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01.12.2023, 08:01 Uhr
Christina Kuhlmann
Rezensionen
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Die Autorin Gunna Wendt © Rohrbach

Rezension zu „Die Freude meines Lebens“ von Gunna Wendt

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(c) Reclam

„Jede Frau ist eine Tochter.“ – Das prägende, innig-symbiotische wie antagonistisch-konfliktträchtige Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern ist das aktuelle Thema der Autorin Gunna Wendt, deren neuestes Buch Geschichten von prominenten Müttern und Töchtern von damals bis heute in einprägsamen Porträts vorstellt. Unsere Praktikantin Christina Kuhlmann hat das Buch für uns gelesen.

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Aktuelle Themen spiegeln sich in der zeitgenössischen Literatur in jeder Epoche wider. In ihrem Werk Die Freude meines Lebens. Geschichten von berühmten Müttern und Töchtern, widmet sich die Autorin Gunna Wendt einem brisanten Hot Topic: Den erfolgreichen Mutter-Tochter-Gespannen, wie etwa demjenigen von Heidi und Leni Klum.

Zwischen weiblichem Stereotyp und Individualität

Die Verfasserin behandelt die vielseitigen Beziehungsstrukturen zwischen Müttern und Töchtern und verbindet dies mit der Erörterung gesellschaftskritischer Gegensätze. Hier thematisiert sie insbesondere das vielschichtige Intermezzo zwischen dem Drängen der jeweiligen Mädchen in ein gesellschaftlich vorgefertigtes Rollenbild der Frau und ihrer freien Entscheidungsmöglichkeit, einer souveränen inneren und äußeren Entfaltung sowie den Wandel des Frauenbildes bezüglich der politisch und wirtschaftlich motivierten Eheschließungen. Des Weiteren betrachtet sie kritisch die Auswirkungen psychischer Belastungen, Prägungen und Konflikte auf die interfamiliären Beziehungen und setzt sich mit der Bedeutung häufiger Wohnortwechsel auseinander. Ganz besonders aber liegt ihr Augenmerk auf der Todes- und Verlusterfahrung als einem wesentlichen Faktor für die weibliche Persönlichkeitsentwicklung.

„War sie der große Engel / Der neben mir ging?“

Den Auftakt läutet das Gedicht „Meine Mutter“ von Else Lasker-Schüler ein. Auf diese Weise konfrontiert Gunna Wendt die Leser bereits einleitend mit der Todesthematik; den Auswirkungen, die der Tod der geliebten Mutter auf die eigene Tochter hat. Die bittersüße Melancholie wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Mutter im Gedicht schon „begraben“ ist. Retrospektiv wird dabei von der Sprecherin des Gedichts in Erinnerungen geschwelgt. Die Fragestellung nach der Bedeutung des Todes zieht sich sukzessiv durch das Werk.

"Jede Frau ist eine Tochter"

Den Charakter einer Abhandlung erhält Die Freude meines Lebens durch die psychologisch-fundierte Perspektive der Autorin, die auch Psychologie studiert hat. Im Prolog werden die wesentlichen Aspekte einer Mutter-Tochter-Beziehung analysiert. Die Gegensätze zwischen „Vertrautheit und Fremdheit“ samt „Identifikation und Abgrenzung“ werden exemplarisch durch die Verwechselung Isabella Rossellinis mit ihrem eigenen Spiegelbild und der Erinnerung an ihre eigene Mutter zum Ausdruck gebracht. Pointiert stellt die Autorin konträre Aspekte dar. Bündig zeigt sie dabei auf, dass auf Gemeinsamkeiten basierende Gegensätze sich anziehen. Das Zitat „Jede Frau ist eine Tochter!“ wird zum Dreh- und Angelpunkt dieses Porträt-Meisterwerkes. Wortgewandt und feinfühlig behandelt die Verfasserin insbesondere das brisante Thema der zweckarrangierten und zielgebundenen Ehen. Zum Beispiel wurde Marie Antoinette standesgemäß und politisch motiviert von ihrer Mutter Maria Theresia mit Ludwig dem XVI. verheiratet. Die Autorin kontrastiert die Erwartungshaltung der Mutter bezüglich des Hervorbringens eines Stammhalters mit dem Freiheitsdrang, den „ausschweifenden Vergnügungen“ ihrer Tochter. Damit schlägt sie gekonnt den Bogen zur zeitgenössischen Problematik, dem Konflikt zwischen den Generationen Boomer und Gen Z.

