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21.02.2020, 11:27 Uhr
Marie Kleber
Rezensionen

Rezension zu Paula Schliers Roman „Petras Aufzeichnungen"

Paula Schliers düsterer Roman Petras Aufzeichnungen oder Konzept einer Jugend nach dem Diktat der Zeit über eine Jugend in den 1920er Jahren wurde 2018 von Annette Steinsiek und Ursula A. Schneider im Otto Müller Verlag in Salzburg/Wien neu aufgelegt. 1926 erstmals erschienen und hoch geschätzt als „Ausdruck einer neuen Sachlichkeit“ und als das „wichtigste Lesebuch für die heranwachsende Generation“ werden Petras Aufzeichnungen im nachfolgenden Text von Marie Kleber besprochen.

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Die neun Kapitel des Romans schildern einzelne Episoden aus Petras Leben. Petra wird 1899 geboren, in der Spielzeit des Buches von 1916 bis 1924 ist sie eine junge Heranwachsende. Die einzelnen fiktionalen Kapitel lassen sich gut mit dem sich im Anhang befindenden Kapitel Lebensspuren Paula Schlier in Verbindung bringen, auf deren Suche sich die beiden Herausgerberinnen begeben haben. Petra gleich Paula? Ein Stück weit vielleicht schon.

Der Roman erzählt durch seine expressive Sprache mit einer unglaublichen Wirkungsstärke von Petras Jugend. Dass diese Jugend nicht einfach ist, verdeutlicht bereits der Untertitel des Buches Konzept einer Jugend nach dem Diktat der Zeit, der unweigerlich auf eine zeitgeschichtlich bedingte Unfreiheit ihrer Lebensumstände hinweist.

Das Motiv des Todes und der Ausweglosigkeit

Der Roman beginnt 1916, mitten im ersten Weltkrieg. Bereits im ersten Kapitel, das irritierenderweise mit dem Begriff Vorwort betitelt ist, lässt die Autorin Petra eine traumatisch-surreale Sequenz erleben. So schildert sie, wie aus einem kleinen Fluss, in dem Petra ein Bad nehmen möchte, plötzlich ein reißender Strom wird und es dem Mädchen gerade noch gelingt, sich in Sicherheit zu bringen. Petra soll sich im weiteren Verlauf des Buches noch oft mit dem Motiv des Todes befassen müssen.

Auch im nächsten Kapitel spielen sich für sie dramatische Vorgänge ab. Petra ist zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt und pflegt in einem Kriegslazarett verwundete und sterbende Soldaten. Die Tätigkeit erscheint Petra als traumatischer Teufelskreis, werden die Soldaten, gerade halb genesen, sofort wieder an die Front geschickt, um dann wieder verletzt oder tot zu ihr ins Lager zurückzukommen. Bereits in diesem Kapitel wird deutlich, dass Petra stark sein muss und keine Schwäche zeigen darf. So erzählt sie beispielsweise, dass man am Bette eines Toten „nicht weinen dürfe“, denn der Tote „spüre alles“. Ein Dilemma, dem schwer zu entkommen ist und das sich in Petras Leben in so mancher Situation immer wieder wiederholt.

So zum Beispiel auch in den zwei Redaktionen in München, in die es Petra nach dem Krieg als „Schreibmaschinenmädchen“ zieht. Zunächst arbeitet sie bei einem eher liberalen Blatt, dem Demokratischer Zeitungsbetrieb wie der Titel des Kapitels angibt. Doch erfährt sie, dass die Journalisten zwar „in ihren Artikeln Demokraten“ sind, in „ihren privaten Äußerungen jedoch nicht“. Die Beschreibung ihrer späteren Tätigkeit „in der Redaktion der Patrioten“ bildet das Zentrum des Romans. Hier wird auch wieder die autobiografische Gestalt des Werkes sichtbar, arbeitet Petra doch in der Redaktion Völkischer Beobachter, in der die Autorin Paula Schlier selbst tatsächlich einige Monate arbeitete. Das Besondere hier ist eine Abfolge dutzender Tagebucheinträge vom 24. September bis zum 8. Dezember 1923, also gerade die Monate vor und nach Hitlers gescheitertem Versuch der Machtergreifung am 9. November. Auch hier kommt Petra immer wieder aufgrund der politischen Situation beispielswiese beim Hitler-Ludendorff-Putsch mit dem Tod und der Härte des Lebens in Berührung.

