„Literatur am Tegernsee – Bekanntes und Vergessenes“. Über die Ausstellung im Museum Tegernseer Tal
Vom 22. August bis 8. November ist im Museum Tegernseer Tal eine Sonderausstellung unter dem Titel „Literatur am Tegernsee – Bekanntes und Vergessenes“ zu besichtigen. Seit über zwanzig Jahren informiert das Museum im Alten Pfarrhof von Tegernsee mit rund 850 Ausstellungsobjekten vom 14. bis 20. Jahrhundert über die Kultur und Geschichte einer der traditionsreichsten Regionen Altbayerns. Nun liegt der Schwerpunkt ganz auf der dort entstandenen und tradierten Literatur. Der Tegernsee als „Hotspot“ der Literaturgeschichte zieht sich über viele Jahrhunderte: vom bedeutenden Schaffen der Tegernseer Mönche bis hin zu den Heimatkrimis der Gegenwart verbindet er vielerlei Genres und große Namen der deutschen Literaturgeschichte. Das Literaturportal Bayern, das als Kooperationspartner an der Konzeption der Ausstellung mit Autorenporträts mitgewirkt hat, hat sich die Ausstellung angesehen.
*
Dass Tegernsee als „literarischer Thinktank des Spätmittelalters“ gedacht werden kann, zeigt gleich der erste Ausstellungsraum am Eingang. Auf mehreren rund um den Raum aufgehängten Schaufahnen wird auf das „Gelehrte Tegernsee“, seine „Netzwerke“ in Österreich und Bayern, die „Elitäre theologische Debattenkultur“, die „Gedächtniskunst“ und die liturgische Literatur („Hymnen für die Klosterschule“, „Tegernseer Vaterunser“) hingewiesen. Die Tegernseer Mönche diskutierten z.B. verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten des pater noster, um den Laien den richtigen Wortlaut vorzugeben, den sie beten sollten. Der Tegernseer Mönch Johannes Keck, der zusammen mit dem Schreiber und Übersetzer Wolfgang Kydrer vorgestellt wird, nimmt dabei eine besondere Stellung ein. Aber auch dem „Tegernseer Anonymus“, einem anonymen Übersetzer von theologischen Werken aus dem Lateinischen ins spätmittelalterliche Bairische, wird in der Ausstellung nachgegangen. Wichtig sind dessen Übertragungen der Hoheliedpredigten Bernhards von Clairvaux und des prominenten Pariser Theologieprofessors Jean Gerson.
Optisch präsentiert werden die literarischen Schätze Tegernsees in Schaukästen und Stehvitrinen, an Wänden und in Bücherschränken. Einige Schätze stammen aus der ehemaligen Klosterbibliothek und aus der Bibliothek des ehemaligen Psallierchors, eines Chorraums der Mönche, um Gott im Psalmengesang zu danken. Unter den Kostbarkeiten befindet sich das Original-Festspiel zur 1000-Jahr-Feier des Klosters aus dem Jahr 1746 mit der Klostergründungsgeschichte oder die handschriftliche Inventarliste eines „kleinen Teils der Klosterbibliothek“ Ende des 16. Jahrhunderts. Der in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts von einem Tegernseer Mönch verfasste Ritterroman Ruodlieb ist dagegen als Faksimile mit wissenschaftlicher Textedition auszugsweise zu sehen, kann aber auch in einem Nebenraum des Museums digital betrachtet werden.
(c) Literaturportal Bayern
Die Ausstellung hält so manche literarische Entdeckungen für die Besucher*innen bereit. So zum Beispiel einen Eintrag der Schriftstellerin Anna Mayer-Bergwald (1852-1935) ins Gästebuch Bauer in der Au von 1902, einer Leihgabe des Gemeindearchivs Bad Wiessee, das zum ersten Mal für die breite Öffentlichkeit hier ausgestellt wird:
„Stets kehre ich gerne ein in dem Musterhof ‚Bauer in der Au‘ / dessen brave Wirthin durch ihre rührende Thierliebe allein / Sympathie verdient. Der Schützerin der Schwalben / Rufe ich ein ‚Auf frohes Wiedersehen‘ zu. Wenn die / 20 Nestlein im Hause wieder von den Lenzboten / bezogen werden, kehrt auch freudig wieder / der Wandervogel“.
