Interview mit Fabienne Pakleppa über das TheaterAtelier
Mitten in Haidhausen, unweit der berühmten Münchner „Unterfahrt“, liegt das TheaterAtelier. 1997 als Treffpunkt und Entfaltungsraum für Menschen mit kreativen Interessen und psychosozialen Schwierigkeiten gegründet, bietet es ein breites Angebot aus den Bereichen Theater, Bildende Kunst, Musik und Literatur. Thomas Lang hat mit der Leiterin der Werkstatt für Kreatives Schreiben Fabienne Pakleppa gesprochen.
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Fabienne, Du leitest eine Werkstatt für Kreatives Schreiben im TheaterAtelier für Psychiatrieerfahrene, wie muss ich mir das vorstellen?
Das TheaterAtelier ist eine künstlerische Tagesstätte für Menschen mit psychosozialen Schwierigkeiten, und nicht alle unsere Teilnehmenden haben Psychiatrieerfahrung. Wir machen keine Therapie, sondern bieten ihnen Möglichkeiten an, sich in unterschiedlichen Kunstformen auszuprobieren. Von Theater über Bildende Kunst, Musik, Tanz bis zum Schreiben.
In der Schreibgruppe sind derzeit zehn bis zwölf Teilnehmer*innen. In der Coachinggruppe vier bis fünf. Ihre Motivationen sind sehr unterschiedlich, einige schreiben autobiografische Texte, andere Gedichte, Kurzprosa, Satire, im Grunde haben alle ihre eigene Stimme und ihre Themen. Es ist ein offenes Format.
Welchen therapeutischen Effekt hat diese Arbeit?
(Lacht.) Das Schreiben hat selbst auf die gesündesten Autor*innen einen therapeutischen Effekt, glaube ich. Schreiben ordnet die Gedanken. Was hier in der Gruppe ganz wichtig ist: Wir fangen an mit einem gemeinsamen Thema als kurze Aufwärmübung, lesen diese Fünf-Minuten-Texte, ohne sie zu kommentieren, danach tauschen wir uns aus über mögliche Themen, die Vorschläge fließen so ineinander über. Es gibt dann eine halbe Stunde, in der alle schreiben, eine Atmosphäre purer Konzentration, das ist ganz wunderbar. Dann lesen wir die Texte vor.
Wie stelle ich mir das vor, sprecht ihr über die Texte, kritisiert ihr Euch?
Ich würde nicht von Kritisieren sprechen. Ich weise schon auf Wortwiederholungen hin oder frage, ob ein Ausdruck passt. Aber wichtiger ist das Feedback, die Unterstützung der Gruppe. Da fragen wir eher, ob der Text ankommt, wie er wirkt, ob er uns berührt, ob wir mehr hören möchten. Wir lobhudeln nicht, wir sagen schon, wenn uns etwas nicht gefällt oder wir es nicht verstehen. Ich staune oft darüber, wie viel Feingefühl die Teilnehmer*innen für einander haben. Das ist eine schöne Gruppe, ich gehe danach immer beseelt und beflügelt nach Hause. In der Coaching-Gruppe schreiben wir nicht zusammen, sondern sprechen über die Texte, die zu Hause geschrieben wurden. Da wird richtig am Text gearbeitet.
Was darf ich mir unter der Coaching-Gruppe vorstellen?
Die Coaching-Gruppe umfasst Autor*innen, die eigene Projekte haben, die zum Beispiel eine Gedichtsammlung veröffentlichen möchten. Einer schreibt einen Science-Fiction-Roman, der inzwischen gewiss über hundert Seiten umfasst oder mehr. Sie schreiben längere Kurzgeschichten, probieren unterschiedliche Formen aus. Es ist sehr intensiv. Die Arbeitsausdauer ist nicht ideal, aber sie kommen so regelmäßig, dass es ihnen offensichtlich auch Freude macht.
Was haben diese Texte mit Literatur zu tun, wie wir sie zwischen zwei Buchdeckeln finden?
