Ein deutsch-italienischer Abend mit den Lyrikern Federico Italiano und Jürgen Bulla
Mitte April fand in den schönen Räumen der juristischen Bibliothek in München eine besondere deutsch-italienische Begegnung statt. Die beiden Lyriker Federico Italiano und Jürgen Bulla lasen aus ihren Werken, diskutierten und gestalteten gemeinsam einen Abend über die Beziehung der beiden Länder, über Sehnsuchtsorte und literarische Grenzverwehungen. Die Begrüßung der Autoren und der rund 60 Besucher übernahm Klaus Kempf von der Bayerischen Staatsbibliothek; durch den Abend führte Fridolin Schley vom Literaturportal Bayern, das in Kooperation mit dem Italienischen Kulturinstitut als Veranstalter fungierte. Eine kleine Nachlese.
*
Federico Italiano
Zwischen Orangen und Philosophen
In unserem Blut, das hell ist vom Meer,
in unseren sephardischen Knien,
im Fuß, der sich nach Norden wendet,
im lebendigen Archiv, deinem Nachlass,
in der Lebhaftigkeit meines Zeigefingers,
im Duft von Sambia und Rasierwasser,
im Gespür der Brüder, in den Augen
meiner Töchter kann ich dich erkennen, Vater,
wie du dich wohlfühlst, gedankenversunken, lächelnd
während jener unaufdringlichen Exegesen
nach dem Abendessen, zwischen Orangen und Philosophen,
wenn du der ungestümen Jugend
den Kodex für die Zukunft herausschältest:
Seid seelisch präzise, unvollkommen
im Beipflichten und furchtlos beim Warten.
[Übersetzt von Jan Wagner; aus: L’impronta, 2014]
von links: Jürgen Bulla, Fridolin Schley, Federico Italiano, Klaus Kempf
*
Jürgen Bulla
Versmaß der Nacht
Italiens jambische Hintern,
diese beizende Poesie, wenn
von der Poebene her die Sonne
die Kläranlage beleuchtet
und die Ausgebeulten hinter den Bäumen im Schatten lässt.
Einer fand Verse
am Ufer des Gardasees
zeugten sie Reibung, versteiften sich.
Später lag etwas Warmes
im Schilf, vom leichten Wellengang
eingeschläfert. Im Wasser-
spiegel Bikinihüften, eine Art
von straffer Bedeutung, Spannung
und Ahnung vom Versmaß
der kommenden Nacht.
[aus: Ich sehe noch Tellaro. Landschaften mit und ohne Cara, 2015]
*
Federico Italiano, 1976 in Novara geboren, lebt als Autor, Übersetzer und Herausgeber in München, wo er Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft unterrichtet. Seit 2016 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2003 erschien sein erster Gedichtband Nella costanza. Es folgten I Mirmidoni (2006), L’invasione dei granchi giganti (2010) und L’impronta (2014). Unlängst ist eine Auswahl seines lyrischen Werks erschienen, Un esilio perfetto. Poesie scelte 2000-2015 (Feltrinelli 2015). Seine Gedichte wurden ins Deutsche u.a. von Jan Wagner übertragen. Zusammen mit Michael Krüger hat er eine Anthologie der zeitgenössischen italienischen Dichtung herausgegeben, Die Erschließung des Lichts. Italienische Dichtung der Gegenwart (Hanser 2013).
Jürgen Bulla lebt und arbeitet in München. 1999 erschien sein erster Lyrikband Glas. Zeitgleich beteiligte er sich an der Übersetzung der Gedichte von Richard Dove und Michael Hamburger aus dem Englischen. Zu seinen Veröffentlichungen zählen seither die Lyrik-Bände A8 Gedichte und Poolparty. Zusammen mit dem bildenden Künstler Christoph Hessel veröffentlichte er 2011 Die neuen Nothelfer, 2014 Hotel Gabi. Zuletzt erschien Ich sehe noch Tellaro. Landschaften mit und ohne Cara (Scaneg Verlag 2015).
