Lesung mit Zsuzsa Bánk bei den 22. Laufer Literaturtagen
Zehn hochkarätige Autoren verwandelten Lauf an der Pegnitz vom 5. bis 12. November wieder in eine Literaturmetropole. Eine Woche lang gaben sich bekannte deutschsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit Lesungen und Publikumsgesprächen bei den Laufer Literaturtagen die Klinke in die Hand. Eine von ihnen war Zsuzsa Bánk (*1965). Die Autorin mit ungarischen Wurzeln studierte Publizistik, Politikwissenschaften und Literatur und gewann u.a. den Deutschen Bücherpreis und den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Für Aufsehen sorgte ihr Prosadebüt Der Schwimmer (2002). Ihr aktueller Roman Schlafen werden wir später (S. Fischer, 2017) knüpft an die Tradition des deutschen Briefromans an: In langen E-Mails, geprägt von Tiefe, Offenheit und Emotionalität, tauschen sich Márta, Schriftstellerin und Mutter von drei kleinen Kindern, und Lehrerin Johanna über ihr Leben, Leiden, das kleine Glück und Einsamkeit aus. Dabei spielen sie mit zahlreichen Zitaten der Annette von Droste-Hülshoff. Bei ihrer Lesung in Lauf haben wir Zsuzsa Bánk über die Schulter geschaut.
*
Mit ihrer leisen Poesie wie dem „schiefbissigen, jagdverliebten Wind“ und „morgendunklen, wintergrauen Stunden“ sei der Autorin ein „Traumschloss der Empfindsamkeit und der Herzensbildung“ gelungen, urteilt WELT-Rezensentin Britta Heidemann hymnisch über Zsuzsa Bánks neuen Roman. Dass dieser mit blumigen Zitaten operiert und dabei die Literaturgeschichte aufgrund seiner leichthändigen Melancholie fast en passant streift, ist folgerichtig und begründet: Beide Protagonistinnen, Márta und Johanna, haben sich beruflich der Literatur verschrieben – Márta als Lyrikerin, die jetzt ihren ersten Band mit Erzählungen schreibt (Das andere Zimmer); Johanna als Deutschlehrerin, die nebenbei an ihrer Dissertation zu Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) über deren Naturlyrik arbeitet. Die Natur spielt eine große Rolle in dem Roman, der von romantisch-sublimierter Literaturgeschichte einerseits und moderner Gegenwartslyrik andererseits fein durchwoben ist, was sich nicht zuletzt in dem veränderten Tonfall und der Kursivierung einzelner Textpassagen zeigt:
[Márta:] „Simon hat mich im Sessel gefunden, als er die Tür aufstieß, ich habe mich welkgrau aus der ausgefransten, nassgespuckten Babydecke geschält, alles schmerzt, Rücken, Gaumen, selbst die Haarspitzen tun mir weh, fühle mich wie eine alte Hex vor ihrem Knisper-Knasper-Knusperhaus, eine Hex, steinalt, tief im Wald, vom Teufel selber hat sie Gewalt – wer hat mir eingeflüstert, ich soll drei Kinder kriegen?“ (Schlafen werden wir später, S. 285)
(c) Stadtbücherei Lauf
In wechselnder Perspektive Mártas und Johannas las Zsuzsa Bánk mit anschmiegsamer Stimme eine Sommer- und eine Winterpassage vor. Dabei konnte man als Zuhörer nicht nur einen Einblick in den über 3 Jahre andauernden Zeitraum dieser „Feier der Freundschaft und des Lesens“ der beiden Frauen gewinnen, sondern auch darüber, was es heißt, in einer inzwischen vielleicht antiquiert wirkenden Literaturform, dem Briefroman des 18. Jahrhunderts à la Sophie von la Roche, zu schreiben. In einem Interview hat Zsuzsa Bánk sich bereits zu dieser Gattung geäußert: „Das große Leben erzählt aus zwei kleinen Blickwinkeln – das geht nur im Tagebuch oder Brief. [...] Es hat mir Freude gemacht einmal so zu schreiben, einmal das Korsett der Sprache ablegen zu dürfen, mich in der Sprache auszutoben, Wörter zu erfinden, Wort-Aneinanderreihungen, Mischungen und Wiederholungen, Verszeilen aus Mártas Gedichten, Lyrik-Einsprengsel. Einen Code zu entwickeln, der die Freundinnen wie ein Gesang, ein gemeinsamer Kanon verbindet, auf unauflösliche Weise.