Ingeborg Bachmann: „Ich bin es nicht. Ich bin’s“. Zur Ausstellung im Literaturhaus München
In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt das Literaturhaus München bisher Unveröffentlichtes aus dem Nachlass von Ingeborg Bachmann. Zu sehen sind u.a. zahlreiche Originalmanuskripte, viele großformatige Porträts der Autorin, Ton- und Bilddokumente, aber auch Bachmanns Schreibmaschine bis hin zu Originalkleidern. Zeitgenössische Expertinnen und Experten äußern sich in Videokommentaren zur anhaltenden Wirkung und Aktualität Ingeborg Bachmanns. Die mit hellen und freundlichen Sommerfarben geflutete Ausstellung ist in fünf Stationen gegliedert. Die sehr vielfältigen Exponate dokumentieren wichtige Lebensabschnitte.
*
Im ersten Teil „Ich habe meine Jugend in Kärnten verbracht“ wird Ingeborg Bachmanns (1926 bis 1973) unbeschwerte Kindheit in ihrem Geburtsort Klagenfurt und im ländlichen Obervellach dargestellt. Mit dem Einmarsch von Hitlers Truppen im März 1938 wird diese Idylle „zertrümmert“. Die Mitgliedschaft von Bachmanns Vater bei der NSDAP ist ein Thema, das unterschwellig in späteren Texten präsent ist. Im zweiten Teil „Erklär mir, Liebe“ (Titelzitat des gleichnamigen Gedichts) wird Bachmanns Arbeit als Kulturredakteurin beim Radiosender Rot-Weiß-Rot in Wien gezeigt. 1948 lernt sie Paul Celan kennen. Mit Ilse Aichinger liest sie 1952 zum ersten Mal auf einem Treffen der Gruppe 47. Ende 1952 lehnt der Lektor im Otto-Müller-Verlag Hansjörg Graf, der Vater der heutigen Leiterin des Literaturhauses Tanja Graf, Gedichte Bachmanns ab. Daraufhin schreibt Bachmann ihm sehr freundlich im Januar 1953: „Ihre Offenheit in Bezug auf die Gedichte nehme ich gar nicht übel; diese Art von Empfindlichkeit ist mir wirklich fremd. Nur lässt sich natürlich darauf schwer etwas erwidern – und eine Erwiderung ändert ja schliesslich weder an den Gedichten noch an Ihrer Ansicht etwas.“ 1955 lernt sie in den USA Henry Kissinger kennen.
Im dritten Teil „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ liegt der Schwerpunkt auf Italien, wo Bachmann mehr als die Hälfte ihres Lebens verbringt. Thematisiert werden die Lebensgemeinschaft mit dem Komponisten Hans Werner Henze und ihre ersten großen Erfolge, der Gedichtband Anrufung des Großen Bären (1956) und das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ (1958). Viel Raum erhält ihre Beziehung zum Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Der vierte Teil „Ich existiere nur, wenn ich schreibe“ konzentriert sich auf die Lebens- und Schaffenskrise nach der Trennung von Frisch 1962. Bis zu ihrem dramatischen Tod elf Jahre später wechseln sich depressive und euphorische Phasen ab. 1964 erhält sie den Büchner-Preis, 1971 veröffentlicht sie den Roman Malina. Der fünfte Teil „Ich bin es nicht. Ich bin’s“ beschäftigt sich mit dem überwältigenden Nachruhm Bachmanns und mit ihrer Bedeutung auch in der Gegenwart.
Tanja Graf zitiert in ihrer Einführung zur Ausstellung Ingeborg Bachmann mit den Worten: „Ich stehe hier mit der Tarnkappe, aber ganz sichtbar.“ Der Ausstellung gelingt es, das Charismatische und Geheimnisvolle, die öffentliche und die private Person, die Selbstbehauptung als Schriftstellerin und den Rückzug der Frau in ihre vier Wände darzustellen. Ein beeindruckender Schwerpunkt bildet die Visualisierung des Spannungsverhältnisses von Anwesenheit und Abwesenheit, von Zeigen und Verbergen der melancholischen Diva und weiblichen Künstlerin. Hinzu kommen passende Zitate auf Plakaten, die das Potential haben, auch Bachmann-Unkundige in das Werk hineinzuziehen: „Bin ich eine Frau oder etwas Dimorphes? Bin ich nicht ganz eine Frau, was bin ich überhaupt?“ (Malina, 1971) „Im Grunde ist jeder allein mit seinen unübersetzbaren Gedanken und Gefühlen“ (Interview, 1972). Das Literaturhaus zeigt mit dieser Ausstellung: Ingeborg Bachmann übersetzt ihre Gedanken und Gefühle in eine literarische Sprache, deren Faszination nicht nachlässt.
Die Ausstellung im Literaturhaus München dauert vom 14. Mai bis zum 3. November 2024 und bietet ein umfangreiches Begleitprogramm, u.a. am 25.6. ein Abend mit der Lyrikerin Sirka Elspaß und Irene Fußl-Pidner (vom Literaturarchiv Salzburg) und einer Lesung von Vicky Krieps. Das gesamte Programm: Ingeborg Bachmann – Literaturhaus München (literaturhaus-muenchen.de)
Ausstellungskatalog / Buchempfehlung: Michael Hansel, Kerstin Putz (Hg.): Ingeborg Bachmann – Eine Hommage. Paul Zsolnay Verlag 2022, 300 S., 27 Euro.
