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13.06.2024, 09:00 Uhr
Redaktion
Spektakula

Lesung mit Alexander Milstein anlässlich der Ausstellung „Postfiction“ des Galerievereins in der Zederpassage Landsberg

Alexander Milstein, aus der Ukraine stammender und in München lebender Autor und Künstler, zeigt im Frühjahr 2024 in Landsberg eine Auswahl aus seinem bildnerischen Werk. Am 2. Juni liest er anlässlich der Ausstellung „Postfiction“ seine Erzählung Inneres Japan und gibt im Gespräch mit Thomas Lang Einblicke in seine Arbeitsweise.

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Der Raum für die Lesung von Alexander Milstein ist nicht sehr groß, aber gut gefüllt an diesem Sonntagvormittag, dem 2. Juni 2024. Nicht weit von hier donnern die Wassermassen des Lechs über eine große Staustufe. Das Wasser ist wild und von Erdpigmenten gefärbt – ein Hinweis auf den überstarken Regen, der in weiten Teilen des südlichen Bayerns zu einer Katastrophe geführt hat.

Davon ist in der Landsberger Altstadt unmittelbar nichts zu spüren. Der Regen hat aufgehört, der Himmel ist wolkig, aber nicht sehr dunkel. Die Zedergalerie liegt in einer mit Glas überdachten Passage. Mehrere Räume, die ihrerseits durch Glaselemente gut einsehbar und zu den Öffnungszeiten auch zu betreten sind, liegen links und rechts abgetreppt hintereinander. Galerist Bert Praxenthaler hat für seine Ausstellung „Postfiction“ Werke von vier Künstlern versammelt.

Der Münchner Künstler Georg Eichinger mit Werkstatt in Aubing wurde ursprünglich zum Steinbildhauer ausgebildet. Er setzt sich u.a. mit Superhelden (Captain America) und Nazismus auseinander. In seinen Bildern, so Bert Praxenthaler bei der Vernissage am 24. April 2024, „wird die Gesellschaft als Verblendungszusammenhang spürbar, das schmerzhaft Fehlende in unserer Welt und seinen Arbeiten: Gerechtigkeit, Frieden … –  die Welt, in der wir gerne lebten.“

Norbert Erdmann, begeisterter Hobby-(Extrem-)Sportler und ausgebildeter Fotograf betätigt sich auch als Objektkünstler. Galerist Praxenthaler äußert über ihn, er lasse sich „von den farblichen, formalen und haptischen Eigenschaften seiner Fundstücke anregen“ und füge sie „zu einer neuen Ganzheit“. In seinen Arbeiten versteckten sich keine Botschaften oder Metaphern.

Anton Kaun (Pseudonym „Rumpeln“) ist Visual Artist und Noisekünstler. Er produziert u.a. Musikvideos für verschiedene Bands und gibt Praxenthaler zufolge mitunter „angriffslustige Performances, bei denen er nicht immer unverletzt bleibt. Aus einem Wust von miteinander verschalteten elektronischen Geräten, Kabeln, Elektromüll und Haushaltsgegenständen, die einmal in Gang gesetzt einen ganz eigenen Rhythmus entwickeln, schichtet er mit entsprechenden Körpereinsatz Klang- und Lärmkaskaden, manchmal mit kathartischem Ausgang.“

Die Arbeiten von Alexander Milstein bilden abstrakt gesehen eine Art Klammer für die so unterschiedlichen Künstler und heterogenen Arbeiten. Auch zu diesem verbindenden Gedanken der „Postfiction“ für die Sammelausstellung sei noch einmal der Galerist mit seiner Eröffnungsrede zitiert: „In unserer heutigen Welt von vielfältigen Realitäten besteht längst eine gewisse Skepsis gegenüber der Abbildbarkeit der Wirklichkeit: Realität und Ab-Bild werden längst nicht mehr als das Gleiche bewertet. Auch der Mythos der Kamera als objektives Darstellungsmittel ist längst hinüber. Bei der Frage von Wahrheit und Lüge geht es anscheinend darum, was als solches gesellschaftlich akzeptiert wird oder was in welcher Filterblase als wahr oder falsch bewertet wird: Unsere Gesellschaft als Verblendungszusammenhang!“

An diesem Sonntagmorgen, dem 2. Juni 24, gibt Bert Praxenthaler eine weitere Einführung in das Schaffen von Alexander Milstein, dem langjährigen Münchner Autor und Künstler ukrainischer Herkunft. Viele Bilder in dieser Ausstellung zeigen Cover von imaginären Büchern und Autoren. „Die Mehrschichtigkeit seiner [Milsteins, Anm. d. Red.] Sujets“, führt Praxenthaler aus, „die quasi immer wieder scharf links und rechts abbiegen und nach unten, hinten oder innen kippen und dabei mit Wortspielen jonglieren, ist faszinierend, siehe nur das imaginäre Buch Shorts von A. Mühlstein, ich nenne es die kurzen Pythagoras-Hosen, mit denen er sich selbst bekleidet …“

© Alexander Milstein

Nach einem kurzen Gespräch, das Thomas Lang mit Alexander Milstein führt und in dem der russischsprachige Schriftsteller u.a. über die Eigenübersetzungen seiner Texte ins Deutsche, aber auch über den Krieg gegen die Ukraine spricht (in seiner Heimatstadt Charkiw ist vor kurzem die größte Druckerei des Landes bei einem russischen Raketenangriff getroffen worden), liest Alexander Milstein seinen Text Inneres Japan. Darin mischt sich wie häufig in seinen Geschichten die uns allen bekannte Realität mit der Gedankenwelt von Milsteins Ich-Erzählerfigur. Ein Bandsätze schreibender Murakami trifft auf eine geheimnisvolle wasserspeiende Kiku usw. Begleitend zur Lesung zeigt Alexander Milstein auf einem Bildschirm für das Publikum einige seiner Bilder, die mit dem Text assoziiert sind. Das Malen, hat er vor der Lesung erläutert, sei zunehmend zum Ausgangspunkt seiner Kreativität geworden, während früher das Schreiben den Impuls gegeben habe.

Beides verbindet sich häufig zu einer einzigartigen Form künstlerischen Ausdrucks. In der Anthologie Durch die Zeiten des Thelem Verlags finden sich zahlreiche Reproduktionen von Bildern des Künstlers, hier allerdings abgekoppelt von seinen Texten. „Für raffiniert konstruierte, humorvoll geschilderte Reisen im Kopf …“, schreibt Hertha Grabmaier in der Augsburger Allgemeinen vom 3. Juni 2024, „gab es viel verdienten Applaus.“ Nachher stehen einige der Gäste noch unter dem Glasdach der Passage und reden mit dem Künstler und Schriftsteller. Für einen Moment scheint die Welt eine schützende Kuppel zu besitzen, die Regen wie Raketen fernhält. Nachher geht es wieder hinaus ins Freie.


POSTFICTION (bizarres Rumpeln)

Galerieverein in der Zederpassage, Hauptplatz 155, 86899 Landsberg am Lech
Dauer der Ausstellung: 25. April bis 29. Juni 2024
Öffnungszeiten: Mi 11 – 14 Uhr, Fr 14 – 17 Uhr, Sa 12 – 15 Uhr und nach Vereinbarung.

https://www.galerieverein.de