Logen-Blog [325]: Jungfrauen und Tugenden
Seltsamerweise scheint es ein seltsames Leit-Thema zu geben, das die Gespräche während der Party bei Fürstens dominiert. Seltsam nämlich ist es – betrachtet man es aus der Perspektive des satirisch aufgelegten Autors, der im Hof zunächst den Ort der moralischen Verruchtheit oder doch zumindest der moralischen Schwäche zu sehen beliebt –, seltsam also ist es, dass es das Thema Tugend ist, das durch die Räume fliegt. „Jean Paul“ macht nun etwas, was Jean Paul immer machte: er sammelt Sentenzen und bindet sie, wie in einem unsichtbaren Exzerptheft, aneinander. Literaturwissenschaftlich argumentiert: das Geschriebene selbst wird zur Demonstration des Schreibens, die Reflektion über das Schreiben wird dem Text selbst – nein, nicht „eingeschrieben“, dieses Wort wäre zu verdoppelnd – na, sagen wir: eingewoben, denn ein Text, zumal ein Text Jean Pauls, ist ja ein Gewebe: ein Textgewebe, eine Textur, eine Verknüpfung der verschiedenen, auch verschiedenfarbigen Stoffe. Und also lesen wir folgende Sentenzen aus dem großen Exzerptheft des Autors, Stichwort: „Tugend“:
„Man hat keine Tugend, sondern nur Tugenden – Die Weiber haben sie, die Männer bekriegen sie – Tugend ist nichts als eine ungewöhnliche Höflichkeit – Tugend ist un peu de pavillon joint à beaucoup de culasse; mais le moyen de n'être que l'un ou que l'autre? – Sie ist, wie die Schönheit, überall anders; die Köpfe sind hier spitz, dort breit; so ists mit den Herzen, die darunter sind – Schönheit und Tugend zanken und lieben sich wie ein Paar Schwestern, und doch geben sie einander ihren Putz (bezog sich) – Man denkt nie so gern an die Tugend, als wenn man die Rosenmädchen in Salency sieht – Sie wird auch an andern Orten gekrönt (bezog sich wieder) u. s. w.“
Vergessen wir einen Moment mal das blinkende Bild von pavillon und culasse, das Jean Paul den Diamanten abgewann. Vergessen wir, dass die Klammern mit jenem seltsamen, den Textfluss aufhaltenden „bezog sich“ zu jenen Bizarritäten gehören, die die wenigen zeitgenössischen Rezensenten so sonderbar fanden. Schöner ist nämlich der Verweis auf die Rosenmädchen in Salency. die zu Jean Pauls Zeiten und noch heute bekannt und gerühmt waren.
En 1766, le hasard amena à Salency une femme sensible, et c'en fut assez pour rendre à la Fête de la Rose son ancien éclat. Un homme de lettres l'accompagnait: il annonça à toute l'Europe.
Peut-être est ce ici le lieu de restituer aux gens de lettres un honneur qui leur est bien dû.
Man entdeckt diese Graphik in der
GALERIE DES JEUNES VIERGES,
ou
MODELE DES VERTUS
qui assurent le bonheur des femmes; Par Mme DE RENNEVILLE,
Auteur de plusieurs ouvrages d'éducation.
avec quatre jolies gravures.
Paris.
D. Belin , LIBRAIRE - Quai des augustin, N° 11.
1824
Die Autorin dieser Galerie junger Jungfrauen – Verfasserin mehrerer Werke zur Erziehung – war nicht nur Pädagogin, auch eine frühe feministische Journalistin, insofern eine Verwandte der Olympe de Gouges. Sophie de Renneville, geboren 1772 in Caen, starb noch zu Lebzeiten Jean Pauls in Paris; nur 50 Jahre wurde die produktive Autorin alt. Als politische Publizistin veröffentlichte sie 1814 den Traktat À bas la cabale, als Frauenrechtlerin Biographie des femmes illustres : de Rome, de la Grèce et du Bas-Empire. Kurze Einschätzung auf Wiki francois: „Elle était également éditrice du périodique féministe l’ Athénée des dames qui s’affrontait aux idées phallocratiques de la société de son époque et fournissait aux femmes un forum leur offrant des perspectives alternatives.“
Hätte Jean Paul die Zeitschrift Athénée des dames – nicht zu verwechseln mit dem
– gefallen? Darüber könnte man nur spekulieren. Gewiss aber hätte er die GALERIE DES JEUNES VIERGES mit Interesse gelesen – sich daran erinnernd, dass er einmal eine Gruppe von JEUNES VIERGES in einer Tugenddiskussion erwähnt hatte: eine Gruppe, deren historische Gründung vielleicht auf den Bischof Medardus zurückgeht, der im 6. Jahrhundert in Salency amtierte: dem Städtchen im Departement Oise, hoch oben im Norden Frankreichs, in der Picardie[1]. Möglicherweise aber hat erst Louis XIII. dieses Fest begründet[2] – egal: Jean Paul hatte 1791/92 genügend Quellen zur Verfügung, um dieses über die Grenzen Frankreichs bekannte Fest in den Blick zu nehmen. Vielleicht kannte der Vielbelesene das Théâtre à l'usage des jeunes Personnes, ou Théâtre d'Éducation, das zwischen 1779 und 1785 in Paris herausgekommen war und 1795 in Berlin in einer deutschen Übersetzung vorgelegt werden sollte.
