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09.12.2014, 11:18 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [520]: Ein Nikolausgruß aus Gunzenhausen

War Jean Paul jemals in Gunzenhausen? Ist er jemals an diesem Bahnhof ausgestiegen?

Ist Jean Paul jemals über den Gunzenhausener Marktplatz gegangen?

Die Fragen – insbesondere die zweite – klingen ridiküler, als es beabsichtigt ist, denn der Dichter war (und ist!) tatsächlich auch in Gunzenhausen zuhause: zumindest in literaturwissenschaftlicher und heimatkundlicher Gestalt. In Gunzenhausen, im fränkischen Seenland gelegen, hat nämlich ein Verleger, Buchhändler und Autor, der sich fleißig um Jean Paul gekümmert hat, seinen Standort. Ohne Leute wie ihn[1] würde das Andenken des Dichters auf einer anderen Ebene verhandelt werden: auf einer nüchterneren.

Gäbe es Johann Schrenk – pardon: Dr. Johann Schrenk – nicht, müsste man ihn erfinden. Als Autor und Verleger ausgesprochen guter heimatkundlicher Bücher, deren Spektrum von der Römerzeit über die Markgrafenepoche zur legendären Riesenbratwurst reicht, als Kenner der Literatur Frankens und als engagierter Buchhändler hat er mehr für Jean Pauls (und Hegels und Tanhûsers[2] und Wolframs von Eschenbach...) Ansehen getan als manch „zünftiger“ Literaturwissenschaftler. Es war zudem ein Coup, den ehemaligen Nürnberger Kulturreferenten und bekannten, allseits gebildeten Hermann Glaser ins Boot seines Verlags geholt zu haben. Der Jean-Paul-Band, den Schrenk und Glaser einst in der wunderbaren Reihe Auf den Spuren der Dichter und Denker in Franken im Schrenk-Verlag veröffentlichten (er soll demnächst in einer überarbeiteten Auflage neu herauskommen), gehört zum Schönsten, was im Kreuzungsgebiet von Literatur/Wissenschaft und Heimat/Kunde in Sachen Jean Paul herausgebracht wurde.

„Provinz? Mich kann das Wort nicht schrecken“, wie es so schön in Peter Hacks' Jahrmarktsfest zu Plunderweilen heißt. In Gunzenhausen wird, auch dank Dr. Schrenk, das Wort geadelt – und Jean Paul, der Welt-Dichter, wusste, was er der ach so engen „Provinz“ an Gedankenweite zu verdanken hat.

Und siehe da: im demnächst erscheinenden Standardwerk einer Fränkischen Literaturgeschichte, was erblicken wir dort auf dem Umschlag? Die kleine Stube der Rollwenzelei.

Im Übrigen erinnert sich auch sonst die Stadt Gunzenhausen an die Epoche Jean Pauls – zumindest an die früheste. Die historische Identifikationsfigur der schönen Stadt ist der Wilde Markgraf, also Karl Wilhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach, der übrigens mit einer Schwester der Bayreuther Markgräfin Wilhelmine verheiratet wurde. In Ansbach residierend, hat sich der Jagd-Aficionado, Superfalkonier und lebenslustige (i.e. notorisch verschwenderische) Herr auch mit einigen bedeutenden Bauten in Gunzenhausen und im nahen Triesdorf verewigt. Er starb 1757, 6 Jahre vor Jean Pauls Geburt – aber auch noch 1763 wird man jene spätbarocke Tracht getragen haben wie jener Herr, der vor dem Museum posiert.

Von hier zu Dr. Schrenk ist es wirklich nicht mehr weit.

PS: Dass auch der gleichermaßen geistreiche wie humorvolle Hans Magnus Enzensberger einst, wenn auch wesentlich kürzer, in Gunzenhausen lebte: es freut den Blogger.

Fotos: Frank Piontek, 6.12. 2014

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[1] Aber wer ist schon „wie“ Dr. Schrenk??

[2] Auch ein Stück bayerisch-fränkischer Literaturgeschichte: der Dichter stammte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, wie Horst Brunner festgestellt hat, aus dem Ort Thannhausen bei Gunzenhausen.

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