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18.12.2014, 11:48 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [529]: Eine „Vorübung“ – aber was für eine!

Nun endlich kommt der Wutz, also

Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal

Eine Art Idylle

Was für ein Beginn!

Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes Schulmeisterlein Wutz! Der stille laue Himmel eines Nachsommers ging nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben herum: deine Epochen waren die Schwankungen und dein Sterben war das Umlegen einer Lilie, deren Blätter auf stehende Blumen flattern – und schon außer dem Grabe schliefest du sanft!

So beginnen Meisterwerke.

Am 17. Februar 1791 sandte Jean Paul seinem Freund Christian Otto einen kurzen Brief, dem er die erste Hälfte der kleinen Erzählung beilegte: Bei diesen mit unendlicher Wollust empfangnen und gezeugten 4 Bogen bedenke 1) dass es in 10 Tagen geschah 2) und in gestohlnen Stunden nach und vor der Schule 3) und dass es soviel ist als schlägst du das Ei auf und besiehest das rinnende Hühngen 4) und dass es dürre Knospen und Vorübungen sind, damit unser Einer so gut einen Roman in die Welt sezen könne als H. Thylo. Eine „dürre Knospe“, eine „Vorübung“ – aber was für eine! Später, zwischen dem Letzten Sektor und das Ausläuten in die Loge aufgenommen, wurde die Erzählung berühmter als das umfangreiche Werk, das ihr voransteht. Das versteht sich: mit dem Wutz gelang es Jean Paul, einen Weltentwurf auf ein paar Seiten zu liefern, eine winzige Epopöe, die beweist, dass man nicht hunderte von Seiten braucht, um ein in sich geschlossenes Leben zu schildern, mag es nun in Dublin oder Lübeck, auf den Weltmeeren oder in den Wäldern des phantastischen Realismus sich abspielen. So übt sich auch der Autor in der Beschränkung, indem er „das glückliche und vergnügte Leben eines Schulmeisterleins betrachtet, der – in Wahrheit arm und vom Leben nie verwöhnt – doch von Freudeninsel zu Freudeninsel schifft, mit gleichbleibender Ruhe und Gelassenheit“, wie der Jean-Paul-Biograph Hanns-Joseph Ortheil geschrieben hat. Ja, wir müssen uns Wutz als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Auch das Schulmeisterlein Maria Wutz lebt, wenn man es recht betrachtet, in einem Elysium. Was braucht der gute Mann dazu? Nicht Geld, nicht Pomp und eine reiche Hütte, nur die seltene Gabe des Fröhlichseins. Er ist, wie Peter Bichsel, Festredner der Bayreuther Jean-Paul-Woche 1991, im Nachwort zur Ausgabe des Insel-Verlags schrieb, kein armer, trübseliger Schulmeister, sondern „ein Mann, der in sich drin sein Glück birgt, nicht etwa nur einer, der durch Bescheidenheit glücklich ist, sondern durch Trotz.“ Wutz ist ein Meister: in der Kunst, glücklich zu sein inmitten einer Umwelt, die doch, der Dichter sagt es uns immer wieder, so ganz und gar nicht fröhlich ist. Wird hier die Armut verklärt, das Unglück der unteren Stände wegrationalisiert? Jean Paul nannte sein kleines großes Werk „eine Art Idylle“, also keine. Man muss den Wutz recht lieben mit seinem Trotz, so wie ihn sein Autor geliebt hat.

Den Schluss dieses Meisterwerks zu beschreiben, nein, das ist nicht möglich. Man muss diese Beschreibung eines Sterbens selber lesen, die nicht nur nachgeschrieben realistisch, sondern auch von einer höheren Heiterkeit erfüllt ist. Wer hier nicht weint... Das vergnügte Schulmeisterlein ist endlich begraben, und doch wurde es unsterblich, und wie rief einst Karl Philipp Moritz vor diesem Kompendium der Lebensfreude aus? „Wer Wuz' Geschichte verfasst hat, ist nicht sterblich.“

So ist es.

Die Frage bleibt, was der „kleine“ Wutz und dessen Privatleben denn nun mit dem „großen“ Roman und seinen Staatsaktionen zu tun hat. Wurde er nicht wirklich, wie es der Autor liebte, an den Schluss gehängt, weil er als Text nun einmal vorlag? Und hat Jean Paul die Wutze nicht aus sehr äußeren Gründen in seinen Roman integriert? Es könnte durchaus so gewesen sein; die Collage fragt nicht nach innerem Sinn – und doch scheint es, als bräuchte man am Ende dieses fast idyllische Leben, diese andere Biographie, um uns davon zu unterrichten, wie ein wirklich geglücktes Leben aussehen könnte. Wutz als Anti-Gustav, Justine als Anti-Beata. Wutz als Gegen-Fenk (denn er satirisiert nicht, sondern genießt einfach den Spaß, den er und das Leben ihm bereiten), Wutz auch als Anti-Ottomar: er bekommt keine Depressionen über den Weltlauf oder weil es seine Neurologie so befiehlt. Wutz als Anti-Hoppedizel, der keine dummen Scherze auf Kosten seiner Umwelt macht. Wutz als Mann, dem die moralische und lieblose Laxheit des Fürsten denkbar fremd ist. Wutz, das ist, so betrachtet, der gänzlich Andere, ein Ausblick auf eine Form des Menschseins, die unseren „Helden“ – aus den verschiedensten Gründen – versperrt sein muss: weil sie zu gut sein wollen oder zu schlecht sind, weil sie zu schwach oder zu stark sind, weil sie immer „zu“ sind. Mag sein, dass Wutz ein Mittelmaß repräsentiert. Wenn es glücklich macht: was ist dagegen einzuwenden?

Man kann das so lesen – erst dann könnte die Erzählung einen wirklich tiefen Sinn machen. Denn was würden wir wissen, würden wir den Kontrast nicht spüren, der ihn von den Unglücksfrauen, Blödmännern und Hofmenschen der Loge unterscheidet?

Ich halt' es für schwer, einer Geliebten einen Pfefferkuchen zu schenken, weil man ihn oft kurz vor der Schenkung selber verzehrt. Gut, ein Pfefferkuchen ist kein Pfeffernüssla, aber man muss doch in Zusammenhang mit Herrn Wutz auf die berühmte Pfefferkuchen-Episode hinweisen – und auf die Pfeffernüssla, die die Bayreuther Traditionsbäckerei Lang (die sich in der Jean-Paul-Straße befindet!) im Verlag hat. Pfeffernüsse heißen auch „Springerle“: „Springerle oder Pfeffernüsse werden in Holzmodel gedrückt und nach dem Ausformen getrocknet und auf ein leicht mit Aus bestreutes Blech gesetzt. Beim Backen heben sie sich aus der Form und springen, daher der Name Springerle. Nach fränkischem Volksglauben und da die Formen der Bildnisse schön anzusehen sind, meint man, dass die Herzen vor Freude springen.“ Und weiter liest der jeanpaulische Feinschmecker: „In dieser Form wurden die Pfeffernüssla schon vor rund 200 Jahren von der Rollwenzelin für den großen Dichter Jean Paul gebacken. Das Originalmodel, das wir bei der Herstellung mit verwenden, wurde eigenhändig vom Ehemann der damaligen 'Rollwenzelin' geschnitzt. Jean Paul war von den Pfeffernüssen so begeistert, dass er sie sich auf Reisen nachschicken ließ, und aß sie oft und gerne zu dunklem Bier oder Rotwein“. Übrigens: Bereits seit Jean Pauls zweitem Lebensjahr wird im alten Haus in der Jean-Paul-Straße gebacken, und seit immerhin 1919 befindet es sich im Besitz der Familie Lang, die vor ein paar Jahren auch ein köstliches Jean-Paul-Bier gebraut hat.

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