Caroline-Stéphanie Félicité Du Crest de Saint-Aubin, comtesse de Genlis, marquise de Sillery
Fürwahr: sie war das, was man als konservativ bezeichnet, aber zweifellos eine interessante Frau, diese Caroline-Stéphanie-Félicité Du Crest de Saint-Aubin, besser bekannt unter dem Kurznamen Madame de Genlis. 17 Jahre älter als Jean Paul, war sie eine echte Burgunderin. Verarmter Adel. Als junge Dame Mitglied eines adeligen Stifts, erhält sie eine vorzügliche, aber „ungeordnete“ Erziehung – und sie entwickelt sich zu einer guten Harfenspielerin. Ich stelle mir die Genlis vor, wie sie Mozarts bezauberndes Pariser Konzert für Flöte, Harfe und Orchester spielt. 1758 ist sie dann in Paris anzutreffen, wo sie mit ihren Künsten – der Harfe und dem esprit – „Bewunderung erregt“, wie die populäre Formel zu lauten hat. 1770, da ist sie 24 Jahre jung, heiratet sie den Grafen Charles Brulart de Genlis und wird „Ehrendame“ der Herzogin von Chartres, also der Mutter eines späteren Königs: Louis-Philippe. Mit dieser Stelle kommt sie auch ins Palais Royal – wo sie, als Frau, das Recht erhält, die königlichen Söhne zu erziehen.
Nun aber kommt das Rosenmädchen von Salency ins Spiel: denn die Genlis verfasste, gleichsam als Kollegin des späteren Pädagogen Jean Paul, eine Reihe von Komödien unter eben jenem Titel Théâtre à l'usage des jeunes Personnes, ou Théâtre d'Éducation. Auch in diesem Sinne war sie durchaus Praktikerin, die das Theater als Anschauung und Vergnügen betrachtete, während sie gleichzeitig ihren Schülern mit der technischen Hilfe einer Laterna magica Lehrstoffe beibrachte. Weniger „fortschrittlich“ ist, obwohl sie den Ideen der Französischen Revolution zunächst nicht feindlich gegenüberstand, ihre Literatur: sie lieferte sich einen Kampf mit der Madame de Staël (die ihre eigene Meinung über Jean Paul hatte), und hasste den Voltaire: einen Mann, der ihren Glauben angegriffen hatte. 1793 war sie in die Schweiz geflohen, 1799 konnte sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wo ihr Napoleon eine Pension von 6000 Francs gewährte. Sie lebte weiter, schrieb noch viel, nicht allein „Nützliches“ (also pädagogische Schriften und – ungenaue – historische Abhandlungen), sondern auch gewöhnlich anrüchige Liebesromane, und starb 1830 im hohen Alter von 84 Jahren. Wer mehr über sie und ihre Zeit erfahren will, könnte ihre Mémoires inédits sur le XVIII' siècle zur Hand nehmen, die sie im Todesjahr Jean Pauls zum Druck beförderte.
Die Frau hatte Wirkung über ihren Tod hinaus. Es gibt eine besonders witzige Stelle im Oblomow, die noch 20 bis 30 Jahre nach ihrem irdischen Ableben beweist, dass sie ein Begriff war. In Oblomows Traum – einer eingeschobenen Erzählung über die Oblomowerei auf dem Lande, die den „Helden“ geprägt hatte – entdeckte ich vor ein paar Tagen eine köstliche Stelle. Man liest da in einer zufällig herumliegenden Zeitung einige Meldungen und glossiert sie mit größter Ahnungslosigkeit:
„Und hier schreiben sie“, las er weiter, „dass ein Werk der Madame Genlis ins Russische übersetzt worden ist.“
„Sie übersetzen wohl immer nur“, bemerkte einer der Zuhörer, ein kleiner Gutsbesitzer, „um uns Adligen das Geld abzulocken.“
Sie wird übrigens auch von Jane Austen (Emma), Victor Hugo (Les Misérables) und Balzac (Illusions perdues) erwähnt. Das sind nicht die schlechtesten Gewährsmänner und -frauen – wirklich nicht.