Ich würde sagen, dass meine Autor*innen in erster Linie sich selbst und ihr Schreiben erforschen. Veröffentlichen, ja, vielleicht, wenn sie soweit sind, aber nicht um reich und berühmt zu werden. Eher um gehört zu werden. Alle paar Monate machen wir eine Werkschau, ein Heft, das immer professioneller wird. Es ist eigentlich für den internen Gebrauch bestimmt, wird aber manchmal verteilt, so demnächst bei der „Art Haidhausen“. Da gehen wir nach außen. Am 18. Juni, um 12 Uhr, gibt es in unserem Café einen Literatursalon, bei dem meine Autor*innen aus ihren Texten lesen – zum Thema WortYoga. Das wird bestimmt witzig.
Seit wann machst Du diese Arbeit?
Ich bin seit dreizehn Jahren dabei, seit 2010. Die Schreibgruppe und die Coaching-Gruppe finden einmal pro Woche statt, der Literatursalon einmal im Monat. Da laden wir gern Münchner Autor*innen ein, aber leider können wir kein Honorar bezahlen.
Wie ist das für Dich als Autorin – haben die Workshops Deine Arbeit verändert oder Deinen Blick auf die Welt?
Die Schreib-Coaching-Gruppe hilft mir sehr. Die Probleme der Teilnehmenden – Schreibblockaden, Unlust, Mangel an Disziplin – das sind alles Dinge, die ich als professionelle Autorin auch gut kenne. Wie kann ich dranbleiben, warum mache ich das überhaupt – solche Fragen zu besprechen inspiriert mich. Bei der anderen Schreibgruppe schreibe ich immer mit, da entstehen Miniaturen, Kurzgeschichten, die ich manchmal zu Hause überarbeite. Ich lerne viel von den Teilnehmer*innen. Oft wehren sie sich gegen meine Pingeligkeit mit Wörtern ... „Ja, aber das ist doch Poesie, Fabienne“, sagte mir neulich einer. Einige schreiben Lyrik, Spoken Poetry, Limericks, ich bin da nicht kompetent, gebe ich gern zu. Wir haben uns über Zeilenumbrüche mehrmals auseinandergesetzt. Das regt mich an und öffnet mich für andere Formen.
Gibt es ein Ereignis oder vielleicht einen Text aus all den Jahren, an den Du Dich besonders erinnerst?
Ein Teilnehmer hat einen Text geschrieben über das Geräusch, das entsteht, wenn man eine Tablette aus dem Blister drückt, das war rundherum perfekt und sehr beeindruckend. Ich erinnere mich außerdem an einen Teilnehmer, der einen an sich eher banalen Text über den Herbst schrieb. Er äußerte darin, dass er es mag, wenn die Blätter alle abfallen, weil der Himmel dann weiter wird. Ich hatte nie daran gedacht, weil der Herbst für mich eher mit erdigen Gerüchen verbunden ist, jetzt denke ich jedes Jahr an diesen Text, wenn der Herbst kommt. Und frage mich, was aus dem Autor geworden ist. Er kommt schon lange nicht mehr.
Wie finden die Teilnehmenden zu Dir?
Das TheaterAtelier hat derzeit zwischen 100 und 120 Teilnehmende, die regelmäßig unsere Angebote wahrnehmen, alle paar Monate werden neue aufgenommen. In der Schreibgruppe habe ich immer wieder Teilnehmende, die zum Schnuppern kommen. Und manchmal bleiben, so ist unsere Gruppe schon ziemlich groß ... In der Coaching-Gruppe ist noch Platz für jemanden mit eigenem Schreibprojekt.
Was würdest du Dir für Deine Arbeit wünschen, was ließe verbessern oder ausbauen?
Ich wünsche mir Literaturwettbewerbe ohne Altersbeschränkungen und mehr Publikationsmöglichkeiten für Kurzformen in Zeitungen und Zeitschriften. Ich wünsche mir, dass die vielen selbstorgansierten Schreibgruppen mehr Austausch untereinander haben und dass es keine Rolle spielt, ob jemand von einer Tagesstätte kommen. Und ich wünsche mir, dass meine Autor*innen im Sinne der Inklusion vom Münchner Literaturfest eingeladen werden. Ich wünsche mir, dass meine Autor*innen mehr schreiben und sich mehr zutrauen. Einige beherrschen Kurzformen perfekt und verdienen es, gelesen und gehört zu werden. In meinem Haikusucht-Projekt waren auch einige dabei, und da habe ich nicht erwähnt, von wo sie kommen. Künstler ist Künstler.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview mit Fabienne Pakleppa über das TheaterAtelier>
Mitten in Haidhausen, unweit der berühmten Münchner „Unterfahrt“, liegt das TheaterAtelier. 1997 als Treffpunkt und Entfaltungsraum für Menschen mit kreativen Interessen und psychosozialen Schwierigkeiten gegründet, bietet es ein breites Angebot aus den Bereichen Theater, Bildende Kunst, Musik und Literatur. Thomas Lang hat mit der Leiterin der Werkstatt für Kreatives Schreiben Fabienne Pakleppa gesprochen.
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Fabienne, Du leitest eine Werkstatt für Kreatives Schreiben im TheaterAtelier für Psychiatrieerfahrene, wie muss ich mir das vorstellen?
Das TheaterAtelier ist eine künstlerische Tagesstätte für Menschen mit psychosozialen Schwierigkeiten, und nicht alle unsere Teilnehmenden haben Psychiatrieerfahrung. Wir machen keine Therapie, sondern bieten ihnen Möglichkeiten an, sich in unterschiedlichen Kunstformen auszuprobieren. Von Theater über Bildende Kunst, Musik, Tanz bis zum Schreiben.
In der Schreibgruppe sind derzeit zehn bis zwölf Teilnehmer*innen. In der Coachinggruppe vier bis fünf. Ihre Motivationen sind sehr unterschiedlich, einige schreiben autobiografische Texte, andere Gedichte, Kurzprosa, Satire, im Grunde haben alle ihre eigene Stimme und ihre Themen. Es ist ein offenes Format.
Welchen therapeutischen Effekt hat diese Arbeit?
(Lacht.) Das Schreiben hat selbst auf die gesündesten Autor*innen einen therapeutischen Effekt, glaube ich. Schreiben ordnet die Gedanken. Was hier in der Gruppe ganz wichtig ist: Wir fangen an mit einem gemeinsamen Thema als kurze Aufwärmübung, lesen diese Fünf-Minuten-Texte, ohne sie zu kommentieren, danach tauschen wir uns aus über mögliche Themen, die Vorschläge fließen so ineinander über. Es gibt dann eine halbe Stunde, in der alle schreiben, eine Atmosphäre purer Konzentration, das ist ganz wunderbar. Dann lesen wir die Texte vor.
Wie stelle ich mir das vor, sprecht ihr über die Texte, kritisiert ihr Euch?
Ich würde nicht von Kritisieren sprechen. Ich weise schon auf Wortwiederholungen hin oder frage, ob ein Ausdruck passt. Aber wichtiger ist das Feedback, die Unterstützung der Gruppe. Da fragen wir eher, ob der Text ankommt, wie er wirkt, ob er uns berührt, ob wir mehr hören möchten. Wir lobhudeln nicht, wir sagen schon, wenn uns etwas nicht gefällt oder wir es nicht verstehen. Ich staune oft darüber, wie viel Feingefühl die Teilnehmer*innen für einander haben. Das ist eine schöne Gruppe, ich gehe danach immer beseelt und beflügelt nach Hause. In der Coaching-Gruppe schreiben wir nicht zusammen, sondern sprechen über die Texte, die zu Hause geschrieben wurden. Da wird richtig am Text gearbeitet.
Was darf ich mir unter der Coaching-Gruppe vorstellen?
Die Coaching-Gruppe umfasst Autor*innen, die eigene Projekte haben, die zum Beispiel eine Gedichtsammlung veröffentlichen möchten. Einer schreibt einen Science-Fiction-Roman, der inzwischen gewiss über hundert Seiten umfasst oder mehr. Sie schreiben längere Kurzgeschichten, probieren unterschiedliche Formen aus. Es ist sehr intensiv. Die Arbeitsausdauer ist nicht ideal, aber sie kommen so regelmäßig, dass es ihnen offensichtlich auch Freude macht.
Was haben diese Texte mit Literatur zu tun, wie wir sie zwischen zwei Buchdeckeln finden?
Ich würde sagen, dass meine Autor*innen in erster Linie sich selbst und ihr Schreiben erforschen. Veröffentlichen, ja, vielleicht, wenn sie soweit sind, aber nicht um reich und berühmt zu werden. Eher um gehört zu werden. Alle paar Monate machen wir eine Werkschau, ein Heft, das immer professioneller wird. Es ist eigentlich für den internen Gebrauch bestimmt, wird aber manchmal verteilt, so demnächst bei der „Art Haidhausen“. Da gehen wir nach außen. Am 18. Juni, um 12 Uhr, gibt es in unserem Café einen Literatursalon, bei dem meine Autor*innen aus ihren Texten lesen – zum Thema WortYoga. Das wird bestimmt witzig.
Seit wann machst Du diese Arbeit?
Ich bin seit dreizehn Jahren dabei, seit 2010. Die Schreibgruppe und die Coaching-Gruppe finden einmal pro Woche statt, der Literatursalon einmal im Monat. Da laden wir gern Münchner Autor*innen ein, aber leider können wir kein Honorar bezahlen.
Wie ist das für Dich als Autorin – haben die Workshops Deine Arbeit verändert oder Deinen Blick auf die Welt?
Die Schreib-Coaching-Gruppe hilft mir sehr. Die Probleme der Teilnehmenden – Schreibblockaden, Unlust, Mangel an Disziplin – das sind alles Dinge, die ich als professionelle Autorin auch gut kenne. Wie kann ich dranbleiben, warum mache ich das überhaupt – solche Fragen zu besprechen inspiriert mich. Bei der anderen Schreibgruppe schreibe ich immer mit, da entstehen Miniaturen, Kurzgeschichten, die ich manchmal zu Hause überarbeite. Ich lerne viel von den Teilnehmer*innen. Oft wehren sie sich gegen meine Pingeligkeit mit Wörtern ... „Ja, aber das ist doch Poesie, Fabienne“, sagte mir neulich einer. Einige schreiben Lyrik, Spoken Poetry, Limericks, ich bin da nicht kompetent, gebe ich gern zu. Wir haben uns über Zeilenumbrüche mehrmals auseinandergesetzt. Das regt mich an und öffnet mich für andere Formen.
Gibt es ein Ereignis oder vielleicht einen Text aus all den Jahren, an den Du Dich besonders erinnerst?
Ein Teilnehmer hat einen Text geschrieben über das Geräusch, das entsteht, wenn man eine Tablette aus dem Blister drückt, das war rundherum perfekt und sehr beeindruckend. Ich erinnere mich außerdem an einen Teilnehmer, der einen an sich eher banalen Text über den Herbst schrieb. Er äußerte darin, dass er es mag, wenn die Blätter alle abfallen, weil der Himmel dann weiter wird. Ich hatte nie daran gedacht, weil der Herbst für mich eher mit erdigen Gerüchen verbunden ist, jetzt denke ich jedes Jahr an diesen Text, wenn der Herbst kommt. Und frage mich, was aus dem Autor geworden ist. Er kommt schon lange nicht mehr.
Wie finden die Teilnehmenden zu Dir?
Das TheaterAtelier hat derzeit zwischen 100 und 120 Teilnehmende, die regelmäßig unsere Angebote wahrnehmen, alle paar Monate werden neue aufgenommen. In der Schreibgruppe habe ich immer wieder Teilnehmende, die zum Schnuppern kommen. Und manchmal bleiben, so ist unsere Gruppe schon ziemlich groß ... In der Coaching-Gruppe ist noch Platz für jemanden mit eigenem Schreibprojekt.
Was würdest du Dir für Deine Arbeit wünschen, was ließe verbessern oder ausbauen?
Ich wünsche mir Literaturwettbewerbe ohne Altersbeschränkungen und mehr Publikationsmöglichkeiten für Kurzformen in Zeitungen und Zeitschriften. Ich wünsche mir, dass die vielen selbstorgansierten Schreibgruppen mehr Austausch untereinander haben und dass es keine Rolle spielt, ob jemand von einer Tagesstätte kommen. Und ich wünsche mir, dass meine Autor*innen im Sinne der Inklusion vom Münchner Literaturfest eingeladen werden. Ich wünsche mir, dass meine Autor*innen mehr schreiben und sich mehr zutrauen. Einige beherrschen Kurzformen perfekt und verdienen es, gelesen und gehört zu werden. In meinem Haikusucht-Projekt waren auch einige dabei, und da habe ich nicht erwähnt, von wo sie kommen. Künstler ist Künstler.
Vielen Dank für das Gespräch!