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05.09.2014, 13:37 Uhr
Evelyn Reiter
Spektakula

34. Erlanger Poetenfest: Ausstellung zu Leben und Werk von Marieluise Fleißer

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Foto: Literaturportal Bayern

Anlässlich des 40. Todestags von Marieluise Fleißer veranstaltete das 34. Erlanger Poetenfest unter dem Alfred-Kerr-Zitat „Diese Frau ist ein Besitz“ einen Schwerpunkt zur Dichterin mit Gespräch, Buchpräsentation, Ausstellung und Filmprogramm. Das Literaturportal Bayern hat die Ausstellung „Marieluise Fleißer 1901-1974 – ‚Ich ahnte den Sprengstoff nicht.‘“ bei seinem Besuch des Poetenfests letzten Sonntag besichtigt.

Marieluise Fleißer gehört heute zweifellos zu den literarischen Größen des 20. Jahrhunderts. Doch nach anfänglichen Erfolgen drohte der Nationalsozialismus, ihre schriftstellerische Existenz zu zerstören. Obwohl sie in den „Reichsverband deutscher Schriftsteller“ eintrat, was für in Deutschland lebende AutorInnen eine Voraussetzung war, um weiter publizieren zu können, wurden nur eingeschränkt Werke von ihr veröffentlicht. Ihre Stücke gehörten zur sog. „entarteten“ Literatur. Erst in den 1960er-Jahren wurde sie von Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz und Martin Sperr wiederentdeckt, die Fleißer als ihre „Söhne“ bezeichnete.

Auf 20 Tafeln zeigt die Ausstellung das bewegte Leben und das Werk der Dichterin mit Texten und Fotos. Zusammengestellt wurde die Dokumentation von Karl Manfred Fischer und Lisa Puyplat für die Stadt Ingolstadt in Zusammenarbeit mit der Marieluise-Fleißer-Gesellschaft. Der Titel der Ausstellung „Ich ahnte den Sprengstoff nicht.“ bezieht sich vor allem auf Fleißers Stück Pioniere in Ingolstadt, das 1929 uraufgeführt wurde und neben begeisterten Rezensionen auch heftige Kritik erfuhr und nur in einer zensierten Version weiteraufgeführt werden durfte. Die Ausstellung präsentiert neben vielfältigem Fotomaterial auch einige Typoskripte zu Arbeiten der Autorin und einen Film, zusammengeschnitten aus Videoaufnahmen, in denen Fleißer über ihr Leben und Werk erzählt.

Foto: Literaturportal Bayern

Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist ein bisher unbekanntes Kinderbuch der Autorin. Das Bilderbuch Im Wirtshaus ist heut Maskenball... wurde 22 Jahre nach ihrem Tod von Klaus Gültig, ihrem Neffen und heutigen Nachlassverwalter, in einem Stapel ungesichteter Papiere gefunden. Das Buch lag in der Ingolstädter Wohnung von Fleißer tiefvergraben in einem Schrank. Neben dem Buch fand er auch zwei ebenfalls unbekannte Erzählungen der Autorin: Der Geizhals und die Tochter und Der Wellensittich.

Das Buch ist vermutlich im Jahr 1942 für die Kinder ihrer jüngeren Schwester Ella entstanden, doch hat es diese nie erreicht. Fleißer besuchte ihre Schwester seit 1937 regelmäßig im Allgäu für längere Zeiträume. Ab 1942 hörten die Besuche auf, da Fleißer zwangsverpflichtet wurde, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten, und nebenbei die Buchhaltung für das Tabakwarengeschäft ihres Mannes, Bepp Haindl, übernehmen musste. So blieb das Buch, dass sie für die beiden Jungen ihrer Schwester gemacht hatte, bei ihr liegen.

Das Buch besteht aus mehreren bunten Seiten, auf die zu Grüppchen arrangierte Figuren geklebt sind, mit drei bis vier gereimten Zeilen überschrieben, wie zum Beispiel: „Der grüne Schirm ist ganz zerrissen, worüber alle lachen müssen. Daheim die Mutti, die wird weinen und einen neuen kauft sie keinen.“ Die Bilder hat Fleißer aus verschiedenen Modezeitschriften ausgeschnitten, die sie über die Jahre gesammelt haben muss. Die damaligen Modewerbungen waren keine Fotografien, sondern Illustrationen. Fotos wurden nur für Zeitungsberichte verwendet. Einigen Figuren hat Fleißer selbstgebastelte Elemente hinzugefügt. Die Bilder sind offensichtlich mit aller Vorsicht ausgeschnitten und aufgeklebt worden. Die Hintergründe fehlen meist und nur die geschickte Anordnung der Personen und Gegenstände zeigen, dass die Autorin ein besonderes Gefühl für Räumlichkeit besaß. Als Jugendliche hatte Fleißer sich intensiv künstlerisch betätigt, ging in die Natur und malte. Damals war ihr selbst noch nicht klar, ob sie sich für Malerei oder für Literatur entscheiden sollte. Viele Jahre nach ihrem literarischen Debüt erinnerte dieses Buch sie sicherlich an ihre Jugendzeit und ihre zweite Leidenschaft, die Kunst.

Foto: Literaturportal Bayern

Der Literaturwissenschaftler, Publizist und Ausstellungsmacher Bernhard Echte hat das Album nun samt Begleitheft als Faksimile-Edition in seinem Nimbus-Verlag verlegt. Die Texte im Begleitheft sind von Klaus Gültig und Eva Pfister, die zusammen mit Günther Rühle den Nachlassband der gesammelten Werke Fleißers herausgegeben hat, und von der Textilwissenschaftlerin Annette Hülsenbeck. Beim Erlanger Poetenfest letzten Sonntag wurde das Bilderbuch auch vorgestellt.

 

Marieluise Fleißer: Im Wirtshaus ist heut Maskenball… Bilderbuch für Klaus-Dieter und Gerdi, 1942. Faksimile mit Begleitheft. Herausgeber: Karl Manfred Fischer. Beiträge: Klaus Gültig, Annette Hülsenbeck und Eva Pfister. 16 und 72 Seiten, zwei Teile im Schuber. Nimbus. Kunst und Bücher: Wädenswil am Zürichsee, August 2014.

Externe Links:

Das Buch im Nimbus Verlag