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13.05.2019, 15:46 Uhr
Mona Kästle
Spektakula
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DOK.fest 2019: "The Miracle Of The Little Prince"

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THE MIRACLE OF THE LITTLE PRINCE © DOK.fest München

Tibetisch, Tamazight, Sami oder Nahuat: In mehr als 300 Sprachen wurde die französische Erzählung Der kleine Prinz (Le Petit Prince) von Antoine de Saint-Exupéry übersetzt. Poetisch und einfühlsam porträtiert der Film THE MIRACLE OF THE LITTLE PRINCE auf dem 34. DOK.fest München die ÜbersetzerInnen und gibt Einblicke in ihre – zum Teil indigenen – Sprachen und Kulturen. Mona Kästle war vor Ort und hat sich den Film angesehen.

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Die Kamera zeigt eine kilometerlange Wüstenlandschaft. Steinwüste. Irgendwann erreicht sie einen Vulkan. Man sieht den felsigen Krater von oben. Rot-braunes Gestein, eine raue, kaum bewachsene Landschaft. Die Landschaft des kleinen Prinzen.

Nicht ganz, denn die Bilder zeigen nicht den Asteroiden B 612, sondern Marokko, wo die Reise der Dokumentation beginnt. Sie führt uns, genau wie die Reise des kleinen Prinzen, von dort aus um die ganze Welt, und man begegnet dabei den unterschiedlichsten Menschen. Diese haben jedoch alle etwas gemeinsam: Sie übersetzen den Kleinen Prinz von Antoine de Saint-Exupéry.

Inspiration für den Kleinen Prinzen empfing Saint-Exupéry sehr wahrscheinlich während seiner Stationierungen in Marokko. „Das ist für mich die schönste und traurigste Landschaft der Welt“, schreibt er am Ende der Geschichte.

Hier ist der kleine Prinz auf der Erde erschienen und wieder verschwunden. Schaut diese Landschaft genau an, damit ihr sie sicher wiedererkennt, wenn ihr eines Tages durch die afrikanische Wüste reist. [...] Wenn dann ein Kind auf euch zukommt, wenn es lacht, wenn es goldene Haare hat, wenn es nicht antwortet, so man es fragt, dann werdet ihr wohl erraten, wer es ist.

 

THE MIRACLE OF THE LITTLE PRINCE © DOK.fest München

Der Kleine Prinz ist neben der Bibel das meist übersetzte Buch der Welt. Es wurde in über 350 Sprachen und Dialekte übersetzt. Beispielsweise auch ins Bairische bzw. Österreichische (vgl. Da kloa Prinz von Gerd Holzheimer und neuerdings Da gloane Prinz von Johannes Limmer). Manche der Sprachen werden heute kaum noch gesprochen und sind bedroht. Die Übersetzung des Kleinen Prinzen trägt zur Erhaltung dieser Sprachen bei. In dem Film The Miracle of the Little Prince porträtiert die Regisseurin und Fotografin Marjoleine Boonstra die ÜbersetzerInnen, die die Geschichte aus dem Französischen übertragen haben. Übersetzt wurde in die Sprachen Tamazight (Nordafrika), Sami (Nordfinnland und Skandinavien), Nahuat (El Salvador) und ins Tibetische. Alles Sprachen, die in Gefahr sind.

Immer wieder zeigt uns der Film die verschiedenen Landschaften der Orte. Im Hintergrund wird der Kleine Prinz wie Filmmusik in der jeweiligen Übersetzung vorgelesen.

In der marokkanischen Wüste leben die beiden Autoren Lahbib Fouad und sein Freund Omar Taous. Sie sprechen Tamazight, eine Berbersprache, die ungefähr 40 Millionen Sprecher hat und neben Arabisch die zweite offizielle Sprache Marokkos ist. Omar Taous malt mit dem Finger berberische Schriftzeichen in den Sand. In der Schule mussten sie Arabisch sprechen. Seit über 30 Jahren kämpfen die beiden für die Erhaltung von Tamazight.

