Logen-Blog [36]: Über Machen und Spielen
Es gab Zeiten, da das vorbehaltlose Reden von einem Tausendjährigen Reich nichts Verbrecherisches an sich hatte. Die Metapher symbolisiert gleichsam den paradiesischen Zustand, in dem sich der junge Gustav befindet – obwohl er nun von den Eltern in seinen äußeren Bewegungsmöglichkeiten beschnitten wird: der Schlossberg und nicht weiter! Wichtiger aber scheint mir zu sein, dass „bloß lebendige Geschöpfe sein Spielzeug“ sind. Andere haben Hunde, Katzen oder Meerschweinchen – er hat ein Lamm, das die Rolle eines „Dorfkomödianten“ einzunehmen hat. In diesem Sinne bestätigt sich Young Gustav als Trinität von Regisseur, Souffleur[1] und Theaterdichter. Es folgt ein Satz, über den der geduldige Leser nachdenken kann: „Solche Komödien“, sagt der Erzähler, „die sich Kinder machen, sind tausendmal nützlicher als die, die sie spielen.“
Ist Machen etwas grundsätzlich Anderes als Spielen? Jean Paul scheint zu meinen, dass das bloße Spiel etwas Bewusstloses, eben nur Spielerisches hat; er selbst hat durch sein eigenes kindliches Machen bewiesen, dass die Kreativität mit dem bloßen Spiel nicht erschöpft wird. So wie sich Wutz, der Appendixheld der Unsichtbaren Loge, seine eigene Bibliothek zusammenschreibt, so erfindet Gustav sich seine eigenen Theaterstücke: aber mit Hilfe eines Lammes. Auf Echtheit also kommt es an: obwohl ich nicht begreife, wieso das kindliche Spiel, das der reife Jean Paul in seiner Levana nicht abwerten wird, zu einer „Verrenkung der armen Kinderseelen“ führt. Zugegeben: die Beobachtung, dass „der ganze Mensch Figurant, seine Tugend Gastrolle und seine Empfindung lyrisches Gedicht wird“, dass also der Mensch sich verstellt, dass er moralisch verlogen ist und in seinen Gefühlen zum Kitsch neigt – diese Beobachtung ist nicht von gestern. Die Einschränkung aber folgt auch hier auf dem Fuß: es sei, schreibt er, „zuweilen [zuweilen!] auch nicht wahr: denn ich machte den vollständigen Filou bloß ein-, zwei- oder dreimal in meinem Leben, aber wirklich noch, eh' ich zum erstenmal gebeicht hatte.“ Was wohl heißt, dass auch aus Gustav noch etwas werden könnte, selbst wenn er „nur“ spielen und nicht produzieren würde.
So also sahen sie aus: der Rittmeister und der Fürst, der Herr von Falkenberg und Wilhelm Malte I., der kunstsinnige Fürst zu Putbus.
[1] Jean Paul schreibt freilich nicht vom Souffleur, obwohl das ja auch ein schönes Fremdwort ist, sondern benutzt das deutsche Wort vom Einbläser - ein Begriff, der dem italienischen suggeritore und dem französischen soufflage verwandt ist. Wir kennen es noch im Sinne des Suggerierens. Ein Souffleur bediente früher, in Zeiten des Handwerks, auch den Blasebalg der Orgel. So werden der Hauch, das Sprechen, die Stimme und die Manipulation ineins gesetzt.
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Es gab Zeiten, da das vorbehaltlose Reden von einem Tausendjährigen Reich nichts Verbrecherisches an sich hatte. Die Metapher symbolisiert gleichsam den paradiesischen Zustand, in dem sich der junge Gustav befindet – obwohl er nun von den Eltern in seinen äußeren Bewegungsmöglichkeiten beschnitten wird: der Schlossberg und nicht weiter! Wichtiger aber scheint mir zu sein, dass „bloß lebendige Geschöpfe sein Spielzeug“ sind. Andere haben Hunde, Katzen oder Meerschweinchen – er hat ein Lamm, das die Rolle eines „Dorfkomödianten“ einzunehmen hat. In diesem Sinne bestätigt sich Young Gustav als Trinität von Regisseur, Souffleur[1] und Theaterdichter. Es folgt ein Satz, über den der geduldige Leser nachdenken kann: „Solche Komödien“, sagt der Erzähler, „die sich Kinder machen, sind tausendmal nützlicher als die, die sie spielen.“
Ist Machen etwas grundsätzlich Anderes als Spielen? Jean Paul scheint zu meinen, dass das bloße Spiel etwas Bewusstloses, eben nur Spielerisches hat; er selbst hat durch sein eigenes kindliches Machen bewiesen, dass die Kreativität mit dem bloßen Spiel nicht erschöpft wird. So wie sich Wutz, der Appendixheld der Unsichtbaren Loge, seine eigene Bibliothek zusammenschreibt, so erfindet Gustav sich seine eigenen Theaterstücke: aber mit Hilfe eines Lammes. Auf Echtheit also kommt es an: obwohl ich nicht begreife, wieso das kindliche Spiel, das der reife Jean Paul in seiner Levana nicht abwerten wird, zu einer „Verrenkung der armen Kinderseelen“ führt. Zugegeben: die Beobachtung, dass „der ganze Mensch Figurant, seine Tugend Gastrolle und seine Empfindung lyrisches Gedicht wird“, dass also der Mensch sich verstellt, dass er moralisch verlogen ist und in seinen Gefühlen zum Kitsch neigt – diese Beobachtung ist nicht von gestern. Die Einschränkung aber folgt auch hier auf dem Fuß: es sei, schreibt er, „zuweilen [zuweilen!] auch nicht wahr: denn ich machte den vollständigen Filou bloß ein-, zwei- oder dreimal in meinem Leben, aber wirklich noch, eh' ich zum erstenmal gebeicht hatte.“ Was wohl heißt, dass auch aus Gustav noch etwas werden könnte, selbst wenn er „nur“ spielen und nicht produzieren würde.
So also sahen sie aus: der Rittmeister und der Fürst, der Herr von Falkenberg und Wilhelm Malte I., der kunstsinnige Fürst zu Putbus.
[1] Jean Paul schreibt freilich nicht vom Souffleur, obwohl das ja auch ein schönes Fremdwort ist, sondern benutzt das deutsche Wort vom Einbläser - ein Begriff, der dem italienischen suggeritore und dem französischen soufflage verwandt ist. Wir kennen es noch im Sinne des Suggerierens. Ein Souffleur bediente früher, in Zeiten des Handwerks, auch den Blasebalg der Orgel. So werden der Hauch, das Sprechen, die Stimme und die Manipulation ineins gesetzt.