Rezension zu Fabian Lenthes Gedichtband „Streichhölzer“
Mit seinem jüngsten Lyrikband Streichhölzer, erschienen im XS-Verlag (Berlin 2024), hat der Nürnberger Autor Fabian Lenthe auf schmalem Raum ein suggestives, fein komponiertes lyrisches Werk vorgelegt, für das er in diesem Jahr mit einem der Bayerischen Kunstförderpreise der Sparte Literatur ausgezeichnet wurde.
*
Wer in den besinnlichen Tagen der Jahreswende mal wieder nach den guten alten Märchen greift und sich von Hans Christian Andersens Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern anrühren lässt, der mag für einen etwas urbaneren, zeitgenössischeren „Sound“ auch gerne einmal die Streichhölzer des Lyrikers Fabian Lenthe zur Hand nehmen. Dieser schmale, an die Kunst des japanischen Haikus erinnernde Gedichtband hat es durchaus in sich und vermag im Nachsinnen über die Verse ebenfalls zu berühren.
„Natürlich war mir/Das langsame Verblassen/Meines Namens/Auf dem Briefkastenschild/Aufgefallen“ – Fabian Lenthe lässt die poetische Suggestionskraft der Wörter auf gekonnte, berührende Weise aufglimmen; und dies auf dem schmalen, konzentrierten Raum oftmals nur weniger Zeilen. Seine „Streichhölzer“ setzen sich aus betont schlichten, geradezu wortkargen Versen zusammen, deren Leerstellen und Versbrüche das Schweigen bewusst miteinschließen. Gedichte, in denen die Abgründigkeit und Nichtigkeit der menschlichen Existenz ihren Nachhall findet: „Es läge vor allem/An der Ausweglosigkeit/Hattest du gesagt/Ein Ei das aus seinem Nest fällt/Das Verschwinden der Sterne/Dinge die man nicht verhindern kann“.
Mit welchen Sinnen erfasse ich die Wirklichkeit? Wie verhält sich die dichterische Sprache dazu?
Bereits das Einstiegsgedicht ist programmatisch zu lesen. Denn in der Behauptung von der Nicht-Existenz des Kirschbaums vor dem Fenster, in der Schilderung seiner „Nicht-Früchte“ wird ebendieser Kirschbaum in der Imagination des Lesers, der sich diesen Baum vorzustellen versucht, erzeugt; er bekommt seine ihm eigene Wirklichkeit zugeschrieben: „Der Kirschbaum vor meinem Fenster/Existiert nicht/ /Selbst die Vögel auf seinen Ästen/Singen keines seiner Lieder/ / Und auch seine saftigen Früchte/Schmecken nach nichts“.
Es sind also weniger die Augen, denen hier eben nicht zu trauen ist, als der innere Blick des Dichters, der die Welt im Widerstreit von Dasein und Verschwinden, ihr beklemmendes Spannungsverhältnis sichtbar werden lässt.
Während Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern im Aufflammen des Streichholzlichtleins für einen flüchtigen Moment die Wärme und die Geborgenheit hinter den Fenstern der Weihnachten feiernden Familien erblickt, die für das frierende Mädchen auf der Straße ebenso sinnlich-erfahrbar wie unerreichbar als Schau aufglimmen, wird der Zustand des Abgespalten-Seins von der sinnlich-lebendigen Welt in Fabian Lenthes Gedichten in einer geradezu umgekehrten Bewegung der Illumination nachvollzogen: Die Poesie ist das Schwefelhölzchen, das für einen kurzen Moment eine innere Welt der Nähe und Liebe erinnernd aufleuchten lässt, um kurz darauf im äußeren Nichts wieder zu verlöschen. Das titelgebende Streichholzmotiv wird dabei auch ganz konkret zu einem Vers verdichtet: „Bis jetzt / Nur Brandlöcher/ Die Hände / Duften nach Asche“ –
In sparsamen, dem Stadt- und Alltagsleben subtil abgewonnenen Sprachbildern lässt der Dichter seine Leserschaft damit in das Psychogramm eines Ichs eintreten, dessen Inneres sinnbildlich wie eine Streichholzschachtel erscheint: Asche und Glimmen, Wunden und Glut, depressive Beklemmung und Aufleben – existenzielle Gefühle werden unsentimental, scheinbar beiläufig auf dichtestem Raum im Spannungsfeld von Gegensätzen und Idiosynkrasien gekonnt aneinander gerieben. Auf diese Weise erzeugen sie ein eindringliches wie flüchtiges Aufleuchten der Liebe im Schattenreich des menschlichen Daseins: „Erst als ich dir Bühne/Und Publikum und Applaus/Dazudachte/ / Hast du deine Pirouetten/Nur für mich gedreht“.
