Alexander Kluge: neue Ausstellung „Pluriversum" im Literaturhaus München
Mit Alexander Kluge ist in den nächsten Monaten einer der bedeutendsten in München lebenden Künstler und gleichzeitig einer der größten Intellektuellen Deutschlands mit einer Ausstellung zu Gast im Literaturhaus München. Seine Denkwerkstatt Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie gibt vielseitige Einblicke in sein künstlerisches Werk und lädt bis Ende September zum Anschauen, Verweilen und Nachdenken ein. Marina Babl hat die Ausstellung für uns besucht.
*
Wer in den Himmel blickt, hat geradezu unendliche Weiten vor sich. Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Durchmesser unseres Universums etwa 93 Milliarden Lichtjahre beträgt. Wie groß muss dann erst das Pluriversum sein? Eine Antwort auf diese Frage gibt Alexander Kluge mit seiner neuen Ausstellung im Literaturhaus München.
Dass man sich dabei in galaktische Sphären des schier unendlichen Wissens begibt, bemerkt man als Besucher gleich, wenn man die Ausstellung betritt. Man wird nämlich von einem in magischem Licht erstrahlenden Sternenhimmel umgeben. Zwischen den leuchtenden Gestirnen sind die wichtigsten Begriffe von Kluges Denken und Schaffen festgehalten. Sie bilden gleichsam einen Themenüberblick über das Ausgestellte und umkreisen die großen Fragen unserer Zeit. So befindet man sich sofort mitten in Kluges Kosmos, wird eingehüllt von seinen Ideen und Gedanken.
Für Kluge hat der Kosmos dabei immer auch etwas Tröstliches: „Er hält alles zusammen, umhüllt uns wie ein Mutterleib. Mir gefällt der Gedanke, dass uns etwas umgibt und zusammenhält, das größer ist als wir.“ Ähnliches gilt auch für die Ausstellung. Denn auch wenn diese rein optisch betrachtet nicht mehr Raum einnimmt als die Vorgängerausstellungen im Literaturhaus auch, so sollte man sich im Pluriversum doch am besten gleich von dem Ziel verabschieden, alles sehen und verstehen zu wollen. Bei allein über 400 Stunden an ausgestelltem Filmmaterial ist dies auch schlichtweg nicht möglich.
Die multimediale Rauminstallation besteht aus dutzenden Filmen, Bildern, Zitaten, Skulpturen und Klangstationen und verdeutlicht verteilt auf acht verschiedene Gedankenräume einen Ausschnitt der Bandbreite an Themen und Ideen, mit denen sich Alexander Kluge im Laufe seines Lebens beschäftigt hat. Der inzwischen 87-Jährige kann dabei auf eine sehr lange und produktive Schaffensphase zurückblicken, hat aber – wie er selbst erklärt – auch noch sehr viel vor.
links: Theodor W. Adorno mit Alexander Kluge, Frankfurt 1963 © Stefan Moses Archiv; rechts: Alexander Kluge lesend in Minutenfilme © Kairos Film
Kluge wird 1932 in Halberstadt geboren und ist promovierter Jurist. 1956 nimmt er eine Stelle als Rechtsberater am Frankfurter Institut für Sozialforschung an und wird dabei nach kurzer Zeit enger Vertrauter des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno sowie Anhänger dessen Kritischer Theorie. Nebenbei absolviert er ein Volontariat bei Filmregisseur Fritz Lang und tritt bereits Anfang der 1960er Jahre zunehmend als Schriftsteller und Filmemacher in Erscheinung. Dabei erhält er gleich für sein Spielfilmdebüt Abschied von Gestern (1966) mit seiner Schwester Alexandra Kluge in der Hauptrolle den Silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig.
Bis Mitte der 1980er Jahre folgen 13 weitere abendfüllende Spielfilme, er schreibt vier Geschichtsbände und setzt zusammen mit Oskar Negt die Kritische Theorie philosophisch-soziologisch fort. Später entdeckt er das Privatfernsehen für sich und führt sogenannte Kulturfenster ein, die er durch Gespräche mit Künstlern, Wissenschaftlern, Musikern, Filmemachern, Schriftstellern und Politikern sowie durch Musikmagazine, Bilder ohne Worte oder die bekannte Reihe Facts & Fakes zu füllen weiß.
