POMONA-Salon zu Karl Valentin

Im Rahmen der jüngsten POMONA-Salonveranstaltung im Freundeskreis Sophie La Roche e.V. stand der Münchner Schriftsteller Karl Valentin im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Salonieren Christa Berge, Wiltrud Fleischmann, Helga Ilgenfritz und Karin Klinger bereiteten eine Programmfolge vor, die wiederum große Resonanz bei den Teilnehmern fand. Eröffnet wurde der literarische Reigen mit dem Valentin‘schen Klagelied einer Wirtshaussemmel, in der  Soloszenen und Monologe aus der Sichtweise einer „Wirtshaussemmel“ mit allerlei Wortakrobatik vorgetragen wurden.

Als Ludwig Ganghofer in der noblen Münchner Steinsdorfstraße seine Wohnung 1896 neu einrichten ließ, war es Valentin Ludwig Fey, der schmächtige, spätere Karl Valentin, der im Dezember des Jahres 1896 als 14-jähriger Schreinerlehrling mitwirkte, dessen Wohnung in einen ständigen Biergarten zu verwandeln, der mit Kieselsteinen belegt und mit einer Bühne für talentierte Künstler versehen wurde. Als der Auftrag erledigt war, bot sich Valentin an, diese Bühne bespielen zu wollen. So trat er bald mit ersten Couplets hervor, die auf der Biergarten-Probebühne im Hause Ganghofer zur Aufführung kamen und auf diesem Wege Ludwig Ganghofer zum (Mit-)Entdecker des Volkssängers und Schauspielers Karl Valentins werden ließen. Hanna Schygulla, die „Muse des Autorenkinos“ und langjährige Fassbinder-Interpretin, deren Zulassungsarbeit fürs Staatsexamen über „Schizophrenie und Sprache bei Karl Valentin“ zwar ungeschrieben blieb, legte später mit ihrem imaginären „Liebesbrief“ an Karl Valentin für diesen eine Hommage besonderer Art vor.

Nach dem Zwiegespräch zwischen Valentin und Liesl Karlstadt unter dem Titel Der Herr Friedensengel, verfasst im Kriegsjahr1941 und daher besonders sinnfällig, nahmen sich die Salonieren der POMANA-Veranstaltung Valentins Erster und letzter Krieg vor. Valentin führt hier den „ersten Krieg“ der Menschheit bereits auf den Beginn derselben zurück: Die todbringende Auseinandersetzung von Kain und Abel liegt nach biblischer Überlieferung etwa 7.000 Jahre zurück, Kain ließe sich demnach im übertragenen Valentin‘schen Sinne  als erster Kriegsverbrecher der Menschheitsgeschichte bezeichnen. In Karl Valentins Werk fanden auch Aspekte der Weltpolitik Eingang. In diesem Zusammenhang befasst sich der Komiker mit der Beilegung von Kriegen und schlägt dabei beispielsweise vor, dass die 1.000 stärksten Männer der jeweils kriegführenden Parteien ein Seil in der Länge des Zugspitzbahn-Seils ziehen sollen, um auf diese Weise einen Sieger festzustellen. Valentin fordert also, aus den kommenden Kriegen große Sportfeste zum Heil der Menschheit auf Erden zu machen.

In Eine Schlamperei bildet ein Gefängnishof in München um anno 1700 den Schauplatz einer zunächst beabsichtigten Hinrichtung, die nach einem erfolglosen Gnadengesuch vollstreckt werden sollte. Das Beil des Scharfrichters kann aber nicht gefunden werden. So wird zunächst eine Verschiebung der Vollstreckung angeordnet. Nachdem der Delinquent vorgeschlagen hat, die „Schlamperei“ des unauffindbaren Beils nicht zu verraten, lässt der Femrichter den zum Tode verurteilten Täter plötzlich wunschgemäß frei – vor dem Hintergrund, den peinlichen Vorfall, der ernste Konsequenzen für den Henker gehabt hätte, zu verdecken.