Wenn man weiß, dass Mayer-Bergwald auch Natur- und Umweltschützerin war und sich für einen landschaftsschonenden Tourismus einsetzte, erhält diese Notiz eine besondere Note, zumal ihr umweltbewusstes Anliegen im Gleichklang mit dem Gebaren der schwalbenschützenden Wirtin steht. Überhaupt hielt sich Anna Mayer-Bergwald häufig am Tegernsee auf, wie man aus den die Ausstellung begleitenden Erklärtexten erfährt. Anlässlich des Besuches der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria 1897 in Tegernsee verfasste sie noch das Buch Freudentage am Tegernsee. Eine Rückerinnerung an den Sommer 1897.
Doch Anna Mayer-Bergwald war nicht die einzige der „schreibenden Frauen“ am Tegernsee. Zu ihnen zählen ebenso Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich (1837-1898), die 1887 in Tegernsee den Gedichtzyklus Kreutherstimmungs-Lieder verfasste; Dora Stieler (1875-1957), eine der drei Töchter des durch das Westerhof-Café im ehemaligen „Stielerhaus“ noch heute bekannten Dichters Karl Stieler (1842-1885), die drei Lyrikbände veröffentlichte; die bekannte Bestseller-Autorin Hedwig Courths-Mahler (1869-1950) mit ihren beiden in ihrer „Romanfabrik“ am Tegernseer Mutterhof schreibenden Töchtern Friede Birkner (1891-1985) und Margarete Elzer (1889-1966); sowie die beiden heute zum Teil vergessenen jüdisch-bayerischen Schriftstellerinnen Carry Brachvogel (1864-1942), die in ihrem Buch Sommerdirndln über die Entstehung des Dirndls in Tegernsee berichtet, und Grete Weil (1906-1999). Von letzterer sind u.a. ihre schriftstellerischen Versuche in Form eines in München und Egern entstandenen Weihnachtsspiels von 1920 zu sehen oder eine mit Egern beginnende aufgeschlagene Seite ihres Tagebuchs von 1923 (beides Leihgaben der Monacensia).
(c) Literaturportal Bayern
Besonders eindrucksvoll ist neben dem erwähnten Gästebuch Bauer in der Au vor allem das Büfett aus dem Haus Hedwig Courths-Mahlers sowie ein Porträt der Schriftstellerin, letzteres eine Leihgabe des Archivs ihres Geburtsorts Nebra in Sachsen-Anhalt. Ergänzt wird Courths-Mahler, die zugleich einen eigenen Schwerpunkt in der Ausstellung hat, mit der Auslage einiger ihrer gedruckten Werke (Bücher, aber auch Zeitschriften) und dem Holzprovisorium ihres Grabes. Auf diesem sind folgende Worte eingraviert, die stellvertretend für das ganze Ausstellungsmotto „Bekanntes und Vergessenes“ stehen können: „Das haben die Toten gern, dass man sie lieb [in Erinnerung] behält.“
(c) Literaturportal Bayern
Auch der Schreibtisch Ludwig Thomas (1867-1921), das Tegernseer Gartenbuch Ludwig Ganghofers (1855-1920) sowie viele andere Kleinodien sind in dieser Ausstellung zu finden und machen Lust auf mehr. Das neue soeben zur Ausstellung erschienene Buch Schwefelwasser (Volk Verlag 2020) des niederländischen Journalisten, Literaturkritikers und Publizisten Reinjan Mulder (*1949), das in Form eines sogenannten „Egodokuments“ die Geschichte des deutsch-niederländischen Kurorts Bad Wiessee untersucht, wird ebenfalls in einem Schaukasten präsentiert. „Es ist eine philosophisch-literarische Annäherung an die Erlebnisse seiner Jugend, durchzogen von Reflexionen über den Wandel der Zeit, gepaart mit dem permanenten Wechsel der Perspektiven von Jugend und Alter – und unter verschiedenen gesellschaftlichen Umständen“, konstatiert die Herausgeberin der Buchreihe „Vergessenes Bayern“, Dr. Ingvild Richardsen.
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Die Sonderausstellung ist eine Zusammenarbeit des Museums Tegernseer Tal mit TELITO, den „Tegernseer LiteraTouren“. TELITO ist ein Modell- und Demonstrationsvorhaben im Rahmen des „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE)“ und der Bekanntmachung „LandKULTUR – kulturelle Aktivitäten und Teilhabe in ländlichen Räumen“. Es wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert.