Seit der Jahrtausendwende widmet sich Kluge wieder verstärkt der Literatur, sowohl mit eigenen Büchern (zuletzt 2015 Kongs große Stunde – Chronik eines Zusammenhangs) als auch mit Kooperationsbänden, zum Beispiel zusammen mit Ferdinand von Schirach oder Ben Lerner.
Dass Kluge immer wieder den Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sucht, wird auch in der Ausstellung deutlich. Ganz nach Kluges Motto „Ohne von anderen Gestirnen beleuchtet zu werden, leuchtet mein Mond nicht“ finden sich in der Denkwerkstatt beispielsweise Werke von Thomas Thiede, Stefan Moses und Paul Klee wieder. In den Filmen sind unter anderem Niklas Luhmann und Helge Schneider zu sehen.
Das Prinzip, nach dem Kluge eigene und fremde Ideen, Vergangenes und Gegenwärtiges, Historisches und Biografisches miteinander verknüpft, bezeichnet er selbst dabei, getreu seiner Kosmosmetaphorik, als konstellatives Arbeiten. Verbindungen müssen für Kluge nicht linear oder sofort ersichtlich sein, sondern dürfen loser, assoziativer und freier gestaltet sein – wie die Architektur eines Sternenhimmels.
links: Riesenkänguru © Alexander Kluge Archiv; rechts: Helge Schneider im Fernsehen in Im Weltall braucht man keine Lesebrille © Kairos Film
Kluge schafft Verbindungen dabei auch dort, wo andere sie niemals vermuten würden. Da befindet sich in der Ausstellung zum Beispiel ein Bildschirm mit einem Film über die Zukunft der industriellen Arbeitswelt direkt neben einem Bild, das ein ausgestorbenes Riesenkänguru zeigt. Beide kreisen um das Konzept Lebenszeit. In einem anderen Raum zeigt ein Film Kluges Vater bei einem Besuch in München; direkt daneben hängt eine Abbildung Napoleons an der Wand.
Genau dies sei der entscheidende Vorteil von Ausstellungen gegenüber anderen Darbietungsformen wie Filmen oder Lesungen, so Kluge: „Zusammenhänge können sich so auch zwischen Dingen mit verschieden großem Gewicht entwickeln und alles Ausgestellte ist gleichzeitig erfahrbar. Film, Kunst und Literatur sollten unbedingt zusammen gedacht und gezeigt werden und genau das kann eine Ausstellung leisten. Hier wird Öffentlichkeit geschaffen und Zusammenhänge werden begehbar.“
In ähnlicher Form war die Ausstellung bereits in Essen und Wien zu sehen, für die Münchner Version wurde die Schau von Alexander Kluge in Zusammenarbeit mit Kuratorin Karolina Kühn jedoch in vielerlei Hinsicht variiert und ergänzt. Ein klarer Schwerpunkt liegt nun auf 30 Jahre Wiedervereinigung und auch der Sternenhimmel und Filme wie Ich bin eine Leseratte mit Helge Schneider sind neu.
All dies zeigt: Das Pluriversum ist wohl niemals bin in den letzten Winkel erforscht und kann sich immer wieder in neuen Facetten zeigen. Die Ausstellung will als Denkwerkstatt verstanden werden – das spiegelt sich nicht nur in bewusst installierten Baustellen mit losen Kabeln und Absperrbändern wider, sondern auch in einer komplett individuellen Erfahrung, die jeder Besucher je nach eigener Schwerpunktsetzung und eigenen Interessen in dieser Ausstellung machen wird. Das Pluriversum ist groß.