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In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt das Literaturhaus München bisher Unveröffentlichtes aus dem Nachlass von Ingeborg Bachmann. Zu sehen sind u.a. zahlreiche Originalmanuskripte, viele großformatige Porträts der Autorin, Ton- und Bilddokumente, aber auch Bachmanns Schreibmaschine bis hin zu Originalkleidern. Zeitgenössische Expertinnen und Experten äußern sich in Videokommentaren zur anhaltenden Wirkung und Aktualität Ingeborg Bachmanns. Die mit hellen und freundlichen Sommerfarben geflutete Ausstellung ist in fünf Stationen gegliedert. Die sehr vielfältigen Exponate dokumentieren wichtige Lebensabschnitte.
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Im ersten Teil „Ich habe meine Jugend in Kärnten verbracht“ wird Ingeborg Bachmanns (1926 bis 1973) unbeschwerte Kindheit in ihrem Geburtsort Klagenfurt und im ländlichen Obervellach dargestellt. Mit dem Einmarsch von Hitlers Truppen im März 1938 wird diese Idylle „zertrümmert“. Die Mitgliedschaft von Bachmanns Vater bei der NSDAP ist ein Thema, das unterschwellig in späteren Texten präsent ist. Im zweiten Teil „Erklär mir, Liebe“ (Titelzitat des gleichnamigen Gedichts) wird Bachmanns Arbeit als Kulturredakteurin beim Radiosender Rot-Weiß-Rot in Wien gezeigt. 1948 lernt sie Paul Celan kennen. Mit Ilse Aichinger liest sie 1952 zum ersten Mal auf einem Treffen der Gruppe 47. Ende 1952 lehnt der Lektor im Otto-Müller-Verlag Hansjörg Graf, der Vater der heutigen Leiterin des Literaturhauses Tanja Graf, Gedichte Bachmanns ab. Daraufhin schreibt Bachmann ihm sehr freundlich im Januar 1953: „Ihre Offenheit in Bezug auf die Gedichte nehme ich gar nicht übel; diese Art von Empfindlichkeit ist mir wirklich fremd. Nur lässt sich natürlich darauf schwer etwas erwidern – und eine Erwiderung ändert ja schliesslich weder an den Gedichten noch an Ihrer Ansicht etwas.“ 1955 lernt sie in den USA Henry Kissinger kennen.
Im dritten Teil „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ liegt der Schwerpunkt auf Italien, wo Bachmann mehr als die Hälfte ihres Lebens verbringt. Thematisiert werden die Lebensgemeinschaft mit dem Komponisten Hans Werner Henze und ihre ersten großen Erfolge, der Gedichtband Anrufung des Großen Bären (1956) und das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ (1958). Viel Raum erhält ihre Beziehung zum Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Der vierte Teil „Ich existiere nur, wenn ich schreibe“ konzentriert sich auf die Lebens- und Schaffenskrise nach der Trennung von Frisch 1962. Bis zu ihrem dramatischen Tod elf Jahre später wechseln sich depressive und euphorische Phasen ab. 1964 erhält sie den Büchner-Preis, 1971 veröffentlicht sie den Roman Malina. Der fünfte Teil „Ich bin es nicht. Ich bin’s“ beschäftigt sich mit dem überwältigenden Nachruhm Bachmanns und mit ihrer Bedeutung auch in der Gegenwart.
Tanja Graf zitiert in ihrer Einführung zur Ausstellung Ingeborg Bachmann mit den Worten: „Ich stehe hier mit der Tarnkappe, aber ganz sichtbar.“ Der Ausstellung gelingt es, das Charismatische und Geheimnisvolle, die öffentliche und die private Person, die Selbstbehauptung als Schriftstellerin und den Rückzug der Frau in ihre vier Wände darzustellen. Ein beeindruckender Schwerpunkt bildet die Visualisierung des Spannungsverhältnisses von Anwesenheit und Abwesenheit, von Zeigen und Verbergen der melancholischen Diva und weiblichen Künstlerin. Hinzu kommen passende Zitate auf Plakaten, die das Potential haben, auch Bachmann-Unkundige in das Werk hineinzuziehen: „Bin ich eine Frau oder etwas Dimorphes? Bin ich nicht ganz eine Frau, was bin ich überhaupt?“ (Malina, 1971) „Im Grunde ist jeder allein mit seinen unübersetzbaren Gedanken und Gefühlen“ (Interview, 1972). Das Literaturhaus zeigt mit dieser Ausstellung: Ingeborg Bachmann übersetzt ihre Gedanken und Gefühle in eine literarische Sprache, deren Faszination nicht nachlässt.
Die Ausstellung im Literaturhaus München dauert vom 14. Mai bis zum 3. November 2024 und bietet ein umfangreiches Begleitprogramm, u.a. am 25.6. ein Abend mit der Lyrikerin Sirka Elspaß und Irene Fußl-Pidner (vom Literaturarchiv Salzburg) und einer Lesung von Vicky Krieps. Das gesamte Programm: Ingeborg Bachmann – Literaturhaus München (literaturhaus-muenchen.de)
Ausstellungskatalog / Buchempfehlung: Michael Hansel, Kerstin Putz (Hg.): Ingeborg Bachmann – Eine Hommage. Paul Zsolnay Verlag 2022, 300 S., 27 Euro.