Brechtfestival Augsburg 2014: Box-Schaukampf mit Lesung in der Boxhalle des Polizei SV
Brecht und das „Boxen“ – das passt nicht nur für den versierten Brecht-Kenner scheinbar wie die Faust aufs Auge. Schon immer haben Literaten, Intellektuelle und Künstler dem Boxsport eine besondere Faszination abgewonnen, und das nicht erst seit der berühmten Box-Bibel On boxing (1987) der amerikanischen Schriftstellerin Joyce Carol Oates. Die geheime Anziehungskraft zwischen Boxer und Geistesmensch kann man in der Literatur an mehreren Beispielen verfolgen: Arthur Cravan, Neffe von Oscar Wilde und Vorläufer des Dada in Paris, war zugleich Amateurboxer; Ernest Hemingway, selbst des Boxens kundig, stellt in einer seiner besten Kurzgeschichten The Killers (1927) einen Boxer, der getötet werden soll, vor; Norman Mailer ist u.a. für seine hervorragenden Boxreportagen über Cassius Clay alias Muhammad Ali bekannt. Aber auch deutschsprachige – und insbesondere bayerische – Autoren widmen sich in ihren Texten dem Boxen. So jüngst der Schriftsteller Wolf Wondratschek in seinem Reportagen und Stories, Gedichte, Artikel und Interviews umfassenden Band Im Dickicht der Fäuste (2005; zugleich eine Anspielung auf Brechts Drama Im Dickicht der Städte von 1923, wo ebenfalls ein Boxkampf thematisiert wird), aber auch „Klassiker“ wie Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Egon Erwin Kisch, Ödön von Horváth und eben Bertolt Brecht.
Am Montag, dem 3. Februar 2014, konnte man in der Boxhalle des Augsburger Polizei-Sportvereins erneut Parallelen zwischen Boxsport, Theater und Literatur herstellen. Für das diesjährige Brecht-Festival ein Highlight, las die Schauspielerin Rike Schmid Texte von Brecht zum Thema „Boxen“ vor, die amtierende Augsburger Boxweltmeisterin Tina Schüßler präsentierte – neben anderen männlichen Amateur- und Profiboxern – mit ihrem Sparringspartner Mark Zambo ihr boxerisches Können.
In der Ecke: Amateurboxer Ioannis Diamantopoulos. Im Ring: Schauspielerin Rike Schmid © Nina Hortig
Was zunächst etwas wunderlich erscheint – schließlich war Brecht kein geübter Boxer und eher schmächtig – ist angesichts des zeitlichen Hintergrunds, vor dem seine das Boxen thematisierenden Texte zwischen 1920 und 1927 erschienen, durchaus plausibel. 1921 gibt der Berliner Galerist und Verleger Alfred Flechtheim die Zeitschrift Der Querschnitt heraus, ein „Magazin für Kunst, Literatur und Boxsport“. Darin heißt es: „Der Querschnitt hält es für seine Pflicht, den Boxsport auch in den deutschen Künstlerkreisen populär zu machen. In Paris sind Braque, Derain, Dufy, Matisse, Picasso, de Vlaminck begeisterte Anhänger, und Rodin fehlt bei kaum einem Kampf.“ Boxen wird so als Ästhetik, als eigene Kunstform begriffen, der Boxer wird wiederum in seiner Rationalität und Selbstbeherrschung, in seinem Mut, in seiner Stärke und erotischen Anziehungskraft zur Inkarnation des modernen Mannes.
Auch für Brecht ging es darum, sein männliches „Image“ auszubessern: Wie ein Boxer muss er darum kämpfen, dass seine Texte erfolgreich werden; er schätzt das Geld, weil er es für die Ernährung seines Sohnes und seine unverheiratete Frau Paula „Bi“ Banholzer braucht; zu Hause hat er sich sogar einen Punchingball aufgehängt, zumal er „sehr hübsch aussieht und meinen Besuchern Gelegenheit gibt, meine Neigung zu exotischen Dingen zu bekritteln, und [...] zugleich hindert, mit mir über meine Stücke zu sprechen“. Zudem kann er nach verrichteter Arbeit diesem Punchingball „einige launige Stöße“ versetzen.
Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner, gelesen von Rike Schmid. Mit freundlicher Genehmigung © Literaturportal Bayern
Doch schätzt man die Situation falsch ein, Brecht ginge es beim Boxen nur um das unverzichtbare Requisit einer männlichen Inszenierung. Als Theatermensch bleibt es ihm natürlich nicht verborgen, dass Boxer und Boxkämpfe massenhaft Leute anziehen, während das Theater solche Mengen keineswegs aufbringen kann. „Das Theater“, so kommt Brecht in seiner Schrift Dekoration zu dem Schluss, „muß als Theater jene faszinierende Realität bekommen, die der Sportpalast hat, in dem geboxt wird.“
Mittel für diese Neuinszenierung des Theaters ist die Ausgestaltung der Bühne zu einem Boxring. Brecht nutzt diesen für verschiedene Theaterprojekte wie Die Kleinbürgerhochzeit (1926) oder das Mahagonny-Songspiel (1927). Insgesamt kommt es dabei weniger auf die „Motive“ des Boxkampfes an als auf die Beteiligung des Zuschauers „an den menschlichen Einsätzen“. Brechts Rat an das Publikum: „[B]eurteilen Sie unparteiisch die Kampfform des Gegners und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.“ (Vorspruch zu Im Dickicht der Städte)
Von links: Festivalleiter Joachim Lang, Sportvereinsvorstand Rainer Batsch, Ringrichter Helmut Briefling, Boxer Eugen Renner (mit Trainer), Ioannis Diamantopoulos, Waldemar Wopke und Dennis Fischer, Ringsprecher Hans Wengenmeir. Unten: Schauspielerin Rike Schmid, Boxweltmeisterin Tina Schüßler und Dritter Bürgermeister Peter Grab. © Nina Hortig
Der Weg vom Box- zum Klassenkampf ist für Brecht nicht weit, mithin gerät das Boxgeschäft selbst zum Lehrstück kapitalistischer Ökonomie. In seinem Fragment gebliebenen Boxer-Roman Das Renommee (1926) schildert Brecht, wie ein Mann durch Boxen Geld und Ruhm verdient, aufgrund von Sachzwängen aber in einen Weltmeisterschaftskampf hineinläuft, aus dem er nur noch irgendwie und möglichst „heil“ herauskommen möchte. An die Stelle des Boxsports sind das bloße Geschäft und die Vermarktung getreten. Kaum anders geht es in Brechts Erzählung Der Kinnhaken zu: Nicht nur durchzieht das Motiv der materiellen Existenz die ganze Geschichte, wenn Freddy Meinke sich vor dem Meisterschaftskampf ein Motorrad auf Abzahlung und einen Hausstand anschafft – die Verpflichtungen gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft gehen noch weiter, da Meinke wenige Minuten vor dem Kampf mit sich kämpft, ob er noch Bier trinken könne oder nicht. Meinke bekommt so eine „schlechte Meinung von sich“, der Kampf endet deshalb mit seiner Niederlage. Brechts Fazit: „Ein Mann soll immer das tun, wozu er Lust hat. [...] Vorsicht ist die Mutter des K.o.“
Diese und andere Boxgeschichten konnte man beim Boxschaukampf mit Lesung in der Halle des Polizei-Sportvereins Augsburg mit Spannung mitverfolgen. Dabei flogen nicht nur literarisch die Fäuste; im Wechsel zu den Brecht-Texten gaben die Vereinskameraden Ioannis Diamantopolous und Dennis Fischer sowie die Kontrahenten Waldemar Wopke und Eugen Renner ihr Bestes und schlugen kräftig zu. Boxweltmeisterin Tina Schüßler und Mark Zambo machten den Abschluss mit einem fulminanten Sparringstraining.