Dass das Lichte zuallererst auf Grundlage der Versehrtheit sichtbar und wirksam wird, hat unter anderem der Musiker und Songwriter Leonard Cohen so poetisch wie prägnant auf den Punkt gebracht: „There is a crack, a crack in everything. That's how the light gets in“. Dieser Spalt, durch den das Innen ins Außen wirkt, wird von Lenthe dichterisch so beschrieben:
Irgendwo ein Spalt
Eine angelehnte Tür
Ein halb geöffnetes Fenster
Durch das ein Außen dringt
Zum Innen wird
Das Vorbeifahren der Straßenbahn
Ist überlebenswichtig
Geschult an der Tradition der amerikanischen Undergroundlyrik und der poètes maudits erschafft Lenthe in diesem seinem zweiten Gedichtband eine stillere, stockende Poesie der halbgeschlossenen Augenlider, hinter denen die Erinnerungen aufsteigen. Reminiszenzen, in welchen die Geliebte etwa ihre Pirouetten tanzt, wie wenn man sich eine Zigarette dreht; eine fünfminütige Glut, von der bestenfalls der „Duft nach Asche“ übrigbleibt. Und dass die Welt, ebenso wie der Kirschbaum im Einstiegsgedicht, für die Seele zugleich existieren und nicht zu existieren vermag – diese Ambivalenz des menschlichen Daseins in Worte zu fassen, ist die Gabe von guter Lyrik. Zu der die „Streichhölzer“ von Fabian Lenthe allemal zählen.
Fabian Lenthe: Streichhölzer. Gedichte. XS-Verlag, Berlin 2024, 91 S., ISBN: 978-3-944503-22-6
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Mit seinem jüngsten Lyrikband Streichhölzer, erschienen im XS-Verlag (Berlin 2024), hat der Nürnberger Autor Fabian Lenthe auf schmalem Raum ein suggestives, fein komponiertes lyrisches Werk vorgelegt, für das er in diesem Jahr mit einem der Bayerischen Kunstförderpreise der Sparte Literatur ausgezeichnet wurde.
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Wer in den besinnlichen Tagen der Jahreswende mal wieder nach den guten alten Märchen greift und sich von Hans Christian Andersens Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern anrühren lässt, der mag für einen etwas urbaneren, zeitgenössischeren „Sound“ auch gerne einmal die Streichhölzer des Lyrikers Fabian Lenthe zur Hand nehmen. Dieser schmale, an die Kunst des japanischen Haikus erinnernde Gedichtband hat es durchaus in sich und vermag im Nachsinnen über die Verse ebenfalls zu berühren.
„Natürlich war mir/Das langsame Verblassen/Meines Namens/Auf dem Briefkastenschild/Aufgefallen“ – Fabian Lenthe lässt die poetische Suggestionskraft der Wörter auf gekonnte, berührende Weise aufglimmen; und dies auf dem schmalen, konzentrierten Raum oftmals nur weniger Zeilen. Seine „Streichhölzer“ setzen sich aus betont schlichten, geradezu wortkargen Versen zusammen, deren Leerstellen und Versbrüche das Schweigen bewusst miteinschließen. Gedichte, in denen die Abgründigkeit und Nichtigkeit der menschlichen Existenz ihren Nachhall findet: „Es läge vor allem/An der Ausweglosigkeit/Hattest du gesagt/Ein Ei das aus seinem Nest fällt/Das Verschwinden der Sterne/Dinge die man nicht verhindern kann“.
Mit welchen Sinnen erfasse ich die Wirklichkeit? Wie verhält sich die dichterische Sprache dazu?
