Logen-Blog [461]: Empfindung und Freundschaft, Freuden und Schmerzen
Der Fürst versucht's auf die rhetorische Art – die Kunst der Verführung besteht auch darin, die Worte kunstvoll einzusetzen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass hier eine Kunst im Verführungs-Spiel ist, die die Natur der angeblich reinen Zuneigung außer Kraft setzt. Wo Liebe als Passion nicht herrscht, wird ein anderer Code eingesetzt: nicht der der Intimität, sondern der der vorgeblichen Intimität. Die Personen, die das Talent haben, Empfindungen einzuflößen, haben zum Unglück oft das feindselige, selber keine zu erwidern: Das sagt nicht der Erzähler, das sagt der Verführer, der nun Beata direkt angeht – und plötzlich die junge Frau fast frech, früher hätte ein Autor geschrieben: „kühn“ angeht. Indem er – die Hand Beatas hat sich inzwischen wieder gelöst – mit einer Münze aus Bologna spielt und zugleich bei Beata eine Hemdnadel entdeckt, der das Wort L'amitié beigegeben ist, kommt er auf die Freiheit zu sprechen. Libertas steht nämlich, weiß „Jean Paul“, der Alleswisser (denn er hatte ja in Bologna studiert), auf den bolognesischen Münzen. Sie gehen mit der Freundschaft wie Bologna mit der Freiheit um – beide tragen das als Legende, was sie nicht haben.
Der Blogger bekennt, dass er die rhetorische Taktik sehr merkwürdig findet – eine derartige „Anmache“ müsste ihr Ziel treffsicher – verfehlen, aber der Erzähler sagt uns, wieso diese unverschämten Worte eine Wirkung auf Beata haben: weil sie, als edler Mensch, bei diesen Worten (unabhängig vom unedlen Sprecher) automatisch an das Große denkt, wozu ihr Herz fähig ist. Da waltet eine Mechanik der Empfindsamkeit, die in einem kleinen, doch deutlichen Detail klar macht, in welchen Punkten wir uns von Jean Pauls Empfinden entfernt haben. Wenn Beata seufzt, weil Empfindung und Freundschaft ihr Freuden und Schmerzen geben, müssen wir sie nicht verstehen; ihr Verständnisrahmen geglückter Kommunikation sieht definitiv anders aus als der von heutigen und sog. normalen Menschen (lassen wir mal einen Augenblick beiseite, dass manche beobachtete Kommunikation vorzugsweise zwischen gestörten Ehe- und-oder Beziehungs-„Partnern“ gelegentlich gleichermaßen absurd anmutet).
Die Szene also geht weiter:
FÜRST (im Ton hoffender Ehrerbietung): Verstehen Sie mich nicht?
BEATA: Ich kann heute mit meinem kranken Kopfe nichts tun, als ihn auf den Arm stützen. Bloß der Arm macht es mir schwer, die Ehrfurcht einer Untertanin und die Verschiedenheit meiner Meinungen von den Ihrigen mit gleicher Stärke auszudrücken.
FÜRST: O doch. ‚Marie! ich bin ja Ihr Bruder nicht.‘
BEATA: Erlassen Sie mir die Wahl, es für Scherz oder für Ernst zu halten – außer dem Theater bin ich unfähiger, den Rosen-Preis zu verdienen oder zu vernachlässigen; aber Sie sinds, die Sie ihn überall bloß geben müssen.
FÜRST: Wem aber? Ich vergesse über die Schönen alle Hässlichen und über die Schönste alle Schönen – ich gebe Ihnen den Preis der Tugend, geben Sie mir den der Empfindung – oder darf ich mir ihn geben?
Hastig zucken seine Lippen nach ihren Wangen.
Man darf wirklich gespannt sein, wie Jean Paul diese heikle Situation auflöst, die aus einer falschen Rhetorik und wahren, allzu wahren Empfindungen entstand.
Libertas ist heute noch in Bologna zuhause – aber die Münze stammt nicht aus Bologna, wenn auch aus Italien: ein Denar, der 45 v. Chr. unter Cäsar in Rom geprägt wurde.