Zurück zur Tugend: Jean Paul zitiert ein seinerzeit bekanntes Motiv, das er aus der Literatur, vom Hörensagen, vielleicht sogar – literarisch vermittelt – durch die Oper kannte, denn der große Grétry hatte 1773 La Rosière de Salency herausgebracht. Man denkt nie so gern an die Tugend, als wenn man die Rosenmädchen in Salency sieht – Sie wird auch an andern Orten gekrönt. Das Gespräch zitiert, man muss das wissen, einen Brauch, der nicht höfisch, sondern eher ländlich ist (auch wenn Salency eine Stadt ist).
Der Witz ist aber der: Wird mit diesem Gemeinplatz nicht das Rosenmädchen des Scheerauer Hofs ins Licht gesetzt? Also Beata?
Bamberger Anhängchen zu einem anderen Mädchen
Ist Katharina Blum ein Rosenmädchen? Ein wenig schon: ein Rosenmädchen als Rächerin.
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[1] Wo mit Amiens eine bemerkenswerte Stadt liegt, die über die Kathedrale mit der größten Höhe eines gotischen Mittelschiffs verfügt. Der Blogger erinnert sich, mehrmals durch diese Kirche gegangen zu sein, wo er immer wieder staunend den Blick in die Höhe richtete: ein steinerner Himmel, der uns weniger etwas über die Tugenden als über die Baukünste der mittelalterlichen Bauleute mitteilt.
[2] Genaueres lese man nach bei Wilhelm Ludwig Döring, der 1835 in Elberfeld – da er als „praktischer Arzt in Remscheid“ sein Brot verdiente – sein Buch über Die Königin der Blumen oder die höhere Bedeutung der Rose an sich und in Beziehung auf die Gemüthswelt nach Naturanschauung, Poesie und Geschichte herausbrachte. Kap. 24, § 1 klärt den Leser über das Fest auf.
Logen-Blog [325]: Jungfrauen und Tugenden>
Seltsamerweise scheint es ein seltsames Leit-Thema zu geben, das die Gespräche während der Party bei Fürstens dominiert. Seltsam nämlich ist es – betrachtet man es aus der Perspektive des satirisch aufgelegten Autors, der im Hof zunächst den Ort der moralischen Verruchtheit oder doch zumindest der moralischen Schwäche zu sehen beliebt –, seltsam also ist es, dass es das Thema Tugend ist, das durch die Räume fliegt. „Jean Paul“ macht nun etwas, was Jean Paul immer machte: er sammelt Sentenzen und bindet sie, wie in einem unsichtbaren Exzerptheft, aneinander. Literaturwissenschaftlich argumentiert: das Geschriebene selbst wird zur Demonstration des Schreibens, die Reflektion über das Schreiben wird dem Text selbst – nein, nicht „eingeschrieben“, dieses Wort wäre zu verdoppelnd – na, sagen wir: eingewoben, denn ein Text, zumal ein Text Jean Pauls, ist ja ein Gewebe: ein Textgewebe, eine Textur, eine Verknüpfung der verschiedenen, auch verschiedenfarbigen Stoffe. Und also lesen wir folgende Sentenzen aus dem großen Exzerptheft des Autors, Stichwort: „Tugend“:
„Man hat keine Tugend, sondern nur Tugenden – Die Weiber haben sie, die Männer bekriegen sie – Tugend ist nichts als eine ungewöhnliche Höflichkeit – Tugend ist un peu de pavillon joint à beaucoup de culasse; mais le moyen de n'être que l'un ou que l'autre? – Sie ist, wie die Schönheit, überall anders; die Köpfe sind hier spitz, dort breit; so ists mit den Herzen, die darunter sind – Schönheit und Tugend zanken und lieben sich wie ein Paar Schwestern, und doch geben sie einander ihren Putz (bezog sich) – Man denkt nie so gern an die Tugend, als wenn man die Rosenmädchen in Salency sieht – Sie wird auch an andern Orten gekrönt (bezog sich wieder) u. s. w.“
Vergessen wir einen Moment mal das blinkende Bild von pavillon und culasse, das Jean Paul den Diamanten abgewann. Vergessen wir, dass die Klammern mit jenem seltsamen, den Textfluss aufhaltenden „bezog sich“ zu jenen Bizarritäten gehören, die die wenigen zeitgenössischen Rezensenten so sonderbar fanden. Schöner ist nämlich der Verweis auf die Rosenmädchen in Salency. die zu Jean Pauls Zeiten und noch heute bekannt und gerühmt waren.