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Mitte April fand in den schönen Räumen der juristischen Bibliothek in München eine besondere deutsch-italienische Begegnung statt. Die beiden Lyriker Federico Italiano und Jürgen Bulla lasen aus ihren Werken, diskutierten und gestalteten gemeinsam einen Abend über die Beziehung der beiden Länder, über Sehnsuchtsorte und literarische Grenzverwehungen. Die Begrüßung der Autoren und der rund 60 Besucher übernahm Klaus Kempf von der Bayerischen Staatsbibliothek; durch den Abend führte Fridolin Schley vom Literaturportal Bayern, das in Kooperation mit dem Italienischen Kulturinstitut als Veranstalter fungierte. Eine kleine Nachlese.
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Federico Italiano
Zwischen Orangen und Philosophen
In unserem Blut, das hell ist vom Meer,
in unseren sephardischen Knien,
im Fuß, der sich nach Norden wendet,
im lebendigen Archiv, deinem Nachlass,
in der Lebhaftigkeit meines Zeigefingers,
im Duft von Sambia und Rasierwasser,
im Gespür der Brüder, in den Augen
meiner Töchter kann ich dich erkennen, Vater,
wie du dich wohlfühlst, gedankenversunken, lächelnd
während jener unaufdringlichen Exegesen
nach dem Abendessen, zwischen Orangen und Philosophen,
wenn du der ungestümen Jugend
den Kodex für die Zukunft herausschältest:
Seid seelisch präzise, unvollkommen
im Beipflichten und furchtlos beim Warten.
[Übersetzt von Jan Wagner; aus: L’impronta, 2014]
von links: Jürgen Bulla, Fridolin Schley, Federico Italiano, Klaus Kempf
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Jürgen Bulla
Versmaß der Nacht
Italiens jambische Hintern,
diese beizende Poesie, wenn
von der Poebene her die Sonne
die Kläranlage beleuchtet
und die Ausgebeulten hinter den Bäumen im Schatten lässt.
Einer fand Verse
am Ufer des Gardasees
zeugten sie Reibung, versteiften sich.
Später lag etwas Warmes
im Schilf, vom leichten Wellengang
eingeschläfert. Im Wasser-
spiegel Bikinihüften, eine Art
von straffer Bedeutung, Spannung
und Ahnung vom Versmaß
der kommenden Nacht.
[aus: Ich sehe noch Tellaro. Landschaften mit und ohne Cara, 2015]
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Federico Italiano, 1976 in Novara geboren, lebt als Autor, Übersetzer und Herausgeber in München, wo er Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft unterrichtet. Seit 2016 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2003 erschien sein erster Gedichtband Nella costanza. Es folgten I Mirmidoni (2006), L’invasione dei granchi giganti (2010) und L’impronta (2014). Unlängst ist eine Auswahl seines lyrischen Werks erschienen, Un esilio perfetto. Poesie scelte 2000-2015 (Feltrinelli 2015). Seine Gedichte wurden ins Deutsche u.a. von Jan Wagner übertragen. Zusammen mit Michael Krüger hat er eine Anthologie der zeitgenössischen italienischen Dichtung herausgegeben, Die Erschließung des Lichts. Italienische Dichtung der Gegenwart (Hanser 2013).
Jürgen Bulla lebt und arbeitet in München. 1999 erschien sein erster Lyrikband Glas. Zeitgleich beteiligte er sich an der Übersetzung der Gedichte von Richard Dove und Michael Hamburger aus dem Englischen. Zu seinen Veröffentlichungen zählen seither die Lyrik-Bände A8 Gedichte und Poolparty. Zusammen mit dem bildenden Künstler Christoph Hessel veröffentlichte er 2011 Die neuen Nothelfer, 2014 Hotel Gabi. Zuletzt erschien Ich sehe noch Tellaro. Landschaften mit und ohne Cara (Scaneg Verlag 2015).