Logen-Blog [281]: Die Stellung von Händen und Gedanken
Und Amandus? Der Erzähler kehrt kurz zu ihm zurück. Es ist dies eine der Eigenheiten der Modernität, die Jean Pauls Roman zu einem Vorläufer der Moderne macht: dieses Fragmentarische. Ein kurzer Absatz, wie eingerückt wirkend, ein Filmschnitt auf eine Parallelszene, so kommt Amandus in die Geschichte zurück: „auf dem härtesten Bette von der Welt liegend“.
Amandus ist krank, doch ist seine Krankheit seelischer Natur: der Streit mit Gustav zehrt ihn gleichsam auf. „Sein ödes Auge ruhte oft auf der Stubentüre, ob sie kein Gustav öffne, ob nicht der Tod in der Gestalt einer Freude, einer Aussöhnung eintrete und die Blume seines Lebens mit einem Liebe-Druck gelinde niederlege“. Tod und Liebe haben sich wieder derart verschwistert, dass sie nicht zu trennen sind; der Delinquent ist zugleich jener, der die Todeskrankheit herbeisehnt. Seine Krankheit aber, unter der er objektiv leidet, ist die Eifersucht. „Von seiner Seite“, also aus seiner Perspektive, meint der Erzähler, stellt sich Gustavs Situation so dar: Gustav liegt „auf einem Zauberbette, an das ihn ein besserer Gott als Vulkan mit unsichtbaren Kettchen heftete“. Gemeint ist Venus, wir werden gleich sehen, warum, aber interessant ist noch der Nachsatz, mit dem die Periode und der Absatz schließt: „kaum regen konnt' er sich unter seinem Drahtgeflecht.“ Das klingt so, als sei es auf ihn, Amandus, bezogen, aber Amandus meint hier Gustav; seltsam ist nur, dass „Jean Paul“ den Nachsatz mit einem Semikolon vom vorhergehenden abtrennt. Wer kann sich da nicht regen „unter seinem [seelischen] Drahtgeflecht“? Beide.
Denn Gustav ist verliebt, das ist klar, auch wenn wir Oefel nicht unbedingt glauben müssen, wenn er Gustavs Beziehung zur Residentin als einen Hauptpunkt der Geschichte nimmt, denn der Romanschreiber ist ja in erster Linie ein Romancier, der sich das Leben inszeniert, um es umso glutvoller beschreiben zu können – womit er eine gewisse Ähnlichkeit mit Jean Paul zu haben scheint … Aber nur eine gewisse; sie ist nicht allzu groß, denn ansonsten müsste der sog. geneigte Leser annehmen, dass er moralisch genauso verworfen sei wie der gute Jean Paul[1]. Auf jeden Fall bleiben wir im Bild der Venus, die Oefel umstandslos mit Beata assoziiert.
Ihr mangelt zu einer Mediceischen nichts als die – Stellung; ich weiß aber nicht, welche Hand ich ihr dann in dieser Stellung küssen würde.
Der Erzähler bezeichnet diese Bemerkung Oefels sofort als schmutzige Zote, wie sie bei den gegenwärtigen Schriftstellern üblich sei. Es stimmt: er selbst, so derb er auch manchmal ist, würde sich zu einem sexuell motivierten Bonmot nicht herabbegeben – wohl ebenso wenig wie dieser Herr:
Jean-Baptiste Greuze hat den Geldmann, Amateurmaler, Stecher, Kunstschriftsteller und Gartenliebhaber Claude-Henri Watelet 1765 ins Bild geholt: der Kunstliebhaber, eine verkleinerte Kopie der Venus von Medici, also einer der berühmtesten Venusstatuen der Antike, genau betrachtend. Das Original dieser Figur, die im ersten Jahrhundert v. Chr. in einer römischen Werkstatt entstand und ein griechisches Original (sicher nicht von Phidias, auch wenn dem Athener Meister gelegentlich diese Figur zugeschrieben wurde) wiederholt, befindet sich auch heute noch in Italien, in den Uffizien. Jean Paul kannte die Figur entweder durch die vielen Reproduktionen oder durch jene Kopien, die weit verbreitet waren und der Figur internationalen Rang verliehen.
Apropos Hand: Die Arme samt Händen wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert von einem römischen Bildhauer ergänzt: Ercole Ferrata. „He showed remarkable flair in making just the kind of attractive additions to a mutilated statue which most appealed to connoisseurs“, heißt es bei Ferratas Biographen Francis Haskell und Nicholas Penny[2]. Es stimmt: die Finger der Hände sind so elegant, wie es dem manieristischen Stil des 17. Jahrhunderts entspricht: eine „attractive addition“ zu einer fragmentarisch erhaltenen Skulptur, die Oefel zu einer Zote inspiriert.
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[1] Aber ist nicht jeder Autor ein Parasit? Max Frisch hat einmal gesagt, dass sich die Leute hüten müssten, mit ihm umzugehen. Es könnte ja sein, dass sie eines Tages in seinen Texten erscheinen. Wer den tollen Gantenbein liest oder hört (es gibt eine wunderbare Aufnahme mit Frisch am Pult), bekommt tatsächlich eine Ansicht von Herrn Frisch und Frau Bachmann geliefert – freilich eine literarisch gebrochene und gestaltete. Jean Paul hat Briefe Charlottes von Kalb in den Titan hinein montiert – die Frau war darüber nicht amüsiert.
[2] Taste and the Antique: The Lure of Ancient Sculpture 1500-1900. Yale University Press, 1981.
