Logen-Blog [522]: Der Rest ist Poesie – und also schön
Die seitenlang währende Orgie des Abscheidens und des Abschieds und der totalen Empfindsamkeit hat – kein Ende. Noch will eine Freundeshand heiß gedrückt werden, noch muss der Mond genossen werden, noch muss der Plan verkündet werden, dass Ottomar mit Gustav auf sieben Wochen verreist – ein unbekanntes Verreisen, dessen geheimer Sinn – nicht verkündet wird.
Dies scheint mir die Hauptsache der beiden Seiten zu sein, soweit es die äußere Handlung betrifft, was mich an die Belehnung Fausts im Kaiserakt des zweiten Faust erinnert: inmitten des viele hundert Verse umspannenden Trubels gibt es eine einzige Zeile, die im Sinne einer „ordentlichen“ Handlungs-„Führung relevant ist. Der Rest ist Poesie – und also schön.
Ist auch Jean Pauls Verabschiedungsorgie schön? Die Frage betrifft den Geschmack, nicht irgendeine vorgefertigte literarische Ästhetik, an der man sich heute noch orientieren könnte, aber der Blogger bekennt, dass er sehr gut nachvollziehen kann, dass die zeitgenössischen Leserinnen ver- und entzückt waren. Er selbst würde es jedoch gern sehen, wenn sie unsere kleine Gesellschaft sich inzwischen dazu entschließen könnte, in die Boote zu steigen, um die Molukke Teidor wieder zu verlassen: so schön auch der Mond und der Venusstern die eingebrochene Nacht und ihren Schleier beleuchten, der um das Universum doppelt herumreicht, dass er auch über den größten Schmerzen und Freuden der Menschen sich faltet. Der Rest ist eine Vorwegnahme des O-Mensch-Pathos, der weniger Herman Melvilles Bartleby-Schluss als den wortreichen Expressionismus des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt:
O Frühling! o du Erde Gottes! o du unumspannter Himmel! ach! regte sich heute doch in allen Menschen auf dir das Herz in freudigen Schlägen, damit wir alle nebeneinander unter den Sternen niederfielen und den heißen Atem in eine Jubel-Stimme ergössen und alle Freuden in Gebete, und das hohe Herz nach dem hohen Himmelblau richteten und in der Entzückung nicht Kummer-, sondern Wonne-Seufzer abschickten, deren Weg so lang zum Himmel wie unserer zum Sarge ist!... Du bitterer Gedanke, oft unter lauter Unglücklichen der Fröhliche zu sein! – du süßerer, unter lauter Glücklichen der Betrübte zu sein!
Es gibt aber eine Stelle, die, glaube ich, zielgerichtet auf den Schulmeister Wutz verweist, dessen Leben wir bald betrachten werden:
O welcher Mensch, den der Tod zu einem über die Erde fliegenden Engel gemacht hätte, wäre nicht auf sie niedergefallen und hätte unter irdischem Laub und auf der irdischen, vom Monde übersilberten Erde (wie von der Sonne übergoldeten) nicht an seinen verlassenen Himmel gedacht und an seine alten Menschen-Auen, seine alten Frühlinge hienieden und an seine vorigen Hoffnungen unter den Blüten?
Mit dem Wutz im Gepäck klingt dieser Anruf ein wenig anders, weil wir wissen, dass es Leben gibt, die in Menschen-Auen und Frühlingen sich abspielen und weniger belastet sind als die von Gustav, Beata und Ottomar.
Die Frösche durchschlugen wie eine Mühle die Nacht, und ihr forttönender vielstimmiger Lärm hatte die Wirkung eines Schweigens.
Foto: Frank Piontek (Nymphenburg, Juli 2014)
Logen-Blog [522]: Der Rest ist Poesie – und also schön>
Die seitenlang währende Orgie des Abscheidens und des Abschieds und der totalen Empfindsamkeit hat – kein Ende. Noch will eine Freundeshand heiß gedrückt werden, noch muss der Mond genossen werden, noch muss der Plan verkündet werden, dass Ottomar mit Gustav auf sieben Wochen verreist – ein unbekanntes Verreisen, dessen geheimer Sinn – nicht verkündet wird.
Dies scheint mir die Hauptsache der beiden Seiten zu sein, soweit es die äußere Handlung betrifft, was mich an die Belehnung Fausts im Kaiserakt des zweiten Faust erinnert: inmitten des viele hundert Verse umspannenden Trubels gibt es eine einzige Zeile, die im Sinne einer „ordentlichen“ Handlungs-„Führung relevant ist. Der Rest ist Poesie – und also schön.
Ist auch Jean Pauls Verabschiedungsorgie schön? Die Frage betrifft den Geschmack, nicht irgendeine vorgefertigte literarische Ästhetik, an der man sich heute noch orientieren könnte, aber der Blogger bekennt, dass er sehr gut nachvollziehen kann, dass die zeitgenössischen Leserinnen ver- und entzückt waren. Er selbst würde es jedoch gern sehen, wenn sie unsere kleine Gesellschaft sich inzwischen dazu entschließen könnte, in die Boote zu steigen, um die Molukke Teidor wieder zu verlassen: so schön auch der Mond und der Venusstern die eingebrochene Nacht und ihren Schleier beleuchten, der um das Universum doppelt herumreicht, dass er auch über den größten Schmerzen und Freuden der Menschen sich faltet. Der Rest ist eine Vorwegnahme des O-Mensch-Pathos, der weniger Herman Melvilles Bartleby-Schluss als den wortreichen Expressionismus des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt:
O Frühling! o du Erde Gottes! o du unumspannter Himmel! ach! regte sich heute doch in allen Menschen auf dir das Herz in freudigen Schlägen, damit wir alle nebeneinander unter den Sternen niederfielen und den heißen Atem in eine Jubel-Stimme ergössen und alle Freuden in Gebete, und das hohe Herz nach dem hohen Himmelblau richteten und in der Entzückung nicht Kummer-, sondern Wonne-Seufzer abschickten, deren Weg so lang zum Himmel wie unserer zum Sarge ist!... Du bitterer Gedanke, oft unter lauter Unglücklichen der Fröhliche zu sein! – du süßerer, unter lauter Glücklichen der Betrübte zu sein!
Es gibt aber eine Stelle, die, glaube ich, zielgerichtet auf den Schulmeister Wutz verweist, dessen Leben wir bald betrachten werden:
O welcher Mensch, den der Tod zu einem über die Erde fliegenden Engel gemacht hätte, wäre nicht auf sie niedergefallen und hätte unter irdischem Laub und auf der irdischen, vom Monde übersilberten Erde (wie von der Sonne übergoldeten) nicht an seinen verlassenen Himmel gedacht und an seine alten Menschen-Auen, seine alten Frühlinge hienieden und an seine vorigen Hoffnungen unter den Blüten?
Mit dem Wutz im Gepäck klingt dieser Anruf ein wenig anders, weil wir wissen, dass es Leben gibt, die in Menschen-Auen und Frühlingen sich abspielen und weniger belastet sind als die von Gustav, Beata und Ottomar.
Die Frösche durchschlugen wie eine Mühle die Nacht, und ihr forttönender vielstimmiger Lärm hatte die Wirkung eines Schweigens.
Foto: Frank Piontek (Nymphenburg, Juli 2014)