Unter dem Titel Die Atombombe belauscht Karl Valentin ein tiefsinniges Laiengespräch zwischen der „Huberin und der „Meierin“ über die schreckliche Wirkungsweise einer Atombombe. (Werner Troester untermalte die Salonveranstaltung danach mit dem Karl Valentin-Lied Wenn ich einmal der Hergott wär. Mit diesem Text fordert Karl Valentin die Abschaffung aller Kriege.) Im Dialog Sie weiß nicht, was sie will beschreibt Valentin eine mit allerlei Komik und vielen Missverständnissen geprägte Auseinandersetzung zwischen einem Beamten des Arbeitsamtes und einem Dienstmädchen, das anstelle der von ihr wahrgenommenen Arbeitsplätze nunmehr einen einzigen, nämlich den in einem Altersheim, antreten will.

In der szenischen Handlung In der Apotheke (von 1941) betritt ein Kunde (Karl Valentin) eine Apotheke, um Medizin zu kaufen. Allerdings hat er vergessen, welches Mittel er überhaupt benötigt. Mit Hilfe der Apothekerin (Liesl Karlstadt) versucht er das gewünschte Mittel herauszufinden. Dabei verrät er der Apothekerin, dass sein Kind furchtbar weint und schreit. Dies bringt die Apothekerin auf die Idee, dass dieses Kindchen zahnen muss. Sie empfiehlt ihm einen Kamillentee, den er aber nicht kauft. Die fast verzweifelte Apothekerin erhält schließlich den Tipp, dass seine Frau ihn wegen eines Beruhigungsmittels losgeschickt hat. Sie nennt ihm schließlich eine Medizin mit einem Namen, der einem Zungenbrecher gleicht: „Isopropyl-propenyl-barbitursaures-phenyl-dimethyl-dimethyl-amino-pyrazolon“. Der Kunde empfindet dieses Wort als furchtbar einfach, sogar so „einfach“, dass man es gleich wieder vergisst.

Nach dem Dialog aus dem Alltagsleben zwischen den Herren Huber und Maier in Der neue Buchhalter Maier wird in Wo ist meine Brille eine vermeintlich verloren geglaubte Brille zum Schluss auf der Stirn des Inhabers, der allerdings dabei das fehlende Etui bemängelt, gefunden. Im abschließenden Stück Die Fremden [1] führen Karl Valentin und Liesl Karlstadt einen geradezu aktuellen Dialog:

Wenn ein Fremder einen Bekannten hat, so kann ihm dieser Bekannte zuerst fremd gewesen sein, aber durch das gegenseitige Bekanntwerden sind sich die beiden nicht mehr fremd. Wenn aber die zwei zusammen in eine fremde Stadt reisen, so sind diese zwei Bekannten jetzt in der fremden Stadt wieder Fremde geworden. Die beiden sind also – das ist paradox – fremde Bekannte geworden.

Valentin und Karlstadt werfen damit früh die große Frage der Gegenwart und der Zukunft „Was ist Fremdheit?“ auf: Kann es in einer globalisierten Welt überhaupt noch Fremde geben?

 

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[1] Anmerkung: Der Komiker und Stückeschreiber Karl Valentin hat diesen Dialog 1940 verfasst. Seine Eltern waren zum Zeitpunkt ihrer Einwanderung 1864 in das Königreich Bayern echte „Zuwanderer“ aus anderen Nationalstaaten: Der Vater war Hesse (aus Darmstadt im Großherzogtum Hessen), die Mutter Sächsin (aus Zittau im Königreich Sachsen). Karl Valentin selbst ist in München geboren und heimisch geworden. Oder auch nicht. Denn alles, was er tagtäglich sah und erlebte, blieb ihm irgendwie fremd. Und darüber auf lustige Weise zu grübeln, ist eine der Hauptquellen seiner genialen Komik und Logik, die schon früh mit der von Charlie Chaplin verglichen wurde.

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