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24.07.2014, 10:50 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [446]: Retardierendes Moment über Schönheitsoperationen

Der Autor wird, da ihn der satirische Teufel reitet, nun wieder ungerechter gegenüber seinen Frauen, vulgo: Weibern, die er mehr oder weniger genüsslich analysiert. Nein, er hat die Tore zu seiner satirischen Essigfabrik noch nicht hinter sich zugeschlagen; noch riechen wir die Dünste, die ihr entfleuchen – und nicht allein, wenn es um die Bouse geht, die der Erzähler zugleich mag und nicht mag. Mit Beata sieht es nur scheinbar anders aus.

Ich bin also sicher, dass man auch folgende Sentenzen in den berüchtigten Florilegien „schöner Worte“ findet:

Die männliche Blödigkeit liegt bloß in der Erziehung und in Verhältnissen; die weibliche tief in der Natur – der Mann hat innerlichen Mut und bloß oft äußerliche Unbehülflichkeit; die Frau hat diese nicht und ist dennoch scheu – jener drückt seine Ehrfurcht durch Hinzutreten, diese durch Zurückweichen aus.

In der Tat: ich schaue nach und finde eben diesen Passus in Ernst von Feuchterslebens Geist deutscher Klassiker. Die Sache – des Herausbrechens aus dem Zusammenhang und des offensichtlichen Irrtums – wird nicht dadurch besser, dass Blödigkeit weniger schlimm klingt, wenn man darunter nicht Dummheit, sondern Schwäche versteht. Gut – dass Jean Paul und „Jean Paul“ nun aber Frau von Bouse, die nun wieder als Défaillante zu firmieren hat, zum Exempel einer künstlichen Schönheit erklären, macht die Autoren kleiner als die Bouse selbst:

Sie war eine Antike von großer Schönheit, die aber nach den Verwüstungen der Jahre und Menschen nicht mehr unbeschädigt zu haben war; sie musste also durch geschickte Bildhauer mit neuen Gliedern – z. B. Busen, Zähnen – ergänzet werden.

Man muss es ja nicht glauben: dass das, was die Moralisten hier schreiben, so schlimm ist, wie sie es dem Leser weißmachen wollen. Zugegeben: auch wir finden Schönheitsoperationen, insbesondere Busenvergrößerungen, nicht so zielführend, wenn es um moralische Qualifikationen geht – aber die Zeiten sind vorbei, wo man es per se problematisch findet, seinen body zu stylen. Bemerkenswert an sich aber ist es, wie Jean Paul diese Operationen in Worte fasst: vom Kopf und den Haaren über die Zähne:

Diejenigen Zähne, die den Menschen in die Reihe der grasfressenden Tiere setzen, die Schneidezähne, waren um so mehr so weiß wie Elfenbein, weil sie selber eines waren, und waren aus dem Munde eines grasfressenden Tieres – sie hatte noch einmal so viel Zähne als andre Christinnen, und zwei Goldfäden dazu, weil der Zahnarzt die einen allemal im Hause und unter der Bürste hatte, während die andern die Dental-Buchstaben aussprachen.

– den betörenden Oberkörper:

Da man nach den neuesten Lehrbüchern die Trigonometrie und die Busen bloß in ebene und sphärische einteilen kann, und da sie ganz die scheinbare Wahl vor sich hatte: so zog ihr messkünstlicher Geist diejenigen Größen, die dem Messkünstler die meiste Anstrengung und das meiste Vergnügen geben, vor – die sphärischen.

– hinunter zu den Füßen:

Der Anzug selber suchte, von den Schuhrosetten bis zu den Hutrosetten, seinen Wert in der Form weit weniger als in der Materie und konnte mithin weniger mit den Augen als auf Juwelier-Waagen geschätzet werden, weniger nach Schönheitlinien als nach Karats.

Ja, verdammt, das ist böse, witzig und präzis – aber die Bouse hat diese Charakterisierung, mag sie auch zutreffen, nicht verdient. Allein: Darf sich der gelind empörte Leser, der für die Frauen- bzw. Weiberehre eine kritische Breche schlägt, beim Erzähler beschweren? Ist es nicht die totale Freiheit des Autors, seinen Erzähler schreiben zu lassen, was er will?

Ja – und nein, denn der Blogger hat den leisen Eindruck, dass das Konzept der Menschenliebe, das er sich zwischendurch auferlegte, von der (ja: sprachlich raffinierten) Witzelsucht erledigt wurde. Kein Wunder, dass Jean Paul den Roman als Ruine hinterließ. Irgendetwas, mag er sich gedacht haben, stimmte nicht in seinem großen, reichen, farbig-überbordenden Gebäude. Während er den 37. Sektor schrieb (und er schrieb ihn, lese ich, wie den gesamten zweiten Teil in erstaunlicher, rasender Geschwindigkeit), hatte er noch nicht gemerkt, dass ein eingeschobener, satirischer Traktat, der nun folgte – er heißt Das Wort über die Puppen und wird morgen vom Blogger betrachtet werden –, die spannende Geschichte von Beata und Gustav und ihrer Blödigkeit unzulässig behinderte: und dies nur, weil er sich nicht der Satire um ihrer selbst willen enthalten konnte. Denn die storia ist an einem Punkt angelangt, an dem – obwohl offensichtlich wenig passiert – weitere Unterbrechungen nicht mehr so viel Spaß machen wie noch vor ein paar Seiten. Der Leser möchte nun endlich wissen, wie es mit den beiden jungen Leuten weitergeht, nachdem sie es endlich geschafft haben, sich in die Augen zu schauen. Kommentare über Schönheitsoperationen, so brillant und modern sie auch anmuten, können das Herz des auf Romantik erpichten Lesers nun nicht mehr hundertprozentig erfreuen. Die Spannung steigt... aber vielleicht ist dies ja auch eine Strategie des Autors: den Leser durch Parenthesen, die er aus seiner Schublade unpublizierter Texte gezogen hat, bei der sprichwörtlichen Stange zu halten, die von Gustav und Beata beharrlich umkreist wird.

Die farbigen Illustrationen finden sich in der Anthologie Entlarvung der Weiber, die im Südwest-Verlag erschien und von Hanns Erich Köhler illustriert wurde (der übrigens 1983 in Herrsching am Ammersee starb). Die schwarzweiße, aber feingliedrige Zeichnung der Frau mit dem sphärischen Busen verdanken wir Gerhard Ulrich, der sie für die Jean Paul-Anthologie Lauf der Welt herstellte, die Mitte der 60er Jahre in Bertelsmanns Lesering herauskam.

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