*
Alexander Kluge: Pluriversum – Die poetische Kraft der Theorie
bis zum 29.09.2019
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa/So/Feiertag 10-18 Uhr
Eintritt: 7/4 € (montags Studierende und SchülerInnen 2€)
Alexander Kluge: neue Ausstellung „Pluriversum" im Literaturhaus München>
Mit Alexander Kluge ist in den nächsten Monaten einer der bedeutendsten in München lebenden Künstler und gleichzeitig einer der größten Intellektuellen Deutschlands mit einer Ausstellung zu Gast im Literaturhaus München. Seine Denkwerkstatt Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie gibt vielseitige Einblicke in sein künstlerisches Werk und lädt bis Ende September zum Anschauen, Verweilen und Nachdenken ein. Marina Babl hat die Ausstellung für uns besucht.
*
Wer in den Himmel blickt, hat geradezu unendliche Weiten vor sich. Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Durchmesser unseres Universums etwa 93 Milliarden Lichtjahre beträgt. Wie groß muss dann erst das Pluriversum sein? Eine Antwort auf diese Frage gibt Alexander Kluge mit seiner neuen Ausstellung im Literaturhaus München.
Dass man sich dabei in galaktische Sphären des schier unendlichen Wissens begibt, bemerkt man als Besucher gleich, wenn man die Ausstellung betritt. Man wird nämlich von einem in magischem Licht erstrahlenden Sternenhimmel umgeben. Zwischen den leuchtenden Gestirnen sind die wichtigsten Begriffe von Kluges Denken und Schaffen festgehalten. Sie bilden gleichsam einen Themenüberblick über das Ausgestellte und umkreisen die großen Fragen unserer Zeit. So befindet man sich sofort mitten in Kluges Kosmos, wird eingehüllt von seinen Ideen und Gedanken.
Für Kluge hat der Kosmos dabei immer auch etwas Tröstliches: „Er hält alles zusammen, umhüllt uns wie ein Mutterleib. Mir gefällt der Gedanke, dass uns etwas umgibt und zusammenhält, das größer ist als wir.“ Ähnliches gilt auch für die Ausstellung. Denn auch wenn diese rein optisch betrachtet nicht mehr Raum einnimmt als die Vorgängerausstellungen im Literaturhaus auch, so sollte man sich im Pluriversum doch am besten gleich von dem Ziel verabschieden, alles sehen und verstehen zu wollen. Bei allein über 400 Stunden an ausgestelltem Filmmaterial ist dies auch schlichtweg nicht möglich.
Die multimediale Rauminstallation besteht aus dutzenden Filmen, Bildern, Zitaten, Skulpturen und Klangstationen und verdeutlicht verteilt auf acht verschiedene Gedankenräume einen Ausschnitt der Bandbreite an Themen und Ideen, mit denen sich Alexander Kluge im Laufe seines Lebens beschäftigt hat. Der inzwischen 87-Jährige kann dabei auf eine sehr lange und produktive Schaffensphase zurückblicken, hat aber – wie er selbst erklärt – auch noch sehr viel vor.
links: Theodor W. Adorno mit Alexander Kluge, Frankfurt 1963 © Stefan Moses Archiv; rechts: Alexander Kluge lesend in Minutenfilme © Kairos Film
Kluge wird 1932 in Halberstadt geboren und ist promovierter Jurist. 1956 nimmt er eine Stelle als Rechtsberater am Frankfurter Institut für Sozialforschung an und wird dabei nach kurzer Zeit enger Vertrauter des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno sowie Anhänger dessen Kritischer Theorie. Nebenbei absolviert er ein Volontariat bei Filmregisseur Fritz Lang und tritt bereits Anfang der 1960er Jahre zunehmend als Schriftsteller und Filmemacher in Erscheinung. Dabei erhält er gleich für sein Spielfilmdebüt Abschied von Gestern (1966) mit seiner Schwester Alexandra Kluge in der Hauptrolle den Silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig.
Bis Mitte der 1980er Jahre folgen 13 weitere abendfüllende Spielfilme, er schreibt vier Geschichtsbände und setzt zusammen mit Oskar Negt die Kritische Theorie philosophisch-soziologisch fort. Später entdeckt er das Privatfernsehen für sich und führt sogenannte Kulturfenster ein, die er durch Gespräche mit Künstlern, Wissenschaftlern, Musikern, Filmemachern, Schriftstellern und Politikern sowie durch Musikmagazine, Bilder ohne Worte oder die bekannte Reihe Facts & Fakes zu füllen weiß.