En 1766, le hasard amena à Salency une femme sensible, et c'en fut assez pour rendre à la Fête de la Rose son ancien éclat. Un homme de lettres l'accompagnait: il annonça à toute l'Europe.
Peut-être est ce ici le lieu de restituer aux gens de lettres un honneur qui leur est bien dû.
Man entdeckt diese Graphik in der
GALERIE DES JEUNES VIERGES,
ou
MODELE DES VERTUS
qui assurent le bonheur des femmes; Par Mme DE RENNEVILLE,
Auteur de plusieurs ouvrages d'éducation.
avec quatre jolies gravures.
Paris.
D. Belin , LIBRAIRE - Quai des augustin, N° 11.
1824
Die Autorin dieser Galerie junger Jungfrauen – Verfasserin mehrerer Werke zur Erziehung – war nicht nur Pädagogin, auch eine frühe feministische Journalistin, insofern eine Verwandte der Olympe de Gouges. Sophie de Renneville, geboren 1772 in Caen, starb noch zu Lebzeiten Jean Pauls in Paris; nur 50 Jahre wurde die produktive Autorin alt. Als politische Publizistin veröffentlichte sie 1814 den Traktat À bas la cabale, als Frauenrechtlerin Biographie des femmes illustres : de Rome, de la Grèce et du Bas-Empire. Kurze Einschätzung auf Wiki francois: „Elle était également éditrice du périodique féministe l’ Athénée des dames qui s’affrontait aux idées phallocratiques de la société de son époque et fournissait aux femmes un forum leur offrant des perspectives alternatives.“
Hätte Jean Paul die Zeitschrift Athénée des dames – nicht zu verwechseln mit dem
– gefallen? Darüber könnte man nur spekulieren. Gewiss aber hätte er die GALERIE DES JEUNES VIERGES mit Interesse gelesen – sich daran erinnernd, dass er einmal eine Gruppe von JEUNES VIERGES in einer Tugenddiskussion erwähnt hatte: eine Gruppe, deren historische Gründung vielleicht auf den Bischof Medardus zurückgeht, der im 6. Jahrhundert in Salency amtierte: dem Städtchen im Departement Oise, hoch oben im Norden Frankreichs, in der Picardie[1]. Möglicherweise aber hat erst Louis XIII. dieses Fest begründet[2] – egal: Jean Paul hatte 1791/92 genügend Quellen zur Verfügung, um dieses über die Grenzen Frankreichs bekannte Fest in den Blick zu nehmen. Vielleicht kannte der Vielbelesene das Théâtre à l'usage des jeunes Personnes, ou Théâtre d'Éducation, das zwischen 1779 und 1785 in Paris herausgekommen war und 1795 in Berlin in einer deutschen Übersetzung vorgelegt werden sollte.
Caroline-Stéphanie Félicité Du Crest de Saint-Aubin, comtesse de Genlis, marquise de Sillery
Fürwahr: sie war das, was man als konservativ bezeichnet, aber zweifellos eine interessante Frau, diese Caroline-Stéphanie-Félicité Du Crest de Saint-Aubin, besser bekannt unter dem Kurznamen Madame de Genlis. 17 Jahre älter als Jean Paul, war sie eine echte Burgunderin. Verarmter Adel. Als junge Dame Mitglied eines adeligen Stifts, erhält sie eine vorzügliche, aber „ungeordnete“ Erziehung – und sie entwickelt sich zu einer guten Harfenspielerin. Ich stelle mir die Genlis vor, wie sie Mozarts bezauberndes Pariser Konzert für Flöte, Harfe und Orchester spielt. 1758 ist sie dann in Paris anzutreffen, wo sie mit ihren Künsten – der Harfe und dem esprit – „Bewunderung erregt“, wie die populäre Formel zu lauten hat. 1770, da ist sie 24 Jahre jung, heiratet sie den Grafen Charles Brulart de Genlis und wird „Ehrendame“ der Herzogin von Chartres, also der Mutter eines späteren Königs: Louis-Philippe. Mit dieser Stelle kommt sie auch ins Palais Royal – wo sie, als Frau, das Recht erhält, die königlichen Söhne zu erziehen.
