POMONA-Salon über Sophie La Roches letzte große Reise

Der Freundeskreis Sophie La Roche e.V. veranstaltete Ende letzten Jahres einen literarischen Salon zu Sophie La Roches Reise nach Offenbach, Weimar und Schönebeck im Jahr 1799. Anhand von Tagebucheinträgen der damals 68-Jährigen und weiteren Zeitzeugenberichten fand eine Rekonstruktion der prägendsten Erlebnisse und Begegnungen ihrer Reise statt.

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Bevor die Salonieren des Freundeskreises Sophie La Roche, Christa Berge, Wiltrud Fleischmann, Helga Ilgenfritz und Karin Klinger im Rahmen der jüngsten POMONA-Salonveranstaltung auf das eigentliche Thema des literarischen Nachmittags im Stadtmuseum Kaufbeuren eingingen, wurde aus aktuellem Anlass die kürzlich, erst 2019, vorgenommene Verleihung des Literaturnobelpreises für das Jahr 2018 an Olga Tokarczuk aus Polen thematisch vorangestellt. 

Olga Tokarczuk, geboren 1962 in Polen, lässt in ihrem neuesten Roman Jakobsbücher vor allem über ihre Figuren erzählen und sorgt dabei für Spannung. Dabei widmet die Nobelpreisträgerin der deutschen Aufklärerin Sophie von La Roche in Bd. 31 des Romans weiten Raum. Über diese aktuelle Nobelpreis-Verleihung erfährt die 1730 in Kaufbeuren geborene Sophie La Roche, die „Großmutter der Brentanos", wieder einen besonderen und in diesem Fall hochrangigen aktuellen Bezug zur Literatur der Gegenwart.

Aus der Bibliographie von Sophie La Roche, die in der Literaturwissenschaft als erste (Reise-)Journalistin im deutschen Sprachraum geführt wird, ergeben sich zunächst vier Tagebücher über Reisen ins europäische Ausland: Reise durch die Schweiz von 1784, Reise durch Frankreich von 1785, Reise durch Holland und England von 1787 und Dritte Schweizerreise von 1791/1792. Diese Reisen zeigen ein nachhaltiges Interesse Sophie La Roches für das Thema Europa und lassen Sophie La Roche als eine sehr frühe Europäerin in einem ebensolchen Geiste erscheinen.

Im Rahmen der Vorstellung ihrer fünften Reise beschrieben die Salonieren zunächst die gesamte Reiseroute, die Sophie La Roche 1799 von Offenbach nach Weimar und Schönebeck führte und unter dem Titel Schattenrisse abgeschiedener Stunden in Offenbach, Weimar und Schönebeck im Jahr 1799 festgehalten wurde. Dieses Reisetagebuch wurde im Jahr 1800 in Leipzig veröffentlicht.
 
Der Reisebericht beginnt mit der Abreise von Sophie von La Roche in Offenbach, die wegen der akuten Erkrankung ihrer Tochter Luise mit Verspätung erfolgen musste. Das Ereignis zeigte ihr jedoch auch, wie endlich das Leben ist, und sie verfertigte noch am Tag vor der Abreise ihr Testament, das sie in die treuen Hände des Syndikus Schlosser legte.

Sehr wichtig war ihr - obwohl sie Zeit ihres Lebens evangelisch geblieben war und dies, gewissermaßen in ständiger katholischer Umgebung an den großen Höfen in Mainz und Trier durch ihre Diskretion darüber auch bleiben konnte (Zitat auf Nachfragen: „Ich bin die Frau meines Mannes und dabei will ich es belassen.") - testamentarisch ausdrücklich festzulegen, auf dem katholischen Friedhof in der Gemeinde Bürgel bei Offenbach die letzte Ruhe zu finden, neben ihrem katholischen Mann und ihrem geliebten, ebenfalls katholischen Sohn Franz. Um es mit den zeitgenössischen Worten von Sophie La Roche auszudrücken: „Um meinen Staub mit dem ihrigen zu mischen."
 
