Zu Georg M. Oswalds soeben erschienenem Roman „In unseren Kreisen“
Der Schriftsteller Georg M. Oswald befasst sich in seinen Romanen häufig mit der Frage, wie die Gesellschaft auf den Einzelnen oder auch auf die Kernfamilie wirkt. In seinem neuen Buch In unseren Kreisen (Piper) geht es ihm um die Generation der Erben.
*
Die Sandmanns sind eine typische Hipsterfamilie – beide Erwachsene arbeiten im kreativen Bereich, die Frau verdient besser, die zehnjährige Tochter kommt mit dem öffentlichen Schulsystem nicht besonders gut klar, ist in Familie und Freundeskreis aber gut aufgehoben. Man unterstützt ökologische Anliegen, ohne extremistisch zu sein, und lebt in einer relativ bescheidenen Wohnung, um bei der Lebensgestaltung mehr Freiheiten zu haben.
Die Freiheiten vermehren sich explosionsartig, als die Sandmanns eine Villa und einen Haufen Geld erben. Sie können nun unabhängig leben. Nach kurzem Bedenken ziehen sie in das große Haus und damit in eine neue Nachbarschaft, die, ohne dass ein Ortsname fiele, vom Münchner Süden und der Stadt Pullach inspiriert sein dürfte. Diese Veränderung hat größere Konsequenzen, als die Sandmanns sich ausmalen wollten. Tatjana, die eigentliche Erbin, erfährt einen Schub ihres Selbstbewusstseins; ihre Art zu sprechen etwa ist nun viel entschiedener. Schnell genießt sie es auch, durch eine großzügige Spende ihrer Tochter den Weg an ein privates Gymnasium ebnen zu können.
Nikolai, von Beruf Schriftsteller, fremdelt eher mit den neuen Verhältnissen. Einerseits spürt er, dass er seiner Partnerin nun viel stärker ausgeliefert sein wird als zuvor. Andererseits begeht er nicht nur einige Tollpatschigkeiten und Fehler im neuen sozialen Milieu, sondern bemerkt dies auch noch. Verunsichert stolpert er durch die neue Nachbarschaft. Eine private Lesung bringt ihm nicht die erhoffte Anerkennung der bornierten Reichen. Außerdem erhält er Hinweise darauf, dass es im Untergrund des schönen Lebens um ihn herum gewaltig stinkt. Tatjanas Erbe erweist sich in historischer Hinsicht als äußerst fragwürdig, und die Frage stellt sich, wie die Sandmanns damit umzugehen haben.
In seinem typischen Duktus leiser Unerbittlichkeit spürt Oswald mit seinem Roman einmal mehr den unangenehmen Seiten einer von Wohlstand und Kontrollwünschen geleiteten Gesellschaft nach. Das Verhältnis der Einzelnen untereinander ist dabei meist von Misstrauen und Konkurrenz geleitet sowie dem Versuch, einen Informationsvorsprung zu gewinnen: „ein Zweikampf beginnt heutzutage für gewöhnlich damit, dass man sich gegenseitig googelt.“
Wichtiger ist dem Autor aber die gesellschaftliche Frage, welche Verantwortung Geld und Besitz mit sich bringen. Diese Frage, äußerte Oswald anlässlich der Buchpremiere beim Tukan-Kreis in der Münchner Seidlvilla am 15. Juni 2023, werde von Reichen häufig ignoriert. Menschen veränderten sich, wenn sich ihre Vermögensverhältnisse änderten. Im Roman nutzen die Wohlabenden ihr Geld, um ihre Leben sowie sich selbst zu optimieren. Das Ziel ist, zu sich selbst zu finden. Das entspricht dem Ideal des bürgerlichen Bildungsromans. Dabei hilft es natürlich, wenn sich widrige Umstände (mangelndes Kapital) aus dem Weg räumen lassen. Eine auf der Einsicht ruhende Notwendigkeit einer „dienenden“ Einordnung in das Ganze der Gesellschaft scheint sich dagegen verflüchtigt zu haben.
Oswald zeigt dagegen mit In unseren Kreisen, dass die individuelle Selbstverwirklichung im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft eine Falle ist und wie leicht das sittliche Handeln zurücksteht, wenn die Chance, die eigenen Verhältnisse zu verbessern – für die Nachkommen der Wohlstandsgeneration häufig in Gestalt einer dicken Erbschaft –, sich bietet.