Nun aber kommt das Rosenmädchen von Salency ins Spiel: denn die Genlis verfasste, gleichsam als Kollegin des späteren Pädagogen Jean Paul, eine Reihe von Komödien unter eben jenem Titel Théâtre à l'usage des jeunes Personnes, ou Théâtre d'Éducation. Auch in diesem Sinne war sie durchaus Praktikerin, die das Theater als Anschauung und Vergnügen betrachtete, während sie gleichzeitig ihren Schülern mit der technischen Hilfe einer Laterna magica Lehrstoffe beibrachte. Weniger „fortschrittlich“ ist, obwohl sie den Ideen der Französischen Revolution zunächst nicht feindlich gegenüberstand, ihre Literatur: sie lieferte sich einen Kampf mit der Madame de Staël (die ihre eigene Meinung über Jean Paul hatte), und hasste den Voltaire: einen Mann, der ihren Glauben angegriffen hatte. 1793 war sie in die Schweiz geflohen, 1799 konnte sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wo ihr Napoleon eine Pension von 6000 Francs gewährte. Sie lebte weiter, schrieb noch viel, nicht allein „Nützliches“ (also pädagogische Schriften und – ungenaue – historische Abhandlungen), sondern auch gewöhnlich anrüchige Liebesromane, und starb 1830 im hohen Alter von 84 Jahren. Wer mehr über sie und ihre Zeit erfahren will, könnte ihre Mémoires inédits sur le XVIII' siècle zur Hand nehmen, die sie im Todesjahr Jean Pauls zum Druck beförderte.
Die Frau hatte Wirkung über ihren Tod hinaus. Es gibt eine besonders witzige Stelle im Oblomow, die noch 20 bis 30 Jahre nach ihrem irdischen Ableben beweist, dass sie ein Begriff war. In Oblomows Traum – einer eingeschobenen Erzählung über die Oblomowerei auf dem Lande, die den „Helden“ geprägt hatte – entdeckte ich vor ein paar Tagen eine köstliche Stelle. Man liest da in einer zufällig herumliegenden Zeitung einige Meldungen und glossiert sie mit größter Ahnungslosigkeit:
„Und hier schreiben sie“, las er weiter, „dass ein Werk der Madame Genlis ins Russische übersetzt worden ist.“
„Sie übersetzen wohl immer nur“, bemerkte einer der Zuhörer, ein kleiner Gutsbesitzer, „um uns Adligen das Geld abzulocken.“
Sie wird übrigens auch von Jane Austen (Emma), Victor Hugo (Les Misérables) und Balzac (Illusions perdues) erwähnt. Das sind nicht die schlechtesten Gewährsmänner und -frauen – wirklich nicht.
Zurück zur Tugend: Jean Paul zitiert ein seinerzeit bekanntes Motiv, das er aus der Literatur, vom Hörensagen, vielleicht sogar – literarisch vermittelt – durch die Oper kannte, denn der große Grétry hatte 1773 La Rosière de Salency herausgebracht. Man denkt nie so gern an die Tugend, als wenn man die Rosenmädchen in Salency sieht – Sie wird auch an andern Orten gekrönt. Das Gespräch zitiert, man muss das wissen, einen Brauch, der nicht höfisch, sondern eher ländlich ist (auch wenn Salency eine Stadt ist).
Der Witz ist aber der: Wird mit diesem Gemeinplatz nicht das Rosenmädchen des Scheerauer Hofs ins Licht gesetzt? Also Beata?
Bamberger Anhängchen zu einem anderen Mädchen
Ist Katharina Blum ein Rosenmädchen? Ein wenig schon: ein Rosenmädchen als Rächerin.
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[1] Wo mit Amiens eine bemerkenswerte Stadt liegt, die über die Kathedrale mit der größten Höhe eines gotischen Mittelschiffs verfügt. Der Blogger erinnert sich, mehrmals durch diese Kirche gegangen zu sein, wo er immer wieder staunend den Blick in die Höhe richtete: ein steinerner Himmel, der uns weniger etwas über die Tugenden als über die Baukünste der mittelalterlichen Bauleute mitteilt.
[2] Genaueres lese man nach bei Wilhelm Ludwig Döring, der 1835 in Elberfeld – da er als „praktischer Arzt in Remscheid“ sein Brot verdiente – sein Buch über Die Königin der Blumen oder die höhere Bedeutung der Rose an sich und in Beziehung auf die Gemüthswelt nach Naturanschauung, Poesie und Geschichte herausbrachte. Kap. 24, § 1 klärt den Leser über das Fest auf.