Die Eröffnung des Literaturfests München 2025
Sprachen der Liebe. Wie wollen wir leben? So lautet das vielversprechende Motto des von Daniel Schreiber kuratierten Literaturfest München 2025. Die Eröffnungsveranstaltung im Literaturhaus München war impulsgebend. Sie appellierte an die leidenschaftliche Beziehung des Einzelnen zur Welt und machte sofort Lust darauf, sich mit entsprechender Haltung auf das gesamte Programm zu stürzen. Das Literaturportal Bayern war vor Ort.
*
Das Münchner Literaturfest ist heuer wieder ins Frühjahr verlegt worden. Und die dem Frühling zugeordneten Eigenschaften: Aufbruch, Blüte, Transformation und Frische sind auch dem vielschichtigen, vom Autor Daniel Schreiber zusammengestellten Programm anzumerken, dessen zentrale Frage die Besuchenden herausfordernd reflektierend ansprechen möchte: Wie wollen wir leben?
Ein sicheres Gespür für Trends und die angesagten Fragen kann man dem Literaturhaus München ja stets attestieren oder nachsagen – aber die dezidiert gesellschaftspolitische wie ästhetisch-formal diverse Ausrichtung überzeugt in diesem Jahr auch von innen heraus. Dass sich Schreibers kuratorisches Engagement in den vielfältigsten literarisch-thematischen Transformationen und Anverwandlungen von Liebe als gesellschaftsbildender Komponente äußert, darstellt und ereignet, erzeugte bereits bei der Eröffnung das dringliche Bedürfnis, wirklich jede einzelne Darbietung mitzubekommen. Innerhalb des chronisch ausverkauften Literaturfestprogramms wird dies erstmals tatsächlich auch per Stream ermöglicht. Eine Errungenschaft!
Überhaupt ist dem Programm in diesem Jahr spürbar anzumerken, dass es sich mit einem höheren Maß an Empathie in die verschiedensten Gesellschaftsgruppen hineinzudenken versucht und dadurch nicht nur behauptet, sondern es wirklich möglich macht, auch jenseits der bekannten oder teils bekannten kulturellen Orte dem „Ereignis Literatur“ zu begegnen (so u.a. in der Pfennigparade oder mittels spontaner Share Reading Aktionen).
Wie wollen wir leben?
Und wer die Sprachen der Liebe als eine kitschige, blumige Form der Weltabgewandtheit, des harmlosen, netten Nischendaseins belächeln möchte, dem sei gesagt: Der Impuls des gesamten Literaturfests, ebenso wie der Münchner Schiene 2025, liegt bewusst in der Rückbesinnung und Rückeroberung der so genannten Soft Powers (Empathie, Mitgefühl, Solidarität, Engagement). Denn, so Schreiber, sie sind „gefährlich“ für die Herrschenden: „Eine leidenschaftliche Beziehung zur Welt ist unsere einzige Möglichkeit, ihr in Zeiten wie diesen wirklich zu begegnen und sie vielleicht sogar zu ändern.“
Eine Rückbesinnung also nicht im Sinne einer apolitischen Innerlichkeit – vielmehr handelt es sich um einen Gestus der Bewusstseinsschärfung. Das Literaturfest wird damit zu einem Refugium, das es uns ermöglicht, im freundschaftlichen oder zumindest respektvollen Kreise Pläne zu schmieden, Widerstand und Trost zu üben und sich, mit Schreiber, einmal zu fragen: Was lieben wir an unserer Gesellschaft eigentlich? Wie wollen wir leben?
Dass diese Errungenschaften nicht unverbrüchlich sind und dass die Literatur einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, sich dieser Selbstbesinnung in Form der unterschiedlichsten Narrative in gemeinsamer Teilhabe zu vergewissern, davon konnten Daniel Schreiber und Tanja Graf, die Leiterin des Literaturhauses, ihre Gäste im bis auf den letzten Platz besetzten Saal durchaus überzeugen. Besonders schön und treffend war hier der Versprecher von Tanja Graf, die den Geladenen jede einzelne Veranstaltung dringend „ans Herzen lesen“ möchte.
Nach dem Grußwort des Zweiten Bürgermeisters der Stadt München, Dominik Krause, war es dann auch die wunderbare, subtil-sinnliche Musik der Chansonière und Lieddichterin Emmanuelle Mei, die das Festival-Motto Sprachen der Liebe den Zuhörenden musikalisch geradezu ins Ohr einverleibte. Einfühlsam begleitet wurde sie dabei von Julia Hornung am Bass und Florian Wagner am Klavier.
