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22.08.2022, 09:00 Uhr
Wolfsmehl
Rezensionen

Petra Morsbach, die Kämpferin

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Buchcover (c) Random House

Petra Morsbach (*1956 in Zürich) lebt seit 1993 als freie Autorin in Starnberg. Nach Tätigkeiten als Dramaturgin und Regisseurin debütierte sie 1995 mit dem Roman Plötzlich ist es Abend. Weitere Romane folgten: Opernroman (1998), Geschichte mit Pferden (2001), Gottesdiener (2004), Der Cembalospieler (2008), Dichterliebe (2013) sowie Justizpalast, für den sie 2017 den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis bekam. 2008 erschien ihr Essayband Warum Fräulein Laura freundlich war. Über die Wahrheit des Erzählens, 2014 ihr Spielfilm Der Schneesturm (zus. mit Benjamin Moritz Gronau). Petra Morsbach erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt 2021 den Bayerischen Verdienstorden. Sie ist Mitglied des P.E.N. und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

In ihrem aktuellen zweiten Essayband Der Elefant im Zimmer. Über Machtmissbrauch und Widerstand (2020) erkundet Petra Morsbach in drei spannenden Reportagen über Kunst, Kirche und Politik weniger den Machtmissbrauch an sich als das verdruckste, widersprüchliche und explosive Verhältnis der Untergebenen dazu. Dabei hält sie sich wie schon in ihrem Essay Über die Wahrheit des Erzählens an die Sprache der Dramen. Eine Rezension von Wolfsmehl

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Die drei Essays Über Machtmissbrauch und Widerstand erinnern ebenso beklemmend wie befreiend an Hannah Arendts Buch Die Banalität des Bösen. Zwei unbequeme Denkerinnen, unerschrocken und unbestechlich in Ihrer Analyse.

Wobei bei Petra Morsbach nicht die Mittelmäßigkeit, Gedankenlosigkeit und Kälte eines Adolf Eichmann im Zentrum stehen, sondern jene von uns allen, der Gesellschaft, Politik sowie ranghoher Kirchenvertreter, die es durch Wegschauen und Schweigen zuließen, dass der österreichische Kardinal Hans Hermann Wilhelm Groër jahrzehntelang schweren sexuellen Missbrauch an ihm anbefohlenen Kindern und Jugendlichen begehen konnte. Dafür, wofür andere lange Haftstrafen erhalten, lebte Kardinal Groër nach quälendem Hin und Her zurückgezogen im Kloster Marienfeld.

Meisterlich deckt Petra Morsbach die Verschleierungstaktiken des Kinderschänders auf: dessen autoritären Führungsstil, den Gestus der moralischen Entrüstung, gekränkte Unschuld (der Beschuldigte als Opfer), Züchtigungston, Drohgebärden, ohne dass eine direkte Drohung ausgesprochen wird, Generalisierungen, kein Interesse zum Bezug an einer Sachebene. Und wenn der Konflikt eskalierte, wurde eine zweite beeindruckende Leuchtkerze gezündet: Erweiterter Verteiler (bis hin zur Öffentlichkeit), Etablierung einer Antithese.

Die Gesellschaft ist überrumpelt und getäuscht. Die Mitarbeiter des Kardinals leisten keinen Widerstand. Die Opfer, zum Zeitpunkt des Missbrauchs die schwächsten der Gesellschaft, wurden als Erwachsene perfide mundtot gemacht.

»Die Banalität des Schweigens« schließt die Tür. Die leisen Murmeln des Missbrauchs laufen weiter fort hinter dicken Mauern. Schöpferische Zerstörung im Namen des Schöpfers. Die Kirche, das letzte Sprungtuch für viele Orientierungslose, ist seltsam entkräftet, kann im Namen Jesu nicht mehr helfen, muss sich selber helfen. Der Countdown der Selbstzerfleischung tickt.

Für das seelische Leid der Opfer interessiert sich niemand, weil sich mittlerweile niemand interessieren will und kann. Schließlich ist der größte Teil der Menschheit im alltäglichen Kampf mit Bürokratie, Strompreiserhöhung und sonstigen Unbilden aller Art gefangen.

Drei Essays, drei beeindruckende Beispiele von Machtmissbrauch und Widerstand.

Mutig, intelligent, demokratiestärkend.

Ein Erlebnis für jede Humanistin und jeden Humanisten.

Prädikat: außergewöhnlich

 

Petra Morsbach: Der Elefant im Zimmer. Über Machtmissbrauch und Widerstand. Essay. Penguin Verlag, München 2022, 368 S., € 22,00, ISBN 978-3-328-60074-9