Von der Anpassung zum Tomboy

Ebenso sachlich wie anschaulich nimmt Gunna Wendt ihre Leserschaft also mit auf eine Reise durch das Rollenbild der Frau im Wandel der Zeit. In ihrer Betrachtung der Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Emilie und Franziska (Fanny) zu Reventlow zeigt sie beispielsweise, wie Fanny entgegen den strengen Führungs- und Leitungsversuchen ihrer Mutter Emilie lieber mit ihrem Bruder in der freien Natur „draußen herumtollen“ möchte. Darüber hinaus ist Fanny den schönen Künsten zugetan, insbesondere der „freien Schriftstellerexistenz“. Auch hier gelingt es der Autorin die Verbindung zu zeitgenössischen, aktuellen Themen zu schaffen, wie etwa dem frühkindlichen tomboy-haften Auftreten der Models Kendall Jenner und Cara Delevingne. Hierbei flechtet sie gekonnt das wiederkehrende Element der Wiedersprüche ein. Zum Beispiel bemüht sich im Mutter-Tochter-Gespann Nina und Cosma Shiva Hagen die Tochter Cosma Shiva möglichst wenig aufzufallen. Im kompletten Gegensatz zu ihrer Mutter Nina, die als „Godmother of Punk“ bekannt wird. Dies bewerkstelligt sie, indem sie etwa die Küche putzt im Versuch der Anpassung an die „Spießigkeit und Sauberkeit“ ihrer Mitmenschen. 

Der Tod als einschneidendes Erlebnis

Mit dem besagten Gedicht „Meine Mutter“ zu Beginn des Werkes und dem Abschluss der jeweiligen Einzelkapitel mit einem einschneidenden, mitunter auch befreienden Todesereignis, wird die elementare Verschränkung von Leben und Tod sehr deutlich gemacht. Zum Beispiel spielt Gunna Wendt im Falle des Mutter-Tochter-Gespanns Johanna und Adele Schopenhauer eloquent auf das tragische Ereignis an, als Johannas Ehemann Heinrich Floris Schopenhauer durch eine offene Speicherluke in einen Kanal stürzt und ertrinkt. Hierbei gelingt es ihr eine gelungene Verbindung zum zeitgenössischen brisanten Thema Awareness zu schaffen. Gerüchteweise soll der Ehemann „zu Schwermut geneigt“ haben. Dabei bringt sie gekonnt ihre Expertise als Psychologin zum Ausdruck, da sie den Zusammenhang zwischen der in der Familie herrschenden Lieblosigkeit und seiner Depression anschaulich und überzeugend darstellt.  

Female Empowerment 

Häufige Wohnortwechsel, so lautet eine weitere Schlussfolgerung der Autorin, prägen die Persönlichkeit eines Menschen in besonderem Maße. Das Mutter-Tochter-Gespann Marie und Irene/Eve Curie ist beispielsweise von geographischer Unbeständigkeit bestimmt. Von Polen über Frankreich und Amerika machen die einzelnen Familienmitglieder jeweils Stationen. Marie Curie ermöglicht ihren Töchtern ein breites Angebotsspektrum an Aktivitäten. Denn im Gegensatz zu ihrer eigenen von Ängsten geprägten Kindheit ist es ihr wichtig, „ihre Töchter nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu stählen“. Mit diesem Beispiel stellt Gunna Wendt den Bezug her zum Female Empowerment.

Immer wieder verweist sie zudem auf das zentrale Element des literarischen Schaffens als identitätsstiftendem Moment, wie bei dem genannten Mutter-Tochter-Gespann Marie und Eve Curie oder auch anhand von Johanna Schopenhauer. Anstatt ihr Witwendasein elendig zu beklagen etabliert diese einen „intellektuellen und kulturellen Salon“. In Teestunden treffen hier impulsgebende zeitgenössische Schriftsteller aufeinander.

Alles in allem handelt es sich bei Die Freude meines Lebens um formvollendete Porträts mit einer Vereinigung von historischen Fakten und psychologischen Rückschlüssen, die einen einzigartigen Bezug zur Gegenwart bilden.

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