuchern.