Panizza-Blog [9]: Kritiken über die Wagner-Festspiele
Oskar Panizza ist um 1890 ungeheuer kreativ. 1889 erscheint ein weiterer Band mit Gedichten: Legendäres und Fabelhaftes, der aber kein Gedicht enthält, das man hier wiedergeben müsste. 1890 erscheinen die Dämmerungsstücke, im selben Jahr eine längere Erzählung, die Mondgeschichte. Ein skurriler Vorläufer der Science Fiction: Der Erzähler klettert auf einer langen Leiter auf den Mond und entdeckt, dass es nicht nur einen Mann im Mond, sondern eine ganze Familie gibt, die sich von holländischem Käse ernährt. Auch diese Erzählung wurde mehrfach nachgedruckt, sogar ins Französische übersetzt (Histoire de Lune. Circé Editeur. Strasbourg. 1990).
Außerdem ist er weiter journalistisch tätig. Er schreibt nicht nur für Die Gesellschaft, sondern auch für die Modernen Blätter, die aus der Zeitschrift Münchner Kunst hervorgegangen sind. Hier kann er, vielleicht war es eine Auftragsarbeit, seine Kritiken über die Wagner-Festspiele im Jahr 1891 veröffentlichen. Er fährt also im Sommer 1891 nach Bayreuth. Damals wurden dort noch Gästebücher geführt, die ich im Richard Wagner Archiv konsultiert habe. Für 1891 fand ich den Eintrag: „Panitza (sic), Oscar (sic), Dr. med. aus München, bei Frau Pfarrer Rottler, Dammallee 8“. Das Haus existiert noch, es hängt sogar eine Tafel daran. Nein, nicht zur Erinnerung an Panizza, sondern an Malwida von Meysenbug (1816-1903). Die berühmte Wagner-Freundin, deren Memoiren einer Idealistin auch mal wieder aufgelegt werden sollten, hat dort gewohnt, wenn sie in Bayreuth zu Gast war.
Panizza war allerdings kein Wagner-Freund. In seiner Tristan-Kritik heißt es am Ende: „Und diese ganze blutleere, nervöse Gesellschaft da droben vor dem Wagnertheater, die wie zu einem hysterischen Congreß versammelt, sich spasmodisch angähnt, und nach Extasen lechzt.“ (Moderne Blätter. Jg. 1. 1891. Nr. 19 vom 8. August, S. 5) Auch der Tannhäuser gefällt ihm nicht hundertprozentig: Dieser Tannhäuser war „um vieles schlechter und besser, als eine Durchschnitts-Aufführung auf einem guten deutschen Hoftheater.“ (Moderne Blätter. Jg. 1. 1891. Nr. 18 vom 1. August, S. 3) Böse Zungen behaupten, das sei heute in Bayreuth auch nicht anders... Am schlimmsten trifft es den Parsifal. Panizza schreibt: „Parsifal ist eine der schwächsten Leistungen Wagners, eine Allegorie ohne Saft und Kraft, ein greisenhaftes Opus eines bußfertig gestimmten Mannes, der sein Lebenswerk bereits vollendet, eine schöne Kirchenandacht für Weiber beiderlei Geschlechts mit prunkenden Messgewändern und prachtvollen Orgelklängen.“ (Moderne Blätter. Jg. 1. 1891. Nr. 18 vom 1. August, S. 1) Hier trifft er sich mit Friedrich Nietzsche, der in seinem Gedicht „Ist das noch deutsch?“, das Panizza allerdings nicht kennen konnte, zum Parsifal fragt: „Deutsch ist dies Priester-Händespreizen / Dies weihrauch-düftelnde Sinnereizen? / Und deutsch dies Stocken, Stürzen, Taumeln, / Dies ungewisse Bimbambaumeln? / Dies Nonnenäugeln, Ave-Glocken-Bimmeln, / Dies ganz falsch verzückte Himmel-Überhimmeln? / - ist das noch deutsch?“ Weiter unten heißt es bei Panizza: „Nein, Wagner war mit seinem Tristan bereits in jene transcendentale Sphäre einer überirdischen Weltauffassung hinübergerudert, wo sich nur Gleichartige erkennen, und von wo aus die harten Kanten und Ecken dieser realen Welt verschwommen und nebulös erscheinen.“
Gleichwohl sind Panizzas Kritiken durchaus kenntnisreich und ansonsten ausgewogen. Richtig böse wird er erst in seiner Erzählung Stoßseufzer aus Bayreuth, die auch in diesem Jahr entstanden ist. Doch davon mehr das nächste Mal... (Diese Erzählung und Panizzas Kritiken sind auch nachzulesen in: Oskar Panizza, Tannhäuser und andere Texte. Hg. von Joachim Schultz. Bayreuth. Edition Schultz & Stellmacher. 2002.)