Zu Georg M. Oswalds soeben erschienenem Roman „In unseren Kreisen“>
Der Schriftsteller Georg M. Oswald befasst sich in seinen Romanen häufig mit der Frage, wie die Gesellschaft auf den Einzelnen oder auch auf die Kernfamilie wirkt. In seinem neuen Buch In unseren Kreisen (Piper) geht es ihm um die Generation der Erben.
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Die Sandmanns sind eine typische Hipsterfamilie – beide Erwachsene arbeiten im kreativen Bereich, die Frau verdient besser, die zehnjährige Tochter kommt mit dem öffentlichen Schulsystem nicht besonders gut klar, ist in Familie und Freundeskreis aber gut aufgehoben. Man unterstützt ökologische Anliegen, ohne extremistisch zu sein, und lebt in einer relativ bescheidenen Wohnung, um bei der Lebensgestaltung mehr Freiheiten zu haben.
Die Freiheiten vermehren sich explosionsartig, als die Sandmanns eine Villa und einen Haufen Geld erben. Sie können nun unabhängig leben. Nach kurzem Bedenken ziehen sie in das große Haus und damit in eine neue Nachbarschaft, die, ohne dass ein Ortsname fiele, vom Münchner Süden und der Stadt Pullach inspiriert sein dürfte. Diese Veränderung hat größere Konsequenzen, als die Sandmanns sich ausmalen wollten. Tatjana, die eigentliche Erbin, erfährt einen Schub ihres Selbstbewusstseins; ihre Art zu sprechen etwa ist nun viel entschiedener. Schnell genießt sie es auch, durch eine großzügige Spende ihrer Tochter den Weg an ein privates Gymnasium ebnen zu können.
Nikolai, von Beruf Schriftsteller, fremdelt eher mit den neuen Verhältnissen. Einerseits spürt er, dass er seiner Partnerin nun viel stärker ausgeliefert sein wird als zuvor. Andererseits begeht er nicht nur einige Tollpatschigkeiten und Fehler im neuen sozialen Milieu, sondern bemerkt dies auch noch. Verunsichert stolpert er durch die neue Nachbarschaft. Eine private Lesung bringt ihm nicht die erhoffte Anerkennung der bornierten Reichen. Außerdem erhält er Hinweise darauf, dass es im Untergrund des schönen Lebens um ihn herum gewaltig stinkt. Tatjanas Erbe erweist sich in historischer Hinsicht als äußerst fragwürdig, und die Frage stellt sich, wie die Sandmanns damit umzugehen haben.
In seinem typischen Duktus leiser Unerbittlichkeit spürt Oswald mit seinem Roman einmal mehr den unangenehmen Seiten einer von Wohlstand und Kontrollwünschen geleiteten Gesellschaft nach. Das Verhältnis der Einzelnen untereinander ist dabei meist von Misstrauen und Konkurrenz geleitet sowie dem Versuch, einen Informationsvorsprung zu gewinnen: „ein Zweikampf beginnt heutzutage für gewöhnlich damit, dass man sich gegenseitig googelt.“
Wichtiger ist dem Autor aber die gesellschaftliche Frage, welche Verantwortung Geld und Besitz mit sich bringen. Diese Frage, äußerte Oswald anlässlich der Buchpremiere beim Tukan-Kreis in der Münchner Seidlvilla am 15. Juni 2023, werde von Reichen häufig ignoriert. Menschen veränderten sich, wenn sich ihre Vermögensverhältnisse änderten. Im Roman nutzen die Wohlabenden ihr Geld, um ihre Leben sowie sich selbst zu optimieren. Das Ziel ist, zu sich selbst zu finden. Das entspricht dem Ideal des bürgerlichen Bildungsromans. Dabei hilft es natürlich, wenn sich widrige Umstände (mangelndes Kapital) aus dem Weg räumen lassen. Eine auf der Einsicht ruhende Notwendigkeit einer „dienenden“ Einordnung in das Ganze der Gesellschaft scheint sich dagegen verflüchtigt zu haben.
Oswald zeigt dagegen mit In unseren Kreisen, dass die individuelle Selbstverwirklichung im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft eine Falle ist und wie leicht das sittliche Handeln zurücksteht, wenn die Chance, die eigenen Verhältnisse zu verbessern – für die Nachkommen der Wohlstandsgeneration häufig in Gestalt einer dicken Erbschaft –, sich bietet.