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Und Amandus? Der Erzähler kehrt kurz zu ihm zurück. Es ist dies eine der Eigenheiten der Modernität, die Jean Pauls Roman zu einem Vorläufer der Moderne macht: dieses Fragmentarische. Ein kurzer Absatz, wie eingerückt wirkend, ein Filmschnitt auf eine Parallelszene, so kommt Amandus in die Geschichte zurück: „auf dem härtesten Bette von der Welt liegend“.
Amandus ist krank, doch ist seine Krankheit seelischer Natur: der Streit mit Gustav zehrt ihn gleichsam auf. „Sein ödes Auge ruhte oft auf der Stubentüre, ob sie kein Gustav öffne, ob nicht der Tod in der Gestalt einer Freude, einer Aussöhnung eintrete und die Blume seines Lebens mit einem Liebe-Druck gelinde niederlege“. Tod und Liebe haben sich wieder derart verschwistert, dass sie nicht zu trennen sind; der Delinquent ist zugleich jener, der die Todeskrankheit herbeisehnt. Seine Krankheit aber, unter der er objektiv leidet, ist die Eifersucht. „Von seiner Seite“, also aus seiner Perspektive, meint der Erzähler, stellt sich Gustavs Situation so dar: Gustav liegt „auf einem Zauberbette, an das ihn ein besserer Gott als Vulkan mit unsichtbaren Kettchen heftete“. Gemeint ist Venus, wir werden gleich sehen, warum, aber interessant ist noch der Nachsatz, mit dem die Periode und der Absatz schließt: „kaum regen konnt' er sich unter seinem Drahtgeflecht.“ Das klingt so, als sei es auf ihn, Amandus, bezogen, aber Amandus meint hier Gustav; seltsam ist nur, dass „Jean Paul“ den Nachsatz mit einem Semikolon vom vorhergehenden abtrennt. Wer kann sich da nicht regen „unter seinem [seelischen] Drahtgeflecht“? Beide.
Denn Gustav ist verliebt, das ist klar, auch wenn wir Oefel nicht unbedingt glauben müssen, wenn er Gustavs Beziehung zur Residentin als einen Hauptpunkt der Geschichte nimmt, denn der Romanschreiber ist ja in erster Linie ein Romancier, der sich das Leben inszeniert, um es umso glutvoller beschreiben zu können – womit er eine gewisse Ähnlichkeit mit Jean Paul zu haben scheint … Aber nur eine gewisse; sie ist nicht allzu groß, denn ansonsten müsste der sog. geneigte Leser annehmen, dass er moralisch genauso verworfen sei wie der gute Jean Paul[1]. Auf jeden Fall bleiben wir im Bild der Venus, die Oefel umstandslos mit Beata assoziiert.
Ihr mangelt zu einer Mediceischen nichts als die – Stellung; ich weiß aber nicht, welche Hand ich ihr dann in dieser Stellung küssen würde.
Der Erzähler bezeichnet diese Bemerkung Oefels sofort als schmutzige Zote, wie sie bei den gegenwärtigen Schriftstellern üblich sei. Es stimmt: er selbst, so derb er auch manchmal ist, würde sich zu einem sexuell motivierten Bonmot nicht herabbegeben – wohl ebenso wenig wie dieser Herr:
Jean-Baptiste Greuze hat den Geldmann, Amateurmaler, Stecher, Kunstschriftsteller und Gartenliebhaber Claude-Henri Watelet 1765 ins Bild geholt: der Kunstliebhaber, eine verkleinerte Kopie der Venus von Medici, also einer der berühmtesten Venusstatuen der Antike, genau betrachtend. Das Original dieser Figur, die im ersten Jahrhundert v. Chr. in einer römischen Werkstatt entstand und ein griechisches Original (sicher nicht von Phidias, auch wenn dem Athener Meister gelegentlich diese Figur zugeschrieben wurde) wiederholt, befindet sich auch heute noch in Italien, in den Uffizien. Jean Paul kannte die Figur entweder durch die vielen Reproduktionen oder durch jene Kopien, die weit verbreitet waren und der Figur internationalen Rang verliehen.
Apropos Hand: Die Arme samt Händen wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert von einem römischen Bildhauer ergänzt: Ercole Ferrata. „He showed remarkable flair in making just the kind of attractive additions to a mutilated statue which most appealed to connoisseurs“, heißt es bei Ferratas Biographen Francis Haskell und Nicholas Penny[2]. Es stimmt: die Finger der Hände sind so elegant, wie es dem manieristischen Stil des 17. Jahrhunderts entspricht: eine „attractive addition“ zu einer fragmentarisch erhaltenen Skulptur, die Oefel zu einer Zote inspiriert.
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[1] Aber ist nicht jeder Autor ein Parasit? Max Frisch hat einmal gesagt, dass sich die Leute hüten müssten, mit ihm umzugehen. Es könnte ja sein, dass sie eines Tages in seinen Texten erscheinen. Wer den tollen Gantenbein liest oder hört (es gibt eine wunderbare Aufnahme mit Frisch am Pult), bekommt tatsächlich eine Ansicht von Herrn Frisch und Frau Bachmann geliefert – freilich eine literarisch gebrochene und gestaltete. Jean Paul hat Briefe Charlottes von Kalb in den Titan hinein montiert – die Frau war darüber nicht amüsiert.
[2] Taste and the Antique: The Lure of Ancient Sculpture 1500-1900. Yale University Press, 1981.