 

THE MIRACLE OF THE LITTLE PRINCE © DOK.fest München

An der Grenze zu Norwegen und Finnland leben die Samen, ein kleines indigenes Volk des Nordens. Die Kamera zeigt uns eine skandinavische Winterlandschaft. Rentiere und Elche waten durch den Schnee, der ihnen bis zum Bauch reicht. Hier begegnen wir Kerttu Vuolab. Als sie jung war, wurde die Sami auf dem Internat wegen ihrer Kultur und Sprache schikaniert. Sie musste Finnisch sprechen lernen. Als junge Erwachsene beschloss sie den Kleinen Prinzen ins Samische zu übersetzen. Mit Hilfe ihrer Mutter, die die Sprache fließend spricht, beginnt sie das Buch in Sami zu übertragen. „Ich habe meine Heimatsprache durch das Übersetzen des Kleinen Prinz wiederentdeckt“, sagt Kerttu Vuolab.

Die Reise geht weiter nach Paris, wo Tashi Kyi und Noyontsang Lamokyab wohnen. Die beiden Tibeter leben im Exil, weit weg von ihrer Familie, ihrer Kultur und Natur im Himalaya. Cremefarbene Haussmann-Gebäude mit grauen Dächern, blauer Himmel, im Hintergrund der Eiffelturm. Unterschiedlicher als in Tibet, dem „Dach der Welt“, kann es fast nicht sein. Das „Volkstibetisch“ mit zahlreichen unterschiedlichen Dialekten, wird von etwa 6 Millionen Menschen gesprochen. Tibet ist zwar ein autonomes chinesisches Gebiet, dennoch sind die Tibeter eine Minderheit in ihrem Land.

Es ist dunkel auf der Straße, die sich durch die bergige Landschaft zieht, viel Verkehr und helle Autoscheinwerfer, Laster hupen, ein Straßenhund steht mitten auf der Fahrbahn. Wir sind in El Salvador. Jorge Lemus möchte die Geschichte des Kleinen Prinzen in Nahuat, eine indogene aztekische Sprache, übersetzen. Drei ältere Damen helfen ihm bei der Übersetzung. Drei der nur etwa 300 älteren Menschen, die Nahuat heute noch sprechen können. Nahuat ist eine fast ausgestorbene Sprache. Grund dafür ist der Völkermord im Jahr 1932 an den Pipil, dem Volk, das diese Sprache spricht. Eine der Frauen erzählt, man habe sich immer erst umschauen müssen, es war gefährlich, Nahuat zu sprechen. Jeder habe Spanisch gesprochen, um nicht als Pipil erkannt zu werden. So wäre die Sprache beinahe vollständig verloren gegangen.

 

THE MIRACLE OF THE LITTLE PRINCE © DOK.fest München

Wenn es kein Wörterbuch gibt, ist es viel schwerer, bei der Übersetzung nah am Text zu bleiben. Die drei Frauen streiten sich um die richtige Bedeutung eines Wortes. „Tigalanchin“, nein, „Galanchin“ muss der kleine Prinz sagen, wenn er die Blume sieht.

Das Wort „Rose“ beispielsweise gibt es auf Nahuat nicht, sagt Jorge Lemus. Die Rose kam mit den spanischen Einwanderern nach Mittelamerika. „Wir bezeichnen die Rosen jetzt als rote Blumen.“

The Miracle Of The Little Prince erzählt die Geschichten von Menschen überall auf der Welt und zeigt dadurch die untrennbare Verbindung zwischen Sprache, Kultur und Landschaft. Er zeigt uns deren Fülle, die es zu bewahren gilt. Jorge Lemus ist überzeugt: „Wenn wir die verschiedenen Sprachen nicht durch die Übersetzungen erhalten, zerstören wir die ethnische und kulturelle Vielfalt der Welt.“