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Vom 22. August bis 8. November ist im Museum Tegernseer Tal eine Sonderausstellung unter dem Titel „Literatur am Tegernsee – Bekanntes und Vergessenes“ zu besichtigen. Seit über zwanzig Jahren informiert das Museum im Alten Pfarrhof von Tegernsee mit rund 850 Ausstellungsobjekten vom 14. bis 20. Jahrhundert über die Kultur und Geschichte einer der traditionsreichsten Regionen Altbayerns. Nun liegt der Schwerpunkt ganz auf der dort entstandenen und tradierten Literatur. Der Tegernsee als „Hotspot“ der Literaturgeschichte zieht sich über viele Jahrhunderte: vom bedeutenden Schaffen der Tegernseer Mönche bis hin zu den Heimatkrimis der Gegenwart verbindet er vielerlei Genres und große Namen der deutschen Literaturgeschichte. Das Literaturportal Bayern, das als Kooperationspartner an der Konzeption der Ausstellung mit Autorenporträts mitgewirkt hat, hat sich die Ausstellung angesehen.
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Dass Tegernsee als „literarischer Thinktank des Spätmittelalters“ gedacht werden kann, zeigt gleich der erste Ausstellungsraum am Eingang. Auf mehreren rund um den Raum aufgehängten Schaufahnen wird auf das „Gelehrte Tegernsee“, seine „Netzwerke“ in Österreich und Bayern, die „Elitäre theologische Debattenkultur“, die „Gedächtniskunst“ und die liturgische Literatur („Hymnen für die Klosterschule“, „Tegernseer Vaterunser“) hingewiesen. Die Tegernseer Mönche diskutierten z.B. verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten des pater noster, um den Laien den richtigen Wortlaut vorzugeben, den sie beten sollten. Der Tegernseer Mönch Johannes Keck, der zusammen mit dem Schreiber und Übersetzer Wolfgang Kydrer vorgestellt wird, nimmt dabei eine besondere Stellung ein. Aber auch dem „Tegernseer Anonymus“, einem anonymen Übersetzer von theologischen Werken aus dem Lateinischen ins spätmittelalterliche Bairische, wird in der Ausstellung nachgegangen. Wichtig sind dessen Übertragungen der Hoheliedpredigten Bernhards von Clairvaux und des prominenten Pariser Theologieprofessors Jean Gerson.
Optisch präsentiert werden die literarischen Schätze Tegernsees in Schaukästen und Stehvitrinen, an Wänden und in Bücherschränken. Einige Schätze stammen aus der ehemaligen Klosterbibliothek und aus der Bibliothek des ehemaligen Psallierchors, eines Chorraums der Mönche, um Gott im Psalmengesang zu danken. Unter den Kostbarkeiten befindet sich das Original-Festspiel zur 1000-Jahr-Feier des Klosters aus dem Jahr 1746 mit der Klostergründungsgeschichte oder die handschriftliche Inventarliste eines „kleinen Teils der Klosterbibliothek“ Ende des 16. Jahrhunderts. Der in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts von einem Tegernseer Mönch verfasste Ritterroman Ruodlieb ist dagegen als Faksimile mit wissenschaftlicher Textedition auszugsweise zu sehen, kann aber auch in einem Nebenraum des Museums digital betrachtet werden.
(c) Literaturportal Bayern
Die Ausstellung hält so manche literarische Entdeckungen für die Besucher*innen bereit. So zum Beispiel einen Eintrag der Schriftstellerin Anna Mayer-Bergwald (1852-1935) ins Gästebuch Bauer in der Au von 1902, einer Leihgabe des Gemeindearchivs Bad Wiessee, das zum ersten Mal für die breite Öffentlichkeit hier ausgestellt wird:
„Stets kehre ich gerne ein in dem Musterhof ‚Bauer in der Au‘ / dessen brave Wirthin durch ihre rührende Thierliebe allein / Sympathie verdient. Der Schützerin der Schwalben / Rufe ich ein ‚Auf frohes Wiedersehen‘ zu. Wenn die / 20 Nestlein im Hause wieder von den Lenzboten / bezogen werden, kehrt auch freudig wieder / der Wandervogel“.