Die Autorin lässt die antifaschistische Petra des Buches ordentlich Kritik an der faschistischen Redaktion üben, jedoch nicht nur an dieser. Sie übt auch erhebliche Sozial- und Gesellschaftskritik im Werk, nicht zuletzt an den herrschenden patriarchalischen Geschlechterverhältnissen. So werden die „Schreibmaschinenmädchen“ an ihrem Arbeitsplatz von den Redakteuren belästigt und blicken laut Petra einer trostlosen Zukunft eines „von vorneherein todgeborenen Lebens“ entgegen.

Patriarchale Verhältnisse und sexistische Verhaltensweisen von Männern verbeispielt die Autorin auch mit einer Szene auf der Rutschbahn des Münchner Oktoberfests: Die herunterrutschende „Dame erschrickt“ beim plötzlichen Start, „sieht oben in der Dunkelheit nichts, ist jedoch von dem grellfarbigen Licht unter sich geblendet und weiß nicht, was mit ihr geschieht. Gerade darin besteht der Humor. Der untenstehende Herr kann ganz genau sehen, wie sich die Dame oben benimmt, wie sie sich ängstigt, wie sie abfährt und welche Unterwäsche sie trägt.“ Auch der Zusammenhang mit dem Tod wird hier wieder von der Autorin herbeigeführt. So kontrastiert sie das „helle Lachen der Festbesucher“ des Oktoberfestes mit dem traurigen Dasein armer Waisenkinder, die in „langen Holzbaracken“ gleich neben dem Fest wohnen und dessen junges Leben der Traurigkeit und dem Tod geweiht ist.

Tristes Leben des „Schreibmaschinenmädchens“

Die im Text geschilderten Verhältnisse sind insgesamt denkbar düster, von Hoffnungs- und Ausweglosigkeit geprägt. Entsprechend freudlos ist Petras Alltag. „Wir kommen den ganzen Tag nicht zu uns. Allein vor dem Einschlafen, zwischen Betäubung und Schlaf ist eine Minute, eine einzige, die uns wach findet“, erzählt sie. „Um ihretwillen muss alles ertragen werden, jede Qual, jeder Beruf, der keiner ist, denn sie ist es ja, die uns nicht heimisch werden läßt in diesem fremden Leben.“

Ähnlich traumatisch wie zu Beginn des Buches endet das Werk auch mit einer Eisenbahnfahrt, auf der Petra Albträume quälen. Resigniert schlussfolgert sie über die Menschen ihres Zugabteils: „Ich sah uns alle, wie wir hier saßen, wir, die Selbstmörder: Wir sehen uns alle auf die geschickten Finger, wir passen scharf auf, welcher Finger der schnellste ist, und das tötet uns. Wir legen das Gehirn bloß und spielen mit den Schalen, daran sterben wir. Wir tragen unser Herz außen auf der Brust, und unter der Glashülle, die zu seinem Schutze ist, bleicht es aus.“

Der Autorin Schlier gelingt es eine Albtraumwelt wunderbar zu versprachlichen und zieht so den Leser in ihren Bann, verstört und schockiert ihn, aber berührt ihn auch auf wundersame Weise. Petras Aufzeichnungen ist ein Roman über den Mut und die Stärke des Einzelnen, aber auch über die Gefangenschaft und die Grenzen in der Gesellschaft. Die Aussage von Ida Coudenhove über Schliers Roman 1928 ist auch heute noch zutreffend: „Paula schreibt mit unerbittlicher, sauberer Ehrlichkeit, zäher, fast unbewusster Tapferkeit und einer selbstverständlichen, unsentimentalen Güte gegen die, die noch schwächer und wehrloser sind als sie.“ Ein radikales Werk über das Leben von Frauen und die politische und gesellschaftliche Zeitwende im frühen 20. Jahrhundert.

Die Herausgeberinnen Annette Steinsiek und Ursula A. Schneider haben einen umfangreichen Anhang erstellt. Ein Stellenkommentar hilft, eventuelle „Verständnisschwierigkeiten zu vermindern“. Vor allem aber entschlüsselt er die Namen des Romans, was insbesondere im Abschnitt über Petras Arbeit in der Redaktion der „Patrioten" wichtig ist. Der Anhang „Textzeugen und Entstehungsgeschichte“ gibt detaillierte Informationen und zeichnet die Rezeptionsgeschichte des Romans nach.

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