“ Nun, an diesem Abend, ging sie noch einen Schritt weiter und schien mit leichter Ironie alle diejenigen Lügen zu strafen, die in der Geschichte einer Frauenfreundschaft in E-Mails lediglich elegisch-verklärende Herzensergießungen sehen:
[Johanna:] „Die Kotzlache habe ich entfernt, bevor ich ging. Damit Jan es nicht würde tun müssen. Wenn er aufwacht und die Treppe hinabsteigt. So viel Kotze habe ich schon entfernt, Márti. Schülerkotze. Elternkotze. Kinderkotze. Heranwachsendenkotze. Das sagt einem niemand, wenn man auf Lehramt studiert. Dass man Kotze wird wegmachen müssen. Ein ganzes Lehrerleben lang.“ (Schlafen werden wir später, S. 421)
(c) Stadtbücherei Lauf
Aber auch sonst regte Bánks Lesung im Anschluss zu neugierigen Fragen aus dem vollbesetzten Zuschauerraum in der Aula der Bertleinschule an. Sollte eine Freundschaft so beschaffen sein, wie der Roman sie beschreibt? Wie viel Zsuzsa Bánk steckt in der Figur der Márta? Sind die Frauen im Roman wirklich so einsam und männerverlassen? Spannend schien vor allem eine Frage zu sein: Auf welche Schwierigkeiten stößt man beim Schreiben eines Buches wie dieses? Darauf gab die Autorin gleich mehrfach Antwort: Während die Namen ihrer Figuren stets eine Allgemeingültigkeit, eine Verschiebbarkeit über die Zeit besitzen, mussten beim Schreiben bestimmte formale Gattungsvorgaben eingehalten werden, Inhalte über dreieinhalb Jahre gleichmäßig und dramaturgisch nachvollziehbar verteilt sein, die Naturbeobachtungen in die jeweilige Jahres-, Tages- und Uhrzeit hineinpassen und zwei Sprachen entwickelt werden, die am Ende vollkommen unterscheidbar sind. Ihr würden noch gefühlte 80 Millionen andere technische Schwierigkeiten einfallen, so Bánk weiter. Dem stilistisch abgerundeten und ausgezeichnet lesbaren Roman Schlafen werden wir später sieht man das glücklicherweise nicht mehr an.
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Zehn hochkarätige Autoren verwandelten Lauf an der Pegnitz vom 5. bis 12. November wieder in eine Literaturmetropole. Eine Woche lang gaben sich bekannte deutschsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit Lesungen und Publikumsgesprächen bei den Laufer Literaturtagen die Klinke in die Hand. Eine von ihnen war Zsuzsa Bánk (*1965). Die Autorin mit ungarischen Wurzeln studierte Publizistik, Politikwissenschaften und Literatur und gewann u.a. den Deutschen Bücherpreis und den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Für Aufsehen sorgte ihr Prosadebüt Der Schwimmer (2002). Ihr aktueller Roman Schlafen werden wir später (S. Fischer, 2017) knüpft an die Tradition des deutschen Briefromans an: In langen E-Mails, geprägt von Tiefe, Offenheit und Emotionalität, tauschen sich Márta, Schriftstellerin und Mutter von drei kleinen Kindern, und Lehrerin Johanna über ihr Leben, Leiden, das kleine Glück und Einsamkeit aus. Dabei spielen sie mit zahlreichen Zitaten der Annette von Droste-Hülshoff. Bei ihrer Lesung in Lauf haben wir Zsuzsa Bánk über die Schulter geschaut.
