Logen-Blog [425]: Und gleichzeitig entsteht in der Türkenstraße die große Kaserne
Wie es in München, genauer: in der Maxvorstadt kurz nach Jean Pauls Tod aussah, kann man sich noch ein wenig vergegenwärtigen, wenn man sich das Haus in der Adalbertstraße 14 anschaut: ein Kleinod – denn es ist das Letzte seiner Art in dieser Straße. Ironie der Geschichte: Einst war es hier das Haus mit der höchsten Traufhöhe, heute ist es das niedrigste; auch fehlt der Stuck, der einst die Fassade sinnvoll gliederte und auflockerte. Errichtet wurde es zwischen den Jahren 1827 und 1830, also etwa sieben bis zehn Jahre nach Jean Pauls einzigem Münchner Besuch: ein Haus mit bescheidenen Maßen, das dem Dichter und seiner Familie weniger Platz geboten hätte als sein letztes Bayreuther Wohnhaus. Dass das Haus in der Maxvorstadt – trotz oder gerade wegen seines „posthumen“ Charakters – etwas sehr Konkretes mit Jean Paul und Bayreuth zu tun hat, ist das Geheimnis des Bloggers – und desjenigen, der hier unterm Dache lebt und arbeitet.
Mit dem Bildnis eines unbekannten Mannes gelangen wir an das andere Ende der Jean-Paul-Zeit: an den Beginn. Der Flaneur weiß nicht, wer der bezopfte Herr ist; vielleicht wüsste es der Antiquar, aber es ist weniger wichtig, als es der auf Namen und Daten versessene Blogger annimmt. Es genügt, dass der freundliche Blick des Kavaliers aus jener Zeit kommt, die der Logen-Zeit vorangeht, ja: dass wir uns den Herren auch sehr gut am Oberscheerauer Hof vorstellen können. Ist er ein Franzose, ist er ein Deutscher? Ist er ein Münchner oder gar ein Markgräfler? Zumindest ist er ein Zeitgenosse des jungen Jean Paul, der – wenn man ihn nicht guillotinierte – den Erfolg des jungen Autors noch hätte miterleben können.
Wäre Jean Paul drei Jahre später nach München gereist, so hätte er noch mitbekommen, dass in der Türkenstraße die sogenannte Türkenkaserne errichtet worden wäre. 1823 begann man hier unter König Max Joseph I. den Plan des Architekten Friedrich von La Roche zu verwirklichen, ein Jahr nach dem Tod des Dichters und seines Königs stand das Gebäude, in dem schon zu Lebzeiten Jean Pauls die Kompanien einzogen, und von dem sich immerhin ein Teil des Mittelrisalits erhalten hat: ein nicht ganz unwichtiger Teil, denn somit kann man immer noch das Hauptportal sehen.
Jean Paul selbst war seinerseits schon lange zuvor durch sein Hauptportal gegangen – diese Zeit, scheint es, ist nicht mehr seine Zeit. Die Gebresten mehren sich, die Augen werden schwächer, selbst der Kontakt mit Freund Emanuel hat sich abgekühlt, aber er ist fleißig wie eh und je. Kreul malt ihn in diesem Jahr, die Töchter (von denen eine, Emma, nach München heiraten wird) hängen Äolsharfen in die Bäume seines Gartens, es wird an der Werkausgabe gearbeitet. 1824 schickt er einen erschütternden Brief nach München, die Jugendfreundin Renate Wirth öffnet ihn: Seit unserm letzten Sehen hat mir der Himmel Schmerzen gegeben, über die ich nicht sprechen kann und die die Zeit nur verdoppelt, nicht nimmt. Denn ich lebe jetzo sehr in der Nacht, sogar am Tage. Emanuel spricht nicht mehr mit seinem Freund, aber er kümmert sich weiter um den Erblindenden: auch in der Isarstadt, wo er „einen langsamen Münchner Optiker auf die Beine bringt“[1]. Und gleichzeitig entsteht in der Türkenstraße die große Kaserne.
Heute ziert eine neubarocke Gedenktafel das Fassadenbruchstück – erinnernd an das Königlich-bayerische Infanterie-Leibregiment, das seit 1814 bestand, also dem Jahr, in dem Jean Paul an die zweite Auflage der Levana geht, die er Karoline, der bayerischen Königin, der Gemahlin des Regimentsgründers also, widmen wird. Gegründet wurde es zunächst als „Grenadier-Garde-Regiment“, gebildet wurde es aus den Grenadierkompanien der bayerischen Linieninfanterie-Regimenter. Erst 1835 erhielt es, unter Ludwig I., den Namen eines Infanterie-Leib-Regiments, womit es an der Spitze der Bayerischen Infanterie zu stehen kam. Unter seinen Angehörigen befanden sich berühmte Namen. Ein gewisser Herr Mann diente hier im Jahre 1900 – bevor man ihn nach drei Monaten für dienstuntauglich erklärte, was den sog. Kenner an die Musterungsszene im Krull erinnern mag.
Wäre das auch Gustav passiert? Gustav, dem Sensiblen, der das Militär so hasst?
Fotos: Frank Piontek, 8.6. 2014
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[1] Philipp Hausser: Jean Paul und Bayreuth. Bayreuth 1990, S. 204.
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Wie es in München, genauer: in der Maxvorstadt kurz nach Jean Pauls Tod aussah, kann man sich noch ein wenig vergegenwärtigen, wenn man sich das Haus in der Adalbertstraße 14 anschaut: ein Kleinod – denn es ist das Letzte seiner Art in dieser Straße. Ironie der Geschichte: Einst war es hier das Haus mit der höchsten Traufhöhe, heute ist es das niedrigste; auch fehlt der Stuck, der einst die Fassade sinnvoll gliederte und auflockerte. Errichtet wurde es zwischen den Jahren 1827 und 1830, also etwa sieben bis zehn Jahre nach Jean Pauls einzigem Münchner Besuch: ein Haus mit bescheidenen Maßen, das dem Dichter und seiner Familie weniger Platz geboten hätte als sein letztes Bayreuther Wohnhaus. Dass das Haus in der Maxvorstadt – trotz oder gerade wegen seines „posthumen“ Charakters – etwas sehr Konkretes mit Jean Paul und Bayreuth zu tun hat, ist das Geheimnis des Bloggers – und desjenigen, der hier unterm Dache lebt und arbeitet.
Mit dem Bildnis eines unbekannten Mannes gelangen wir an das andere Ende der Jean-Paul-Zeit: an den Beginn. Der Flaneur weiß nicht, wer der bezopfte Herr ist; vielleicht wüsste es der Antiquar, aber es ist weniger wichtig, als es der auf Namen und Daten versessene Blogger annimmt. Es genügt, dass der freundliche Blick des Kavaliers aus jener Zeit kommt, die der Logen-Zeit vorangeht, ja: dass wir uns den Herren auch sehr gut am Oberscheerauer Hof vorstellen können. Ist er ein Franzose, ist er ein Deutscher? Ist er ein Münchner oder gar ein Markgräfler? Zumindest ist er ein Zeitgenosse des jungen Jean Paul, der – wenn man ihn nicht guillotinierte – den Erfolg des jungen Autors noch hätte miterleben können.
Wäre Jean Paul drei Jahre später nach München gereist, so hätte er noch mitbekommen, dass in der Türkenstraße die sogenannte Türkenkaserne errichtet worden wäre. 1823 begann man hier unter König Max Joseph I. den Plan des Architekten Friedrich von La Roche zu verwirklichen, ein Jahr nach dem Tod des Dichters und seines Königs stand das Gebäude, in dem schon zu Lebzeiten Jean Pauls die Kompanien einzogen, und von dem sich immerhin ein Teil des Mittelrisalits erhalten hat: ein nicht ganz unwichtiger Teil, denn somit kann man immer noch das Hauptportal sehen.
Jean Paul selbst war seinerseits schon lange zuvor durch sein Hauptportal gegangen – diese Zeit, scheint es, ist nicht mehr seine Zeit. Die Gebresten mehren sich, die Augen werden schwächer, selbst der Kontakt mit Freund Emanuel hat sich abgekühlt, aber er ist fleißig wie eh und je. Kreul malt ihn in diesem Jahr, die Töchter (von denen eine, Emma, nach München heiraten wird) hängen Äolsharfen in die Bäume seines Gartens, es wird an der Werkausgabe gearbeitet. 1824 schickt er einen erschütternden Brief nach München, die Jugendfreundin Renate Wirth öffnet ihn: Seit unserm letzten Sehen hat mir der Himmel Schmerzen gegeben, über die ich nicht sprechen kann und die die Zeit nur verdoppelt, nicht nimmt. Denn ich lebe jetzo sehr in der Nacht, sogar am Tage. Emanuel spricht nicht mehr mit seinem Freund, aber er kümmert sich weiter um den Erblindenden: auch in der Isarstadt, wo er „einen langsamen Münchner Optiker auf die Beine bringt“[1]. Und gleichzeitig entsteht in der Türkenstraße die große Kaserne.
Heute ziert eine neubarocke Gedenktafel das Fassadenbruchstück – erinnernd an das Königlich-bayerische Infanterie-Leibregiment, das seit 1814 bestand, also dem Jahr, in dem Jean Paul an die zweite Auflage der Levana geht, die er Karoline, der bayerischen Königin, der Gemahlin des Regimentsgründers also, widmen wird. Gegründet wurde es zunächst als „Grenadier-Garde-Regiment“, gebildet wurde es aus den Grenadierkompanien der bayerischen Linieninfanterie-Regimenter. Erst 1835 erhielt es, unter Ludwig I., den Namen eines Infanterie-Leib-Regiments, womit es an der Spitze der Bayerischen Infanterie zu stehen kam. Unter seinen Angehörigen befanden sich berühmte Namen. Ein gewisser Herr Mann diente hier im Jahre 1900 – bevor man ihn nach drei Monaten für dienstuntauglich erklärte, was den sog. Kenner an die Musterungsszene im Krull erinnern mag.
Wäre das auch Gustav passiert? Gustav, dem Sensiblen, der das Militär so hasst?
Fotos: Frank Piontek, 8.6. 2014
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[1] Philipp Hausser: Jean Paul und Bayreuth. Bayreuth 1990, S. 204.