Logen-Blog [373]: Man muss Gustavs Labilität nicht verdammen
Beata, wir sterben jetzt – und wenn wir tot sind, so sag' ich dir meine Liebe und umarme dich – wüsste der Leser nicht, dass es sich bei Gustavs Anrede um die Reflexion des (Wunsch-)Traumes handelt, in dem er noch mit einigen Sinnen steckt, müsste man ihn der völligen Lebensmüdigkeit verdächtigen.
Er ist's ja auch.
Erstaunlich bleibt nur, dass er offensichtlich die Fähigkeit besitzt, das Mädchen mitzuziehen. Wie geht das vor sich? Betrachten wir es mal technisch – so würde die Szene in der Readers-Digest-Version aussehen:
Ihre Hand hielt er fest. Ihr versuchtes Loswinden zog ihn endlich aus seinem Eden und Traum; seine glücklichen Augen gingen auf. Vor ihnen stand der vom Monde überschwemmte Grund und die Aue des Parks und die tausend zu Sternen verkleinerten Sonnen und die geliebte Seele „In welcher Welt sind wir?“ fragte er Beata Seine Hand war mit ihrer ziehenden fest verwachsen. „Sie sind noch im Traume“, sagte sie sanft und bebend, und da jetzt drüben im öden Tempel die Orgel durch neues Ertönen die Szene über den irdischen Boden erhob, wo beide Seelen noch waren; da Beatens Stellung schwankte, ihre Lippe zitterte, ihr Auge brach: „Beata“, sagt' er zu der schönen, an bekämpfenden Empfindungen dahinsterbenden Gestalt, „Beata, wir sterben jetzt – und wenn wir tot sind, so sag' ich dir meine Liebe und umarme dich – der Tote neben uns ist mir im Traum erschienen und hat mir wieder deine Hand gegeben.“ Sie suchte auf das Grab desselben aufzusinken – aber er hielt den fallenden Engel in seinen Armen auf – er ließ ihr entschlummertes Haupt unter seines fallen und unter ihrem stockenden Herzen glühten die Schläge des seinigen.
Schön – nur dass es verwundert, dass das Mädchen plötzlich ihrerseits entschlummert scheint. In der „malerischen“ Stellung der zwei Liebenden, von denen sich einer in den Tod des Traums flüchten und die andere den Halbschlummernden im eigenen Schlummer ins Leben zurückholen möchte, um nur eines zu sein: selig mit ihm zusammen – in dieser Stellung offenbart sich der utopische Charakter einer Liebe, die nur im Traum das Eigentliche zu sehen vermag. Wie selten bei Jean Paul wandeln die Figuren zwischen den getrennten Sphären: die Vision wird zum verheißenen Land, das nur um den Preis des Todes zu haben ist – und es ist durchaus unklar, ob der Erzähler diesen Eskapismus nicht seinerseits als den einzig richtigen Weg ins Leben betrachtet.
Jean Paul war ein gläubiger Mensch, dem das Jenseits keine Schrecken verhieß, so sehr er auch am Diesseits sein Vergnügen fand – ein Vergnügen, dem er oft nur mit der Waffe der grimmigsten Satire beikam. Es steht zu vermuten, dass der Schwarzenbacher Dichter, der gerade sein Todeserlebnis hinter sich gebracht hatte, in Gustavs und Beatas Nähe zum Anderen Reich den konsequenten Ausweg aus den Miseren des Alltags sah. „Ideologiekritisch“ mag dieser Ansatz problematisch sein – aber als Prinzip Hoffnung ist die Idee des Vorscheins des Paradieses in einem Traum für Jean Paul nur zu verständlich,
Kein Grund also für den „aufgeklärten“ Leser von heute, Gustavs Labilität in diesem Moment allzu sehr zu verdammen.
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Beata, wir sterben jetzt – und wenn wir tot sind, so sag' ich dir meine Liebe und umarme dich – wüsste der Leser nicht, dass es sich bei Gustavs Anrede um die Reflexion des (Wunsch-)Traumes handelt, in dem er noch mit einigen Sinnen steckt, müsste man ihn der völligen Lebensmüdigkeit verdächtigen.
Er ist's ja auch.
Erstaunlich bleibt nur, dass er offensichtlich die Fähigkeit besitzt, das Mädchen mitzuziehen. Wie geht das vor sich? Betrachten wir es mal technisch – so würde die Szene in der Readers-Digest-Version aussehen:
Ihre Hand hielt er fest. Ihr versuchtes Loswinden zog ihn endlich aus seinem Eden und Traum; seine glücklichen Augen gingen auf. Vor ihnen stand der vom Monde überschwemmte Grund und die Aue des Parks und die tausend zu Sternen verkleinerten Sonnen und die geliebte Seele „In welcher Welt sind wir?“ fragte er Beata Seine Hand war mit ihrer ziehenden fest verwachsen. „Sie sind noch im Traume“, sagte sie sanft und bebend, und da jetzt drüben im öden Tempel die Orgel durch neues Ertönen die Szene über den irdischen Boden erhob, wo beide Seelen noch waren; da Beatens Stellung schwankte, ihre Lippe zitterte, ihr Auge brach: „Beata“, sagt' er zu der schönen, an bekämpfenden Empfindungen dahinsterbenden Gestalt, „Beata, wir sterben jetzt – und wenn wir tot sind, so sag' ich dir meine Liebe und umarme dich – der Tote neben uns ist mir im Traum erschienen und hat mir wieder deine Hand gegeben.“ Sie suchte auf das Grab desselben aufzusinken – aber er hielt den fallenden Engel in seinen Armen auf – er ließ ihr entschlummertes Haupt unter seines fallen und unter ihrem stockenden Herzen glühten die Schläge des seinigen.
Schön – nur dass es verwundert, dass das Mädchen plötzlich ihrerseits entschlummert scheint. In der „malerischen“ Stellung der zwei Liebenden, von denen sich einer in den Tod des Traums flüchten und die andere den Halbschlummernden im eigenen Schlummer ins Leben zurückholen möchte, um nur eines zu sein: selig mit ihm zusammen – in dieser Stellung offenbart sich der utopische Charakter einer Liebe, die nur im Traum das Eigentliche zu sehen vermag. Wie selten bei Jean Paul wandeln die Figuren zwischen den getrennten Sphären: die Vision wird zum verheißenen Land, das nur um den Preis des Todes zu haben ist – und es ist durchaus unklar, ob der Erzähler diesen Eskapismus nicht seinerseits als den einzig richtigen Weg ins Leben betrachtet.
Jean Paul war ein gläubiger Mensch, dem das Jenseits keine Schrecken verhieß, so sehr er auch am Diesseits sein Vergnügen fand – ein Vergnügen, dem er oft nur mit der Waffe der grimmigsten Satire beikam. Es steht zu vermuten, dass der Schwarzenbacher Dichter, der gerade sein Todeserlebnis hinter sich gebracht hatte, in Gustavs und Beatas Nähe zum Anderen Reich den konsequenten Ausweg aus den Miseren des Alltags sah. „Ideologiekritisch“ mag dieser Ansatz problematisch sein – aber als Prinzip Hoffnung ist die Idee des Vorscheins des Paradieses in einem Traum für Jean Paul nur zu verständlich,
Kein Grund also für den „aufgeklärten“ Leser von heute, Gustavs Labilität in diesem Moment allzu sehr zu verdammen.