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Der Fürst versucht's auf die rhetorische Art – die Kunst der Verführung besteht auch darin, die Worte kunstvoll einzusetzen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass hier eine Kunst im Verführungs-Spiel ist, die die Natur der angeblich reinen Zuneigung außer Kraft setzt. Wo Liebe als Passion nicht herrscht, wird ein anderer Code eingesetzt: nicht der der Intimität, sondern der der vorgeblichen Intimität. Die Personen, die das Talent haben, Empfindungen einzuflößen, haben zum Unglück oft das feindselige, selber keine zu erwidern: Das sagt nicht der Erzähler, das sagt der Verführer, der nun Beata direkt angeht – und plötzlich die junge Frau fast frech, früher hätte ein Autor geschrieben: „kühn“ angeht. Indem er – die Hand Beatas hat sich inzwischen wieder gelöst – mit einer Münze aus Bologna spielt und zugleich bei Beata eine Hemdnadel entdeckt, der das Wort L'amitié beigegeben ist, kommt er auf die Freiheit zu sprechen. Libertas steht nämlich, weiß „Jean Paul“, der Alleswisser (denn er hatte ja in Bologna studiert), auf den bolognesischen Münzen. Sie gehen mit der Freundschaft wie Bologna mit der Freiheit um – beide tragen das als Legende, was sie nicht haben.
Der Blogger bekennt, dass er die rhetorische Taktik sehr merkwürdig findet – eine derartige „Anmache“ müsste ihr Ziel treffsicher – verfehlen, aber der Erzähler sagt uns, wieso diese unverschämten Worte eine Wirkung auf Beata haben: weil sie, als edler Mensch, bei diesen Worten (unabhängig vom unedlen Sprecher) automatisch an das Große denkt, wozu ihr Herz fähig ist. Da waltet eine Mechanik der Empfindsamkeit, die in einem kleinen, doch deutlichen Detail klar macht, in welchen Punkten wir uns von Jean Pauls Empfinden entfernt haben. Wenn Beata seufzt, weil Empfindung und Freundschaft ihr Freuden und Schmerzen geben, müssen wir sie nicht verstehen; ihr Verständnisrahmen geglückter Kommunikation sieht definitiv anders aus als der von heutigen und sog. normalen Menschen (lassen wir mal einen Augenblick beiseite, dass manche beobachtete Kommunikation vorzugsweise zwischen gestörten Ehe- und-oder Beziehungs-„Partnern“ gelegentlich gleichermaßen absurd anmutet).
Die Szene also geht weiter:
FÜRST (im Ton hoffender Ehrerbietung): Verstehen Sie mich nicht?
BEATA: Ich kann heute mit meinem kranken Kopfe nichts tun, als ihn auf den Arm stützen. Bloß der Arm macht es mir schwer, die Ehrfurcht einer Untertanin und die Verschiedenheit meiner Meinungen von den Ihrigen mit gleicher Stärke auszudrücken.
FÜRST: O doch. ‚Marie! ich bin ja Ihr Bruder nicht.‘
BEATA: Erlassen Sie mir die Wahl, es für Scherz oder für Ernst zu halten – außer dem Theater bin ich unfähiger, den Rosen-Preis zu verdienen oder zu vernachlässigen; aber Sie sinds, die Sie ihn überall bloß geben müssen.
FÜRST: Wem aber? Ich vergesse über die Schönen alle Hässlichen und über die Schönste alle Schönen – ich gebe Ihnen den Preis der Tugend, geben Sie mir den der Empfindung – oder darf ich mir ihn geben?
Hastig zucken seine Lippen nach ihren Wangen.
Man darf wirklich gespannt sein, wie Jean Paul diese heikle Situation auflöst, die aus einer falschen Rhetorik und wahren, allzu wahren Empfindungen entstand.
Libertas ist heute noch in Bologna zuhause – aber die Münze stammt nicht aus Bologna, wenn auch aus Italien: ein Denar, der 45 v. Chr. unter Cäsar in Rom geprägt wurde.