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03.09.2014, 13:23 Uhr
Evelyn Reiter
Spektakula

34. Erlanger Poetenfest: Revue der Neuerscheinungen – Michael Kleeberg

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Nebenpodium II: Dirk Kruse im Gespräch mit Michael Kleeberg. Foto: Literaturportal Bayern

Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta: die Zungenspitze mache drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Lo. Li. Ta.

Sie war Lo, einfach Lo am Morgen, wenn sie vier Fuß zehn groß in einem Söckchen dastand. Sie war Lola in Hosen. Sie was Dolly in der Schule. Sie war Dolores auf amtlichen Formularen. In meinen Armen aber war sie immer Lolita.

Die ersten Zeilen des erstmals im Jahr 1955 veröffentlichten Romans Lolita von Vladimir Nabokov gehören zu den berühmtesten und schönsten Romananfängen der Literatur. Offensichtlich ließ sich Michael Kleeberg (*1959) bei der Arbeit an seinem jüngsten Roman Vaterjahre (DVA, 2014) von diesen Worten inspirieren, auch wenn Kleebergs erstes Wort gleich zu Beginn mit Nabokovs poetischem Duktus bricht. Die ersten beiden Absätze beschreiben Charlys Bewunderung für seine schlafende Tochter:

Scheiße, wo hast du all die Schönheit hergenommen, du Lutschbonbon – du Liebesapfel! Lichterlohe Lulu! Lukullische Louie im Fuchs- und Luchspelz! – Du gurrende, turtelnde Blue-Note – du süßeste Sure meines Qur'ans – du lütte Huri, schlummernd auf meinem Lustlager als Soulfood im Elysium, du – du...

Hilflos zuckend schlägt das Zungenblatt gegen Zähne und Zahndamm: Charly Renn fehlen die Worte.

Vaterjahre ist der Fortsetzungsband des sieben Jahre zuvor erschienenen Romans Karlmann. In beiden Büchern füllt der Autor mit ein paar Tagen aus dem Leben des Protagonisten, Karlmann Renn, genannt Charly, knapp 500 Buchseiten. Charly ist ein kluges und funktionierendes Mitglied der Gesellschaft, wenn auch mit narzisstischem Anstrich. Laut Kleeberg hätte Charly nichts Gutes über den Roman zu sagen, könnte er ihn lesen; er ist zu pragmatisch und hätte dafür nicht die nötige Geduld. Er interessiert sich für die schönen, flüchtigen Dinge des Lebens, wie Golf und Motorräder, und  wünscht sich, dass seine Tochter begehrenswert und sein Sohn erfolgreich werden.

Auf die Frage, ob Kleeberg Vaterjahre als seinen bisher gelungensten Roman bezeichnen würde, antwortet er, dass für ihn sein jeweils aktuellstes Buch immer das beste zu sein scheint: „Es ist wie mit Kindern – das jüngste ist immer das liebste und süßeste.“ Kaum hatte er den Roman beendet und an den Verlag abgegeben, ergriff ihn eine Postnatale Depression, erzählt Kleeberg schmunzelnd. Seitdem hat er seinen Text nicht mehr in die Hand genommen, bis am Morgen vor dieser Lesung, als er ihn das erste Mal aufschlug, um nach geeigneten Lesestellen für das 34. Erlanger Poetenfest zu suchen.

Foto: Literaturportal Bayern

Nachdem der Roman Karlmann Charlie in seinen Mitzwanzigern eingeführt hat, erzählt Vaterjahre vom Alltag des mittlerweile vierzigjährigen Protagonisten. Die Wahrnehmung im neuen Buch hat sich im Vergleich zum Vorläufer vollkommen geändert. Kleeberg erklärt warum: „In diesem Alter macht man kaum noch etwas zum ersten Mal. Alles scheint eine Wiederholung zu sein – bis auf die Geburt der Kinder, natürlich. Auch der soziale Kreis ist begrenzt. Es herrscht keine so starke Fluktuation wie zuvor.“

Wie in Karlmann ist auch in Vaterjahre Charlies Alltag das große Thema. Kleeberg betont, dass es der Sinn und Zweck des Buches ist, Alltag zu erzählen. Der Fokus liegt nicht auf dem „Was“, sondern auf dem „Wie“ – die Schilderungen sind ausgedehnt, detailreich und voller sprachlicher Finesse. Und Kleeberg verspricht, dass das letzte Kapitel in Charlies Leben noch lange nicht geschrieben ist: Eine Fortsetzung der Reihe in Anlehnung an John Updikes Rabbit-Pentalogie soll bald folgen.