———————————————————–
Panizza-Blog [9]: Kritiken über die Wagner-Festspiele>
Oskar Panizza ist um 1890 ungeheuer kreativ. 1889 erscheint ein weiterer Band mit Gedichten: Legendäres und Fabelhaftes, der aber kein Gedicht enthält, das man hier wiedergeben müsste. 1890 erscheinen die Dämmerungsstücke, im selben Jahr eine längere Erzählung, die Mondgeschichte. Ein skurriler Vorläufer der Science Fiction: Der Erzähler klettert auf einer langen Leiter auf den Mond und entdeckt, dass es nicht nur einen Mann im Mond, sondern eine ganze Familie gibt, die sich von holländischem Käse ernährt. Auch diese Erzählung wurde mehrfach nachgedruckt, sogar ins Französische übersetzt (Histoire de Lune. Circé Editeur. Strasbourg. 1990).
Außerdem ist er weiter journalistisch tätig. Er schreibt nicht nur für Die Gesellschaft, sondern auch für die Modernen Blätter, die aus der Zeitschrift Münchner Kunst hervorgegangen sind. Hier kann er, vielleicht war es eine Auftragsarbeit, seine Kritiken über die Wagner-Festspiele im Jahr 1891 veröffentlichen. Er fährt also im Sommer 1891 nach Bayreuth. Damals wurden dort noch Gästebücher geführt, die ich im Richard Wagner Archiv konsultiert habe. Für 1891 fand ich den Eintrag: „Panitza (sic), Oscar (sic), Dr. med. aus München, bei Frau Pfarrer Rottler, Dammallee 8“. Das Haus existiert noch, es hängt sogar eine Tafel daran. Nein, nicht zur Erinnerung an Panizza, sondern an Malwida von Meysenbug (1816-1903). Die berühmte Wagner-Freundin, deren Memoiren einer Idealistin auch mal wieder aufgelegt werden sollten, hat dort gewohnt, wenn sie in Bayreuth zu Gast war.
Panizza war allerdings kein Wagner-Freund. In seiner Tristan-Kritik heißt es am Ende: „Und diese ganze blutleere, nervöse Gesellschaft da droben vor dem Wagnertheater, die wie zu einem hysterischen Congreß versammelt, sich spasmodisch angähnt, und nach Extasen lechzt.“ (Moderne Blätter. Jg. 1. 1891. Nr. 19 vom 8. August, S. 5) Auch der Tannhäuser gefällt ihm nicht hundertprozentig: Dieser Tannhäuser war „um vieles schlechter und besser, als eine Durchschnitts-Aufführung auf einem guten deutschen Hoftheater.“ (Moderne Blätter. Jg. 1. 1891. Nr. 18 vom 1. August, S. 3) Böse Zungen behaupten, das sei heute in Bayreuth auch nicht anders... Am schlimmsten trifft es den Parsifal. Panizza schreibt: „Parsifal ist eine der schwächsten Leistungen Wagners, eine Allegorie ohne Saft und Kraft, ein greisenhaftes Opus eines bußfertig gestimmten Mannes, der sein Lebenswerk bereits vollendet, eine schöne Kirchenandacht für Weiber beiderlei Geschlechts mit prunkenden Messgewändern und prachtvollen Orgelklängen.“ (Moderne Blätter. Jg. 1. 1891. Nr. 18 vom 1. August, S. 1) Hier trifft er sich mit Friedrich Nietzsche, der in seinem Gedicht „Ist das noch deutsch?“, das Panizza allerdings nicht kennen konnte, zum Parsifal fragt: „Deutsch ist dies Priester-Händespreizen / Dies weihrauch-düftelnde Sinnereizen? / Und deutsch dies Stocken, Stürzen, Taumeln, / Dies ungewisse Bimbambaumeln? / Dies Nonnenäugeln, Ave-Glocken-Bimmeln, / Dies ganz falsch verzückte Himmel-Überhimmeln? / - ist das noch deutsch?“ Weiter unten heißt es bei Panizza: „Nein, Wagner war mit seinem Tristan bereits in jene transcendentale Sphäre einer überirdischen Weltauffassung hinübergerudert, wo sich nur Gleichartige erkennen, und von wo aus die harten Kanten und Ecken dieser realen Welt verschwommen und nebulös erscheinen.“
Gleichwohl sind Panizzas Kritiken durchaus kenntnisreich und ansonsten ausgewogen. Richtig böse wird er erst in seiner Erzählung Stoßseufzer aus Bayreuth, die auch in diesem Jahr entstanden ist. Doch davon mehr das nächste Mal... (Diese Erzählung und Panizzas Kritiken sind auch nachzulesen in: Oskar Panizza, Tannhäuser und andere Texte. Hg. von Joachim Schultz. Bayreuth. Edition Schultz & Stellmacher. 2002.)
———————————————————–