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30.11.2013, 13:29 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [290]: Jean Paul imaginiert sich als Leser

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In Jean Pauls Fall war der Leser oft und eher eine Leserin. Fragonard hat sie 20 Jahre vor der „Unsichtbaren Loge“ gemalt.

Es ist nicht die Unklarheit, die für Jean Pauls reiche Sprache sorgt, sondern der Drang nach Klarheit, der alles (er)klären will. Es ist dies ja ein gängiger Vorwurf: dass der Autor sich nicht enthalten kann – dabei will er nur eindeutig argumentieren. Im Prinzip ist Jean Paul wie Musil …

Wir begegnen dieser Strategie, wenn „Jean Paul“ sich an die Stelle des Lesers setzt und ihm etliche Fragen nach dem Charakter und dem Ziel der Residentin in den Mund legt.

„Oder geht die Residentin nicht so weit, sondern will sie aus Edelmut, worüber man oft die optischen Kunststücke ihrer Koketterie verzeiht, den schönsten uneigennützigsten Jüngling aus den schönsten uneigennützigsten Gründen aufsuchen und ausbilden? – Oder könnens nicht auch alles bloße Zufälle sein – und nichts leuchtet mir so ein –, an welche sie, als Rennerin durch Lusthaine, die flatternde Schlinge eines halben Planes fliehend befestigt, ohne in ihrem Leben am andern Tag nach dem strangulierten Fang der Dohnenschnait im mindesten zu sehen? – Oder irr' ich gänzlich, lieber Autor, und ist vielleicht von allen diesen Möglichkeiten keine wahr?“ – Oder, lieber Leser, sind sie alle auf einmal wahr, und du errätest darum eine Launenhafte nicht, weil du ihr weniger Widersprüche als Reize zutrauest?

Und dies waren nicht die ersten Fragen … Kurz zuvor hatte es schon einen Hinweis auf Ernst Platners Neue Anthropologie gegeben, derzufolge der Mensch das, was er empfindet, so sehr wird, dass er sich mit der Blume bückt und mit den Felsen hebt. Was heißt, dass sie sich Gustav dergestalt andienen würde, dass sie dessen Charakterzüge zu übernehmen scheint. Allein es kann nicht gut gehen. Sich selber etwas vorzumachen ist beinahe problematischer als dem anderen etwas vorzumachen – und sei dieses Vormachen etwas Unbewusstes, worüber kein Gerechter urteilen dürfte, und sei es noch so gezielt, weil der Charakter, der dahinter steckt, keiner ist – zumindest keiner im klassischen Sinne.

Habe ich mich, lieber Leser, klar genug ausgedrückt?