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22.07.2014, 11:02 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [444]: Eiskegel Gustav und Schneckenlinienzieher Oefel

Venus mit dem Taubengespanne durchfährt sanftwehende Lüfte.

So beschreibt Ovid in der Aeneis das Gefährt der Liebesgöttin. In der zweiten Elegie heißt es dann: Maternas iunge columbas / qui decet currum: Spann Du der Mutter Tauben / zum Wagen. Auch Jean Paul hat es gewusst.

Venus hing wahrscheinlich einen Postzug Brieftauben ihrer Gondel vor.

Nun, da es nicht nur darum geht, einen Brief zu schreiben, sondern auch an die Empfängerin zu bringen, muss Gustav überlegen: wie er es anstellt, den Brief auf andern Flügeln als unter denen einer Brieftaube an Ort und Stelle zu schaffen. Also entwickelt er den Plan, im Lauf der Komödie seinen Brief in der Gestalt jenes Diploms ihr im Drama zuzustecken, wenns nicht anders zu machen wäre. Nebenbei teilt uns der Erzähler mit, dass der junge Mann wieder wie verstockt agiert – ganz im Gegensatz zu Beata, die ganz unbefangen spielt und die Approchen ihrer männlichen Mitspieler kaum wahrnimmt. Für diesen Umstand hat der Erzähler flugs eine griffige Erklärung, über die man lange nachdenken könnte – würde es sich lohnen.

Die Liebe wirft den Jüngling aus seinem Ich hinaus unter andre Ich, das Mädchen aber aus fremden in das ihrige hinein.

Was wieder darauf hinausläuft, dem Mädchen eine Selbstbezüglichkeit anzukreiden, die sie zu einem auch gesellschaftlich eingeschränkten Wesen macht – aber Jean Paul war ja, liest man immer noch, ein genauer Betrachter und Beschreiber der sog. Frauenseele. Nun ja. Zur Strafe hat er seinen Gustav zu einem psychischen Eiskegel degradiert, nicht eisig, sondern eher schleimig, zumindest sehr langsam, erscheint da die Schneckenlinie, die Herr Oefel bei gewissen Hofdamen beobachtet hat, die nur in der Jugend ihre Tugend à la minutta weggeben, im Alter hingegen einen größern Handel damit in grosso treiben. Dass „Jean Paul“ – und wohl auch Jean Paul, der mit Hofdamen noch keine große Erfahrung hatte (und sich später auch zu ihnen hingezogen fühlte) – auch diese höfische Spezies nicht mag: wir wissen es schon. Allein was ist schon ideal? Das Gegenteil? Verklemmte Jugendliche, die sich nicht trauen, ihre sogenannte Tugend wegzugeben?

Die soziologische Parenthese offenbart schon das Dilemma.

Zurück zum Stück! Denn Gustav möchte, als Henri, der Marie nicht ein leeres, sondern sein beschriebenes, liebeglühendes und -verwundetes Blatt überreichen. Wir werden sehen, wie das ausgeht.

Francesco Hayez verewigte die Balletttänzerin Carlotta Chabert in diesem mythologisch legitimierten Gemälde. Der Maler wurde im ersten Jahr der Loge geboren und starb 90 Jahre später; er hinterließ einige berühmte wie beliebte Gemälde, unter denen Der Kuss herausragt, der auf ca. 45 Milliarden Postkarten publiziert wurde.

Obwohl Hayez auch ein bekanntes Gemälde mit dem Titel Romeo und Julias letzter Kuss gemalt hat, illustriert heute eher diese Ansicht die Geschichte des berühmten Liebespaares, das an den widrigen Verhältnissen scheitert. Es braucht keine große Phantasie, um zu mutmaßen, dass auch Gustavs und Beatas Liebe und ihr letzter Kuss eng zusammenhängen werden.

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