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20.11.2013, 11:48 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [286]: Der Blogger tröstet sich mit meisterhaften Porträts

Das Leben ist eine Ansammlung von Zufällen; dieses Blog ist voll davon.

Nämlich so: ich schaue mir Giuseppe Verdis Oper Un ballo in maschera an. Gezeigt wird die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III. am 29. März 1792 – da schrieb Jean Paul noch an seiner Loge. Dass der König Gustav hieß, ist ein unwesentlicherer Zufall als die Tatsache, dass der Architekt des von Gustav initiierten Stockholmer Opernhauses, in dem er den tödlichen Dolchstoß erhielt, Carl Fredrik Adelcrantz war – und dass dieser Herr Adelcrantz von Alexander Roslin gemalt worden war. Roslin wiederum hatte 1745 bis 1747 in Bayreuth gelebt und gearbeitet, wo er am Hof des Markgrafen Friedrich und der Markgräfin Wilhelmine einige Musiker porträtierte; noch heute kann man diese Bilder hier sehen. Zu den Nachfolgern des ermordeten Königs gehörte nun auch jener König, der mit Desireé de Clary verheiratet war, die einmal mit Napoleon, der zweimal durch Jean Pauls Bayreuth geritten war und in jenem Schloss übernachtete, in dem sich Roslins Arbeiten befinden, verlobt war. Zuallerletzt entdecke ich in einem Essay des Jean-Paul-Preisträgers Eckhard Henscheid, in dem er die Addio-Manie des sterbenden Re Gustavo analysiert, ein Wort, das ich gestern in der Unsichtbaren Loge entdeckte.

Aber der Reihe nach:

Dies ist das erste, nicht mehr existierende Stockholmer Opernhaus, in dem der König, der im Maskenball des Komponisten, der in diesem Jahr zusammen mit dem anderen großen Bayreuther den 200. Geburtstag feiert, tanzt und getötet wird.

Entworfen wurde das Haus von Carl Fredrik Adelcrantz, dessen heiter-repräsentatives Porträt von Alexander Roslin gemalt wurde.

Der bedeutende schwedische Maler Alexander Roslin hat sich selbst im Jahre 1790 ins Bild gesetzt: mit seinem König, dem schwedischen Gustav.

Ein typisches Porträt der Bayreuther Galerie, die man heute noch im Neuen Schloss – einer wahren Schatzkiste des Rokoko – bewundern kann: einen Bayreuther Flötisten[1] zeigend, Zeigt es Christian Friedrich Döbbert (wie es im Bayreuther Wilhelmine-Ausstellungs-Katalog von 1998 zugeschrieben wird)? Oder Jakob Friedrich Kleinknecht (wie es auf der notorisch unsicheren Wikipedia-Seite dem Komponisten zugewiesen wird)? Tatsache ist: Nichts Genaues weiß man nicht – nur, dass Roslin einen Bayreuther Musiker verewigt hat.

Das vermutlich berühmteste, durch Postkarten und Reproduktionen anderer Art popularisierte Bild zeigt eine Frau mit Schleier – Roslin hat hier seine schöne, geliebte Frau gemalt: Marie-Suzanne, geb. Giroust. Sie war selbst eine erstrangige Pastellmalerin; Roslin hat ihr neidlos den ersten Rang eingeräumt; Denis Diderot lobte sie, durchaus nicht gönnerhaft. Sie starb viel zu früh: 1772. Der Brustkrebs. „Scheiße“[2] – würde man heute sagen, „verdammte Scheiße“. Warum?

Jean Paul hatte Recht: Es ist keiner. Schon der allzu frühe Tod der Giroust beweist es.

Marie-Suzanne Giroust hat auch sich selbst, mit einem Porträt ihres Lehrers Quentin de la Tour, porträtiert: zwei Jahre, nachdem ihr Mann sie in einem der bezauberndsten Porträts des Rokoko für die sog. Ewigkeit gemalt hatte. Zwei Jahre später sollte sie sterben; der kleine Johann Paul wusste, in Joditz lebend, noch nichts von dieser großen, weiten Welt, obwohl er fleißig – manchmal im Vierteljahresabstand – die Bayreuther Zeitung las.

Sie liebten sich – und zeugten mehrere Kinder, unter anderem ein Mädchen namens Augustine Suzanne.

Ein weiteres Beispiel für Roslins eminente Kunst: das Porträt einer moldauischen Prinzessin, der Zoie Ghika. Einmal heller, einmal dunkler – je nachdem, unter welchem Licht man das Meisterwerk betrachtet, das im Jahre 1777 entstand. Der vierzehnjährige Johann Paul lebt da noch in Schwarzenbach an der Saale; er weiß, von einem Küsschen abgesehen, noch nichts von den Freuden der sog. Liebe, die vielleicht auch die Prinzessin aus der Moldau[3] zu geben vermochte.