Seit der Jahrtausendwende widmet sich Kluge wieder verstärkt der Literatur, sowohl mit eigenen Büchern (zuletzt 2015 Kongs große Stunde – Chronik eines Zusammenhangs) als auch mit Kooperationsbänden, zum Beispiel zusammen mit Ferdinand von Schirach oder Ben Lerner.
Dass Kluge immer wieder den Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sucht, wird auch in der Ausstellung deutlich. Ganz nach Kluges Motto „Ohne von anderen Gestirnen beleuchtet zu werden, leuchtet mein Mond nicht“ finden sich in der Denkwerkstatt beispielsweise Werke von Thomas Thiede, Stefan Moses und Paul Klee wieder. In den Filmen sind unter anderem Niklas Luhmann und Helge Schneider zu sehen.
Das Prinzip, nach dem Kluge eigene und fremde Ideen, Vergangenes und Gegenwärtiges, Historisches und Biografisches miteinander verknüpft, bezeichnet er selbst dabei, getreu seiner Kosmosmetaphorik, als konstellatives Arbeiten. Verbindungen müssen für Kluge nicht linear oder sofort ersichtlich sein, sondern dürfen loser, assoziativer und freier gestaltet sein – wie die Architektur eines Sternenhimmels.
links: Riesenkänguru © Alexander Kluge Archiv; rechts: Helge Schneider im Fernsehen in Im Weltall braucht man keine Lesebrille © Kairos Film
Kluge schafft Verbindungen dabei auch dort, wo andere sie niemals vermuten würden. Da befindet sich in der Ausstellung zum Beispiel ein Bildschirm mit einem Film über die Zukunft der industriellen Arbeitswelt direkt neben einem Bild, das ein ausgestorbenes Riesenkänguru zeigt. Beide kreisen um das Konzept Lebenszeit. In einem anderen Raum zeigt ein Film Kluges Vater bei einem Besuch in München; direkt daneben hängt eine Abbildung Napoleons an der Wand.
Genau dies sei der entscheidende Vorteil von Ausstellungen gegenüber anderen Darbietungsformen wie Filmen oder Lesungen, so Kluge: „Zusammenhänge können sich so auch zwischen Dingen mit verschieden großem Gewicht entwickeln und alles Ausgestellte ist gleichzeitig erfahrbar. Film, Kunst und Literatur sollten unbedingt zusammen gedacht und gezeigt werden und genau das kann eine Ausstellung leisten. Hier wird Öffentlichkeit geschaffen und Zusammenhänge werden begehbar.“
In ähnlicher Form war die Ausstellung bereits in Essen und Wien zu sehen, für die Münchner Version wurde die Schau von Alexander Kluge in Zusammenarbeit mit Kuratorin Karolina Kühn jedoch in vielerlei Hinsicht variiert und ergänzt. Ein klarer Schwerpunkt liegt nun auf 30 Jahre Wiedervereinigung und auch der Sternenhimmel und Filme wie Ich bin eine Leseratte mit Helge Schneider sind neu.
All dies zeigt: Das Pluriversum ist wohl niemals bin in den letzten Winkel erforscht und kann sich immer wieder in neuen Facetten zeigen. Die Ausstellung will als Denkwerkstatt verstanden werden – das spiegelt sich nicht nur in bewusst installierten Baustellen mit losen Kabeln und Absperrbändern wider, sondern auch in einer komplett individuellen Erfahrung, die jeder Besucher je nach eigener Schwerpunktsetzung und eigenen Interessen in dieser Ausstellung machen wird. Das Pluriversum ist groß.
*
Alexander Kluge: Pluriversum – Die poetische Kraft der Theorie
bis zum 29.09.2019
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa/So/Feiertag 10-18 Uhr
Eintritt: 7/4 € (montags Studierende und SchülerInnen 2€)