Am 11. Juli 1799 konnte sie die Reise, auf der sie von ihrer Enkelin Sophie Brentano begleitet wurde, endgültig beginnen. Die Route führte zunächst über Fulda, Bebra, Bacha und Berka nach Eisenach. Da aufgrund des schlechten Wetters ein Besuch der Wartburg ausfallen musste, reiste Sophie La Roche umgehend weiter über Gotha und Erfurt nach Weimar, um sofort Christoph Martin Wieland aufzusuchen, nahe Weimar auf dem Gut Oßmannstedt.

Am 15. Juli, nach beinahe 30 Jahren Trennung, sah sie mit Christoph Martin Wieland ihren Cousin, Jugendfreund und frühen Verlobten wieder: „O wer wollte diese Gefühle und die Bilder der Erinnerung beschreiben, welche da meine Seele überwältigten!?" Während ihres Aufenthalts folgte sie auch einer Einladung der verwitweten Herzogin Anna Amalia und traf dabei mit Goethe und Wieland auf Schloss Tiefurt zusammen. Sie lernte zudem die erste Hofdame der Herzogin Amalia, Luise von Göchhausen kennen. Diese hatte aufgrund ihrer Intelligenz eine besondere Stellung am Hofe der Weimarer Herzogin. Mit dabei waren auch Charlotte von Stein, die bekanntermaßen von Goethe sehr verehrt wurde, und Amalie von Imhof, eine bekannte Dichterin und Malerin zu jener Zeit.

Wenige Tage später wurde Sophie La Roche auch von Goethe eigens zu einem Festmahl eingeladen. Die Feier setzte sich fort im Park von Weimar, wo Sophie la Roche die Gattin des amtierenden Herzogs treffen sollte, die sie bereits als Kind und Tochter der Fürstin von Darmstadt 1771 kennengelernt hatte. Die junge Herzogin machte dabei Sophie auch mit Johann Gottfried Herder bekannt. Eine Begegnung mit Friedrich von Schiller, der erst 1799 nach Weimar kam, fand ebenfalls statt.

Ebenso traf sie den Oberkonsistorialrat Karl August Böttiger, der in seinen Aufzeichnungen die Weimarer Gesellschaft oft mit spitzer Feder und satirischer Note versah. Dessen Notizen wurden 1838 in dem zweibändigen Buch Literarische Zustände und Zeitgenossen in Schilderungen aus dem Nachlass zusammengefasst. Böttiger war der Zeitzeuge, der auch Gesprächsinhalte zwischen der Herzogin Anna Amalia und Sophie La Roche überlieferte.

Nachdem bekannt war, dass Herzogin Amalia auf ihrer Rom-Reise auch durch Kaufbeuren gereist sein musste, sagte Sophie La Roche zur Herzogin: „Sie mussten durch den Ort, der die heiligste Person [gemeint war die erst im Jahr 2001 heiliggesprochene Crescentia] und die profanste Frau erzeugt hat, denn eine Romanschreiberin ist freilich die profanste von allen". So untertreibend bezeichnete sich Sophie selbst.
 
Anhand von vielen Textbeispielen führten die Salonieren durch dieses Reisetagebuch, das auch das zu Ende gehende 18. Jahrhundert gewissermaßen abschließt. Findet die erste Reise von Sophie La Roche (1784) noch im Vorfeld der französischen Revolution statt, wird die letzte (1799), inmitten der napoleonischen Ära, in die Hauptstadt der Weimarer Klassik führen, die 1772 von Christoph Martin Wieland begründet und mit Johann Wolfgang von Goethe (ab 1775), Johann Gottfried Herder (ab 1776) und Friedrich Schiller (ab 1799) fortgesetzt wurde.

Sophie La Roche berichtet über allgemeine Reisebegebenheiten, über Beobachtungen und Erinnerungen, beispielsweise über die vielen sterbenden Bäume, Wetterbeobachtungen, sogar frühkindliche Erinnerungen an die Memminger Baumpflanzungen der Familie ihrer Mutter, Barbara von Unold, überkamen sie während der Reise. Über die Begegnungen mit den bedeutenden Weimarer Zeitgenossen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, vor allem mit den literarischen Meistern und anderen großen Künstlern, aber auch mit Mitgliedern der preußischen und der anderen Adelsgeschlechter, mit den Politikern der Zeit, über die Situation des Ständestaates, über neue Erkenntnisse, über viele philosophische Aspekte und über die bevorstehenden Abschiede wird ebenfalls berichtet.