Auch dieses Porträt wurde von Roslin geschaffen: das Bildnis Gustavs III., der 1792 ermordet wurde, weil die schwedische Adelsclique es nicht mehr hinnehmen wollte, dass der König ihre Rechte einschränkte. Schon der erfolgreiche Putsch, den er 1772 gegen den Adel veranstaltet hatte, musste den Hass der Aristokratie auf sich ziehen. Vorbei war es mit der bemerkenswerten schwedischen „Freiheitszeit“ – mit dem Modell, das nicht republikanisch, aber auch nicht rein monarchisch organisiert war. Trotzdem war Gustav kein Diktator: interessanterweise waren es gerade die Reformen, die Gustav zur Rettung des Adels für notwendig hielt, die den Hass des Adels provozierten. Wie der Fürst von Salina[4] so schön sagt: „Es muss sich alles ändern, damit sich nichts ändert.“

Hat Jean Paul diese spezifisch schwedische, oder besser: gustavinische Reformpolitik und den Tod des Königs, der ermordet wurde, während er den Roman schrieb, kommentiert? Allein die Realität einer unübersichtlichen Politik macht es verständlich, wieso „einfache Lösungen“ wie die Guillotine – eben keine Lösungen sind. Der Leser der Loge darf gespannt sein, wie der Erzähler die Auseinandersetzung mit der Befreiung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit (die durch das monarchische Prinzip befestigt wird) weiterführen wird.

Gustavs Mutter war Luise Ulrike von Preußen, die Schwester Wilhelmines von Bayreuth. Was für ein Zufall...

Dieser Herr, den wir schon aus Paris kennen, wurde zum Nachfolger des Nachfolgers des Nachfolgers Gustavs III., doch nicht über eine Erblinie. Gustavs III. Nachfolger Gustav IV. Adolf wurde 1809 entthront, dessen Nachfolger Karl XIII. regierte bis 1818 – er adoptierte den französischen General Jean-Baptiste Bernadotte, der unter dem Namen Karl XIV. Johan in der späten Jean-Paul-Zeit und danach das Land regierte.

Verheiratet war er mit einer Dame, die wir gleichfalls schon kennen: mit Désireé de Clary, die einst mit Napoleon verlobt gewesen war. Die beiden höchst unterschiedlichen Porträts zeigen sie in den Jahren 1807 und 1810. Jean Paul sitzt in Bayreuth und erfindet gerade seine Theoda Katzenberger: auch ein Prachtmädchen, das nicht zu Schwermut neigt.

Eckhard Henscheid aber zitiert in einem seiner launigen wie höchst informierten Beiträge über das Wesen der geliebten Gattung Oper – Hoch lebe Alwin Schönberg! Zur Geschichte der Monotonie[5] – ein Wort aus der Unsichtbaren Loge: den

Halbton des Kummers

Jean Paul hat diesen Begriff auch im Jubelsenior untergebracht. Henscheid dürfte ihn aber, nehme ich an, der Loge entliehen haben[6], in der ihn der Erzähler auf die Residentin münzt, die um ihren Bruder trauert: Sie ließ sich in Trauerkleidung malen. Nichts wirkt stärker als der Lustige, der einmal in die Halbtöne des Kummers fällt.

Gegen diese Halbtöne, denkt der Blogger, hilft manchmal auch die Betrachtung einiger meisterhafter Porträts des 18. Jahrhunderts.

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[1] Und wir erinnern uns daran, dass einer der beiden Brüder der Flegeljahre ein Flötist ist.

[2] Der Blogger muss bei seinen geneigten Lesern für dieses hässliche Wort um Entschuldigung bitten - aber es gibt im Prinzip unbegreifliche wie ungerechte Umstände, die, auch in schriftlicher Form, keinen anderen Ausruf provozieren, weil jeder andere Begriff nur euphemistisch wäre. Grenzen des Worts! Mag sein, dass auch der sprachmächtige Jean Paul sie mitunter empfand, ohne groß darüber zu rechten.

[3] Denn in der Moldau gibt es nicht nur schöne, faszinierende Moldau-Klöster mit schönen mittelalterlichen Fresken.

[4] Aus dem bekannten italienischen Roman.

[5] Man findet ihn in den diversen Musikschriftensammlungen Eckhard Henscheids, zuerst im Jahre 1979 in …über Oper. Verdi ist der Mozart Wagners.

[6] Denn wer liest schon freiwillig den Jubelsenior?