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Mit ihrer leisen Poesie wie dem „schiefbissigen, jagdverliebten Wind“ und „morgendunklen, wintergrauen Stunden“ sei der Autorin ein „Traumschloss der Empfindsamkeit und der Herzensbildung“ gelungen, urteilt WELT-Rezensentin Britta Heidemann hymnisch über Zsuzsa Bánks neuen Roman. Dass dieser mit blumigen Zitaten operiert und dabei die Literaturgeschichte aufgrund seiner leichthändigen Melancholie fast en passant streift, ist folgerichtig und begründet: Beide Protagonistinnen, Márta und Johanna, haben sich beruflich der Literatur verschrieben – Márta als Lyrikerin, die jetzt ihren ersten Band mit Erzählungen schreibt (Das andere Zimmer); Johanna als Deutschlehrerin, die nebenbei an ihrer Dissertation zu Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) über deren Naturlyrik arbeitet. Die Natur spielt eine große Rolle in dem Roman, der von romantisch-sublimierter Literaturgeschichte einerseits und moderner Gegenwartslyrik andererseits fein durchwoben ist, was sich nicht zuletzt in dem veränderten Tonfall und der Kursivierung einzelner Textpassagen zeigt:
[Márta:] „Simon hat mich im Sessel gefunden, als er die Tür aufstieß, ich habe mich welkgrau aus der ausgefransten, nassgespuckten Babydecke geschält, alles schmerzt, Rücken, Gaumen, selbst die Haarspitzen tun mir weh, fühle mich wie eine alte Hex vor ihrem Knisper-Knasper-Knusperhaus, eine Hex, steinalt, tief im Wald, vom Teufel selber hat sie Gewalt – wer hat mir eingeflüstert, ich soll drei Kinder kriegen?“ (Schlafen werden wir später, S. 285)
(c) Stadtbücherei Lauf
In wechselnder Perspektive Mártas und Johannas las Zsuzsa Bánk mit anschmiegsamer Stimme eine Sommer- und eine Winterpassage vor. Dabei konnte man als Zuhörer nicht nur einen Einblick in den über 3 Jahre andauernden Zeitraum dieser „Feier der Freundschaft und des Lesens“ der beiden Frauen gewinnen, sondern auch darüber, was es heißt, in einer inzwischen vielleicht antiquiert wirkenden Literaturform, dem Briefroman des 18. Jahrhunderts à la Sophie von la Roche, zu schreiben. In einem Interview hat Zsuzsa Bánk sich bereits zu dieser Gattung geäußert: „Das große Leben erzählt aus zwei kleinen Blickwinkeln – das geht nur im Tagebuch oder Brief. [...] Es hat mir Freude gemacht einmal so zu schreiben, einmal das Korsett der Sprache ablegen zu dürfen, mich in der Sprache auszutoben, Wörter zu erfinden, Wort-Aneinanderreihungen, Mischungen und Wiederholungen, Verszeilen aus Mártas Gedichten, Lyrik-Einsprengsel. Einen Code zu entwickeln, der die Freundinnen wie ein Gesang, ein gemeinsamer Kanon verbindet, auf unauflösliche Weise.“ Nun, an diesem Abend, ging sie noch einen Schritt weiter und schien mit leichter Ironie alle diejenigen Lügen zu strafen, die in der Geschichte einer Frauenfreundschaft in E-Mails lediglich elegisch-verklärende Herzensergießungen sehen:
[Johanna:] „Die Kotzlache habe ich entfernt, bevor ich ging. Damit Jan es nicht würde tun müssen. Wenn er aufwacht und die Treppe hinabsteigt. So viel Kotze habe ich schon entfernt, Márti. Schülerkotze. Elternkotze. Kinderkotze. Heranwachsendenkotze. Das sagt einem niemand, wenn man auf Lehramt studiert. Dass man Kotze wird wegmachen müssen. Ein ganzes Lehrerleben lang.“ (Schlafen werden wir später, S. 421)
(c) Stadtbücherei Lauf
Aber auch sonst regte Bánks Lesung im Anschluss zu neugierigen Fragen aus dem vollbesetzten Zuschauerraum in der Aula der Bertleinschule an. Sollte eine Freundschaft so beschaffen sein, wie der Roman sie beschreibt? Wie viel Zsuzsa Bánk steckt in der Figur der Márta? Sind die Frauen im Roman wirklich so einsam und männerverlassen? Spannend schien vor allem eine Frage zu sein: Auf welche Schwierigkeiten stößt man beim Schreiben eines Buches wie dieses? Darauf gab die Autorin gleich mehrfach Antwort: Während die Namen ihrer Figuren stets eine Allgemeingültigkeit, eine Verschiebbarkeit über die Zeit besitzen, mussten beim Schreiben bestimmte formale Gattungsvorgaben eingehalten werden, Inhalte über dreieinhalb Jahre gleichmäßig und dramaturgisch nachvollziehbar verteilt sein, die Naturbeobachtungen in die jeweilige Jahres-, Tages- und Uhrzeit hineinpassen und zwei Sprachen entwickelt werden, die am Ende vollkommen unterscheidbar sind. Ihr würden noch gefühlte 80 Millionen andere technische Schwierigkeiten einfallen, so Bánk weiter. Dem stilistisch abgerundeten und ausgezeichnet lesbaren Roman Schlafen werden wir später sieht man das glücklicherweise nicht mehr an.