Nachbericht zum 26. Kongress der Karl-May-Gesellschaft in München, 6.-9. Oktober 2022

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"Der Oelprinz" von Karl May, Bucherstausgabe 1897 (c) Karl-May-Gesellschaft 2022

Vom 6. bis zum 9. Oktober 2022 fand in München der 26. Kongress der Karl-May-Gesellschaft statt. Veranstaltungsort war das Amerikahaus, Veranstaltungs­partner die Bayerische Amerikastiftung. Ursprünglich sollte der Münchner Kongress letztes Jahr bereits stattfinden, er musste aber wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Wir vom Literaturportal Bayern waren vor Ort. Ein Nachbericht von Friedrich Ulf Röhrer-Ertl.

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Karl May und München – darauf wäre der Verfasser als waschechtes Greenhorn nicht gekommen, verknüpft man als Karl May-Leser den Autor vor allem mit seiner Heimat Sachsen: von Hohenstein-Ernstthal bis Radebeul, mit dieser oder jener außerbayerischen Station zwischendrin. Dabei war München für May ein wichtiger Ort, hier wurde er so sehr gefeiert, dass die Trambahn nicht mehr durchkam, hier kam es zum Zerwürfnis mit seiner ersten Frau, hier wurde er vom bayerischen Königshaus empfangen, denn insbesondere Prinzessin Wiltrud (1884-1975) war ein großer Fan – der Briefwechsel zwischen den beiden liegt neuerdings auch ediert vor.

Der Kongress der Karl-May-Gesellschaft (KMG), der coronabedingt um ein Jahr verschoben werden musste, fand so in der passenden Stadt seine Heimat, dazu an einem symbolträchtigen Ort. Ist doch das Amerikahaus, seit 1957 am Münchener Karolinenplatz, seit seiner Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Bildungs- und Begegnungsort zwischen Bayern und den USA. Zudem befindet es sich mitten im ehemaligen NSDAP-Viertel, vom Garten blickte man einst auf das „Braune Haus“, inzwischen auf das NS-Dokumentationszentrum, ebenso wie auf den ehemaligen Verwaltungsbau der NSDAP, das jetzige Haus der Kulturinstitute. Bekanntlich wurde dieses unter anderem auf dem Grundstück errichtet, auf dem bis 1933 das dann zwangsenteignete Palais Alfred Pringsheims, seines Zeichens Schwiegervater Thomas Manns, gestanden hatte. So bildete schon der räumliche Punkt das breite Spannungsfeld ab, das auch inhaltlich beim Karl-May-Kongress bestimmend war: Karl May von Kolportage bis Hochliteratur, Karl Mays Rezeption von Mühsam bis Hitler und alles dazwischen. Karl May der Gefeierte, der Gefallene, der Vergessene? Für das Greenhorn ging es hier also auf eine Maysche Fährtensuche.

Im Inneren des Amerikahauses fand es nun aber nicht vor, was es erwartete. Für einen rein wissenschaftlichen Kongress zu wenig Anzüge, zu viele Verkaufs- und Präsentationsstände diverser Verlage und Händler. Für ein Fantreffen – wozu man heutzutage eher Convention sagen würde – zu viele Anzüge, zu wenig Verkaufs- und Präsentationsstände, und keine Menschen in Verkleidung a.k.a. Cosplay. Die große KMG, eine der großen literarischen Vereinigungen Deutschlands, und Karl May selbst schaffen es scheinbar spielend, neben altgewordenen Fans auch Wissenschaftler*innen (Literaturwissenschaftler*innen, Kulturwissenschaftler*innen, Anglist*innen, Patholog*innen etc.), Frauen, jüngere Menschen anzuziehen.