Zweiter Boxkampf, dritte Runde: Waldemar Wopke und Dennis Fischer. Mit freundlicher Genehmigung © Literaturportal Bayern
Brechtfestival Augsburg 2014: Box-Schaukampf mit Lesung in der Boxhalle des Polizei SV>
Brecht und das „Boxen“ – das passt nicht nur für den versierten Brecht-Kenner scheinbar wie die Faust aufs Auge. Schon immer haben Literaten, Intellektuelle und Künstler dem Boxsport eine besondere Faszination abgewonnen, und das nicht erst seit der berühmten Box-Bibel On boxing (1987) der amerikanischen Schriftstellerin Joyce Carol Oates. Die geheime Anziehungskraft zwischen Boxer und Geistesmensch kann man in der Literatur an mehreren Beispielen verfolgen: Arthur Cravan, Neffe von Oscar Wilde und Vorläufer des Dada in Paris, war zugleich Amateurboxer; Ernest Hemingway, selbst des Boxens kundig, stellt in einer seiner besten Kurzgeschichten The Killers (1927) einen Boxer, der getötet werden soll, vor; Norman Mailer ist u.a. für seine hervorragenden Boxreportagen über Cassius Clay alias Muhammad Ali bekannt. Aber auch deutschsprachige – und insbesondere bayerische – Autoren widmen sich in ihren Texten dem Boxen. So jüngst der Schriftsteller Wolf Wondratschek in seinem Reportagen und Stories, Gedichte, Artikel und Interviews umfassenden Band Im Dickicht der Fäuste (2005; zugleich eine Anspielung auf Brechts Drama Im Dickicht der Städte von 1923, wo ebenfalls ein Boxkampf thematisiert wird), aber auch „Klassiker“ wie Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Egon Erwin Kisch, Ödön von Horváth und eben Bertolt Brecht.
Am Montag, dem 3. Februar 2014, konnte man in der Boxhalle des Augsburger Polizei-Sportvereins erneut Parallelen zwischen Boxsport, Theater und Literatur herstellen. Für das diesjährige Brecht-Festival ein Highlight, las die Schauspielerin Rike Schmid Texte von Brecht zum Thema „Boxen“ vor, die amtierende Augsburger Boxweltmeisterin Tina Schüßler präsentierte – neben anderen männlichen Amateur- und Profiboxern – mit ihrem Sparringspartner Mark Zambo ihr boxerisches Können.
In der Ecke: Amateurboxer Ioannis Diamantopoulos. Im Ring: Schauspielerin Rike Schmid © Nina Hortig
Was zunächst etwas wunderlich erscheint – schließlich war Brecht kein geübter Boxer und eher schmächtig – ist angesichts des zeitlichen Hintergrunds, vor dem seine das Boxen thematisierenden Texte zwischen 1920 und 1927 erschienen, durchaus plausibel. 1921 gibt der Berliner Galerist und Verleger Alfred Flechtheim die Zeitschrift Der Querschnitt heraus, ein „Magazin für Kunst, Literatur und Boxsport“. Darin heißt es: „Der Querschnitt hält es für seine Pflicht, den Boxsport auch in den deutschen Künstlerkreisen populär zu machen. In Paris sind Braque, Derain, Dufy, Matisse, Picasso, de Vlaminck begeisterte Anhänger, und Rodin fehlt bei kaum einem Kampf.“ Boxen wird so als Ästhetik, als eigene Kunstform begriffen, der Boxer wird wiederum in seiner Rationalität und Selbstbeherrschung, in seinem Mut, in seiner Stärke und erotischen Anziehungskraft zur Inkarnation des modernen Mannes.
Auch für Brecht ging es darum, sein männliches „Image“ auszubessern: Wie ein Boxer muss er darum kämpfen, dass seine Texte erfolgreich werden; er schätzt das Geld, weil er es für die Ernährung seines Sohnes und seine unverheiratete Frau Paula „Bi“ Banholzer braucht; zu Hause hat er sich sogar einen Punchingball aufgehängt, zumal er „sehr hübsch aussieht und meinen Besuchern Gelegenheit gibt, meine Neigung zu exotischen Dingen zu bekritteln, und [...] zugleich hindert, mit mir über meine Stücke zu sprechen“. Zudem kann er nach verrichteter Arbeit diesem Punchingball „einige launige Stöße“ versetzen.
Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner, gelesen von Rike Schmid. Mit freundlicher Genehmigung © Literaturportal Bayern
Doch schätzt man die Situation falsch ein, Brecht ginge es beim Boxen nur um das unverzichtbare Requisit einer männlichen Inszenierung. Als Theatermensch bleibt es ihm natürlich nicht verborgen, dass Boxer und Boxkämpfe massenhaft Leute anziehen, während das Theater solche Mengen keineswegs aufbringen kann. „Das Theater“, so kommt Brecht in seiner Schrift Dekoration zu dem Schluss, „muß als Theater jene faszinierende Realität bekommen, die der Sportpalast hat, in dem geboxt wird.“
Mittel für diese Neuinszenierung des Theaters ist die Ausgestaltung der Bühne zu einem Boxring. Brecht nutzt diesen für verschiedene Theaterprojekte wie Die Kleinbürgerhochzeit (1926) oder das Mahagonny-Songspiel (1927). Insgesamt kommt es dabei weniger auf die „Motive“ des Boxkampfes an als auf die Beteiligung des Zuschauers „an den menschlichen Einsätzen“. Brechts Rat an das Publikum: „[B]eurteilen Sie unparteiisch die Kampfform des Gegners und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.“ (Vorspruch zu Im Dickicht der Städte)
Von links: Festivalleiter Joachim Lang, Sportvereinsvorstand Rainer Batsch, Ringrichter Helmut Briefling, Boxer Eugen Renner (mit Trainer), Ioannis Diamantopoulos, Waldemar Wopke und Dennis Fischer, Ringsprecher Hans Wengenmeir. Unten: Schauspielerin Rike Schmid, Boxweltmeisterin Tina Schüßler und Dritter Bürgermeister Peter Grab. © Nina Hortig
Der Weg vom Box- zum Klassenkampf ist für Brecht nicht weit, mithin gerät das Boxgeschäft selbst zum Lehrstück kapitalistischer Ökonomie. In seinem Fragment gebliebenen Boxer-Roman Das Renommee (1926) schildert Brecht, wie ein Mann durch Boxen Geld und Ruhm verdient, aufgrund von Sachzwängen aber in einen Weltmeisterschaftskampf hineinläuft, aus dem er nur noch irgendwie und möglichst „heil“ herauskommen möchte. An die Stelle des Boxsports sind das bloße Geschäft und die Vermarktung getreten. Kaum anders geht es in Brechts Erzählung Der Kinnhaken zu: Nicht nur durchzieht das Motiv der materiellen Existenz die ganze Geschichte, wenn Freddy Meinke sich vor dem Meisterschaftskampf ein Motorrad auf Abzahlung und einen Hausstand anschafft – die Verpflichtungen gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft gehen noch weiter, da Meinke wenige Minuten vor dem Kampf mit sich kämpft, ob er noch Bier trinken könne oder nicht. Meinke bekommt so eine „schlechte Meinung von sich“, der Kampf endet deshalb mit seiner Niederlage. Brechts Fazit: „Ein Mann soll immer das tun, wozu er Lust hat. [...] Vorsicht ist die Mutter des K.o.“
Diese und andere Boxgeschichten konnte man beim Boxschaukampf mit Lesung in der Halle des Polizei-Sportvereins Augsburg mit Spannung mitverfolgen. Dabei flogen nicht nur literarisch die Fäuste; im Wechsel zu den Brecht-Texten gaben die Vereinskameraden Ioannis Diamantopolous und Dennis Fischer sowie die Kontrahenten Waldemar Wopke und Eugen Renner ihr Bestes und schlugen kräftig zu. Boxweltmeisterin Tina Schüßler und Mark Zambo machten den Abschluss mit einem fulminanten Sparringstraining.
Zweiter Boxkampf, dritte Runde: Waldemar Wopke und Dennis Fischer. Mit freundlicher Genehmigung © Literaturportal Bayern