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05.12.2013, 13:53 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [294]: Es war einmal eine Schlange ohne Sprache und Beine

Warum steht am Ende ein Fragezeichen und kein Punkt? Macht das, lieber Leser, einen Sinn?

Wir erinnern uns: Der Erzähler räsonniert zusammen mit dem Leser über den problematischen Charakter der Residentin – und fährt fort, den Sektor abschließend:

Übrigens hat der Leser die Armut an gewissen konventionellen Grazien, an gewissen leichten modischen und giftigen Reizen, die ein Hof nie versagt, weit weniger zu bedauern, als andre Höflinge – der Autor wünschte, nicht darunter zu gehören – ihren Reichtum an dergleichen Gift-Spezies wirklich zu beklagen haben; denn auf diese Art blieb er ein ehrlicher und gesunder Mann, der Herr Leser; aber wer ihn kennt, würde der Bürge gewesen sein, dass er, falls alle Bänder und Zügel der großen Welt an ihm gezuckt und gezogen hätten, außer seiner Ehrlichkeit auch seine Unähnlichkeit mit den Leuten von Ton behalten hätte, die die Misshandlung des schönsten Geschlechts mit verlorner Stimme und verlornen Waden büßen, wie (nach den ältesten Theologen) die Weiber-Versucherin, die Schlange, die vorher reden und gehen konnte, durch die aktive Verführung Sprache und Beine verscherzte?...

Man erwartet am Ende dieser langen Periode zweifellos einen Endpunkt, eine Bestätigung, aber kein Infragestellen einer Weltkenntnis, über die er, der Erzähler, als distanzierter Höfling zweifellos verfügt. Handelt es sich um einen Fehler des Autors, ein kleines Versehen, wie es immer durch den Maschendraht, ja: das Sprachgitter durchschlüpfen kann? Es ist unwahrscheinlich. Vielleicht, dass Jean Paul sich nicht entscheiden konnte, ob er seiner Metapher wirklich sicher sein konnte, die auf die Verführungskraft der Frau ging. Vielleicht, dass er etwas offenhalten wollte, was im Grunde seiner Kritik an der Herzlosigkeit der höfischen Gesellschaft längst be- und geschlossen war. Dass die Residentin in ihren Charaktereigenschaften und Widersprüchen zumindest reizend schillert: er hat es mit seinem rätselhaften Fragezeichen unbewusst bestätigt.

Ingolstädter Herzensanhang

„Die Leber samt bitterer Blase kann nur in einer Hofkirche bestattet werden, das Herz in einer 'triumphierenden' und die Milz in ein Filial, also einer Tochterkirche“, habe ich geschrieben, als es um das Begräbnis des alten Scheerauer Fürsten ging. Eine Informationstafel klärt den Besucher über den Charakter dieser Grablege auf:

Wenigstens hier, denkt der Logenleser, findet er ein höfisches Herz vor: das der Anna von Bourbon. Es ist das Herz einer jungen Frau; gerade einmal 28 war sie, als sie in Paris starb, wo sie – genauer: ihr herzloser Leib – im Jakobinerkloster bestattet wurde. Vergessen Sie einen Besuch: das Kloster, in dem einmal ein bayerischer Albertus Magnus (geboren in Lauingen!), ein Meister Eckhart und ein Thomas von Aquin lebten und lehrten, und das sich dort befand, wo heute die Rue Soufflot, die Rue Toullier und die Rue Victor Cousin verlaufen, wurde im 19. Jahrhundert abgerissen –

– aber wenigstens können wir die „triumphierende“ Kirche, das Münster zu Ingolstadt besuchen, um in die Nähe des Herzens der ehemaligen Hofdame der Schwester ihres Mannes, der Isabeau de Bavière, zu geraten.

Eine gewisse Christine de Pisan[1] zählte sie übrigens – man kann das in ihrem Livre de la Cité des Dames nachlesen – zu den neun vorbildlichsten Frauen Frankreichs. Vielleicht zeigt dieses Bild, auf dem die berühmte Dichterin der Königin gerade eines ihrer Werke präsentiert, auch die Hofdame, die zur Herzogsfrau aufsteigen sollte.

Übrigens: vielleicht hat Christine de Pisan bereits des Einbeins Anmerkungen zur Frau und zur Frau an sich kommentiert, als sie im Buch von der Stadt der Frauen bemerkte:

Diejenigen, die Frauen aus Missgunst verleumdet haben, sind Kleingeister, die zahlreichen ihnen an Klugheit und Vornehmheit überlegenen Frauen begegnet sind. Sie reagierten darauf mit Schmerz und Unwillen, und so hat ihre große Missgunst sie dazu bewogen, allen Frauen Übles nachzusagen. Da es aber kaum ein bedeutendes Werk eines angesehenen Verfassers gibt, das nicht Nachahmer fände, so gibt es gar manche, die sich aufs Abschreiben verlegen. Sie meinen, das könne gar nicht schiefgehen, da andere bereits in ihren Büchern das gesagt haben, was sie selbst sagen wollen – wie etwa die Frauenverunglimpfung; von dieser Sorte kenne ich eine ganze Menge.

Gut gebrüllt, Löwin!

Fotos: Frank Piontek, 27.11. 2013

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[1] Ich sage nur, liebe Leserin: Nehmen Sie die betreffende Rowohlt-Monographie zur Hand.

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