Häufigste Frage an das Greenhorn: Was war der erste May? In welcher Ausgabe? Wie hat er gewirkt? Antwort: Durch die Wüste, Taschenbuchausgabe, 1982, mit fünf Jahren, wie ein Urknall. Wie man „inwiefern“ aussprach und was es eigentlich bedeutet, hat das Greenhorn freilich erst Jahre später gelernt… jedenfalls, eine lebendige, sicher an die hundert Köpfe zählende Schar von forschenden Enthusiasten und enthusiastischen Forschern, eine große May-Familie. Also Entwarnung für May?

Neben einem üppigen Rahmenprogramm mit Führungen, Lesung, Gottesdienst und Beisammensein standen die acht Vorträge im Mittelpunkt des Geschehens. Dabei, das muss betont werden, wo doch selbst die ehrwürdige Bayerische Staatsbibliothek das letzte Mal 1999 ein Jahrbuch der KMG angekauft hat, war der Inhalt aller Vorträge mehr als ertragreich, selbst in den wenigen Fällen, wo Ausgestaltung und Präsentation Luft nach oben hatten. Dass eine Liebe zu May – es dürfte niemand an diesen Tagen im Amerikahaus gewesen sein, der sie nicht hatte – mit nüchterner Analyse vereinbar ist, ist ebenfalls etwas, was das Greenhorn von der Tagung mitnehmen durfte.

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Programmatisch sprach bereits am Vorabend der Eröffnung Volker Depkat zu Karl May im Nationalsozialismus. Insbesondere seine Ausführungen dazu, wie Hitler Karl May gelesen hat, selektiv, affirmierend, oft auch gegen die Intention des Autors, ein Paradebeispiel des Autorentods – sie widerlegen überzeugend das oft gebrachte Bild von Karl May als einem geistigen Vorläufer oder Ideengeber Hitlers.

Am Freitag beantwortete dann zunächst Frank Usbeck die Frage, warum alte und neue Nazis sich bis heute ausgerechnet die sog. „Rote Rasse“ als Vorbild nehmen können und nehmen. Vom Ersten Weltkrieg bis zu Anders Breivik wies er nach, wie sich Nationalisten, Faschisten und Rassisten jeweils „ihre“ Indianer erschufen. Selbst die Tatsache, dass die Indianer besiegt und in Reservate verbannt wurden, wurde und wird instrumentalisiert. Wie der Regisseur Philipp Stölzl, der im Rahmen des Kongresses die Marah-Durimeh-Medaille der KMG verliehen bekam, in der Diskussion richtig bemerkte, gab es schließlich im Nationalsozialismus eine nahezu erotische Beziehung zum eigenen heroischen Untergang. Die Indianer reihen sich damit ein in eine lange Reihe von „geeigneten“ nichtarischen Vorbildern solcher Menschen ein – man hätte hier etwa auch Vergleiche zur Japanrezeption in diesen Bewegungen ziehen können.

Eckehard Koch sprach im Anschluss vom Unterschied zwischen wirklichen „zivilisierten Indianern“ des 19. Jahrhunderts und der literarischen Gestalt des Winnetou, wie ihn Karl May dargestellt hat, gefolgt von Thomas Braatz, der vom Kolportageverlag Münchmeyer und Umgang mit dessen „Starautoren“ Karl May und Robert Kraft berichtete. Beim Abendvortrag im Café Luitpold verband schließlich Christian Begemann gekonnt Launigkeit und Germanistik, als er ausgehend vom Motiv des Spurenlesens aufzeigte, wie Karl May Ende des 19. Jahrhunderts etwa Motive des damals neuen und „hippen“ Detektivromans in seine Werke einflocht. Old Shatterhand / Kara Ben Nemsi sind damit nicht weniger Detektive und Superhelden wie Sherlock Holmes – und alle beide Vorgänger von Batman, der seinerseits ja damit wirbt, „the world‘s greatest detective“ zu sein.

Karl May um 1907 (c) Karl-May-Gesellschaft 2022

Am Samstag zeigte Theresa Homm schön auf, welche unterschiedlichen Frauengestalten sich in Karl Mays Old Surehand finden, in dem May Episoden aus seinen früheren Kolportageromanen eingewoben hat. „Nur eine tote Frau ist eine gute Frau“ – das galt allgemein in Romanen des 19. Jahrhunderts, das galt auch bei May, aber eben nicht nur. Hartmut Vollmers Vortrag (gelesen von Florian Schleburg) behandelte dann im Anschluss Mays Kunst des Romanendes bzw. seine Kunst, einen Roman zu beenden, ohne dass die Reisen der Mayschen Helden je ein Ende haben können.

Am letzten Kongresstag beleuchtete schließlich Laura Thüring die Gestalt des Sam Hawkens und den von ihm verkörperten Figurentypus des Mayschen „Westmanns“. Für das Greenhorn vielleicht der gelungenste Vortrag, in jedem Falle aber derjenige, der vielleicht die meisten neuen Ansätze für künftige Forschungen oder (als Leser) des Neu-Erlesens bringen dürfte.

Allen Vorträgen folgten ausführliche Diskussionsrunden, denen man anmerkte, dass es im Saal wohl niemanden außer dem hier schreibenden Greenhorn gab, der nicht die meisten oder alle Texte Karl Mays nebst nicht geringer Sekundärliteratur kannte. Zu hoffen ist, dass mancher geäußerte Gedanke noch Eingang in die Verschriftlichung der Vorträge finden wird.

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Sowohl in den Diskussionen im Vortragssaal, als auch auf den Gängen war freilich immer auch ein Thema präsent, nämlich das der „Winnetou-Debatte“ – also der Frage, ob und inwieweit Karl May in seinen Traumwelten kulturelle Aneignung betrieben hat, und vor allem, ob und inwieweit das zu verurteilen wäre. Im Literaturportal Bayern haben sich dazu ja auch schon bereits Dagmar Leupold allgemein und Christian Schüle konkret geäußert.

Im Zeichen dieser Debatte war es von daher nur richtig, den Kongress mit einem kurzfristig organisierten Panel abzuschließen. Florian Schleburg, Laura Thüring, Roman Leipold, Andreas Brenne und Peter J. Brenner verlasen zunächst Statements, die Karl Mays Blick auf andere Kulturen von verschiedenen Seiten beleuchteten, aber auch Unwissenheit und Kompromisslosigkeit seiner Kritiker erwähnten. Die sich daran anschließende Diskussion war teilweise hitzig. Man fühlte, dass es neben dem wissenschaftlichen Blick auf Karl May auch sehr um Gefühle ging. Gefühle der Karl May-Liebhaber ebenso wie Gefühle derer, die ihn – häufig genug aus Unkenntnis seiner Werke – kritisieren. Gefühle zerstören auch Familien, und die sonst so friedliche familiäre Stimmung auf dem Kongress geriet zeitweise für das Greenhorn ins Wanken.

Hoch ist hier den Panelteilnehmern anzurechnen, dass sie die Diskussion stets wieder in ein rationales Fahrwasser zurücklenkten. Ebenso muss man den meisten Teilnehmern danken, dass sie (bis auf wenige ältere Herren) auch die einzelnen Stimmen im Saal, die die Kritik an May und seinem Werk für (teilweise) berechtigt hielten, annahmen, ernst nahmen und Dialog führten. Dass Dialog nottut, dass weitere Forschung nottut, daran kann kein Zweifel bestehen. Denn die „Winnetou-Debatte“, die sicher mehr von den Karl May-Filmen als von seinen eigentlichen Texten befeuert wird, ist das eine; die teilweise verheerenden Stereotypen in einem Teil der Werke Karl Mays zum Islam, zu Osmanen, Armeniern, Ägyptern und Chinesen, das andere. Um Florian Schleburg zu zitieren: „Reden wir darüber!“

Und man wird reden: Für 2023 plant die KMG ein Symposion in Potsdam und eine in Dortmund. Auf die Vorträge und Diskussionen dort darf man wohl gespannt sein. Das Greenhorn wird sich dann wohl wieder unter die Westmänner und -frauen mischen.