Sophie La Roche teilt  beispielsweise auch mit, dass zu jener Zeit vor über 200 Jahren in Schönebeck Schiffe mit geschälten Baumstämmen angelandet sind, da wegen einer schlimmen Borkenkäferplage großflächig Wälder abgeholzt werden mussten. Sophie La Roche denkt mit ihren Erinnerungen in Weimar auch an Ihre Geburtsstadt Kaufbeuren zurück: „Hier flüsterte mein Herz mir zu: Gewiß liegen die ersten Faden der mich an Großbritannien ziehenden Bande, in der mit Bäumen besetzten Wiese, nahe bey Kaufbeuren im Algöw, wo ich schon in dem zarten Alter von drey Jahren mich so äußerst glücklich fühlte?"
 
Nach einer nochmaligen Einladung Wielands fand sich die gesamte Weimarer Gesellschaft auf seinem Rittergut in Oßmannstedt ein. Zu Gast war bei dieser Gelegenheit auch der damals außerordentlich berühmte Dichter Jean Paul (Richter) aus Wunsiedel/Bayreuth, der bereits in einem vorausgegangenen POMONA-Salon vor einigen Jahren vorgestellt wurde.

Am 11. August 1799 wurde Sophie La Roche von ihrem Sohn Carl La Roche und dessen sechsjährigen Tochter Bertha abgeholt, er fuhr mit beiden nach Schönebeck, wo Carl La Roche als Bergrat ein Salzbergwerk leitete. Die Schwiegertochter begrüßte sie in deren Wohnung auf einer Burg. Während ihres weiteren Aufenthaltes im Raum Weimar machte Sophie viele Besuche und wurde in den weiteren Bekanntenkreisen vorgestellt. Ein Besuch galt auch dem Dorf Gnadenau, ein erst vierzig Jahre zuvor von den Mitgliedern der „Herrnhuter Brüder" angelegtes Dorf.

Bei ihrem etwas mehr als einen Monat währenden Aufenthalt lernte Sophie auch die nähere und weitere Umgebung von Schönebeck kennen. Am 18. September 1799 reiste sie wieder zurück zu Wieland nach Oßmannstedt. Ihr wurde im Rahmen dieser Begegnung auch bewusst, dass sie ihren Sohn Carl und dessen Familie wohl zum letzten Mal gesehen haben dürfte. In Leipzig besuchte sie weitere Freunde und Bekannte. Dort wurden bereits zur Zeit Sophie La Roches viele Feldstücke als Schrebergärten hinter den Häusern der Vorstadt verpachtet.

Ein Herr Arndt von der Insel Rügen begleitete sie weiter, zunächst nach Weißenfels mit dem hochliegenden Residenzschloss des ehemaligen Zweiges der Linie Sachsen-Weißenfels um erneut nach Oßmannstedt zurückzukehren. Im letzten Teil ihrer Reise nach Oßmannstedt beschreibt Sophie La Roche eindrücklich ihre andauernde platonische Liebe zu Wieland: „Wieland, immer wieder Wieland?"

„So wurde ich zu meiner Abreise von Oßmannstedt bereitet, und verließ diesen Schauplatz letzter schöner Träumereyen an dem Abend meines Lebens, den 4. October 1799." Ihre Rückreise führte sie über Darmstadt, wo sie am 11. Oktober 1799 Gast der Herzogin Luise war. Mit deren Mutter, der Landgräfin von Darmstadt, befand sich Sophie La Roche in einem regelmäßigen Schriftwechsel.
 
Nachdem Sophie La Roches Enkel Clemens, der als 22-Jähriger zu jener Zeit in Jena Medizin studierte, zusammen mit seiner Schwester Sophie Brentano die Großmutter Sophie La Roche auf ihrer Rückreise vom Weimarer Land nach Offenbach begleitete, kommentierte dies Sophie La Roche: „Zwey gute Kinder meiner geliebten verstorbenen Tochter brachten mich wohl und vergnügt in das angenehme Offenbach, zu meiner Tochter Luise und drey Enkelinnen zurück; gütige Freunde und Nachbarn sagten mir Willkommen."