Wenn man weiß, dass Mayer-Bergwald auch Natur- und Umweltschützerin war und sich für einen landschaftsschonenden Tourismus einsetzte, erhält diese Notiz eine besondere Note, zumal ihr umweltbewusstes Anliegen im Gleichklang mit dem Gebaren der schwalbenschützenden Wirtin steht. Überhaupt hielt sich Anna Mayer-Bergwald häufig am Tegernsee auf, wie man aus den die Ausstellung begleitenden Erklärtexten erfährt. Anlässlich des Besuches der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria 1897 in Tegernsee verfasste sie noch das Buch Freudentage am Tegernsee. Eine Rückerinnerung an den Sommer 1897.
Doch Anna Mayer-Bergwald war nicht die einzige der „schreibenden Frauen“ am Tegernsee. Zu ihnen zählen ebenso Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich (1837-1898), die 1887 in Tegernsee den Gedichtzyklus Kreutherstimmungs-Lieder verfasste; Dora Stieler (1875-1957), eine der drei Töchter des durch das Westerhof-Café im ehemaligen „Stielerhaus“ noch heute bekannten Dichters Karl Stieler (1842-1885), die drei Lyrikbände veröffentlichte; die bekannte Bestseller-Autorin Hedwig Courths-Mahler (1869-1950) mit ihren beiden in ihrer „Romanfabrik“ am Tegernseer Mutterhof schreibenden Töchtern Friede Birkner (1891-1985) und Margarete Elzer (1889-1966); sowie die beiden heute zum Teil vergessenen jüdisch-bayerischen Schriftstellerinnen Carry Brachvogel (1864-1942), die in ihrem Buch Sommerdirndln über die Entstehung des Dirndls in Tegernsee berichtet, und Grete Weil (1906-1999). Von letzterer sind u.a. ihre schriftstellerischen Versuche in Form eines in München und Egern entstandenen Weihnachtsspiels von 1920 zu sehen oder eine mit Egern beginnende aufgeschlagene Seite ihres Tagebuchs von 1923 (beides Leihgaben der Monacensia).
(c) Literaturportal Bayern
Besonders eindrucksvoll ist neben dem erwähnten Gästebuch Bauer in der Au vor allem das Büfett aus dem Haus Hedwig Courths-Mahlers sowie ein Porträt der Schriftstellerin, letzteres eine Leihgabe des Archivs ihres Geburtsorts Nebra in Sachsen-Anhalt. Ergänzt wird Courths-Mahler, die zugleich einen eigenen Schwerpunkt in der Ausstellung hat, mit der Auslage einiger ihrer gedruckten Werke (Bücher, aber auch Zeitschriften) und dem Holzprovisorium ihres Grabes. Auf diesem sind folgende Worte eingraviert, die stellvertretend für das ganze Ausstellungsmotto „Bekanntes und Vergessenes“ stehen können: „Das haben die Toten gern, dass man sie lieb [in Erinnerung] behält.“
(c) Literaturportal Bayern
Auch der Schreibtisch Ludwig Thomas (1867-1921), das Tegernseer Gartenbuch Ludwig Ganghofers (1855-1920) sowie viele andere Kleinodien sind in dieser Ausstellung zu finden und machen Lust auf mehr. Das neue soeben zur Ausstellung erschienene Buch Schwefelwasser (Volk Verlag 2020) des niederländischen Journalisten, Literaturkritikers und Publizisten Reinjan Mulder (*1949), das in Form eines sogenannten „Egodokuments“ die Geschichte des deutsch-niederländischen Kurorts Bad Wiessee untersucht, wird ebenfalls in einem Schaukasten präsentiert. „Es ist eine philosophisch-literarische Annäherung an die Erlebnisse seiner Jugend, durchzogen von Reflexionen über den Wandel der Zeit, gepaart mit dem permanenten Wechsel der Perspektiven von Jugend und Alter – und unter verschiedenen gesellschaftlichen Umständen“, konstatiert die Herausgeberin der Buchreihe „Vergessenes Bayern“, Dr. Ingvild Richardsen.
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Die Sonderausstellung ist eine Zusammenarbeit des Museums Tegernseer Tal mit TELITO, den „Tegernseer LiteraTouren“. TELITO ist ein Modell- und Demonstrationsvorhaben im Rahmen des „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE)“ und der Bekanntmachung „LandKULTUR – kulturelle Aktivitäten und Teilhabe in ländlichen Räumen“. Es wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert.