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03.11.2013, 10:42 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [270]: Neuerliches Bamberger Extempore Nr. 3

Natürlich: plötzlich kommt ihm Hoffmann entgegen geflogen wie Mary Poppins persönlich – aber was heißt schon „natürlich“? Für Hoffmann ist nichts „natürlich“. Ihm fällt auf, dass auch für ihn nichts „natürlich“ ist, nicht einmal und gerade nicht die Natur. Hoffmann, guter Laune, wie immer, das heißt: zum Spotten animiert, legt eine schöne Landung hin, bevor er seinen Regenschirm zusammenklappt.

„Schön Euch zu treffen, Richter“, sagt er.

„Ganz meinerseits“, antwortet Jean Paul.

„Schon lange hier“?

„Ich war schon vorher hier, wie ich gerade gesehen habe. Ich habe es in dieser unheimlichen Stadt mit den Doppeltgängern.“

Hoffmann lacht schallend. Woher er das denn so genau wisse.

Ich sah sie – und lachte nicht.“

„Holla, Herr Legationsrat, wir wollen doch nicht in vorweggenommenen, parodierten Zitaten sprechen[1] – oder meint Ihr, dass der alte Zaubermeister von uns abgeschrieben hat?“

„Meinen? Ich weiß es, Hoffmann – und Ihr wisst es auch.“

“Ich weiß vor allem, dass es nicht mehr regnet – und dass ich einen Hunger habe, wie ihn Bazile[2] hatte. Kommen Sie, gehen wir in die Rose.“

„So früh am Morgen – und schon so trinkfreudig.“

„Das müsst Ihr sagen, Verehrtester – und jetzt lassen wir einmal dieses Inzitatensprechen. Benehmen wir uns wie vernünftige Leute.“

„Einverstanden. Ein Frühstück für mindestens 12 Euro 50, das wäre jetzt das einzig Richtige.“

„D'accord. Also ab in die Rose.“

„A rose is a rose is a...“

„Bitte! Keine Zitate mehr! Versuchen wir mal, originell zu sein.“

Sie gehen zur Rose, sie ist nicht weit, wie alles in dieser kleinen Altstadt nicht weit ist. Ist das ein Vorteil? Durch die lange Straße gehend, die sich am Gassengedärm[3] entlangzieht, das den Rathausbezirk mit dem Theaterplatz verbindet, passieren sie unweigerlich das berühmte Haus. Es hilft nichts, man muss darüber sprechen. Es stimmt, es stimmt ja immer wieder, immerwieder immerwieder: Er war nicht auf sie vorbereitet. [4]

Mann ist nie vorbereitet. Man bekommt plötzlich einen Schock, obwohl man die Dame schon zwei Jahre kennt, aber irgendwann ist es soweit, da gibt es kein Entkommen mehr – schon gar nicht in kleinen Städten wie B*. Da hilft auch keine Lektüre zur Ablenkung, nicht einmal der wirklich witzige Doktor Katzenberger, den er damals las. Der Schock dieser Liebe macht ihn krank, fesselt ihn ans Bett.[5] Fesselt? Es ist doch schon so lange her, hat er sich nicht befreit? „Ich habe damit abgeschlossen, Herr Richter, ich habe es ja in meinem Tagebuch geschrieben.“

„Damit Sie es selber glauben?“

„Neinnein, die Sache war ausgestanden. Irgendwann ist man einfach müde. Es gab sozusagen ein Zeitfenster für uns, durch das diese junge Frau – “

„Diese verdammt junge Frau“

„Aber Sie kennen sich doch auch da aus.“

„Wie bitte??“

„Ja, ich denke an Beata. Ist sie nicht eine Art Julia gewesen?“

„Neinnein, überhaupt nicht. Beata ist einfach eine junge Frau, die nicht weiß, wohin mit ihren Gefühlen, und die spürt, dass es irgendetwas Trauriges gibt, das sie immerzu beseelt.“

„Und die auf ihre Weise Young Gustav verführt. Natürlich: dafür kann sie nichts!“

„Ich verhehle nicht, dass ich Ihre Leidenschaft für diese Frau, von der Sie mir damals nicht das Geringste geflüstert haben – “

„Kein Wunder, es war ja auch noch nicht soweit.“

„Sie haben damals übertrieben.“

„Man könnte meinen, Sie hätten Sophie vergessen.“

„Sophie?“

„Sophie Paulus. Schon vergessen?

Wie hätte er Sophie je vergessen können.

Eins zu Eins für Hoffmann, oder besser: Nullkommafünf zu Eins, denn soweit wie in B.* ist es in H.* nicht gekommen. Gottseidank, das nicht!

„Da wir uns gerade in einem Blog über Ihren Roman befinden: Sprechen wir über Beata. Wie ist sie denn eigentlich so, die Kleine?“

„Auch uneigentlich ist sie ganz reizend.“

„Mir geht sie, um ehrlich zu sein, ein bisschen auf den Senkel. Das Mädchen hat einfach keinen Saft – genauso wenig wie ihr verhinderter Galan. Immer nur 'empfindsam' turteln, sich versagen. Gut, sie kann offensichtlich zauberhaft singen, meine Julia konnte das auch, ihre Stimme hat mich wahnsinnig, oft völlig verrückt gemacht – “

„Ich kenne die Macht der Stimme. Sie allein reicht schon aus, um uns Männer zu verwirren, die Frau kann aussehen, wie sie will.“

„Keine Übertreibungen, aber ich glaube, das stimmt. Julias Stimme – aber reden wir über Beata. Sie hat keinen Saft, sie ist so ätherisch, sie wäre nicht einmal in der Lage zu einem ordentlichen P–“

„Herr Hoffmann!! Darum geht es nicht!“

„Doch, darum geht es, verdammt. Die Leser wollen auch das irgendwann einmal lesen und nicht immer dieses asthmatische Gefühlsgesäusel vernehmen!“

„Dafür lieben mich meine Leser.“

„Welche Leser? Abgesehen davon: die Leserinnen wollen heute und wollten damals schon etwas ganz Anderes lesen. Kennen Sie Shades of Grey? Drei Teile, sehr erfolgreich, nicht nur in England.“

„Das muss ein rechter Scheiß sein.“

„Mag sein, aber der Scheiß verkauft sich hervorragend. Gehen Sie mal zu Hübscher, Sie werden sich wundern.“

„Bevor wir nun ins Populistische ausgleiten, wofür die Leser dieses Blogs – “

„Welche Leser?“

„Wofür die Leser dieses Blogs sicher kein Verständnis haben werden, gehen wir lieber hinein und widmen uns dem Frühstück.“

„Da ist es.“

„Respekt, Herr Hoffmann, Sie haben es geschafft.“

„Ja, heute. Das ist keine Kunst. Hat man auch nach Ihnen was benannt?“

„Ein Bier. Nein, zwei Bier. Und ein Café in Hof.“

„Fantastisch.“

„Und Straßen und Schulen, nicht nur in Bayreuth. Sogar in Kassel gibt es eine Jean-Paul-Schule. Das freut mich.“

„Großartig. Nach mir müsste man einen Weinbrand benennen. Hoffmann-Brand, das würde mir gefallen. Den gibt’s dort drinnen nicht, aber da ist es schön. Hinein mit uns – und raus aus dem Blog.“

Fotos: Frank Piontek, 26.10. 2013

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[1] Vgl. Robert Detobel: Othello als postdeparodierte Präparodie.

[2] Der Verfasser beeilt sich zu schreiben, dass der verehrte Leser Obigens doch bitte selber nachschlagen solle, welchen Bazile hier Herr Hoffmann meint – zur Not noch weiter oben.

[3] Jean Paul schätzt diese langen, übersichtlichen Straßen. Mag sein, dass Nürnberg eine von Touristen geliebte Stadt ist – hier hat sich sein Doppeltgänger immerhin elend verlaufen, bevor er in seinen Gasthof fand.

[4] Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe. Ein ganz wunderbarer Roman, erschienen im Jahre 2001 bei Kiepenheuer & Witsch.

[5] Ebd.