Bereits das Einstiegsgedicht ist programmatisch zu lesen. Denn in der Behauptung von der Nicht-Existenz des Kirschbaums vor dem Fenster, in der Schilderung seiner „Nicht-Früchte“ wird ebendieser Kirschbaum in der Imagination des Lesers, der sich diesen Baum vorzustellen versucht, erzeugt; er bekommt seine ihm eigene Wirklichkeit zugeschrieben: „Der Kirschbaum vor meinem Fenster/Existiert nicht/ /Selbst die Vögel auf seinen Ästen/Singen keines seiner Lieder/ / Und auch seine saftigen Früchte/Schmecken nach nichts“.
Es sind also weniger die Augen, denen hier eben nicht zu trauen ist, als der innere Blick des Dichters, der die Welt im Widerstreit von Dasein und Verschwinden, ihr beklemmendes Spannungsverhältnis sichtbar werden lässt.
Während Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern im Aufflammen des Streichholzlichtleins für einen flüchtigen Moment die Wärme und die Geborgenheit hinter den Fenstern der Weihnachten feiernden Familien erblickt, die für das frierende Mädchen auf der Straße ebenso sinnlich-erfahrbar wie unerreichbar als Schau aufglimmen, wird der Zustand des Abgespalten-Seins von der sinnlich-lebendigen Welt in Fabian Lenthes Gedichten in einer geradezu umgekehrten Bewegung der Illumination nachvollzogen: Die Poesie ist das Schwefelhölzchen, das für einen kurzen Moment eine innere Welt der Nähe und Liebe erinnernd aufleuchten lässt, um kurz darauf im äußeren Nichts wieder zu verlöschen. Das titelgebende Streichholzmotiv wird dabei auch ganz konkret zu einem Vers verdichtet: „Bis jetzt / Nur Brandlöcher/ Die Hände / Duften nach Asche“ –
In sparsamen, dem Stadt- und Alltagsleben subtil abgewonnenen Sprachbildern lässt der Dichter seine Leserschaft damit in das Psychogramm eines Ichs eintreten, dessen Inneres sinnbildlich wie eine Streichholzschachtel erscheint: Asche und Glimmen, Wunden und Glut, depressive Beklemmung und Aufleben – existenzielle Gefühle werden unsentimental, scheinbar beiläufig auf dichtestem Raum im Spannungsfeld von Gegensätzen und Idiosynkrasien gekonnt aneinander gerieben. Auf diese Weise erzeugen sie ein eindringliches wie flüchtiges Aufleuchten der Liebe im Schattenreich des menschlichen Daseins: „Erst als ich dir Bühne/Und Publikum und Applaus/Dazudachte/ / Hast du deine Pirouetten/Nur für mich gedreht“.
Dass das Lichte zuallererst auf Grundlage der Versehrtheit sichtbar und wirksam wird, hat unter anderem der Musiker und Songwriter Leonard Cohen so poetisch wie prägnant auf den Punkt gebracht: „There is a crack, a crack in everything. That's how the light gets in“. Dieser Spalt, durch den das Innen ins Außen wirkt, wird von Lenthe dichterisch so beschrieben:
Irgendwo ein Spalt
Eine angelehnte Tür
Ein halb geöffnetes Fenster
Durch das ein Außen dringt
Zum Innen wird
Das Vorbeifahren der Straßenbahn
Ist überlebenswichtig
Geschult an der Tradition der amerikanischen Undergroundlyrik und der poètes maudits erschafft Lenthe in diesem seinem zweiten Gedichtband eine stillere, stockende Poesie der halbgeschlossenen Augenlider, hinter denen die Erinnerungen aufsteigen. Reminiszenzen, in welchen die Geliebte etwa ihre Pirouetten tanzt, wie wenn man sich eine Zigarette dreht; eine fünfminütige Glut, von der bestenfalls der „Duft nach Asche“ übrigbleibt. Und dass die Welt, ebenso wie der Kirschbaum im Einstiegsgedicht, für die Seele zugleich existieren und nicht zu existieren vermag – diese Ambivalenz des menschlichen Daseins in Worte zu fassen, ist die Gabe von guter Lyrik. Zu der die „Streichhölzer“ von Fabian Lenthe allemal zählen.
Fabian Lenthe: Streichhölzer. Gedichte. XS-Verlag, Berlin 2024, 91 S., ISBN: 978-3-944503-22-6