Dass Literatur sich vielfältig, subversiv und auch queer ereignet – darauf mussten die Geladenen gar nicht erst bis zum Veranstaltungsbeginn am nächsten Tag warten. Lisa Jay Jeschke und Chris Reitz führten dies, im Auftrag des Lyrik Kabinetts, für ihre Münchner Schiene 2025 an diesem Abend direkt und mitreißend in einer performativen Zitate-Aktion vor (Track: Anna McCarthy).
Lisa Jay Jeschke und Chris Reitz (c) Literaturportal Bayern
Was wäre, wenn wir mutig sind?
Der Höhepunkt des Abends aber war die Keynote der Aktivistin Luisa Neubauer, deren ebenso berührende wie zum Ende hin leider etwas zu durchritualisierte Rede in einem nachhallte.
Ihre Rede über Sprachlosigkeiten und Mut erinnerte einen daran, dass die Erfahrung von Wirklichkeit zutiefst auch eine Spracherfahrung ist. Und dass die Selbstermächtigung, die im Entwickeln einer eigenen Herzenssprache liegt, in Zeiten, in denen „noch die größten Ungerechtigkeiten“ von den Herrschenden „routiniert herabgeredet“ werden, Mut braucht: „Wenn unser aller Sprache nicht von uns kommt, die wir sie suchen, als ginge es wahrhaftig um alles, dann gibt es sie nicht – dann verlieren wir sie.“
Luisa Neubauer (c) Literaturportal Bayern
Ihr Appell, den dominierenden Interpretationen von Welt, den zudeckenden, ausweichenden Phrasendreschereien und Pseudo-Antworten wirkliche Fragen entgegenzustellen, liest sich so:
Was liegt hinter den Worten und Begriffen?
Was ist, wenn die Liebe ein Akt des Widerstands ist?
Was wäre, wenn wir für unser Recht einstehen? Wenn wir benannt sind und nicht nur gemeint?
Was wäre, wenn wir anerkennen, dass die Welt uns braucht?
Was wäre, wenn wir mutig sind?
Als eine poetische Lesart dieser Fragen mag der, auch von Luisa Neubauer zitierte, Vers von Mascha Kaléko gelten, der hiermit ganz bewusst den Ausklang und Nachhall bildet:
„Zerreiß deine Pläne. Sei klug. Und halte dich an Wunder.“
Die Eröffnung des Literaturfests München 2025>
Sprachen der Liebe. Wie wollen wir leben? So lautet das vielversprechende Motto des von Daniel Schreiber kuratierten Literaturfest München 2025. Die Eröffnungsveranstaltung im Literaturhaus München war impulsgebend. Sie appellierte an die leidenschaftliche Beziehung des Einzelnen zur Welt und machte sofort Lust darauf, sich mit entsprechender Haltung auf das gesamte Programm zu stürzen. Das Literaturportal Bayern war vor Ort.
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Das Münchner Literaturfest ist heuer wieder ins Frühjahr verlegt worden. Und die dem Frühling zugeordneten Eigenschaften: Aufbruch, Blüte, Transformation und Frische sind auch dem vielschichtigen, vom Autor Daniel Schreiber zusammengestellten Programm anzumerken, dessen zentrale Frage die Besuchenden herausfordernd reflektierend ansprechen möchte: Wie wollen wir leben?
Ein sicheres Gespür für Trends und die angesagten Fragen kann man dem Literaturhaus München ja stets attestieren oder nachsagen – aber die dezidiert gesellschaftspolitische wie ästhetisch-formal diverse Ausrichtung überzeugt in diesem Jahr auch von innen heraus. Dass sich Schreibers kuratorisches Engagement in den vielfältigsten literarisch-thematischen Transformationen und Anverwandlungen von Liebe als gesellschaftsbildender Komponente äußert, darstellt und ereignet, erzeugte bereits bei der Eröffnung das dringliche Bedürfnis, wirklich jede einzelne Darbietung mitzubekommen. Innerhalb des chronisch ausverkauften Literaturfestprogramms wird dies erstmals tatsächlich auch per Stream ermöglicht. Eine Errungenschaft!
Überhaupt ist dem Programm in diesem Jahr spürbar anzumerken, dass es sich mit einem höheren Maß an Empathie in die verschiedensten Gesellschaftsgruppen hineinzudenken versucht und dadurch nicht nur behauptet, sondern es wirklich möglich macht, auch jenseits der bekannten oder teils bekannten kulturellen Orte dem „Ereignis Literatur“ zu begegnen (so u.a. in der Pfennigparade oder mittels spontaner Share Reading Aktionen).
Wie wollen wir leben?
Und wer die Sprachen der Liebe als eine kitschige, blumige Form der Weltabgewandtheit, des harmlosen, netten Nischendaseins belächeln möchte, dem sei gesagt: Der Impuls des gesamten Literaturfests, ebenso wie der Münchner Schiene 2025, liegt bewusst in der Rückbesinnung und Rückeroberung der so genannten Soft Powers (Empathie, Mitgefühl, Solidarität, Engagement). Denn, so Schreiber, sie sind „gefährlich“ für die Herrschenden: „Eine leidenschaftliche Beziehung zur Welt ist unsere einzige Möglichkeit, ihr in Zeiten wie diesen wirklich zu begegnen und sie vielleicht sogar zu ändern.“
Eine Rückbesinnung also nicht im Sinne einer apolitischen Innerlichkeit – vielmehr handelt es sich um einen Gestus der Bewusstseinsschärfung. Das Literaturfest wird damit zu einem Refugium, das es uns ermöglicht, im freundschaftlichen oder zumindest respektvollen Kreise Pläne zu schmieden, Widerstand und Trost zu üben und sich, mit Schreiber, einmal zu fragen: Was lieben wir an unserer Gesellschaft eigentlich? Wie wollen wir leben?
Dass diese Errungenschaften nicht unverbrüchlich sind und dass die Literatur einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, sich dieser Selbstbesinnung in Form der unterschiedlichsten Narrative in gemeinsamer Teilhabe zu vergewissern, davon konnten Daniel Schreiber und Tanja Graf, die Leiterin des Literaturhauses, ihre Gäste im bis auf den letzten Platz besetzten Saal durchaus überzeugen. Besonders schön und treffend war hier der Versprecher von Tanja Graf, die den Geladenen jede einzelne Veranstaltung dringend „ans Herzen lesen“ möchte.
Nach dem Grußwort des Zweiten Bürgermeisters der Stadt München, Dominik Krause, war es dann auch die wunderbare, subtil-sinnliche Musik der Chansonière und Lieddichterin Emmanuelle Mei, die das Festival-Motto Sprachen der Liebe den Zuhörenden musikalisch geradezu ins Ohr einverleibte. Einfühlsam begleitet wurde sie dabei von Julia Hornung am Bass und Florian Wagner am Klavier.
Dass Literatur sich vielfältig, subversiv und auch queer ereignet – darauf mussten die Geladenen gar nicht erst bis zum Veranstaltungsbeginn am nächsten Tag warten. Lisa Jay Jeschke und Chris Reitz führten dies, im Auftrag des Lyrik Kabinetts, für ihre Münchner Schiene 2025 an diesem Abend direkt und mitreißend in einer performativen Zitate-Aktion vor (Track: Anna McCarthy).
Lisa Jay Jeschke und Chris Reitz (c) Literaturportal Bayern
Was wäre, wenn wir mutig sind?
Der Höhepunkt des Abends aber war die Keynote der Aktivistin Luisa Neubauer, deren ebenso berührende wie zum Ende hin leider etwas zu durchritualisierte Rede in einem nachhallte.
Ihre Rede über Sprachlosigkeiten und Mut erinnerte einen daran, dass die Erfahrung von Wirklichkeit zutiefst auch eine Spracherfahrung ist. Und dass die Selbstermächtigung, die im Entwickeln einer eigenen Herzenssprache liegt, in Zeiten, in denen „noch die größten Ungerechtigkeiten“ von den Herrschenden „routiniert herabgeredet“ werden, Mut braucht: „Wenn unser aller Sprache nicht von uns kommt, die wir sie suchen, als ginge es wahrhaftig um alles, dann gibt es sie nicht – dann verlieren wir sie.“
Luisa Neubauer (c) Literaturportal Bayern
Ihr Appell, den dominierenden Interpretationen von Welt, den zudeckenden, ausweichenden Phrasendreschereien und Pseudo-Antworten wirkliche Fragen entgegenzustellen, liest sich so:
Was liegt hinter den Worten und Begriffen?
Was ist, wenn die Liebe ein Akt des Widerstands ist?
Was wäre, wenn wir für unser Recht einstehen? Wenn wir benannt sind und nicht nur gemeint?
Was wäre, wenn wir anerkennen, dass die Welt uns braucht?
Was wäre, wenn wir mutig sind?
Als eine poetische Lesart dieser Fragen mag der, auch von Luisa Neubauer zitierte, Vers von Mascha Kaléko gelten, der hiermit ganz bewusst den Ausklang und Nachhall bildet:
„Zerreiß deine Pläne. Sei klug. Und halte dich an Wunder.“